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Berta Lask - Leuna 1921 (1927)
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3. Szene

Konferenzzimmer. Klubsessel. Der Reichskommissar, der Merseburger Regierungspräsident, Leunadirektor Oster, Direktor Weinbrand, Polizeimajor Storch, Rittergutsbesitzer.

Reichskommissar: Ich bin orientiert, Herr Regierungspräsident. Mitteldeutschland ist unser Sorgenkind. Nirgends brauche ich so viele Agenten wie hier.

Rittergutsbesitzer: Nirgends ist solch eine Schweinerei wie hier.

Regierungspräsident: Das Ruhrgebiet hat General Watter, alter Regimentskamerad von mir, voriges Jahr so schön sauber gefegt, und hier könnte man die Felder düngen mit dem Mist - mit Verlaub zu sagen -, den. unsere roten Beamten machen.

Rittergutsbesitzer (lacht): So ist es, Mist überall, Schweinerei.

Regierungspräsident: Ein Grobschmied als Oberpräsident! Dies wirkt geradezu beleidigend. Wo bleibt unsere Beamtenehre?

Direktor Oster: Der Mann hat uns manchen Dienst gegen die Roten erwiesen.

Regierungspräsident: Aber man muss solche Leute einmal loswerden. Auf die Dauer sind diese Gestalten peinlich, ich möchte fast sagen, unerträglich. Diese plebejischen Manieren! Und man möchte wieder Herr im eigenen Hause sein.

Direktor Oster: Auf diese Stunde warten wir alle.

Direktor Weinbrand: Wenn ich an 1918 denke, wie wir nächtelang mit dem Arbeiter- und Soldatenrat debattierten, da warteten wir nicht mehr auf diese Stunde. Da hieß es Sozialismus", -Bolschewismus" und weiß der Teufel, was.

Direktor Oster: Man musste sich über Wasser halten und aus dem Strudel retten, was zu retten war. (Lächelt befriedigt) Jetzt werden wir nicht mehr debattieren. Wenn diese Feiglinge von wortreichen, hohlköpfigen Arbeiterführern weder bolschewisierten noch sozialisierten, haben wir keine Veranlassung, auf ihrem beständigen Rückzuge hinter ihnen her zu gehen und ihnen die Macht, die sie nicht ergriffen haben, auf dem Präsentierteller nachzutragen.

Ihre Stunde haben sie versäumt. Jetzt kommt

unsere Stunde.

(Oberpräsident Hörsing kommt. Begrüßung.)

Hörsing: Schon alle versammelt? Es ist gut, dass Sie gekommen sind, Herr Reichskommissar, und Vollmacht des Ministers mitbringen.

Reichskommissar: Sie haben eine unruhige Provinz, Herr Oberpräsident.

Hörsing: Unruhige Provinz! Selbstverständlich, wo die Industrie in rasendem Tempo gewachsen ist, wo Arbeitermassen aus allen Teilen des Reichs sich hier konzentrieren. In den Gefangenenlagern liegt ausländisches Gesindel aller Art interniert, mit Sowjetgift infiziert. Spartakisten sausen und toben herum.

Mit der Bande ist schwer fertig zu werden, selbst für eine erprobte starke Hand.

Regierungspräsident: Unser Regierungsbezirk bedarf ganz besonders der pfleglichen Fürsorge der Polizei.

Hörsing: Die Fürsorge werde ich schon besorgen, Herr Kollege.

Regierungspräsident (verbirgt mit Mühe seine Empörung über die Anrede): Wo blieb sie im Mansfelder Streik? Die Direktion stand unter Terror. Die Arbeiter erzwangen Zusage. Dieses stille, anständige Mansfelder Volk, das sonst nach der Arbeit seinen Acker bestellte, ist ganz verwandelt.

Hörsing: Wir Führer der sozialdemokratischen Partei kennen unsere Pflicht als Staatsbürger. Die Direktion ist zufrieden gestellt. Bitte! -

(Auf der Leinwand erscheint folgender Aufruf):

eisleber Tageblatt Aufruf

Durch die ungesetzliche Einführung der Werkspolizei seitens der Mansfelder A. G., die zweifellos provozierend gewirkt hat, wurde der Boden zu den Vorkommnissen in den Mansfelder Landen geschafÂfen, die in den letzten Tagen zu Massenaktionen geÂführt haben. Nachdem einwandfrei festgestellt ist, dass der Gesamtbetriebsratsausschuss unter Mitwirkung der Leitung des Bergarbeiterverbandes die strittigen Punkte fast glatt erledigt hatte, müssen die nachfolgenden Aktionen als vollständig verfehlt bezeichnet werden. Da die gewählten Vertreter auch zukünftig die Interessen der Belegschaft zu wahren verstehen werden, warnen wir um so mehr vor Wiederholung derartiger Auftritte, die in ihren Folgen für die gesamten Arbeiter Mansfelds unabsehbar sind. Es ist unter anderem bereits mit zukünftiger Verweigerung von Notstandsarbeiten gedroht worden.

Nur Unverantwortliche können sich über die vorstehend aufgeführten Wahrheiten leichtfertig hinwegsetzen. Die Unterzeichneten rücken von solchem Tun und Treiben weit ab und müssen die Verantwortung für die jetzigen Vorgänge sowie für etwa derartig Geplantes ablehnen.

Der Vorstand des Mansfelder Gewerkschaftskartells. Die Sozialdemokratische Partei, Unterbezirk Mansfeld.

Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, Unterbezirk Mansfeld."

(Alle lesen den Aufruf)

Regierungspräsident: Kaum zu glauben. Die Leute, die unterschrieben haben, sind doch eigentlich Arbeiterführer und nicht Staatsbeamte.

Hörsing: Aber staatserhaltend.

Regierungspräsident: Ja, wahrlich eine anerkennenswerte Gesinnung. Es lässt sich nicht leugnen, dass dies ein Erfolg ist.

Hörsing: Hat auch Mühe gekostet, meine Herren! Donnerschock, hat das Mühe gekostet.

Rittergutsbesitzer: Ausgezeichnet. Wird den Hetzern das Renommee kürzen. Die achtzehn kommunistischen Amtsvorsteher müssen noch weg.

Hörsing: Selbstverständlich.

Regierungspräsident: Und die sozialdemokratischen Landräte. Solchen fatalen Gestalten die Hand zu reichen, ist widerlich. - Äh, Pardon!

Reichskommissar: Ãœber die Mansfelder Angelegenheit bin ich orientiert. Ich bitte den Herrn Direktor vom Leunawerk um seinen Bericht.

Direktor Oster: Herr Reichskommissar! Meine Herren! Das, was sich eben in Eisleben abgespielt und mit Recht Ihre Entrüstung erregt hat, verblasst vor dem, was beständig bei uns im Leunawerk vor sich geht. Wir sitzen dort geradezu auf einem Pulverfass - nicht, weil wir Explosivstoffe produzieren, sondern bildlich gemeint.

Unsere riesige Barackenstadt ist ein Schlupfwinkel für Verbrecher und eine Brutstätte des Aufruhrs. Dort haust Volk aus allen Ländern. Dort wohnen polizeilich unangemeldet politische Flüchtlinge, und ich kann es nicht hindern, wenn ich Mord und Totschlag vermeiden will.

Unser Werk produziert gegenwärtig hauptsächlich Düngemittel, ist also von größter Bedeutung für das deutsche Volk. Und dieses für den Staat so wichtige Werk, das 22 000 Arbeiter beschäftigt, ist in Händen unverantwortlicher Elemente, ist ein Spielball hergelaufener Hetzer. Selbst der berüchtigte Räuberhauptmann Max Hoelz taucht dort bisweilen auf, bis ihm der Boden zu heiß wird. Es gab von 1917 an keinen Streik, keine staatsfeindliche Aktion, an der nicht das Leunawerk in hervorragendem Maße beteiligt gewesen wäre.

Direktor Weinbrand: Trotz wiederholter Maßregelungen.

Direktor Oster: Herr Reichskommissar, das Ruhrgebiet ist im vorigen Jahr durch die vorzügliche Arbeit des Generals Watter befriedet worden. Die Terrorherrschaft der Arbeiter im ganzen übrigen Reich ist gebrochen, die Macht der Betriebsräte  eingeschränkt, der Kampf gegen den schematischen Achtstundentag hat begonnen. Nur hier in Mitteldeutschland, und vorzüglich im Leunawerk, herrscht die rote Brut. Aus den Kapp-Putsch-Kämpfen sind sie unbesiegt hervorgegangen. Radikale Schreier terrorisieren die wohlgesinnte Arbeiterschaft. Die Betriebsräte sind allmächtig und diktieren uns den Willen der Arbeiter. Bei einer Differenz im vorigen Jahr drohte man, das Werk in die Luft zu sprengen.

(Er springt erregt auf)

Meine Herren, es geht nicht so weiter! Es muss ein Ende gemacht werden. Helfen Sie mir die Macht der Arbeiterschaft brechen, oder ich muss den Betrieb stilllegen.

Hörsing (aufstehend): So ist es, Herrschaften. Es ist höchste Zeit. Wir müssen die Herrschaft der Kommunisten brechen. Wir müssen die roten Arbeiter niederschlagen. Ich wollte schon lange mehr Polizei in meine Provinz haben, aber ich bekam sie ja nicht, obwohl der Minister des Innern ganz meiner Meinung war.

Rittergutsbesitzer: Das Leunawerk ist ein Seuchenherd. Auch meine Landarbeiter haben sie rebellisch gemacht.

Reichskommissar: Die Ausführungen des Herrn Direktors von den Leunawerken haben mich etwas befremdet, meine Herren. Ich höre hier ein hochpolitisches Referat und bin doch nicht zu einer politischen Konferenz hierher gerufen worden, sondern zu einer polizeilichen. Ja, meine Herren, bitte vergessen Sie nicht: zur Besprechung einer Polizeiaktion gegen Verbrecher bin ich hierher gerufen worden.

Alle: Selbstverständlich zu einer Polizeiaktion gegen Verbrecher.

Hörsing: Wir müssen wieder ein bisschen anständigen Geist reinkriegen in unsre Provinz, Herr Reichskommissar. Hier kennt man nicht mehr den Unterschied zwischen mein und dein. Aus dem Leunawerk stehlen sie Holz und Gott weiß was und aus den Mansfelder Gruben Dynamit, Dynamit, meine Herren!

Reichskommissar: Wir sind orientiert über die Eisenbahnattentate der Kommunisten.

Hörsing: Urheber zwar nicht einwandfrei festgestellt.

Reichskommissar: Doch allgemein bekannt und Nachricht durch die gutgesinnte Presse verbreitet. Das genügt. Muss noch stärker verbreitet werden.

Hörsing: Von den Feldern holen sie Rüben und Kartoffeln. Es ist eine Schweinerei, wie der Herr Rittergutsbesitzer richtig sagte. Zum Teufel, das muss anders werden. Man soll mir nicht nachsagen, dass ich nicht Ordnung halten kann ebenso gut wie irgendein Beamter mit blauem Blut. Ich will es hier bei mir ebenso anständig haben wie in anderen Provinzen. (Mit der Faust auf den Tisch schlagend) Darum Polizeiaktion gegen Diebe und Verbrecher!

Reichskommissar: Meine Herren, ich bin von dem Ãœberhandnehmen der Felddiebstähle, Werkdiebstähle und Verbrechen unterrichtet, und wir sind uns wohl alle darin einig, dass wir das solcherweise beunruhigte und staatlicher Fürsorge dringend bedürftige Gebiet mit Schutzpolizei belegen müssen. Ich bitte Sie, Herr Oberpräsident, Ihre Wünsche genau schriftlich zu formulieren. Ich werde dann mit den Behörden in Berlin sprechen, und wir können auf der nächsten Konferenz genau festlegen, in welÂcher Weise sich die Polizeiaktion vollziehen soll.

Regierungspräsident: Das Mansfelder Land ist am bedürftigsten.

Hörsing: Das ist auch meine Ansicht. Dort sitzt eine Brut; die muss ausgeräuchert werden.

Direktor Oster: Wenn irgendwo in Mitteldeutschland Schupo einrückt, so bricht in Leuna ein Sturm aus. Ich kenne meine Leunaarbeiter. Schicken Sie sofort Hundertschaften für das Leunawerk!

Reichskommissar: Dies wird sich aus politischen sowie aus technischen Gründen nicht machen lassen.

Regierungspräsident: Wir verstärken unsere Garnison in Merseburg.

Reichskommissar: Ich rate Ihnen, Herr Direktor, unÂverzüglich eine große Anzahl von politischen Vertrauensleuten als Arbeiter im Leunawerk einzustellen. Dies lässt sich in einem Werk von solcher Größe unauffällig machen. Man kann besonders unter den Wirrköpfen der KAPD erfolgreich arbeiten. Das sind anarchistische Burschen.

Direktor Oster: Sehr richtig. Schon seit mehreren Monaten schleuse ich derartige Elemente ins Werk ein. Der Kampf der Arbeiter zwingt mich dazu.

Reichskommissar (aufstehend): Und wenn die Polizeiaktion doch unerwartete Folgen haben sollte?

Hörsing:  Ich  übernehme  die  Verantwortung.  Ich kenne meine Provinz, und ich kenne meine Pflicht zur Erhaltung der staatlichen Ordnung. Jetzt muss ich mich empfehlen, meine Herren. (Hörsing ab)

Regierungspräsident: Uff! - Die Luft ist rein. Lassen wir diesen Grobschmied seinen Hammer schwingen, wenn es ihn drängt, der Bluthund zu sein! Lange werden wir diese Gestalten hoffentlich nicht mehr brauchen.

Reichskommissar: Er scheint sein Handwerk zu verstehen im kleinen wie im großen. Vorläufig ist er nützlich.

Regierungspräsident (heftig): Und trotzdem nahezu unerträglich. Kein Gefühl für Distanz! Spricht mit einem Adligen, der von den Deutschrittern abstammt, wie mit seinesgleichen. Tiefer kann unsere Kultur schon nicht sinken.

Reichskommissar: Fühle vollkommen mit Ihnen, Herr Regierungspräsident. Und dennoch, wie glücklich wären Ihre adligen Standesgenossen in Russland, wenn die russischen Grobschmiede, anstatt bolschewistisch zu regieren, ihre Befehle ausführen würden, wie unser Hörsing obwohl ein Grobschmied unsere Befehle ausführt.

Regierungspräsident: Erkennt man ja an, dass er nicht mit den Kommunisten fraternisiert, sondern mit uns, Herr Kommissar. Doch auch dieses Letztere ist ungemütlich und dauert nun schon etwas zu lange. Wir leben doch schließlich in Deutschland, einem Land mit anständigen Traditionen des Respekts vor Fürsten und Adel.

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