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Sunao Tokunaga - Die Straße ohne Sonne (1931)
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VI. Weißer Terror

Rechtsanwalt Taruis bäuerliches Aussehen paßte eigentlich wenig zu einem Intellektuellen. Seine schwarze Zelluloidbrille hinterließ auf seiner dicken rundlichen Nase dunkelbraune Flecke. "Gut, ich habe alles verstanden, ich werde unterwegs beim Polizeiamt vorbeigehen. "
Der junge Rechtsanwalt war gleich bereit, alles nötige zu unternehmen. An dem einzigen Möbel des kleinen Empfangszimmers, das aus einem kleinen niedrigen Tisch bestand, rauchte der Rechtsanwalt ununterbrochen seine Gordon Bat's (Anm.: Billigste japanische Zigarettenmarke).
" Ich habe gehört, der rechte Flügel, der Gewerkschaftsbund der staatlichen Arbeiter, will in unserer Arbeiter- und Bauernpartei Fraktionen bilden", fragte Hagimura, als die Angelegenheit mit Okayo erledigt war, den ihm politisch nahestehenden Genossen. Er war in der eigentlichen politischen Bewegung wenig bewandert, weil die Arbeit für den Streik ihn ganz in Anspruch nahm.
Tarui blies den Rauch seiner Zigarette gegen die Decke, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos.
" Ja, sie scheinen den nächsten Parteitag nicht abwarten zu können , ich glaube, daß es bald zur Explosion kommt."
Takae faßte zu der ruhigen, kraftvollen Haltung dieses Mannes, den sie heute zum erstenmal sah, großes Vertrauen. Dann brachte eine junge, etwa 22-jährige Frau den Tee. Ihrem einfachen Aussehen nach konnte man annehmen, sie sei das Dienstmädchen. Sie begrüßte die beiden Gäste höflich und Tarui stellte sie den beiden als Genossin vor, sie war seine Frau.
" Sind die Führer der Fraktion Tatsuoka und Nichimoto, wie man sagt?" Der Rechtsanwalt nickte zustimmend und begann von den Aussichten und der Zukunft der Partei zu reden. Seiner Meinung nach hing die Spaltung der Partei an einem Haar. Die Leute, die sich ihrer Aufgabe als Avantgarde bewußt seien, müßten jetzt durch hundertprozentige Aktivität den, Bestand dieser Partei der proletarischen Einheitsfront schützen. "Heute nachmittag wird eine Sitzung des Zentralausschusses stattfinden, wer kommt von euch?"
Hagimura antwortete, Yamamoto und Nakai würden kommen, er selbst sei auch Mitglied des Zentralausschusses, aber er habe keine Zeit, hinzugehen. Der Rechtsanwalt steckte sich eine neue "Bat" an. "Vielleicht werden die Mitglieder, die dem Gewerkschaftsbund der staatlichen Arbeiter angehören, gar nicht erscheinen. " Hagimura machte ein fragendes Gesicht.
" Diese Tendenz zeigt sich immer klarer, bestimmt werden sie nicht kommen; diese Trade-Unionisten sind voller Angst, weil ihr linker Flügel durch die Polizei unterdrückt wird, sie haben in der Arbeiter- und Bauernpartei keine Ruhe mehr. " In dieser kleinen Kammer, in diesem vornehmen Viertel waren die Strömungen der Bewegung nicht weniger zu spüren als in der Streikgegend. Takaes Überzeugung, die wie eine Lokomotive immer von neuem mit Widerstandswillen gespeist werden mußte, festigte sich immer mehr. "Das sind alles Gewohnheitsverbrecher und niederträchtige Verräter." Hagimura erinnerte an das Verhalten dieser Leute vor der Vereinigung mit der Partei.
" Ja, wahrscheinlich wird in einigen Tagen der Prozeß der Spaltung deutlicher festzustellen sein. "
Es ist schon heute soweit, war im Gesicht des Rechtsanwaltes zu lesen. Es hätte noch endlos zu diskutieren gegeben, aber sie durften nicht. Die Offensive des Kapitals hatte die Kämpfer der Avantgarde weit auseinandergeworfen - und doch nur immer näher zusammengebracht. "Also, dann bitte ich dich um Erledigung dieser Sache." Takae und Hagimura verabschiedeten sich von Tarui und gingen fort. Takae war schon ruhiger geworden.
In diesem vornehmen Viertel schien jetzt um die Mittagszeit die Sonne durch die Wolken und warf matte Strahlen.
" Ich war ganz verlegen, ich dachte, die Frau war das Dienstmädchen, sie ist sehr nett. "
" Ach, ich möchte etwas essen" , sagte Hagimura und blieb vor eine m kleinen Cafe auf dem Haksuanberg stehen.
Er hatte seit gestern abend nichts gegessen. Takae sah in das kleine Cafe hinein, es fiel ihr ein, daß sie auch noch nicht gegessen hatte. Bei der Entlassung gibt die Polizei am Morgen kein Essen mehr. "Dann esse ich auch. "
Als sie durch die Glastür in das schmutzige Lokal eintraten, erschienen aufdringlich die kleinen Mädchen - Willkommen - und musterten unverschämt das Paar. Die Wand des Raumes war mit weißem Lack gestrichen; sie waren die einzigen Gäste. Das war ihnen angenehm. Als sie sich gegenübersaßen, befiel beide eine Schüchternheit und sie mußten sich zwingen, ein Gespräch in Gang zu bringen. Hagimura sprach von der Resolution der gestrigen Sitzung der höchsten Streikleitung.
" Ja, Takae, der Streik wird immer komplizierter." Sie wußte garnicht, was inzwischen passiert war und hörte, während der leere Blick durch den Raum schweifte, die Entwicklung der Ereignisse, die Tatschen, von denen Hagimura erzählte.
Oji-Papierfabrik und Klischeedruckerei sowie Nippon-Lampenfabrik hatten vorgestern gleichzeitig alle Arbeiter, die bei dem im Rat revolutionärer Gewerkschaften Japans zusammengeschlossenen Verbänden organisiert waren, entlassen. Die Leute hatten gegen diese Maßregelung protestiert und waren in den Streik getreten.
" Und was soll jetzt werden?" sagte sie plötzlich nach langem Stillschweigen. In der Theorie erkannte sie recht gut, wie sich die Verhältnisse zwangsläufig zuspitzten. Sie sprach zornig, als ständen unsichtbare Feinde vor ihr.
" Was werden wird? - Es gibt nur eins: noch einmal zum letzten Kampf mit allen Kräften - vollständiger Sieg oder Untergang." "Das ist alles?" Takae sah auf das zerzauste Haar Hagimuras und zeigte deutlich ihre Unzufriedenheit mit seiner Antwort. Von drinnen brachte das Mädchen zweimal Curry-Reis und stellte ihn wenig liebenswürdig vor die beiden. Die Löffel waren hier und da rostig. Die weichen Sonnenstrahlen, die durch die Milchglasfenster hereindrangen, spiegelten sich in den weißen Lackwänden. "Das ist nicht alles, es kommt noch etwas", bemerkte Hagimura, nachdem er einen Bissen Reis gegessen hatte.
" Gesamtangriff gegen die gesamte Front des Kapitals", lachte er schrill, seine Aufregung zwischen den Wimpern versteckend. "Der Hauptakt des Streiks wird morgen beginnen - Gesamtmobilisation aller Streitkräfte, alle Mann an Deck - aber das muß noch geheim bleiben."
Takae antwortete nur mit den Augen, mit einem Lächeln um den Mund meldete sie sich zur Stelle: Alle Mann an Deck!
" Das wird wunderbar!" Sie sah vergnügt auf die starken Schultern ihres Gegenübers. Obwohl sie beide bisher oft zusammen gearbeitet hatten, hatte sie Hagimura immer nur als Vorbild und als guten Berater angesehen. Dieser Mann mit dem starken Bart und den breiten Schultern war ein typischer Westjapaner. Sein Gesicht war aus großen und kräftigen Linien gebildet.
Hagimura hielt plötzlich im Essen ein und hob den Kopf, sie fühlte sich ein wenig beschämt, ihn so lange angesehen zu haben. "Ach, wie dumm, ich habe zu wenig Geld, ich habe gar nicht daran gedacht." Er war verlegen.
" Ist nicht so schlimm, ich habe noch einen Yen bei mir." Er klopfte mit seiner Hand auf den Gürtel. "Gerettet, dann werde ich also noch einmal essen." "Bitte schön", lachte sie.
In diesem Augenblick huschten einige Schatten über die Glastür und verschwanden sofort wieder. Takae hatte zufällig hingesehen, aber nichts Auffälliges daran gefunden.
" Dann gibt es Generalstreik", setzte sie die unterbrochene Unterhaltung fort, während der Mann den Tee eingoß.
" Wenn es dazu kommt, muß man unbedingt dafür sorgen, daß der Kampf sich politisch auswirkt. Ich habe bei Tarui nichts davon gesagt, weil das auch geheim bleiben muß. In der nächsten ZK-Sitzung der Arbeiterund Bauernpartei soll eine Aktionsresolution über diesen Streik gefaßt werden. " Als Hagimura sich den zweiten Teller nahm, sah Takae zufällig auf die Glastür. "Was ist denn da los?"
Ein großer Schatten senkte sich plötzlich auf ihre Köpfe und sie sahen beide, daß draußen an der Glastür die flachgedrückten Gesichter von ungefähr zehn Menschen klebten. "Was soll denn das?"
Da wurde die Glastür aufgerissen und etwa zehn Leute stürmten ins Zimmer.
Jetzt begriff Hagimura.
" Verflucht, verloren!" schrie er Takae schnell zu, "das sind Pinkertons und Werkfaschisten, verschwinde schnell und unterrichte die Streikleitung. "
In dem engen Raum drängten sich die Männer rings um Hagimura. Der ging schweigend rückwärts und zog sich die Jacke aus. Unmöglich zu fliehen. Ein langer Mann an der Spitze der andern kam auf ihn zu:
" Du bist Hagimura------"
Schon flog der erste Teller, schlug gegen die Wand und zerschellte. Im hinteren Raum machten die Bewohner Lärm. Takae zögerte noch, aber dann entschloss sie sich, lief nach hinten und verschwand. "Schurke, Teufel !" Der Mann der eben gefragt hatte, stürzte, Hagimura hatte einen Stuhl auf ihm zerschlagen. Die englische Sauce spritzte herum und Salzstreuer zerbrachen.
Hagimura kämpfte und verteidigte sich mit allen Kräften, aber diese Strolche waren an solche "Arbeit" gewöhnt und in der Überzahl. Sie warteten, bis er nichts mehr zu werfen hatte und sprangen dann von allen Seiten auf ihn zu.
Der verquirlte Menschenblock lag flach auf dem Boden, Hagimura fühlte an einer Stelle schmerzhaft alle Nerven brennen. Klebrig tropfte sein Blut auf die Gesichter der unter ihm Liegenden und gleichzeitig fühlte er einen Schmerz im Hinterkopf. Es war so, als würde er mit einer groben Bürste gegen den Strich gebürstet. Dann wurde er bewußtlos.

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