II. Das Haus am Bahndamm
Der Thronfolger der Familie Shibusaka war ein jugendlicher Parlamentsabgeordneter und als fortschrittlicher Denker bekannt. Durch seine demokratische Art und die exakten Kenntnisse, die er auf der Universität Cambridge erworben hatte, war es ihm gelungen, die merkwürdige Blume "neuzeitlicher"Adam Smithscher Theorien auf den spröden alten Boden väterlicher Tradition zu verpflanzen. Wenn es die drei Musterfabriken Tojo-Textilfabrik, Matsuja-Lokomotivwerk und Tokio-Meßinstrumentefabrik nicht gegeben hätte, würde der Arbeitsbericht der Wohlfahrtsabteilung beim japanischen Innenministerium noch kläglicher und die Forderung des internationalen Arbeitsamtes nach Aufhebung der Ausnahmegesetze für Japan noch "energischer" ausgefallen sein.
Aber dieses junge Reichstagsmitglied des "neuen Japan" war an diesem Morgen recht müde und schlechter Laune, weil er nach dem gestrigen Autoausflug ganz gegen seine sonstigen Gentlemen-Gepflogenheiten in einer Music-hall etwas reichlich gesündigt hatte.
" Rufen Sie bitte Herrn Ynoshita!" befahl er einem Pagen und nahm die Visitenkarte Ynoshitas, die seit einer guten Stunde, während der er mit drei Herren verhandelt hatte, auf seinem Schreibtisch lag. "Nehmen Sie bitte Platz, entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange warten lassen mußte. "
Er sah Ynoshita an, der noch viel feiger war als der Diener, der ihn hereingeführt hatte, erhob sich ein wenig und zeigte auf einen Drehstuhl, der durch zwei Schreibtische von ihm getrennt stand. (Die Leser wissen vielleicht, daß solche Gentlemen stets gern diese großen Tische benutzen, nicht wegen ihrer Schönheit oder aus geschäftlicher Notwendigkeit, sondern als Barrikade, wenn sie "gefährliche" Arbeiter empfangen müssen, um ihre Großzügigkeit zu beweisen.) Aber im Falle Ynoshita hatte er solche Rücksichten nicht nötig. Er war ein englischer Gent, keiner vom Schlage dieser Orientalen mehr, die ihren Besuchern ständig den Geruch der Schminke ihrer Mädchen vom gestrigen Abend zu riechen geben, und er trug einen Anzug von tadellosem, englischen Schnitt.
" Ich habe mich beeilt, auf Ihren Anruf zu Ihnen zu kommen. " Ynoshita konnte nicht einsehen, warum er blödsinnig sein sollte. Der junge MdR. beugte sich mißlaunig aus seinem Lehnsofa vor und sagte: "Unterstützen Sie immer noch die Streikenden der Daido-Druckerei?" "Tja - Tja!" Ynoshita wand sich auf seinem Stuhl. "Unterstützten? -Unterstützen - ja, was heißt unterstützen?" Er verstand Shibusaka nicht.
" Das heißt, daß Sie als Vermittler zwischen Gesellschaft und Streikenden unverhältnismäßig stark die Forderungen der Streikenden unterstützen und so die Gesellschaft schädigen - natürlich, ohne es zu wollen, aber das wird sich schon in einigen Tagen zeigen." Ynoshita war verlegen, - aber das ist doch selbstverständlich - hätte er beinahe gesagt, wenn ihm nicht rechtzeitig die telefonische Warnung des Sekretärs dieses jungen Herrn eingefallen wäre. Es lag natürlich ganz und gar nicht in seiner Absicht, den Arbeitern zu helfen; aber in dem internen Konflikt des Finanzblocks der Unternehmergesellschaft stand der alte Shibusaka gegen Okawa, und der junge Herr selbst, der die Arbeiterfrage studierte, war Anhänger der Demokratie. Er, Ynoshita, verachtete im Grunde die Gedanken des jungen Barons -aber warum verwahrte sich jetzt dieser Junge gegen seine Hilfe.... 'Herr Ynoshita, ich dachte gar nicht, daß Sie so altmodische Ansichten haben."
Das M.d.R. faßte mit schlanken Fingern den Rahmen seiner Brille und sah den Mann, der viel älter war als er, überlegen an. "Also, Sie wissen noch nicht, daß sich mein Vater gestern mit Okawa getroffen hat?"
Die Situation wurde immer unverständlicher. - Ynoshita verlor seine ganze Würde.
" Wieviel Mitglieder der revolutionären Gewerkschaften, die hinter diesem Streik stehen, sind in Ihrer Fabrik? Können Sie das sagen?" Der Abgeordnete war wieder überrascht.
" Ja, ich glaube zwanzig bis dreißig, aber das ist nicht so gefährlich. " Er wollte schon die Teetasse nehmen, die der Page hereingebracht hatte.
'Hahahaha, deshalb haben Sie so...."
Seine Augen sagten: Blödsinnige Ansichten, aber er verschluckte das Wort, nahm eine Zigarre aus dem silbernen Kasten und entzündete sie. Dann ganz ruhig und höflich: "Rauchen Sie auch?" und sank tief in den Sessel.
Sein Benehmen hatte die hundertprozentige Wirkung, Ynoshita seine Blödheit endlich begreifen zu lassen.
" Das Zusammentreffen meines Vaters mit Okawa geschah auf meinen Vorschlag. Dieser Streik ist von größter politischer Bedeutung, deshalb habe ich die wirtschaftlichen Konflikte als nebensächlich zurückgestellt -ja - und habe meinem Vater vorgeschlagen und auch Herrn Okawa habe ich gesagt...."
Durch den Zigarrenrauch schimmerte die gestickte Rose des Fenster vorhanges, und es schien, als lächele sie Ynoshita verächtlich an. "Aha, aha?"
Aber der Herr Stadtverordnete war immer noch nicht im Bilde. "Ich habe den Charakter und die Funktion der Gewerkschaften in jeder Einzelheit studiert - und ich glaube jetzt, daß die Gewerkschaft dieser Streiker, denen Sie helfen wollen, nach russischem System aufgezogen ist, das ist mehr als eine nur ideelle Bewegung." Ynoshita fühlte, daß die greifbaren Vorstellungen, die er endlich zu fassen glaubte, schnell wieder verschwanden. "Was heißt Gewerkschaft nach russischem System?" Das junge M.d.R. war nervös:
" Das heißt, daß die Gewerkschaft ihren Impuls von der russischen sozialistischen Sowjetrepublik bekommt." Der Stadtverordnete erstaunte: "Ah, so - Kommunisten. " "Noch nicht ganz, aber beinahe."
Das junge Reichstagsmitglied war stolz. Jedenfalls brauchte er keine Bestätigung, ob seine Vermutung richtig sei oder nicht, aber nach Ansicht dieses neuen Ideologen, nach den Maßstäben seiner empirischen Erkenntnis, gehörten sie zu "Rot" und waren ein Giftkraut, das man von der gut gepflegten Wiese der Menschheit ausreißen mußte. "Wie Sie schon wissen, wird meine Se-ju-kai, die Partei, der ich angehöre, schon in den nächsten Tagen den kaiserlichen Auftrag zur Kabinettsbildung bekommen. In diesem Falle wird das Zusammentreffen zwischen Okawa und Shibusaka für die Politik des neue Kabinetts von größter Bedeutung sein. "
Der Stadtverordnete saß naiv und etwas feige wie ein Schulkind da. "Über die Frage der wirtschaftlichen Unternehmungen wird noch später zwischen meinem Vater und Okawa zu reden sein, aber im Augenblick sind sie einer Meinung. - Sie werden über die Abmachungen noch näheren Bescheid bekommen - und deshalb müssen Sie und die Herren der Druckereiunternehmervereinigung von diesem Schlichtungsausschuß zurücktreten." "Ja - ich bin einverstanden. " Der Stadtverordnete war geschlagen.
" Weiter, Sie müssen möglichst schnell die Mitglieder der Gewerkschaft in allen Druckereien, die zum Unternehmerverband gehören, feststellen und mir bis morgen vormittag Bericht darüber geben, ich werde dann überlegen und das mit einem einflußreichen Politiker besprechen." Der junge Baron erledigte die Sache ganz geschäftsmäßig. "Ja, ich danke Ihnen vielmals für Ihre Mühe - ich schäme mich beinahe meines Alters."
Endlich hatte er seinen "Blödsinn" eingesehen und ging ganz geschlagen fort.
An einem Ort, zwei Meilen entfernt von der "Straße ohne Sonne", tagte eine Sitzung der höchsten Streikleitung.
Wo dieser Ort liegt, ob in Tokio oder in einer Vorstadt, weiß niemand außer den paar Beteiligten. Allabendlich wurde der Versammlungsort durch ein geheimes Vermittlungsorgan mit drei Zeichen XOV bekanntgegeben.
Deshalb wußten die zwanzig Mitglieder der Leitung nie vorher, wo eine Sitzung stattfand. Das war sehr lästig...
Unaufhörlich wurden sie in ihrer täglichen Arbeit, die auch zum Kreis ihrer Pflichten gehörte, durch unerwartete Schwierigkeiten gestört. Es war spät in der Nacht und durch die Finsternis tobte der Wind.
Plötzlich donnerte es über den Köpfen der Männer, aber es war nur
die letzte Stadtbahn, die vorüberfuhr. Das Haus lag unmittelbar am
Bahndamm.
Es waren sieben Gesichter, die hier beisammen waren.
" Wenn noch wenigstens drei kommen würden, könnten wir beginnen",
sagte Takagi ungeduldig, er wartete bereits seit drei Stunden hier.
Was ist nun mit unserem seltenen Gast, wird er kommen?" fragte Matzusaki, der Kassierer, und schob seinen Kahlkopf aus dem schwarzen Wollschal. Takagi nickte vorsichtig.
" Entschuldigt die Verspätung! kamen Yshisuka. Nakai. Hagimura und Yamamoto gleichzeitig herein. "Was s 11 denn das?"
Einer faßte den dicken Ärmel der Dotera (Anm.: Dick mit Wolle gefütterter Kimono.). die Yamamoto als Verkleidung trug, und alle lachten.
" Laß doch, laß doch, es ist todernst", sagte Yshisuka, von dem man nie wußte, ob er Spaß oder Ernst machte. Das Lachen der Leute, die das kleine Zimmer füllten, wurde allmählich leiser. Jedesmal wenn der Wind heulte, knarrte unheimlich die schlecht gebaute Holztür. "Wollen wir anfangen?"
Takagi nahm aus seiner Tasche den Gruppenleiterbericht, den Bericht der S-Abteilung, das Protokoll der Befehle der S-Abteilung die
Berichte der Pressekommission, der Verpflegungsabteilung und der Abwehrabteilung, gab sie dem Sekretär und verlas die Tagesordnung der Sitzung: 1. Entscheidung über die Stellung zum Schlichtungsausschuß Das Zimmer war so voll Rauch, daß man die Gesichter der Genossen nicht mehr genau erkennen konnte. Das Thema nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Alle sagten ganz leise ihre Meinung. Dabei stellte sich heraus, daß Yamaura und Kamei zu der Ansicht von Nakai neigten, und Hagimura mit seiner Meinung in der Minderheit blieb. Nakai verhielt sich wie immer schweigsam. Hagimura war bereit, seine eigene Meinung zurückzustellen, wenn seine Zweifel nochmals widerlegt würden.
" Ich lege, offen gesagt, keinen so großen Wert darauf, ob wir den Leuten vom Schlichtungsausschuß einen Fußtritt geben oder nicht, ich habe nur Angst, daß wir, die Leitung, zuviel Theorie treiben und die Streikenden in eine verzweifelte Lage bringen, es gehen ohnehin schon so viele Gerüchte darüber herum. "
Wahrend er das sagte, erinnerte er sich, daß Nakai ihm einmal gesagt hatte: Du bist Trado-Unionist geworden....
" Sollen wir das so gering einschätzen, was unsere Mitglieder in den anderthalb Jahren gelernt haben? Es ist schrecklich, wenn der Genosse Teraishi sagt: je größer die Arbeitslosigkeit, um so früher die Revolution; solche nackten Theorien den Massen zu sagen, ist gefährlich, damit macht man die Arbeiter nur ganz verwirrt." Hagimura sagte das ganz gefühlsmäßig, ohne die Folgen zu bedenken, aber gleichzeitig fiel ihm ein, daß er vielleicht zuviel gesagt hätte. Er konnte nicht mehr an sich halten, und die kalten Gesichter Yamamotos und Yshisukas regten ihn noch mehr auf.
" Ich sage offen: es war ein großer Schlag, daß wir uns die erste Chance aus der Hand gleiten ließen. Heute sind noch alle Streikenden mit ganzem Herzen bei der Sache, aber wenn sie erst anfangen, müde zu werden, halten sie nicht mehr lange aus."
Seine Unruhe trieb ihn, immer weiter zu reden. Die Genossen schwiegen und starrten ihn an. Noch nie war in den bisherigen Sitzungen die Selbstkritik so auf die Spitze getrieben worden.
" Dummheit", sagte Nakai leise; Hagimura wunderte sich, Nakai brauchte sonst nie derartig heftige Worte.
" Solche Gefühle, von denen der Genosse Hagimura spricht, hat nur er allein. - Aber unsere Feinde erlauben uns nicht, uns lange damit abzugeben. "
Nakai starrte auf Hagimura, es schien, als ob die kleinen Augen des langen Gesichts aufglänzten, aber das war nur ein kurzer Augenblick. Die Genossen Hagimura und Takagi sind noch von den Gespenstern des siegreichen Streiks von 1924 verzaubert."
Nakais Augen brannten. Hagimura konnte sich über diese heftigen Worte merkwürdigerweise nicht einmal ärgern.
" Wir sind in diesen fünfzig Tagen des Kampfes durch die scharfe Offensive des Kapitals in eine andere Lage gedrängt, wir müssen diese Tatsache klar erkennen. - Der erste Vorschlag zu Beginn der Verhandlungen war nur ein Versuch der Gesellschaft, um Zeit zu gewinnen und ihre Kräfte zu sammeln, und wir haben jetzt deutlich gesehen, daß der erste Schritt rückwärts damals zu Beginn des Streiks, von uns ein Fehler war."
Die Anwesenden hörten im Lärm des draußen tobenden Sturmes ihre Herzen klopfen.
" Die Tatsachen, die uns in diesen fünfzig Tagen in so einen entscheidenden Kampf gedrängt haben, sind erstens, daß die Sejukai-Partei in der Reichstagswahl die entscheidende Mehrheit gewonnen hat; zweitens, die Gefahr, die immer noch durch die Krise der Banken droht, und drittens, der Rücktritt des Kabinetts aus den obengenannten Gründen." Nakai unterbrach seine Ausführungen, weil er darauf aufmerksam gemacht wurde, daß jemand ins Zimmer wolle. "Hallo!"
Drei Männer traten herein. Der älteste, ein dicker Mann mit kurzgeschnittenen Haaren, war Oda, der Vorsitzende des Z.K., der junge Mann im europäischen Anzug war der beste Redner der Gewerkschaft und der dritte, in schmutzigen japanischen Kleidern, Mitamura von der Druckereigewerkschaft Osaka. "Hast du eine gute Reise gehabt?"
Nachdem sie sich wortlos die Hände gedrückt hatten, sagte Oda und lächelte allen gutmütig zu:
" Einen Moment, vor der Begrüßung möchte ich etwas mitteilen." Takagi als Versammlungsleiter war einverstanden. "Ich habe eine kleine Neuigkeit gehört: sämtliche Buchdruckereiunternehmer sind aus dem Schlichtungsausschuß ausgeschieden." Die Leute sahen sich an. - Schlechte Komödianten! Hagimuras Lippen zuckten verächtlich.
Der Bericht über die gestrige Zusammenkunft Okawas und Shibusakas und den Besuch Ynoshitas bei dem jüngeren Shibusaka erledigte alle Zweifel.
" Endlich!" brummte Takagi.
Nakai starrte auf ein zerrissenes Loch in der Decke. "Ent-schei-den-der-Kampf!" stand allen sichtbar in der Luft geschrieben und hielt sie in ihrem Bann. |
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