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Berta Lask - Leuna 1921 (1927)
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2. Szene

Kantine 2. Beratungsraum des Aktionsausschusses. Malchow, Oskar, Wieland, Freimann und andere vom Aktionsausschuss.

Wieland: Und ich sage euch, es sind noch Waffen im Leunawerk vergraben. An zweihundert Gewehre müssen noch vorhanden sein und zwei Maschinengewehre.

Malchow: Aus der Turnhalle haben wir die Gewehre herausgeholt. Du warst doch selbst dabei. Weiter weiß ich nichts.

Wieland: Du weißt nichts, und Oskar weiß nichts. (Mit dem Fuß aufstampfend) Einer muss doch wissen, wo die Waffen sind, die voriges Jahr vergraben wurden. Sind wir Narren und Zirkusclowns? Wer führt uns an der Nase herum? Wir wollen die Arbeiterschaft bewaffnen, und das zweite Waffenlager ist nicht aufzufinden. Sollen wir mit Schmiedehämmern gegen Maschinengewehre?

Malchow: Die Hauptsache ist, wir halten das Werk besetzt. Der Betrieb unsere Burg. Da brauchen wir nicht gleich so viele Waffen. Und wenn wir uns hier erst richtig organisiert und eingerichtet haben, dann bekommen die Arbeiter in Leipzig und Zeitz und Weißenfels mehr Vertrauen zu unserer Aktion und bringen uns Waffen. In Leipzig sind massig Waffen. Wir müssen auch abwarten, was im Reich vor sich geht, nicht gleich wütig losschlagen.

Freimann: Redst heute so und morgen so. Vor der Aktion hast du wie toll nach Waffen geschrieen. Dann hieß es wieder: nur friedlicher Generalstreik, dann wieder Waffen, dann Fabrik besetzen. Immer Reden und Parolen und nichts getan.

Oskar: Es ist eine Luderwirtschaft bei euch. Es ist Zeit, dass ich als militärischer Leiter mal alles richtig bei euch organisiere und fest anpacke. Aber Gehorsam verlange ich und Disziplin.

Wieland: Disziplin ist schon da. Nur an Waffen und Munition fehlt's. Schaff Waffen!

(Kessel stürmt herein)

Malchow: Nun, was ist los, Kessel? Ich denke, du fühlst nach Merseburg vor. Ich denke, du stürmst bald die Kaserne?

Kessel (in höchster Erregung): Erst muss man den Aktionsausschuss stürmen und das Leunawerk stürmen und die Spitzelzentrale stürmen. (Unruhe) Es ist wieder verraten, immer alles verraten, von AnÂfang bis zu Ende.

Rufe: Wie denn, verraten?

Kessel: Als wir gestern den Sipokurier abfangen wollten mit der wichtigen Meldung, mit dem Plan, den er bei sich trug, den wir haben müssen, und es war alles genau besprochen ganz geheim - wir sechs Mann, mehr wussten nicht davon -, und ich lieg' mit meinen fünf Mann auf der Lauer zur bestimmten Stunde hinterm Bahndamm an der KreuÂzung, da kommt der Sipokurier mit dreißig Mann Bedeckung, zwei leichte Maschinengewehre vorneweg, und einer ruft: -Hier solltest du überfallen werden."

Rufe: Unerhört!

Freimann: Man sollte ein Standgericht einsetzen und Spitzel erschießen.

Kessel: Da verschießen wir die halbe Munition.

Malchow: Berichte von Merseburg?

Kessel:   Wir   haben   nach   Merseburg   vorgefühlt, immer den Bahndamm lang, bis an die Gasanstalt, hundert Meter von der Kaserne, da bekamen wir kolossales Feuer - sssst geht das in einem Zuge, schwere   Maschinengewehre.   Unser   Überfall  war verraten.

Rufe: Wieder verraten?

Kessel: Dann kommt unser Vertrauensmann und meldet: Die ganze Kaserne geräumt, Mannschaft, Waffenpark, Munition, alles geräumt und hinauf nach dem Schloss. Verstärkung ist auch gekommen. Tausend Mann liegen jetzt auf dem Schloss, schwer bewaffnet.

Malchow: Wann haben sie die Kaserne geräumt?

Kessel: Hätt' ich gestern die sechs bewaffneten Kompanien bekommen, die ich forderte, wir hätten die Kaserne gestürmt.

Malchow: Wir hatten doch nicht so viel Mannschaft und Waffen. Nach Corbetha zu muss doch auch gesichert werden.

(Der Führer aus dem Geiselthal kommt)

Führer aus dem Geiselthal: Meine Kameraden, die 250 Arbeiter aus Neumark im Geiselthal schicken mich her. Sie wollen nicht länger untätig im Bau liegen. Sie sagen, sie sind nicht gekommen, sich den Bauch vollzuschlagen, sondern zu kämpfen. Sie wollen ihre Waffen haben und wollen hinaus.

Oskar (unruhig): Geh dort hinein, Kamerad. Du wirst Bescheid bekommen.

Kessel (langsam, drohend näher kommend): Was hör' ich da, zweihundertfünfzig Mann aus Neumark im Geiselthal, und ich weiß nichts davon? Man hat sie entwaffnet und eingesperrt, derweilen ich drau­ßen kämpfe, und meldet's mir nicht? (Sich rasch Oskar zuwendend) Und wer ist der hier, dies fremde Galgengesicht?

Malchow: Neues Mitglied der Kampfleitung, von Max Hoelz geschickt.

(Kessel springt auf Malchow und Oskar zu, packt beide an der Brust und schüttelt sie)

Kessel: Ich werde euch erschießen, ich werde euch alle beide erschießen, ihr Lumpen!

(Er zieht seinen Revolver. Freimann und andere werfen sich zwischen Kessel und Oskar.)

Kessel: So schießt mir eine Kugel durch den Kopf! Da liegt mein Revolver. (Er schleudert den Revolver fort)

Oskar: Wer nicht Disziplin hält, gehört vors Standgericht. Merk dir das, Kompanieführer Kessel!

Kessel: Wer ist hier militärischer Leiter, er oder ich?

Freimann: Wir kommen hier nicht mit einem militärischen Leiter aus, Robert. Die Sache ist zu groß. Wenn du draußen im Kampf stehst, muss hier auch eine feste Führung sein. Da kam vorgestern der Kamerad Oskar mit einem Ausweis von Max Hoelz, dass er hier in die militärische Leitung mit hinein soll. Hoelzmax hat's gesagt.

Kessel: Sein Ausweis! (Der Ausweis wird gezeigt. Kessel betrachtet ihn, zuckt mit den Schultern, gibt ihn zurück.) Ein Ausweis ist ein Stück Papier. Ob's seine Richtigkeit hat, wer kann's sagen? Ich gebe die militärische Leitung nicht aus der Hand. So wie's hier steht, läg' ich lieber mit einer Kugel im Kopf draußen auf dem Acker. Aber ich habe angefangen und führ's zu Ende. Ich lass' die Kameraden nicht im Stich.

Freimann: Du sollst dein Amt nicht aufgeben, Robert. Nur der Genosse Oskar soll mit hinein in die Kampfleitung. Wir haben ihn mit Majorität hineingewählt.

Kessel: Ihr habt ihn mit Majorität hineingewählt?

Alle: Ja.

(Kessel wendet sich ab)

Freimann:  So   einen   Erprobten   von   der   Hoelzkolonne, den können wir hier gebrauchen, Robert.

Kessel: Wer im Werk kennt ihn?

Wieland: Niemand.

(Schweigen)

Malchow: Die Unterschrift von Hoelz ist richtig. Daran ist nicht zu zweifeln.

Kessel: Jetzt keine unnützen Worte mehr! Was für Meldungen sind eingetroffen?

Malchow: Die hundert Mann, die du nach Halle geschickt hast, wurden bei Lauchstädt aufgerieben und zerstreut.

Oskar: Das kommt davon, wenn man die Kräfte auseinanderstreut und zersplittert, anstatt sie hier für eine große Aktion zu sammeln.

Kessel: Wir haben schon zu lange gewartet und gesammelt. Jetzt kommt Schupoverstärkung von allen Seiten. Mit einem geheimen Funkgerät habe ich Meldungen aufgefangen. Drei Hundertschaften Düsseldorfer Schupo unter dem Grafen von Zechlinsky marschieren auf Eisleben. Ein württembergischer Panzerzug fährt Richtung Sangerhausen. Aus Berlin, Erfurt, Magdeburg stößt weitere Schupo ins Kampfgebiet. In Halle sind sie sogar mit Artillerie und Minenwerfern.

Freimann: Ein Genosse aus Helbra war hier. Der erzählte, die Arbeiter von der MansfeldaG liegen im  Waldgelände  in   Schützengräben.   Die  Weiber bringen ihnen Essen, und derweil die Männer essen, liegen die Weiber im Graben und schießen.

Wieland:  Die   tapferen   Kumpels,   die   kenn'   ich. Kleine Leute, graue Gesichter, aber wenn die mal in Gang sind, die sind zähe. Im Märzwind liegen Tag und Nacht, das ist nicht leicht. Wir müssen ihnen bald Hilfe schicken.

Kessel: Keine Meldung aus Chemnitz?

Malchow: Nein.

Kessel: Aus Thüringen?

Malchow: Nein.

Kessel: Aus Berlin von unserer Zentrale?

Malchow: Nein.

Kessel: Nichts aus dem Ruhrgebiet?

Malchow: Nichts aus dem Ruhrgebiet. Ihr seht, wir müssen abwarten.

Kessel: Ihr seht, wir müssen kräftiger losschlagen, die anderen im Reich mitreißen. In Hamburg sind schon  große Streiks, in Württemberg auch.  Und sollen sich die Mansfelder allein verbluten? - Sonst keine Meldung?

Malchow: Keine Meldung.

Wieland: Der Genosse Malchow hat ein schlechtes Gedächtnis. Es war ein Kurier von Hoelzmax bei ihm.

Malchow: Ach so, ja. Das war nichts weiter. Er gab kurz Bericht, nichts Neues.

Freimann: So, so. Wir schicken gleich einen Kurier nach Mansfeld.

Kessel: Kamerad Oskar, sorge für Sprengstoff und Handgranaten! Wieland, sieh, ob die Panzerplatten fertig sind und ob das  Panzerauto funktioniert. Meine Kampfgruppe muss abgelöst werden.

Freimann: Ich gehe zu denen vom Geiselthal.

Kessel: Ja, sie sollen versuchen, sich zu den Mansfeldern durchzuschlagen.

(Alle ab außer Kessel. Kessel sitzt zusammengebrochen am Tisch. Die Augen fallen ihm zu. Else kommt in Windjacke und Kopftuch mit dem Gewehr ihres Mannes. Sie tritt zu Kessel, auf ihr Gewehr gestützt. Dann berührt sie Kessel am Arm. Kessel fährt auf, starrt Else an, packt mit beiden Händen Elses Kopf.)

Kessel: Sieh mich an, Weib! Bist du auch ein Spitzel? Sie schicken auch Weiber als Spitzel. Du bist so gekommen - fremd. Wer kennt dich? - Nein, du bist echt. Deine Augen. - Ich kenn' dich doch?

Else: Gewiss. Von Schulzeiten her kennen wir uns. Ich bin doch die Else, dem Bertram seine Frau. Mein Mann ist feig, wollt' nicht ins Leunawerk. Da nahm ich sein Gewehr. Schießen kann ich auch. Reih mich ein, Kessel-Robert, wenn du Kampfleiter bist!

Kessel: Dich?

Else: Ja mich. Meinst du, wir Frauen wissen nicht, um was es geht? Aber wie siehst du denn aus? Was hat dich so niedergebrochen, Robert? Bist doch kein Feigling wie mein Mann. Das warst du doch nie.

Kessel: Verrat, Verrat! Es braust mir in den Ohren. Es sticht mich im Kopfe. Hab' vier Tage und Nächte nicht geschlafen, nur jetzt eben ein paar Minuten. Da träumt' ich einen Traum. - Die Luft war voll Trommelwirbel, der Trommelwirbel wie Kanonendonner. Da schritten wir alle großmächtig daher, zwanzigtausend vom Leunawerke und hatten gesiegt. - Ach, schwarze Else, jetzt weiß ich, das ist für heute nicht, das ist für später - die Trommeln zum Sieg. Jetzt aber schreitet der schwarze Tod mit blutigen Füßen durchs Leunawerk. (Kessels Kopf sinkt wieder auf den Tisch. Er schläft ein. Else legt die Hand wie schützend auf seinen Kopf und steht auf ihr Gewehr gestützt. Nach einigen Minuten richtet Kessel sich auf und reißt sich hoch.)

Kessel: Ich darf nicht schlafen. Ich muss ans Werk gehen. Noch ist Leuna in unserer Hand. Komm mit deinem Gewehr!

Else (stolz): In den Kampf?

Kessel: In den Kampf!

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