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Berta Lask - Leuna 1921 (1927)
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8. Szene

Im Silo. Riesiger, vierzig Meter hoher Raum. Auf der Brücke Schupowache mit Maschinengewehr. Im Hintergrunde sieht man das weiße Ammoniak liegen, davor ein kleiner, geschlossener Bretterverschlag. Links am Ausgang, durch Balken und Bretter geschützt, starke Schupowache. Durch einen weiten Raum von der Wache getrennt, Gefangene. Sie lagern auf dem Steinfußboden ohne Stroh. In einer Ecke etwas Stroh. Sie liegen, hocken, sitzen, stehen in Gruppen zusammen. Große Stille. Die Wache schreitet auf und ab. Die Arbeiter sprechen nur halblaut. Unter den Gefangenen Wieland, Grasser, Heizer, Bruno, Karl, 1. Chemiearbeiter, alter Arbeiter. Man hört zuerst nur die schweren Schritte der auf- und abschreitenden Wache, dann von draußen die ersten Verse des Liedes deutschland, Deutschland, über alles", von zerbrochenen, gequälten Stimmen, mehr geschrieen als gesungen, dann von denselben Stimmen es lebe die... ", dann furchtbares Stöhnen.

Wieland: Wie lange sind wir schon in dieser Hölle?

(Ein Trupp blutig geschlagener Arbeiter wird hereingestoßen. Sie setzen sich erschöpft auf den Fußboden.)

Neuer Gefangener: Keine Flucht möglich?

Wieland:   Unmöglich.   Sieh   dich   doch   um!   Kein Fenster, und der Ausgang innen und außen mit Maschinengewehren besetzt. Oben auf der Brücke auch noch Maschinengewehre.

Karl: Ob Hoelzmax noch lebt? Wird der kommen und uns befreien? Wir warten Tag und Nacht.

(Mehrere sind zu der Gruppe getreten)

Wieland: Er muss kommen, er muss uns befreien. Dann schlagen wir los und kämpfen noch besser als vorher.

Neuer Gefangener: Wartet nicht auf Hoelz und seine Truppe! Heut wurden sie alle bei Besenstedt zusammengeschossen, sind tot und versprengt. Es ist alles zu Ende für diesmal.

Viele (mit drohenden Gebärden halblaut): Für diesmal.

(Polizeiwachtmeister  und   Meister  kommen. Der Meister streckt dreimal, auf bestimmte Personen zeigend, den Arm aus.)

Wachtmeister: Bodden-Wilhelm aus Helbra!

(Der Gefangene tritt langsam vor) Bauer-Josek aus Klostermansfeld!  (Ebenso)  Veit-Karl aus der Barackenstadt!

Karl (steht auf, starrt geradeaus, spricht leise): Mit dem Panzerzug in den Kampf, in die Freiheit. - Wir wollten Menschen sein. -

(Bruno umarmt Karl und hält ihn fest)

Bruno: Bruder! - Er ist noch so jung. Lasst ihn hier! Führt mich hinaus!

(Wachtmeister  reißt   Karl  fort.   Karl  fängt plötzlich an, mit mächtiger Stimme die Internationale zu singen. Die meisten Gefangenen fallen ein. Die drei werden abgeführt.)

Die Gefangenen: Wacht auf, Verdammte dieser Erde!

Wachtmeister:     Maschinengewehre      schussbereit! Schweigt, oder ich lasse schießen!

(Die Stimmen brechen langsam nacheinander ab)

Neuer Gefangener: Was wird mit den dreien?

Wieland: Still!

(Lautlose Stille. Ganz nah kracht eine Salve. Die Gefangenen stehen auf und nehmen die Mütze ab. Einige liegen unbeweglich.)

Wieland: So geht's jeden Tag. Sie nennen es Standgericht. (Ungeheuer erschüttert) Der Matrose, mein Freund! - Der Matrose - ein Kerl. Breite Brust, stolze Augen, immer voran, immer geradeaus. - Wie sie ihn mit dem Kopf gegen die Mauer stießen, der fiel nicht um, stand aufgericht'. Zehn mit erhobenen Kolben um ihn rum und gaben ihm einen Revolver in die Hand: schieß dich selber tot!" - erst dich!" rief er und traf den Grünen in die Brust. Dann - (er stöhnt, reißt seine Jacke auf, fasst sich an die Brust) Es soll mir einer das Herz aus der Brust reißen, dass ich nichts mehr fühle! - Ein Tiger muss man sein, kein Mensch.

(Aus dem Bretterverschlag ertönen Schreie. Bald darauf wankt der Heizer blutend, mit furchtbar entstelltem Gesicht aus dem Verschlag.)

Den haben sie unmenschlich zugerichtet.

Heizer (spricht abgebrochen): Ich bin das Gas, das durch die Röhren geht. Man sieht mich nicht, man hört mich nicht. Sie können mich nicht greifen. Hui bin ich durch die Röhren unsichtbar, hui - (sich an den Kopf fassend). Ich bin ein Generatorofen, bis oben voll mit glühendem Koks. Macht die Klappe auf! Ich explodiere. Lasst den Koks ab! Ich explodiere. ----nein, nein, lasst mich glühen! Sie sollen alle in mir verbrennen. Sie sollen alle in meine Glut hinein.

(Er sinkt um)

1. Chemiearbeiter: Die Pfaffen erzählen, nach dem Tode kommt die Hölle. Wir sind wohl alle tot. Wir sitzen mitten im höllischen Feuer.

Wieland: Für den Proleten ist die Hölle auf dieser Erde.

Neuer Gefangener: Wer ist das, der dort hinten liegt wie ein blutiger Klumpen?

Wieland: Das ist Kessel, unser militärischer Leiter. Den haben sie gestern eingebracht, haben ihn grausig mit eisernen Stangen geschlagen, dass der Schädel krachte. Dann sollt' er ein falsches Protokoll unterschreiben. Wie er sich weigerte, stießen sie ihm den Revolver in den Mund.

Neuer Gefangener: Wir sind noch immer dumme Lämmer, und die anderen sind reißende Wölfe mit einem gleißenden Fell, dass man ihr Wolfsgesicht nicht erkennt. Aber es wird ihnen alles nichts nützen.

Wieland (die Fäuste ballend): Es wird ihnen alles nichts nützen.

(Der alte Arbeiter winkt Bruno, Wieland und anderen)

Alter Arbeiter: Kommt! Ich will mit euch reden.

Bruno: Las mich! (Er sitzt starr)

Alter Arbeiter: Nein, ich lass dich nicht. Ihr seid jung. Ihr müsst's weiter tragen.

Bruno: Willst du sterben? Du bist so bleich?

Alter Arbeiter: Ich sterbe wohl noch nicht. Nur meine Knochen sind müde. Mein Atem geht schwer. Sie haben mir Rücken und Brust zu arg geschlagen. - Ihr seid ganz nieder?

Einige: Ja, wir sind ganz nieder.

Alter Arbeiter: Ihr trauert um die Toten. Das muss sein. Es schäumt in euch von schwarzer Galle. Das muss sein. Aber das reicht nicht aus.

Wieland: Wir werden noch einmal alle aufstehen und zusammentreten, Gewehr in der Faust.

Alter Arbeiter: Ja, ihr werdet noch einmal alle aufstehen und zusammentreten, Gewehr in der Faust. Aber das wird nicht heute sein und nicht morgen.

Bruno: Man kann nicht warten, bis das Leben vergeht.

Alter Arbeiter: Nicht warten, Bruno, arbeiten, arbeiten Tag für Tag und Jahr für Jahr unter den Proleten, bis die vielen aufwachen, wie wir aufgewacht sind.

Wieland: Ich hab' solch ein Feuer in der Brust; das zerfrisst mich.

Alter Arbeiter: Sollst das Feuer behalten, sonst taugt die Arbeit nichts. Aber das Feuer allein taugt auch nicht. Sollst das Feuer ausbreiten, bis alle Proleten ein Feuer in der Brust haben wie du. Dann werdet ihr eine Mauer sein, da werden sich die dort oben die Köpfe einrennen und werden ihnen keine Maschinengewehre mehr nützen und keine Geschütze.

(Er wird schwach. Die anderen stützen ihn.) Ich bin kein alter Karrengaul mehr. Ich bin ein Kämpfer geworden, ein Mensch. Weiter tragen - als Vorhut - weiter tragen-----Brüder - Proleten -

Alle: Wir versprechen es.

Wieland: Jetzt schmachten wir im Silo als gefangene Sklaven, aber einmal wird das Leunawerk unser sein.

Die anderen: Das Leunawerk wird unser sein. (Der alte Arbeiter stirbt)

Wachtmeister: Was tut ihr dort?

Wieland: Ein Kamerad ist gestorben.

(Alle Gefangenen stehen auf und singen die erste Strophe der Internationale)

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