Im Joch
I. Die Schlichtung wird erzwungen
"... die Streikenden der Daido-Druckerei demonstrierten nach heftigen Zusammenstößen mit der Wache des Kobinata-Polizeiamtes, bei denen mehr als zweihundert von ihnen verhaftet wurden, im zoologischen Garten im Uenopark, wo sie eindrangen, um die strenge Beobachtung durch die Polizei zu durchbrechen und die Auflösung auf Grund des Verbots der Versammlungen unter freiem Himmel zu umgehen. Auf einen Alarmruf eilten einige Polizisten in den Garten, aber sie mußten untätig dabeistehen und zusehen, ohne etwas gegen die Streiker unternehmen zu können..."
Nach dem ausführlichen Bericht der Zeitung "Tokio Nichi-Nichi" war die Existenz der Streikenden der Daido-Druckerei wirklich so gefährlich wie die des Tigers, der plötzlich aus seinem Käfig losgelassen wird. Dem Berichterstatter schien es besonders witzig, daß sie ausgerechnet im zoologischen Garten demonstrierten. Die eingesperrten Tiger stoßen mit den Pranken gegen die eisernen Gitter und brüllen, wenn in ihrem gebändigtem Herzen ihr altes wildes Blut, an die großen freien Felder erinnert, lebendig wird. Auch in den Streikenden erwachte nach jahrhundertelanger Unterdrückung die Sehnsucht nach Freiheit und Gleichheit und entzündete das Blut in ihren Herzen. Aber sie waren noch nicht aus dem Käfig heraus.
Die Se Ju Kai, die Partei der Militärs und Grundbesitzer, organisierte das Kabinett, nachdem General "Sibirien" von Seiner Majestät den Auftrag bekommen hatte.
Die Se Ju Kai hatte im Parlament im Verhältnis zur Min Sei To Minderheit. Eine Reihe schwerer Probleme - Chinapolitik, Moratorium, die vielen Streiks größten Maßstabs, der Pächterstreik usw. - standen vor dem Kabinett. Das Volk ahnte, das dieses Se Ju Kai-Kabinett nur kurzlebig sein würde. Die Zeitungen der Oppositionsparteien stellten schon jetzt die ungleiche Zusammensetzung fest.
Aber dieser General Sibirien, Häuptling der japanischen Militärpartei, genoß großes Vertrauen im Oberhaus und im geheimen Staatsrat. Eines Tages, kurz vor der Eröffnung des Parlaments, um das sich drohende Wolken zusammenzogen, wurde er von einem dieser Herren des Oberhauses eingeladen. Sein Geschäftsfreund, ein alter hochverdienter Staatsmann, der der Mittelpunkt des japanischen Imperialismus war, gab dem tapferen und entschlossenen General einen Auftrag. Er enthielt die Forderung, die "gefährlichen Gedanken", sie seine Kunden mehr als Chinapolitik und Moratorium fürchteten, weil sie für ihre imperialistischen Gelüste am gefährlichsten waren, besser und geschickter als bisher im Schach zu halten. Das bedeutete die Vernichtung des verhaßten Kommunismus.
Auch dem General Sibirien schien als "gewissenhaftem" Staatsmann im allgemeinen wie im besonderen von der Frage der Taktik seiner Partei aus die Beherrschung "der staatsfeindlichen Umtriebe" und die "Vernichtung des Kommunismus" der beste Reklametrick für seine Partei zu sein. Nicht anders konnte diese wichtigste, unvermeidbarste Frage gestellt werden.
Einmal war ein solches Aushängeschild gut zu gebrauchen, um das Vertrauen des Oberhauses und des geheimen Staatsrates zu gewinnen, zugleich aber war es der beste Maulkorb für die oppositionellen Parteien im Unterhaus. Beide bürgerlichen Parteien, die jetzt in Japan herrschten, die Se Ju Kai wie die Min Sei To, konnte diese Parole als Trumpf im kommenden politischen Kampf ausspielen.
Ja, wenn er diesen Trumpf möglichst wirksam anbrachte, mußte es ihm gelingen, die feindliche Min Sei To zu spalten und vielleicht eine dritte, kleinere Partei als Stimmvieh an seine Seite zu zwingen. Der alte Reichstagsabgeordnete Osaki, Vorsitzender dieser dritten Partei, der als ehrlicher Staatsmann und radikaler Liberaler in der Bürgerschaft großes Vertrauen genoß, schlug eine Kundgebung über die "Not des Reiches" infolge der "staatsfeindlichen Umtriebe" vor und versuchte außerdem, mit Leib und Seele für seine Sache begeistert, die Kosten für die Beeinflussung und Bekämpfung der staatsfeindlichen Umtriebe (Zehn Millionen Yen) durch Regierungsvorschlag dem Staatshaushalt aufzubürden. In flammender Rede hatte er dafür plädiert. Feierlich und in komischer Ahnungslosigkeit tanzte er an den Fäden, an denen der General Sibirien zog.
Trotz allem aber kam der Bankrott der Mittel- und Kleinunternehmer. Die Erwerbslosen überschwemmten die Städte und Dörfer wie Flußwasser im Frühling. Alle früheren Streiks waren im Gegensatz zu dem jetzigen elend zusammengebrochen. Und diese bedauerlichen Rekorde wurden jeden Tag von neuem überboten.
Die Zeitungen der Oppositionspartei Min Sei To nutzten diese Gelegenheit als Material zum Angriff gegen die Regierung aus, aber immer nur soweit, daß der wirkliche Kern des Problems ja nicht berührt wurde..... Wenn die Regierung und ihre Partei durch ihre Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit die Arbeiterprobleme - den Pächterstreik, Arbeiterstreiks, die Erwerbslosenfrage - sich soweit entwickeln lassen, dann wird sonnenklar, daß sie uns in eine fürchterliche Zukunft führen werden. Wenn wir an unser Verhältnis zur Staatsautorität schon dieselben Maßstäbe legen könnten, wie in den europäischen Ländern, würde der Ausbruch des Generalstreiks unvermeidlich sein. Außerdem müssen wir daran denken, daß die Nationalrevolution unseres Nachbars China von großem Einfluß auf unsere Arbeiterklasse sein wird...
Aber dieser Angriff der Oppositionspartei war für den General nur ein neuer Ansporn. Er entschloß sich, diesen seinen "wichtigsten Plan" durch das Untersuchungskomitee der Mandschurei und Kokuriukei und durch die geheimen Gendamerieorganisationen ausführen zu lassen. Er war sicher, daß, wenn er diesen Plan gerade in dieser Zeit, in der die Feuer der Opposition am heißesten brannten, zur Durchführung brachte, seine Trümpfe am besten wirken mußten.
Beamte und Polizeichefs der Provinz wurden auf Grund seiner "eingehenden" Überlegungen versetzt. Besonders die leitenden Stellen im Polizeipräsidium, wo sich sein Wille am deutlichsten und stärksten widerspiegeln sollte, wurden durch die "passendsten" Leute besetzt. Es war gerade kurz nach dieser Umstellung, als Takagi und Nakai von der Streikleitung und Oda, der Vorsitzende der Hyogikai, ins Polizeipräsidium gebeten wurden. Man führte sie ins Gastzimmer in der ersten Etage. Staunend lernten sie dieses Gebäude, an das sie nur bittere Erinnerungen hatten, von einer ganz neuen Seite kennen: welche Teppiche mit gelben Blumenmustern auf grünem Grund kitzelten die Sohlen ihrer zerrissenen Schuhe.
" Der Herr Chef der politischen Polizei wird sofort erscheinen", sagte der Beamte, der sie hierher geführt hatte. Takagi erinnerte sich, das Gesicht dieses Polizisten schon irgendwo gesehen zu haben, vielleicht hatte er ihn schon einmal aus dem Polizeiauto gerissen und in andere , weniger angenehme Winkel dieses Gebäudes befördert. Ein Diener brachte Tee.
" Das ist die sogenannte höhere Politik", grinste Oda und setzte sich in einen Sessel.
" Aha, ausgezeichnet", mit lächelndem Gesicht, das die Arbeiter noch mißtrauischer machte, kam der Chef der politischen Polizei mit dem Vorsteher der Arbeiterabteilung herein. "Bitte nehmen Sie Platz. Aber es ist recht kalt, wollen wir uns nicht an den Ofen setzen?" Der Chef lächelte Takagi und Nakai, die noch immer standen, wohlwollend zu. Sie rückten vom Tische ab, Oda saß in der Mitte, der Chef mit seinem schönen würdigen Bart und der Vorsteher der Arbeiterabteilung, ein kleiner Mann mit schlauen Augen und spitzer Nase, vor ihnen. Die Arbeiter überlegten, mit was für Argumenten wohl die beiden auf die Beschlüsse, die sie im Gewerkschaftsbüro gemeinsam mit Watamasa und Hagimura festgelegt hatten, antworten würden.
" Haben Sie die Absicht, sich auf irgendeine Weise mit der Gesellschaft zu versöhnen?" begann der Vorsteher. Die unverbindliche Besprechung begann genau so, wie sie sich das vorgestellt hatten.
" Natürlich, aber natürlich, wenn die Gesellschaft den ehrlichen Willen zeigt , antwortete Oda offenherzig.
" Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich ihnen erklären, daß diese Besprechung ganz außerhalb meiner offiziellen Funktion steht, ich bin hier als einfacher Privatmann. "
Obwohl der Ofen im Zimmer rot glühte, war eine kühle Atmosphäre zwischen diesen Leuten.
Aber Herr Oda, Sie sind wirklich ein bedeutender Mann geworden - haha -. " Der Chef, der bis dahin geschwiegen hatte, begleitete diese Worte mit einem nicht ganz angebrachten Lachen. Er wünschte die Atmosphäre zwischen ihnen etwas liebenswürdiger zu machen.
" Wieso, Sie haben ja auch eine ganz hervorragende Karriere gemacht . Oda lachte ungezwungen mit seinem großen Mund - was für ein komisches Zusammentreffen, gerade an diese Menschen hatte Oda recht böse Erinnerungen damals war er noch Polizeileutnant in Osaka. Sie hatten dann oftmals von den verschiedenen Seiten der Front voneinander gehört, aber so Auge in Auge hatten sie sich in diesen acht Jahren nicht mehr gesehen.
" Damals haben sie mich ja ziemlich gequält." - Der Chef versuchte versöhnlich zu lachen "Na, ich habe auch gedacht diese Hunde ". Auch bei dieser Unterhaltung gab Oda einen Beweis seiner Weitherzigkeit, der er seine ungeheure Popularität bei den Arbeitern im Kreise Osaka und die ungeschmälerte Geltung seines Führertums verdankte. "Aber auch diesmal haben sie uns ganz schön zugesetzt, Herr Oda. " Ein stechender Blick schoß auf das ruhig lächelnde Gesicht Odas. Aber dessen noch von den Kämpfen der letzten Zeit leuchtenden Züge zeigten nicht die Spur irgend einer Wirkung. In dieser Zeit, in der der Chef Karriere gemacht hatte, war auch Oda ein "bedeutender Mensch" geworden.
" Ach. machen Sie doch keine Witze, wir sind gezwungen, uns zu wehren, nachdem man uns zu diesem Kampf herausgefordert hat. Das war die Wahrheit. Der Pfeil, den der Polizeichef abgeschossen hatte, traf auf einen Stein und prallte wirkungslos ab.
So.....aber die Geschichte in der Oji-Papierfabrik vor einigen Tagen... . ist die nicht auf euren Befehl geschehen...?" Ssst... . der Pfeil sollte Oda an seiner empfindlichsten Stelle treffen. Die kleinen Augen des Vorstehers der Arbeiterabteilung bemühten sich, hinter den großen Linien von Odas Backenknochen, die so charakteristisch für die Männer aus Westjapan sind, etwas zu entdecken.
" Hahaha, das ist ja ganz schlimm, Sie wollen also alle Schuld auf uns schieben?" Oda schien vergnügt, aber jetzt blieb der Polizeichef kalt und grinste kühl mit hochgezogenen Lippen. Wieder fühlten sie die eisige Luft im Zimmer.
" Nun, kurz und gut -" der Gastgeber änderte ohne Übergang das Thema wenn sie die Absicht haben, sich zu einigen, was würden sie dazu sagen, wenn wir uns bereit erklären würden, zu vermitteln....?" Die Arbeiter sahen sich an; das war endlich das Hauptthema. 'Außer uns kommt noch ein Herr hinzu, der Sekretär des Innenministeriums, Herr Matsukawa, natürlich gleichfalls als Privatperson." Und der Vorsteher fügte hinzu- "Sie müssen uns glauben, daß von uns aus alles nur aus übergroßem Mitgefühl für Sie geschieht." Das klang wie eine Drohung. Die drei überlegten, ihre Köpfe blieben kalt. Aber die Absicht war zu offensichtlich, es war zu deutlich, wie diese Leute an den Fäden tanzten und nur den Willen Okawas und Shibusakas, die hinter den Kulissen der Regierung und der Oppositionsparteien standen, ausführten. Obwohl sie sich alle Mühe gaben, als Privatpersonen aufzutreten.
'Hat die Gesellschaft schon ihr Einverständnis zu diesem Vorschlag erklärt?" fragte diesmal Takagi.
'Hm, ja, offiziell noch nicht, aber ich weiß schon, wie sie sich entscheiden wird." Der Chef der politischen Polizei blies sich auf und zeigte seinen dicken Bauch, aber die drei Arbeiter saßen mit unbewegten Gesichtern.
" Ich denke, das ist auch für euch sehr wünschenswert, daß dieser Streik möglichst bald beigelegt wird, auch vom Standpunkt der Ruhe und Ordnung im Staate wünschen wir es... eure Gegner..." Der Chef zögerte, eure Gegner sind mächtige Kapitalisten, wollte er sagen. Den dreien ging es durch den Kopf, daß man hinter den Worten dieses Gesprächs die ganze herrsche Gesellschaftsordnung sehen konnte. Nach einer Weile sagte Oda:
" Wenn wir Ihnen in dieser Beziehung vertrauen sollen, dann müssen, glaube ich, folgende Bedingungen erfüllt werden Einstellung aller Entlassenen, Bezahlung der Streikkosten -.'' Während er das sagte, erfüllte ihn unendliche Trauer, weil dieser große Streik, der so viele Opfer gekostet hatte, mit einer solchen bedingungslosen Unterwerfung enden sollte.
" Ach, setzen Sie sich keinen Floh ins Ohr, verlangen Sie nur nicht zu viel... den Leuten, die schon entlassen sind, denen ist nicht mehr zu helfen."
Die drei waren wie vor den Kopf geschlagen. War dieses Wort des Polizisten aus seinem eigenen Hirn gekommen? Wie eine Rasierklinge lief ein kalter Schauer über ihre Rücken.
" Wenn alle Streikenden entlassen werden sollen, dann werden wir kämpfen, bis wir verhungert sind.!" Die drei fühlten, daß sie ihre Bauchriemen würden noch enger schnallen müssen und alle anderen mit ihnen. Worte konnten hier nichts mehr nützen, sie gaben sich keine Mühe, diese Auffassung länger zu verheimlichen.
" Ach, machen Sie sich das doch nicht so einfach, nicht wahr, jedenfalls..." fing der Vorsteher wieder an, er machte noch einmal den Versuch, die drei etwas zu beruhigen.
" Wir können die Sache ein bißchen geschickt aufziehen und schieben." Die drei Arbeiter zogen ihre Augenbrauen kraus und standen schweigend auf. Nach einer Weile: "Na, wir werden überlegen." Das war eine stärkere Ablehnung als ein glattes Nein. Der Polizeichef zog seinen Stuhl zurück und zeigte nun offen seine feindliche Haltung. "So, überlegen - hm - auch schön!"
Das war das letzte Wort in diesem Zimmer; die drei Arbeiter gingen ohne Gruß hinaus.
Als sie am Zimmer der Pressekorrespondenten vorübergingen, sprangen die Journalisten wie die Eichhörnchen heran. "Wie war's? Wird der Streik durch Vermittlung des Polizeipräsidenten beendet?" Oda schüttelte mißgestimmt den Kopf. Draußen wehte ein scharfer Wind und trieb die demütigen Rücken der drei an, die zur Haltestelle der Tramway gingen. |
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