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Berta Lask - Leuna 1921 (1927)
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6. Szene

Großer Platz im Leunawerk. Im Hintergrund seitlich das Baugerüst. Bauten, Gerüste, Rohrbrücken. Überall Arbeiter bei der Arbeit. Es erscheint ein Film. Man sieht auf der Landstraße marschierende Polizeitruppen, dazu hört man Militärmusik, kurz, entfernt. Sofort darauf langes, starkes Sirenensignal. Lärm, Zurufe. Die Anstreicher klettern von den Rohrbrücken. Zimmerleute und Maurer steigen von den Gerüsten. In allen Bauten öffnen sich die Türen, Arbeiter kommen heraus.

Rufe: Belegschaftsversammlung! Belegschaftsversammlung an der Kohlenbahn!

Matrose (macht die Tür vom Bau auf): Ihr Giftkumpels raus, raus aus'm Bau!

1. Chemiearbeiter: Ja, ja, wir stellen nur die Maschine ab.

Prell: Ach was, Maschine! Die kann zum Teufel gehn.

1. Chemiearbeiter: Nun, nun, Kollege, bist noch neu im Betrieb und sperrst's Maul so weit auf.

Prell: Das ist mir alles zu schlapp hier. Hier ist noch kein richtiger revolutionärer Geist.

Rufe: Malchow! Malchow soll reden!

Matrose: Da kommt der Bezirkssekretär der Kommunistischen Partei aus Halle, Genosse Konitzky.

(Der Hof füllt sich mit vielen Tausenden von

Arbeitern)

Rufe: Aufs Dach! Konitzky aufs Dach! Konne-Bernd aufs Dach!

(Konitzky und Konne-Bernd steigen aufs Dach einer Maschinenhalle)

Konitzky: Kollegen und Genossen, Arbeiter des Leunawerks! Seit den Tagen des Kapp-Putsches war die Lage nicht so drohend für die Arbeiterschaft wie jetzt. Der zweite Kapp-Putsch ist im Gange, nicht so plump wie damals mit Pauken und Trompeten, sondern vorsichtig verdeckt hinter einer Polizeiaktion.

Rufe: So ist es. Die Junker - die Orgesch -. Ins Leunawerk kommen sie nicht. Wir schlagen sie raus.

Konitzky: Vor einem Jahr gaben Ebert und seine Genossen wieder alle Macht in die Hände der weißen Offiziere und schlugen der Arbeiterschaft die Waffen aus den Händen. Da wurde zum letzten und blutigsten Mal die Sache der deutschen Arbeiterschaft verraten.

Rufe: Ja, verraten überall: im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland, überall.

Konne:  Seit   damals  rüstet   die   Konterrevolution offen und frech. Sie fühlt sich beschützt von den sozialdemokratischen Führern. Die weißen Verbände schießen wie Pilze aus dem Morastboden dieser Republik. Ihr kennt sie alle, die Einwohnerwehren, die Orgesch und Stahlhelm. Alle Waffen, vom schweren Maschinengewehr bis zum Flammenwerfer, sammeln sich im Arsenal der Arbeiterfeinde. Am Bodensee ist eben ein Waffenlager entdeckt, das zur Bewaffnung eines kriegsstarken Regiments ausreicht. Bayern starrt von Waffen und wehrt sich gegen das Entwaffnungsgesetz der Entente. Bayern hält die Eingänge nach Thüringen besetzt, sprungbereit zum Vorstoß gegen das rote Mitteldeutschland, gegen das rote Berlin. Die ostelbischen Junker, die Rittergutsbesitzer von Pommern und Mecklenburg, die stellungslosen Offiziere im ganzen Reich, das ganze monarchistische Gespenstergelichter reicht sich die Hände. Die Unternehmer unterstützen ihr Treiben.

Konitzky: Ja, so ist's Kameraden.

Konne: Genossen, ihr wisst, was in den letzten Tagen geschehen ist. Ihr habt den Aufruf gelesen, den der sozialdemokratische Arbeiterverräter in frecher Verhöhnung der furchtbaren Not der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung erlassen hat, diesen Aufruf, in dem Hungernde und Frierende als Diebe und Räuber gebrandmarkt werden. Ihr wisst, dem Aufruf ist die Tat gefolgt. Am Sonnabend sind kriegsmäßig ausgerüstete Polizeihundertschaften in Hettstedt und Eisleben eingerückt. Auch Teutschenthal und andere Orte unseres Industriegebiets werden mit Schutzpolizei überschwemmt.

Ironischer Zuruf: Als -Freunde" kommen sie, hat Hörsing gesagt.

(Gelächter, Tumult)

Konitzky: Ja, als Freunde sind sie gekommen. Als Freunde laden sie ihre Gewehre. Als Freunde erschießen sie Mansfelder Kumpels. Arbeiter, in Hettstedt und Eisleben ist Arbeiterblut geflossen.

(Große Erregung)

Rufe: Raushaun! Niederschießen! Betrieb stilllegen! Generalstreik!

Konitzky: Arbeiter des Leunawerks, die Bezirksleitung der Vereinigten Kommunistischen Partei in Halle fordert euch auf, unverzüglich in den Protest - und Sympathiestreik einzutreten.

Mächtiger Ruf: Streik!!!

Konitzky: Einen Aktionsausschuss habt ihr schon gewählt. Überall ringsum geschieht das.

(Malchow ist auf das Dach gestiegen)

Rufe: Malchow von der KAP soll reden!

Malchow:  Arbeitskollegen  des  Leunawerks!  Jetzt heißt es keine Zeit verlieren. Jetzt gilt's zu handeln. In allen Betrieben müssen unverzüglich Aktionsausschüsse gebildet werden. Die Vorgänge haben uns nicht überrascht. 50 Kuriere von uns sind seit zwei  Tagen  unterwegs.   Heute  abend  sollen  alle Aktionsausschüsse   in   Weißenfels   zu   einer   Besprechung zusammentreten. Wir von der KAP sind immer fürs Handeln und nicht fürs Abwarten. Wir müssen uns bewaffnen. Bewaffnet sind die weißen Garden eingezogen. Bewaffnet müssen die Arbeiter ihnen entgegentreten.

Rufe: Bewaffnen! Bewaffnen!

Malchow: Und nicht den ewig schwankenden und zögernden Parteien darf die Führung überlassen bleiben. Nicht Parteibonzen am grünen Tisch sollen bestimmen. (Zwischenrufe: Oho, oho, gerade die Führer  der  VKPD!)   Sondern  wir  Arbeiterschaft selbst. Aktionsausschüsse aus den Betrieben, Aktionsausschüsse aus den Dörfern und Städten gewählt, sind das Herz der Arbeiterschaft, in dem das Blut der Revolution kreist. Alle Macht den Aktionsausschüssen!

Rufe: Aktionsausschüsse!

Andere Rufe: Die Partei soll führen!

Malchow: Bestätigt die Belegschaft den Aktionsausschuss, den wir im Leunawerk gewählt haben? Dort stehen die Genossen: Sechs von der KAPD, fünf von der VKPD, einer von der USPD.

Rufe: Wir bestätigen!

(Alle heben die Hände hoch)

Malchow: Der Aktionsausschuss des Leunawerks ist bestätigt. Überträgt die Belegschaft alle Macht und Entscheidung dem Aktionsausschuss?

Rufe: Alle Macht dem Aktionsausschuss!

Malchow: Der Aktionsausschuss übernimmt die Leitung des Leunawerks. Wir stimmen über den Streik ab. Wer ist für sofortigen Streik?

Rufe: Streik!

(Alle heben die Hände hoch)

Malchow: Der Streik ist erklärt, aber die Notstandsarbeiten werden im Interesse der Arbeiterschaft aufrechterhalten. Betriebsrat Bromme und Konne teilen der Direktion die Beschlüsse der Belegschaft mit! Teilt der Direktion ferner mit, dass der Aktionsausschuss die Verantwortung für die Sicherheit des Betriebs übernimmt, solange keine Schutzpolizei einrückt. Unsere Forderungen an die Regierung, unsere Forderungen an die Werksleitung sind: Anerkennung der Aktionsausschüsse, Entwaffnung und Entfernung der Truppen aus Mitteldeutschland, Bewaffnung der Arbeiterschaft zur Abwehr der Orgesch. Werden diese Forderungen nicht erfüllt, so treten wir in den bewaffneten Kampf ein. Es ist März, Kameraden! Die Märze sind blutig in Deutschland.

(Betriebsräte ab)

Genosse Kessel ist militärischer Leiter des Leunawerks.

Zurufe: Kessel! Kessel!

Kessel   (auf   dem   Dach):   Genossen!   Kameraden! Arbeiter des Leunawerks! Wir haben im vorigen Jahr zusammen in Halle gekämpft und im Mansfelder Land. Wir haben die Macht der weißen Garde gebrochen.  Es war eine blutige Woche. - Zweihundertfünfzig Kämpfer liegen in Halle begraben. Das Blut floss nicht umsonst. Wir mitteldeutschen Arbeiter haben unsere Rechte gewahrt. Wir haben noch Betriebsräte, wir haben noch den Achtstundentag.   Und  wieder  stürmen   die  weißen   Kolonnen heran, und wieder müssen wir zusammentreten, die rote gegen die weiße Armee. Tretet zusammen zu Hundertschaften! Tretet bauweise an auf dem Sportplatz! Die Ausgänge des Werks sind sofort zu besetzen, die Posten an der Umfassungsmauer zu verteilen.

(Betriebsrat Bromme und Konne kommen, steigen aufs Dach)

Rufe: Sie kommen von der Direktion.

Konne: Kollegen, die Direktion...

Rufe:   Was   Direktion!   Der   Aktionsausschuss   ist unsere Direktion.

Andere Rufe: Still doch! Lasst sie reden!

Konne: Genossen, ich muss euch melden, was die oben gesagt haben. Die Direktion fordert die Belegschaft auf, unverzüglich die Arbeit wieder aufzunehmen. Geschieht es nicht, so zieht sie die Ingenieure aus dem Werk zurück und entlässt die Arbeiter.

(Wilder Tumult)

Rufe: Wir werden ohne Ingenieure arbeiten. Die Hunde! Streik! Streik!

Konne: Arbeiter des Leunawerks, Genossen, unser Industriebezirk, das Herz Deutschlands, soll durch die weißen Garden der Gegenrevolution versklavt und geschändet werden. Alle nach der Revolution errungenen Rechte wollen die Unternehmer uns wieder entreißen. Das dürfen wir nicht dulden. Streik ist die Losung für jeden ehrlichen, klassenbewussten Arbeiter.

Rufe: Generalstreik!

Alter Arbeiter (auf dem Dach): Ich bin alt. Ich bin immer unterm Joch gegangen. Ich war ein müder Karrengaul. Dann kam die Revolution. Da ward ich ein Mensch. Dann warf's uns wieder zurück. Wir waren noch zu dumm und zu zerrissen, und die Herren sind schlau und stark. Aber wir müssen immer wieder aufstehn, immer - wieder - aufstehn - bis zum Ende.

(Freudige Zurufe)

Bruno (auf dem Dach): Brüder, im Ruhrgebiet da haben wir gekämpft im vorigen Jahr. Da stand die rote Front von Wetter bis Wesel. Da waren die Arbeiter einig, ein rotes Arbeiterheer. Aber die Regierung hat uns an die weißen Offiziere verkauft. Mit dem Bielefelder Abkommen haben sie uns von hinten tückisch erwürgt. Dann stank die Erde grausam von Blut, und die Toten schreien nach Rache. Aber hier in Leuna, hier muss es gelingen. Hier sind wir zusammen ein großmächtiger Schwung, zwanzigtausend und mehr. Hier ist unsre Festung und Ausfallstür. Hier fallen wir aus ins Mansfelder Land, ins Grubenrevier und die Städte nach Norden und Süden, überallhin, bis ins Ruhrgebiet.

(Ein Kurier kommt)

1. Kurier: Kameraden! In Eisleben wird gekämpft. Max Hoelz mit einer Sturmkolonne ist ins Mansfelder Land gerückt und führt die Kumpels.

Rufe: Nach Mansfeld! Nach Eisleben! Waffen! Waffen!

Malchow (auf dem Dach): Wir bleiben hier. Wir halten den Betrieb besetzt. Der Betrieb unsre Burg. (Zum Kurier) Alle Kuriermeldungen nur an den Aktionsausschuss, nicht an die Belegschaft!

Rufe: Wir wollen auch wissen, was gespielt wird!

Kessel: Disziplin, Kameraden! In Kolonnen angetreten !

Malchow: Morgen ist Löhnung.

(Die Arbeiter strömen auseinander. Es bilden sich kleine Gruppen, die stehen bleiben. Konitzky und Konne kommen.)

Konne: Genosse Konitzky, was bedeutet das? Ruft

die Partei zum bewaffneten Kampf auf?

Konitzky: Wir haben in Halle zum Generalstreik ausgerufen.

Konne: Ihr wisst, die KAP ist sehr stark im Leunawerk. Der Malchow mit seinem Redeschwall steckt die Belegschaft in die Tasche. Was ist die Losung der Partei?

Konitzky: Die Losung ist - die Bewegung weitertreiben, aber so, dass wir uns nicht isolieren, nicht die Verbindung mit den Massen verlieren.

Konne: Mit welchen Massen? Hier sind Massen, und sie sind für den Kampf. Du hast die Stimmung erlebt. Blut ist geflossen. Nun gibt's kein Zurück... Aber die Massen draußen: - Überall im Reich? Wie steht es dort? Die Lage ist doch anders als im vorigen Jahr, als die Reaktionäre durch einen zentralen Schlag ganz Deutschland herausforderten. Da standen die deutschen Arbeiter einig zur Abwehr auf. - Aber jetzt. - Klanglos, fast unbemerkt besetzt Polizei unser Industriegebiet unter der Parole gegen Diebe und Verbrecher". An unserer Grenze das 1919 blutig erwürgte Bayern, vor Waffen starrend, und das Ruhrgebiet, in dem Tausende der Besten im vorigen Jahr ermordet wurden... Man weiß noch nicht, was dort vorgeht. Wird Berlin aufstehn? Wird Hamburg aufstehn?

Konitzky: Hamburg! Wie kannst du fragen! Da ist doch Thälmann. Haben sicher schon mit Streik begonnen. Im Ruhrgebiet ist's auch schon unruhig und in Württemberg. Nur die Verbindungen zum Reich sind schlecht.

Konne: Also kalt Blut und jeder auf seinen Posten! Wo Arbeiter kämpfen, müssen wir sie führen. Es gibt kein Zurück.

(Sie reichen sich die Hände)

Konitzky: Max Hoelz ist in Eisleben aufgetaucht, wurde mit Jubel begrüßt.

Konne: Ein tapferer Mann, aber sehr undiszipliniert. Wird er nicht Unheil stiften?

Konitzky: Die Mansfelder Genossen wollen ihm jemanden beigesellen, der ihn ergänzt mit richtiger Taktik und Vernunft.

Konne: Hoffentlich gelingt's. - Noch kein Genosse aus Berlin da? -

Konitzky: Noch keiner.

 (Konne   und   Konitzky   nach   verschiedenen Seiten ab. Arbeiter kommen.)

Arbeiter Bertram: Das gefällt mir nicht, Kollege. Das ist eine gefährliche Sache.

Zweiter Arbeiter: Hier wird um den eigenen Kopf gespielt. Da hau' ich lieber bei Zeiten ab.

Arbeiter Bertram: Man drückt sich am besten rasch, ehe die Ausgänge besetzt sind.

3. Arbeiter: Man fährt nach Hause, kommt morgen wieder. Und auch morgen kann man über den Zaun steigen. Aus Leipzig wird mich niemand holen.

Arbeiter Bertram: Und mich aus Weißenfels auch nicht.

3. Arbeiter: Solche Sachen grade vor Ostern! Man will doch einen Feiertag haben. Man kann vielleicht nach den Feiertagen mitmachen. Aber jetzt vor Ostern - nein. Da freut man sich schon seit langem drauf, dass man die müden Knochen ein bisschen ausruhn kann. Die Politischen haben auch keinen Verstand für so was, noch dazu, wo wir in ein paar hundert Ortschaften zerstreut wohnen.

(Die drei gehen weiter. Andere kommen, unter ihnen Wieland, Matrose, Karl, alter Arbeiter.)

Wieland: Kessel-Robert ist echt, aber er schmeißt die Sache nicht allein. Die ist zu groß für ihn.

Matrose: Wir werden aufpassen. Wir sind doch alle da mit Ohren und Augen und Fäusten.

Alle: Es wird schon werden.

Karl: Es muss werden. Wir können doch nicht lebenslang - wie im dunklen Stollen die Kohlenhunde - Tag und Nacht ohne Aufhören - und niemals ans Licht.

Alter Arbeiter: Es geht alles seinen Gang, wie's muss. Es hat alles seine Richtigkeit. Wir sind die ersten nicht und werden nicht die letzten sein. Der Zug ist lang, ein großes Heer, Tote und Lebende. Jetzt sind wir dran.

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