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Adam Scharrer - Vaterlandslose Gesellen (1930)
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XXVII.

Der Schlussakt rollt ab.
Die Sonne brennt über die letzten Jahrgänge des Landsturms, über die Kinder, die von der Schulbank, aus den Erziehungsanstalten kommen. Ich werde wieder belehrt, warum die „Leichte Feldhaubitze 98/09" diesen Namen führt, was ein Schnellfeuergeschütz ist, was „Kanonier eins" bis „fünf" zu machen hat. Ich lerne von neuem schießen, die Gasmaske auf-und absetzen, grüßen, strammstehen und nehme Unterricht,
um mich in den Vorgesetzten, in den Fahnen und Vaterländern nicht zu irren.
Ich bin der beschränkteste Soldat des ganzen Zuges, weiß nie, ob das „mehr" oder „weniger" am Teilkreis rechts oder links bedeutet, und eigne mich nicht zum Richtkanonier. Meinen Pass scheint niemand nachzusehen.
Ich lerne den Parademarsch im Leben nicht. Wachtmeister Grund jedoch will mir auch das beibringen. Er jagt mich viermal „an die Mauer, marsch, marsch!" — und ich komme ihm dann ganz langsam entgegen. Er lässt mich drei Tage einsperren.
„So ein ruhiges Fleckchen findet man draußen nicht", sagt Schulz, der schon zweimal vor mir drei Tage abmachte. Er sagt das mit einem Gleichmut, dass mir das Lachen im Halse steckenbleibt.
Ich komme vom Arrest zurück, weiß, ich werde noch öfter kommen, wenn es noch lange dauert.
„Antreten zum Essenempfang!"
Der lange Kellergang fasst verschiedene Batterien, die da mit ihrem Napf warten. Das gefürchtete Wort „Hunger!" rollt leise von hinten her über die Köpfe.
Die Unteroffiziere quetschen sich an der Seite vorbei. „Wer hat da geschrieen?"
„Hunger!" kommt es von einer andern Ecke.
Sie drehen sich empört um — da ist der Hunger schon wieder hinter ihnen, springt hin und her, wächst an zum Chor. „Hunger! Hunger!!" Es rollt durch alle Gewölbe.
„Die Kerls müssen um jeden Preis in Räson gehalten werden!" Ein Leutnant kommt mit. Doch was ist eine schmucke Uniform gegen den Hunger? Der Leutnant kriecht wie ein Wiesel durch die Reihen, um den Missetäter zu schnappen, fragt in der verdächtigsten Nähe, droht, die ganze Ecke einsperren zu lassen. Da schreit einer:
„Haut ihn!"
Ein Gemurmel von Zustimmung, Füßescharren, Löffelkonzert auf den Näpfen setzt ein. Der Leutnant verschwindet. Die Menschen sind einfach nicht mehr bei Verstand!...
Ich fahre fast jeden Sonnabend auf Urlaub. Die Siegesberichte von der letzten großen Offensive sind verstummt. Die Arbeiter in den Betrieben rühren sich wieder.
Spartakus ist an der Arbeit!
Noch weiß niemand, wie lange sich die Tragödie noch hinzieht, aber der militärische und politische Bankrott ist vollkommen.
Der einzige „Sieg" ist im Preußischen Landtag zu verzeichnen, wo man erwog, die Arbeiter durch eine Wahlrechtsreform zu ködern. Sie wird abgelehnt.
Ich fahre nicht immer pünktlich zurück. Einmal bekomme ich auf telegrafisches Ersuchen Nachurlaub, ein zweites Mal kommt keine Antwort. Ich bleibe trotzdem. Wachtmeister Grund ist empört.
„Wo kommen Sie jetzt her?"
„Vom Urlaub, Herr Wachtmeister!"
Er grinst mich hasserfüllt an und sagt: „Warten Sie, Bürschchen! — Ihnen werden wir das anstreichen!"
Ich lache. Es ist ja alles schon so klar. Wir sind bereits eingekleidet. Er schnappt nach Luft, wird rot wie ein Krebs und brüllt: „Unverschämter Bursche!" Eine Sturzflut von Speichel springt mir ins Gesicht.
Ich nehme mein Taschentuch, wische mich ab, im „Rühren".
Er stürzt davon, als wolle er mich sofort abführen lassen — aber nichts folgt.
Mein Fall ist nichts Besonderes mehr!
Wir kommen vom Exerzierplatz. Im Hof steht einer Wache, im neuen Feldgrau, er kam vom Westen. Er sieht uns aufmarschieren, sieht, wie der Unteroffizier vor dem „Wegtreten" noch einmal die Front entlangschielt.
Da stützt sich der Posten auf seinen langen krummen Säbel und fängt an zu lachen, laut, es schallt über den ganzen Hof.
Der Unteroffizier schaut zu dem Posten hin, der lachend über seinem Säbel liegt, dann zu den andern Unteroffizieren, dann zu uns, dann nach der Kaserne, als hielte er Ausschau, ob nicht eine höhere Gewalt diesen Meuterer bändigt, der weiterlacht.
Da fangen sie schon im Glied an zu lachen, über wen?
Das „Wegtreten" unterbleibt, die ausgerichtete Front verbiegt sich, löst sich in Lachen auf, denn der Posten fängt nun erst richtig an.
Der Unteroffizier flüchtet, als fühle er den Boden wanken. Der Posten ruft ihm nach: „Ihr Hosenscheißer! Packt ein, alles ist futsch, ist ja nur noch Krampf!"
Ein Vizewachtmeister bleibt stehen und schnauzt ihn an: „Mensch, wissen Sie denn nicht, was Sie tun?"
Der Posten hat gar nichts Militärisches mehr an sich: „Wenn du dich noch totschießen lassen willst, mach, dass du hinkommst, sonst kommst du zu spät!" sagt er.
Es ist Sonnabend, der Dienst ist beendet. Ich habe von Sophie „dringend" Urlaub einreichen lassen. Grund: „Wohnungsumzug".
Der wirkliche Grund ist: Ich will ihnen Brot und Obst bringen.
Die Soldaten schwirren in ihrer Freizeit in den Dörfern hinter Minden herum und betteln von Haus zu Haus das Obst und Brot zusammen.
Ich muss es ihnen bringen, werde es ihnen bringen. Ich bekomme auch Urlaub und brauche nicht ohne Schein zu fahren.
Bertha balanciert schon von Stuhl zu Stuhl, zernagt Äpfel, kennt ihren Vater ganz genau. Und Sophie strahlt dann, hat von irgendwoher ein paar Kaffeebohnen oder eine Zigarre oder eine Fleischration von sich oder Bertha, und stellt mir das hin und sagt: „Iß nur, du bringst uns ja immer für die ganze Woche mit."
Sie ist ganz sprachlos, als sie noch die Sellerieknollen und die Mohrrüben entdeckt, die ich im Mantel habe. — Auch auf dem Felde ist nichts mehr sicher vor den hungernden Vaterlandsverteidigern.
Wenige Stunden unterbrechen die Schwüle der Ungewissheit und der nächsten Zukunft.
Noch hemmt der Schreck der letzten Niederlage die Massen.
Aber schon bewegen sich die Wasser wieder unter der Oberfläche. — Ein fünfter Winterfeldzug? Jeder weiß: „Das wird nicht sein."
Wir sind schon vier Wochen eingekleidet. Wissen sie schon nicht mehr wohin? Hinaus! Schon der Gedanke ist mir unerträglich geworden.
Ich bin nie Soldat gewesen. Aber nun fällt auch der letzte Schatten von mir ab. Die Jahre überstandener Angst, erlittenen Hungers, erlebter Schändung peitschen zu neuem Widerstand.
Und nicht nur mich.
Die Lawine rollt. In Kiel löst sich der erste Stein. Unter den Matrosen züngelt die Flamme der Rebellion. Fabriken öffnen sich. Die Kieler Arbeiter solidarisieren sich mit den Matrosen.
Die Hetze setzt wieder ein. Die Berittenen formen sich zu Attacken. Die Blauen schultern wieder die Karabiner. Die Spitzel treten in Funktion.
Es nützt nichts mehr.
Die Lawine springt nach Hamburg über, nach Bremen, nach Hannover. Der Riese Proletariat zerschlägt seine Fesseln, tritt auf die politische Bühne und fordert:
„Nieder mit dem Belagerungszustand!"
„Befreiung der politischen Gefangenen!"
„Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat!"
Eine „Volksregierung" soll retten, was noch zu retten ist. Aber schon formiert Spartakus die Massen zum Sturm.
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verkünden:
„Solange nicht alles, was ihr selbst geschaffen habt, euch gehört, den Arbeitern, die mit ihren Hirnen und Händen die Geschenke der Erde pflücken, um die Menschen froh zu machen: solange wird blutiger Schacher derer um sie entbrennen, die Gold auf einen Haufen scheffeln. Solange die Arbeiter nicht eine Ordnung zertrümmern, in der von dem gescheffelten Gold aller Hass von Menschen gegen Menschen mobilisiert werden kann, solange watet ihr durch Grauen und Schande, mit oder ohne Krieg. Ihr seid dieser Ordnung über den Kopf gewachsen. Ihr müsst sie zertrümmern — oder ihr erstickt! —
Die Menschen hier und über den Meeren, in den Tropen und im ewigen Winter werden von den Mordpatrioten aller Länder aneinandergehetzt, um des schnöden Mammons willen. Ihnen gilt unser Krieg!
Das große Morden war kein ,Schicksal'. Menschen haben das unermessbare Verbrechen zu verantworten. — An den Pranger mit ihnen! Der Feind steht mitten unter euch!"
Mir kommt unser Wachtmeister, der uns am Abend antreten lässt, und uns mit „Kameraden" anredet, nur noch lächerlich vor. Als er sich jedoch anmaßt, uns vor dem Bolschewismus zu warnen, überlege ich, ob ich ihn nicht doch vor den Bauch treten soll.
Es kommt nicht dazu. Der Widerspruch der anderen ermuntert mich, mit dem, was ich sagen will, früher zu beginnen. Als ich ende, ist von den Vorgesetzten keiner mehr zu sehen.
In der großen Reitbahn versammeln sich zwei Stunden später die Soldaten des ganzen Regiments. Ein Offizier wagt, von der schweren Stunde des Vaterlandes zu reden. Ein Sturm fegt ihn hinweg.
Ich fahre noch am gleichen Abend mit einem Schnellzug zurück. Ich halte es für selbstverständlich, dass die, die es wagten, ihre schmutzigen Finger nach Karl Liebknecht und Genossen auszustrecken, längst hinter Schloss und Riegel sind. Ich lese von dem neuen, dem alten Menschenrecht, das das Proletariat verkündet. Mir ist das alles so selbstverständlich wie der Jubel der heimkehrenden Soldaten, der Arbeiter und Arbeiterfrauen in allen Städten, durch die wir fahren.
Ich denke an alle, die mir begegneten. Wo mögen sie sein? Wo mögen sie liegen? Was würde Paul jetzt sagen, der Sanitäter ? Was Alfred? Ich denke an die Hamburger und weiß, sie sind auf dem Posten.
Berlin ist noch immer nicht gefallen. Wir sind dreißig Deserteure. Wir wissen, dass unsere Ausweise, die uns der Arbeiter und Soldatenrat von Hannover gab, in Berlin noch keine Gültigkeit haben. Wir verlassen den Zug deswegen an einem kleinen Vorortbahnhof und: sind entschlossen, jeden Widerstand mit Gewalt zu brechen. Es kommt aber nicht dazu. Die Wache lässt uns passieren.
Eine Straßenbahn bringt mich nach dem Osten.
Ich bin in Angst, es könnte alles nur ein Traum sein, laufe in fiebernder Hast die Treppe hoch, reiße die Tür auf und sehe Sophie an. Sie steht wie festgebannt, holt hastig Atem, hebt die Arme. Ich weiß nicht, ob sie lacht oder weint. Ich möchte ihr so gern etwas sagen, ein Wort nur, es geht nicht.
Sie fällt auf mich zu. Alle Glückseligkeit liegt in dem Schrei „Lütting!"
Mein Karabiner fällt polternd zur Seite.
Am andern Morgen stehe ich vor dem Fabriktor und nenne meinen Namen.
Der Portier verlangt meine Kontrollkarte.
„Hans Betzoldt -— Sie kennen mich doch?"
„Das geht mich gar nichts an!"
„Telefonieren Sie an Riedel."
„Ich habe keine Zeit!"
Mit einem Satz bin ich durch den Eingang. Er schimpft hinterher. Ich gehe durch den Hof, sehe, dass die große Halle von Arbeitern gefüllt ist.
Das Wort hat Zickel. „Auch ich", erzählt er, „bin gezwungen worden, gegen meine Überzeugung zu handeln. Jeder einzelne stand unter dem militärischen Zwang. Die Arbeiter tun mir unrecht, wenn sie verlangen, dass ich den Betrieb verlassen soll."
Ich gehe durch den Raum. Hie und da reckt sich ein Hals, ich höre meinen Namen rufen, bleibe dann kurz vor dem Podium stehen, Riedel sieht mich, gibt mir die Hand.
Zickel wird unsicher, stockt.
Unruhe kommt auf, Zwischenrufe werden laut:
„Runter mit dir — Strolch!"
Ich gehe langsam auf Zickel zu, stehe schon dicht neben ihm, er sieht mich unsicher an, sieht auf Riedel, dann in die Versammlung. Ein Arbeiter springt auf einen Bretterhaufen und schreit: „Werft ihn hinaus, den Lumpen!"
Riedel will beruhigen, doch es gelingt ihm nicht. Als er mich an die Schulter fasst und mit mir sprechen will, läuft Zickel wie ein ertappter Dieb dem hinteren Eingang zu und verschwindet.
Riedel klingelt: „Zweiter Punkt der Tagesordnung. — Die Stunde der Entscheidung ist gekommen. In Kiel, Hamburg, Hannover, Bremen, München marschiert das Proletariat vereint mit den Soldaten! Sie warten auf die Antwort der Berliner Arbeiter. Die revolutionären Obleute haben den Generalstreik proklamiert."
Weiter kommt Riedel nicht. Beifall unterbricht ihn: „Nieder mit dem Krieg!" — „Vorwärts!" — „Marsch!"
Als wir den Betrieb verlassen, kommen schon die Arbeiter von Albatros aus den Toren. Über ihren Köpfen weht eine rote Fahne.
„Wiedersehen, Riedel." „Wo willst du hin, Betzoldt?" Schon halb über der Straße: „In die Knorrbremse." „Ist das Kraftwerk Rummelsburg stillgelegt?" Ich drehe mich noch einmal herum. „Die Lichtenberger sind da."
Riedel lächelt, lächelt noch mehr, winkt. Er deutet auf den Bahnhof. Von der andern Seite kommen schwarz und kaum übersehbar die Arbeiter aus den Großbetrieben von Schöneweide.
Im Humboldthain stehen die Arbeiter der Schwartzkopff-Werke. Tausende.
Wir marschieren.
Unser nächstes Ziel ist die AEG in der Voltastraße. Dort überwiegen die Frauen. Vor dem Demonstrationszug gehen bewaffnete Arbeiter und Soldaten. Kleinere und mittlere Betriebe schließen sich an. Der Zug schwillt in kurzer Zeit immer mehr an. Die Nachricht, dass die Arbeiter im Osten bereits marschieren, steigert die Begeisterung zum Sturm.
Zwei Offiziere schauen stumm auf die Meuterer.
Zwei gehen hin und lassen sich Revolver und Dolch aushändigen. Ein Trupp Schutzleute kommt uns schon entgegen. Sie geben ihre Waffen ohne Widerstand ab. Sie werden unter die Arbeiter verteilt.
Ein russischer Kriegsgefangener schleppt einen Sack auf einen Wagen, setzt ihn ab, lacht und grüßt. Wir winken. Einige gehen hin und schütteln ihm die Hand. Er verschwindet für einen Augenblick und kommt mit mehreren seiner Kameraden wieder zurück. Sie marschieren mit.
Der Zug nähert sich der AEG.
Eine Deputation spricht mit dem Pförtner. Er fuchtelt mit den Händen, verweigert den Einlass.
„Was gibt es da noch zu reden!"
„Hängt ihn an die nächste Laterne!"
Ein paar fassen ihn und schleudern ihn zurück. Die Arbeiter strömen hinein.
„Bewaffnete hierher!"
Ein Trupp sichert die in den Betrieb stürmenden Arbeiter von der Straße aus. Ein anderer nimmt im Hof Aufstellung. Durch alle Abteilungen schallt der Ruf: „Generalstreik!"
Auf den Maschinen und Werkbänken stehen Soldaten, Arbeiter, Frauen:
„Das Berliner Proletariat marschiert."
„Unsere Brüder in München, Kiel, Hamburg rufen nach Hilfe!"
„Einer für alle — alle für einen!"
„Nieder mit dem Krieg!"
Die Motoren bleiben stehen. Ingenieure und Meister verschwinden. Die Belegschaft zieht mit uns.
Der Demonstrationszug schwillt an. Auch die Plätze, die Fußsteige, der Rasen, die Fensterfronten sind schwarz von Menschen. Eine Frau in elegantem Mantel und Hut sagt kopfschüttelnd: „Was soll das bloß werden?"
Man zeigt ihr ein Schild: „Revolution!"
Stettiner Bahnhof, Chausseestraße:
Zur Maikäferkaserne.
Hinter den verschlossenen Fenstern stehen Soldaten.
Wir winken.
Tack! — Tack, Tack, Tack, Tack!
Frauen schreien auf. Einige wälzen sich auf dem Pflaster. Die Menschenmauer wankt. Eine Panik droht alle Disziplin zu zertrümmern.
Nur einen Augenblick.
Die Bewaffneten weichen nicht. Gehen mit entsichertem Gewehr in Deckung.
„Bluthunde!"
„Nicht zurückweichen!"
„Sturm! — Alles hinein!"
Türen krachen. Bewaffnete klettern über die Torwege. Die Kaserne ist im Nu besetzt. Die Wache gibt die Waffen ab. Die Offiziere werden entwaffnet. Die Rangabzeichen werden ihnen abgenommen.
Die Soldaten verbrüdern sich mit uns.
Von oben klatschen die Akten der Schreibstuben auf die Straße. Die Maschinengewehre werden requiriert und auf das Auto gebracht.
„Bewaffnete nach vorn!"
Auf dem Dach des Zellengefängnisses in der Lehrter Straße steht ein Schnellfeuergeschütz.
Werden sie schießen?
„In Schützenlinien, marsch, marsch, über die Tore!"
Die Gefangenenwärter müssen von Tür zu Tür gehen und öffnen. Händeschütteln, Umarmungen. Einer schreit: „Hoch die Revolution!", greift sich ein Gewehr und reiht sich ein.
Andere weinen. Einer sieht auf die Massen, die durch das Gefängnis wogen, als wüsste er nicht, wie ihm geschieht. Es ist Hauptmann von Beerfelde.
Vor der Kaserne, neben dem Zellengefängnis ist alles still geblieben. Soll wieder aus dem Hinterhalt geschossen werden? „Noch einmal zum Sturm!"
Da winkt ein Feldwebel mit einem Taschentuch. Soldaten stürzen aus dem Portal, sie ziehen mit.
Wir marschieren weiter. Jetzt sind es schon Hunderttausende. Transparente tauchen auf. Die Fahnen werden zu, einem roten Meer. Kinder mischen sich in den Zug. Straßenbahner, Feuerwehrleute, Sanitäter. Dazwischen ganze Soldatengruppen: Schützen, Jäger, Ulanen, Matrosen; Matrosen auf Lastautos, Matrosen mit Gewehren. Überall, wo sie auftauchen werden sie begrüßt, wird ihnen zugejubelt, hebt man sie auf die Schultern und lässt sie sprechen. Immer neue Nachrichten: „Der Kaiser ist geflohen!" „Auch die Gefangenen in Moabit sind frei!" Arbeiter sprechen. Von umgestülpten Wagen, aus Fenstern, kleine ausgemergelte Gestalten, Hünen, Frauen. Sie heben die Fäuste, donnern in das marschierende Heer, feuern an, jauchzen, schreien!
Unter den Linden staut sich alles. Die Massen strömen vom Brandenburger Tor bis zum Schloss. Vom Schloss wieder zurück bis zur ehemaligen Torwache. Dort, wo gestern noch Soldaten des 1. Garderegiments standen, stehen bewaffnete Arbeiter und Soldaten mit roten Kokarden.
Wir marschieren zurück nach dem Schloss. Alles ist schwarz von Menschen. Auch im Westen und Süden waren die Arbeiterbataillone siegreich.
Ganz Berlin ist zusammengeströmt. Die Millionenmassen der Arbeiter haben auch die letzten Widerstände niedergezwungen. Alles ist in unseren Händen. Aus den Seitenstraßen kommt Gesang. „Rot ist das Tuch, das wir entrollen!" Karl Liebknecht spricht. Auf dem Schloss weht die rote Fahne.

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