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Sunao Tokunaga - Die Straße ohne Sonne (1931)
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II. Essenausgabe

Durch das westliche Tor der Fabrik, das durch uniformierte Polizei und Fabrikbeamte bewacht war, fuhr furchtlos der Lastkraftwagen mit den Aufschriften der Kantongenossenschaft. Wie ein betrunkener Postwagen schwankte dieses Vehikel. Das Lager der Genossenschaft der Streikenden, Kotshikawa-Kyodosha, befand sich in einem Gebäude innerhalb des Fabrikterrains, fünfzig Meter vom Büro der Gesellschaft neben dem Fabriklager. Hier wehten die Fahnen mit den drei roten Streifen und dem P. und die roten Fahnen mit dem Stern C.O., hier kämpften die Gewerkschaften schon über 60 Tage. "Zum Teufel, sie bringen wieder so viel Reis. " Der lange Mann im schwarzen europäischen Zivilanzug murmelte es zwischen den Zähnen, dem Lastwagen nachsehend. Er trat gerade aus dem Verschlag der Werkpolizei. Es war ein früherer Polizeileutnant, der jetzt zum Personalchef der Gesellschaft aufgerückt war, weil er die Leute der Druckereigewerkschaft so gut kannte. "Das geht so nicht weiter. "
Er schüttelte den Kopf und ging mit breiten Schritten in das Büro der Fabrik.
" Diese Legalität macht die Burschen so frech - was heißt vom Tokio-Provinzialamt anerkannte Genossenschaft?" Er wußte Bescheid, wie die Legalität ausgenutzt werden kann. Die Tür der Genossenschaft wurde geöffnet, zehn Arbeiter kamen und umstellten als Schutz den Wagen; alle hatten eiserne Stangen unter den Arm geklemmt, und mit gewohnter Fertigkeit gingen die Säcke von Mann zu Mann. Komm - hoi, komm - hoi!
Aber im Hause selbst sah es aus wie bei einem über Nacht ausgezogenen Schieber - die Reislager und die Holzkohlenlager waren kahl und leer. Man konnte die Rattenlöcher sehen, durch die der kalte Wind hereinblies. Das während der sechzigtägigen Kämpfe mit dem Blut der Streikenden aufgebrachte Gewerkschaftsgut war bis auf das letzte Reiskorn verzehrt, bis auf die letzte Holzkohle verbrannt. Besonders bitter machte sich bemerkbar, daß die Engroslieferfirmen, die sie sonst außer der Genossenschaften auch noch belieferten, ihre Lieferungen nach der Verschärfung des Streiks eingestellt hatten. Natürlich hatte die Gesellschaft bei den Engrosfirmen interveniert. Man hatte schon vorher an derartiges gedacht, aber die jetzige Maßnahme war doch zu unverschämt. "Deshalb", sagte der vollbärtige Hirovka, der Angestellte der Genossenschaft, nachdem sie alle Reissäcke abgeladen hatten, während er die Finger seiner Militärhandschuhe abzog, "deshalb müssen wir vor allen Dingen unsere Genossenschaft vergrößern, das ist das Allernotwendigste. Und ich behaupte, eine proletarische Genossenschaft darf nur direkt vom Erzeuger kaufen, das ist doch klar und auch eine von den Erfahrungen dieses Streiks".
Dieser fünfzigjährige Mann, hart wie Stein und geduldig wie ein Ochse, war seit 1919 auf Leben und Tod mit der Genossenschaftsbewegung verbunden und hatte bereits mehrere Streiks mitgemacht. Wenn er durch die Polizei verjagt wurde, bebaute er zusammen mit seiner alten Mutter in seiner Heimat die Reisfelder, aber während die Glut der verbotenen Streiks noch weiterschwelte, war er bereits wieder da, kam wieder nach Tokio und trug geduldig seine Reissäcke.
" Wir müssen selber stark genug werden, wir müssen den Genossen der Bauerngewerkschaften die Hände reichen, wir müssen Transportmittel haben, Lokomotiven und Dampfer. In der Stadt müssen wir eine starke Lieferungsorganisation haben und uns alle Lebensmittel selbst produzieren. "
" Hab' verstanden, hab' verstanden. "
Ito, der andere Angestellte der Genossenschaft, hob die Hand und beruhigte ihn. "Wenn du zu reden anfängst, geht die Sonne unter." Die andern kamen hinzu und prusteten vor Lachen. Wirklich übertraf Hirovkas Beharrlichkeit noch die der kleinen Straßenhändler des Waisenhauses (Anm.: Die japanischen Waisenkinder müssen ihren Lebensunterhalt durch Straßenhandel verdienen.).
" Wenn wir dein Geschwätz zu Ende anhören wollten, dann würden die Streiker vor Hunger vertrocknen. "
Trübsinn kannte dieser Mann so wenig wie eine geregelte Tageseinteilung, aber in allen gefährlichen Situationen blieb er der Ruhigste. "Hallo, Genosse Ito und Hirovka!" hörte man die Stimme Hagimuras aus einer Nebenkammer. Er war gestern nacht von einer Gruppenleitersitzung hierher gekommen und hatte in der Kammer geschlafen. Trotz der durch die brüderlich reiche Spende der Genossenschaften ganz Japans heute angekommenen Lebensmittel und trotz der harten Arbeit der Verpflegungsabteilungen war es nicht möglich, wie sonst noch stets, allen Leuten Essen auszuteilen. In dieser Not beschloß die Gruppenleitersitzung, nur denjenigen Familien, die nach Feststellung der Untersuchungskommission am meisten von der Not betroffen waren, Lebensmittel auszuliefern.
Hagimura als Vorsitzender des Gruppenleiterkomitees sammelte alle Zettel vom Untersuchungsausschuß und verglich sie mit der Zahl der Reissäcke.
Aber Hagimuras Standpunkt als Gewerkschaftler konnte leicht mit dem Standpunkt der selbständigen Genossenschaften in Konflikt kommen. Es war notwendig, sich von der alten, falschen Anschauung freizumachen, die die Genossenschaft nur als Proviantabteilung der Gewerkschaften betrachtete.
" Deshalb darf die Kotshikawa Kyodosha als Genossenschaftsverband", beriet Hagimura mit Hirovka und Ito, als sie in seiner Kammer zusammenkamen, "nicht den Wiederaufbau der Genossenschaft vergessen, wir müssen stets und in jedem einzelnen Fall daran denken, ganz gleich, ob wir in diesem Streik unterliegen oder siegen. Von diesem Gesichtspunkt aus... "
Hagimura fragte die beiden um ihre Meinung, nachdem er ihnen den Beschluß der Gruppenleitersitzung mitgeteilt hatte. Hirovka entschied: "Meiner Meinung nach könnte man noch eher die Lieferungen teilweise ganz einstellen, das steht absolut nicht in Widerspruch mit der Idee der Genossenschaft. "
" Genosse Ito!" riefen die Genossen vom Hof. Sie kamen alle mit Lebensmittelkarten.
" Tja, tja, das ist wahr, alle sind in einer schlechten Lage, wen soll man da aussuchen?" sagte Ito; er konnte es sich nicht vorstellen, daß er all die bekannten Gesichter wieder mit leeren Händen nach Hause schicken sollte.
" Aber wir müssen aushalten, solange wir können." Hagimura sagte das hart und entschieden.
" Es ist schwer, aber wir müssen es den Leuten verständlich machen. "Du hast recht, ich werde mit ihnen reden. "
Hirovka ging hinaus. Ito und Hagimura folgten ihm. Vor dem Hause sammelten sich 30 bis 40 Leute. Familienangehörige der Streikenden. Sie schwenkten die Essenmarken wie Hungerfahnen und drängten und stritten sich.
" Hallo, laßt euer Gerede, wenn ihr sagt, daß wir keine zwei Säcke Reis mehr bekommen. Gebt uns einen Sack Reis und Miso", schrie eine alte Frau, die sich krampfhaft an das Schalterfenster klammerte. Von den Nachdrängenden eingekeilt, begann ein Säugling, der auf dem Rücken einer Frau hockte, zu weinen, als ob er am Spieß steckte. "Ito-tjan", schmeichelten die Frauen, die ihn gut kannten, "bei mir ist alles richtig aufgeschrieben, brauchst nur zu stempeln." "Das geht nicht", sagte der Sekretär schroff, er wurde noch ärgerlicher, schalt sich selber, daß er die Genossen fortjagen mußte. "Du hast deinen Teil schon vor fünf Tagen bekommen, mach, daß du fortkommst."
" Denkst du", sprang die Frau von Itos Freund Kiko vor, "wir sind doch selbstverständlich nicht hierher gekommen, weil wir schon vor vier Tagen Reis bekommen haben. Wir sind keine Tauben, wir essen nicht nur einzelne Körner, du Kürbis!"
Jetzt trat Hirovka heraus und stieg auf einen Stuhl, den er mitgebracht hatte.
" Genossen, hört mal her, was ich jetzt sage. Ihr alle wißt, es sind nur hundert Sack Reis und je zwei Faß Miso und Shoju angekommen." Die Leute schwiegen, neugierig, was der allbekannte Vollbart sagen würde. Hagimura ließ die Genossen darauf achten, ob keine Spitzel unter ihren Leuten seien. Er hielt es nicht für richtig, daß solche Auseinandersetzungen von den Spitzeln belauscht würden, wenn es sich auch kaum vermeiden ließ.
" Aber das ist nicht genug, um euch alle satt zu machen wie sonst immer, versteht ihr! Und wir können auch nicht gleich wieder zwei oder drei Lastwagen voll hierher schleppen, weil unsere Gewerkschaft so arm geworden ist."
Hagimura ging, als er Hirovkas freimütige Darstellung der Lage hörte, ein kalter Schauer über den Rücken, wie gebannt starrte er in die Gesichter der Versammelten.
" Deshalb haben wir beschlossen, daß wir zuerst an die, die am meisten Not leiden, austeilen. Die Gruppenleiter - ihr wißt, wer das ist -haben festgestellt, wer es am nötigsten hat. Meldet euch also bei den Gruppenleitern, und die die nichts mehr aufs Leihhaus zu tragen haben, bekommen dann zuerst. "
Hagimura und allen andern ging es durch alle Glieder, wie sich jetzt eine dunkle Welle über alle diese Gesichter legte, wie Wolken vor die Sonne.
" Hallo, Meister, dann kriegen wir also heute keinen Reis?" Als ein alter Mann so unvermittelt und ein wenig komisch losbrach, begannen alle Weiber und Kinder durcheinanderzureden. "Gib doch wenigstens heute noch. " "Vom nächsten Mal wollen wir es so machen. "
" Gib doch ein wenig zu essen, mit hungrigem Bauch kann man nicht in den Krieg ziehen. "
Die Leute bedrängten Hirovka, der erstarrt dastand, als wolle er sie alle umfassen, aber dieses Bronzestandbild des Karrenschleppers war nicht so leicht umzuwerfen. Ohne die Augenbrauen zu bewegen, sagte er mit einem Gesicht wie eine Maske, nachdem die Leute etwas ruhiger geworden waren:
" Jetzt hat eben einer gesagt, mit leerem Bauch kann man nicht in den Krieg ziehen. Leute, unser Krieg ist kein Krieg, den man mit vollem Bauch führen kann. Das ist ein Krieg, den man mit leerem Magen und Steinen im Bauch - führen - muß!"
Die Frauen starrten auf den harten Mann, wie auf einen Felsen. "Versteht ihr - trotzdem ich das sagen muß - eure Kanto-Gesellschaft wird euch nicht aushungern lassen. Deshalb dürft ihr nicht bei uns betteln und nicht schimpfen. Wir müssen alle aushalten, solange wir können. Um uns zu helfen, haben alle Mitglieder der 20 Genossenschaften des japanischen Genossenschaftsverbandes 'Tage ohne Reis' eingeführt. Wißt ihr. was das heißt: 'Tage ohne Reis'? Das heißt, sie essen nur Hafer statt Reis."
Hagimura und Ito schluckten trocken. Die Frauen ließen ihre erhobenen Hände und Schultern fallen. Die Frauen, die in der ersten Reihe standen gingen hinter die Menge zurück; das Kind, dem die Milch fehlte, wimmerte auf dem Rücken der Mutter.
Trotzdem haben wir Arbeiter in der Stadt es noch leichter als die Pächter auf den Dörfern, die das ganze Jahr nur Kastanien und Hafer essen. Aber deshalb kämpfen die Pächter doch tapfer. Versteht ihr! Ihr müßt euch deshalb auch an diesem 'Tag ohne Reis' beteiligen. Macht die Misosuppe dünner - eßt die Quetschreste von den Bohnen als Gemüse, bis wir in diesem Streik gesiegt haben." Die Frauen sahen nach unten, dann hob Hirovka seine Hand über sie hin.
" Habt ihr verstanden, Genossen, wenn es nicht mehr geht dann kommt zu den Gruppenleitern - wir werden euch bestimmt Reis schaffen, solange wir noch am Leben sind - Geduld, Geduld und Mut, ohne das könnt ihr nicht siegen."
Tief beugten sich die Köpfe - jetzt ging eine von den alten Frauen fort, dann zwei - mit gesenkten Köpfen - sie konnten so nicht sehen, daß über das harte, bärtige Gesicht die Tränen wie schwere Körner rollten.

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