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B. Traven - Die Troza (1936)
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SECHSTES KAPITEL

1

Im Comedor, wo die Caballeros aßen, hatten die Chinesen zwei weitere rohe Tische aufgestellt, weil an der einzigen Tafel, die hier gewöhnlich war, nicht alle sitzen konnten, die heute zum Essen gekommen waren.
An den beiden Tischen, die seitlich gegen die Enden des Haupttisches gestellt waren, saßen die Angestellten, während der Administrador mit den Contratistas am großen Tisch saß, wo er für die Montellanos drei Plätze frei gelassen hatte. Als die drei Brüder mit einem >Buenas noches, caballeros!< eintraten, befand sich der Administrador Don Leobardo an dem Waschständer beim, Eingang und wusch sich die Hände.
»Chinito«, rief er den Chinesen an, »zeige den Caballeros ihre Plätze.«
Der Chinese wischte mit seiner beklecksten Schürze einen Sitz sauber auf der einen Bank und zwei Sitze gegenüber auf der andern Bank am langen Tisch. Er tat das so, als ob er sich Mühe gäbe, nicht mehr Staub herunterzuwischen, als der eine und die zwei gegenüberliegenden Sitze Platz einnahmen.
Ob alle die anderen Sitze auf den beiden Bänken staubig oder fettig waren, kümmerte ihn nicht. Dass er die drei Sitze überhaupt abwischte, geschah mehr, um den drei Neuangekommenen zu zeigen, wo sie sitzen sollten, als dass er ihnen damit eine besondere Höflichkeit erweisen wollte. Die drei Brüder setzten sich. Don Severo, als der älteste, saß neben dem Administrador, während die beiden anderen Brüder diesen zwei Caballeros gegenübersaßen.
Einige Contratistas und einige der älteren Angestellten, der
Hauptbuchführer und der Lagerverwalter, hatten sich schon lange vorher am Tisch niedergelassen. Es schien, dass hier bereits eine halbe Stunde oder gar noch länger vorher eine Anzahl von Männern gesessen und unterhandelt hatten, denn der Raum war, obgleich eine halbe Wand fehlte, reichlich mit Tabakrauch gefüllt.
Während sich Don Leobardo die Hände abtrocknete und das Haar kämmte, rief er durch die offene Wand: »Ya, Chinito, listo! Bring das Futter, und wenn es heute nicht de primera ist, sehr, sehr gut, dann schlage ich dir morgen deine Pfannen und Schüsseln auf deinem Schädel entzwei.«
»Glacias, Don Leobaldo«, rief der Chinese aus der Küche, »vielen Dank fül die Mühe. Abel das Essen ist das allelbeste, das ich je in meinem ganzen Leben gekocht habe.«
»Dein Glück!« rief Don Mariano, der Lagerverwalter. »Dein Glück, Chinito, sage ich dir. Wenn es nicht das beste ist, heute zum Abschied, dann erlebst du nicht den nächsten Sonnenaufgang. Ich lasse dich füsilieren und deine Gebeine hier in der Selva, in den dunkelsten Stellen des Dschungels, vermodern.«
Der Chinese stellte die ersten Teller, mit heißer Suppe gefüllt, auf den Tisch, kam näher an Don Mariano heran, neigte sich vertraulich zu ihm und sagte, während er seine beiden Hände gekreuzt über der Brust hielt: »Füsilielen können Sie mich, Don Maliano, dagegen kann ich nichts tun. Abel meine Gebeine können Sie hiel nicht in del Selva velmodeln lassen.«
»So, und warum denn nicht, Hijo celeste, Sohn des Himmels?«
Der Chinese lachte verschmitzt zog die Augenbrauen hoch, bewegte einen Zeigefinger, ohne die Hände von der Brust zu entfernen, und sagte: »No, Don Maliano. Sehen Sie, ich habe mich in eine Velsichelung eingekauft und alle Plämien schon volaus bezahlt; und wenn Sie mich hiel füsilielen, dann schickt die Velsichelung in San Flancisco meine Gebeine nach China, um sie an del Seite meinel hochehlwüldigen Volfahlen mit allen Ehlen zu bestatten. Es ist alles bezahlt.«
»Hölle und Teufel noch mal, verfluchter Chink, willst du endlich die Suppe hier herbringen! Oder soll ich dir erst mal einen Knüppel zwischen die Beine fegen?« rief Don Leobardo und klopfte mit einem Löffel ärgerlich auf die Tischplatte.
»Estoy volando, Don Leobaldo, ich fliege ja schon.«
Als er mit den nächsten Tellern Suppe hereinkam, zog Ihn Don Severo am Arm näher. »Weißt du, Chink, deine Suppe ist sehr gut.«
Don Severo und seine Brüder hatten schon zu löffeln begonnen, ohne darauf zu warten, dass alle am Tisch ihre Suppe vor sich hatten.
»Muchas glacias, caballelo, vielen Dank!«
Endlich hatte jeder seine Suppe. Don Severo war gerade mit der seinen zu Ende, als der Chinese die letzten Teller Suppe hereingebracht hatte. Dieser stand nun eine Weile hinter den Essenden, um auf die ersten leeren Teller zu warten und sie hinauszutragen. Don Severo drehte sich um zu ihm und sagte: »Chink, du kannst hier bei uns als Koch bleiben.«
»Das glaube ich nicht Caballelo. Sie sind nul dlei, und dabei kann ich nicht mein eigenes Essen veldienen. Ich denke, ich welde mit Don Leobaldo nach Yucatan gehen und auf del Henequenplantage mein neues Café ellichten.« Er nahm die drei Teller der Brüder auf und trug sie eilig hinaus in die Küche.
Die Contratistas und die Angestellten warfen sich Blicke zu und zwinkerten verstohlen zu den Brüdern hinüber, um zu sehen, was für ein Gesicht sie machten. Der Chinese hatte gesagt, dass er nur für drei zu kochen haben würde, falls er hier bleibe, und das bedeutete, dass kein Contratista und kein Angestellter die Absicht habe, mit den drei Brüdern zusammenzuarbeiten. Die Brüder taten, als ob sie das nicht begriffen hätten. Oder vielleicht hatten sie schon geahnt, dass hier alle abrücken würden.

 

2

Es war während des Essens wenig gesprochen worden. Man hörte nur das Schmatzen der Essenden, das Klappern der Geschirre und gelegentlich ein Ersuchen, das Salz oder die Catsup oder sonst eine Tunke herüberzureichen, und hin und wieder fiel ein halb verlorener Satz über ein Vorkommnis im Camp.
An anderen Tagen standen die Leute nach dem Essen sofort auf und gingen in ihre Bungalows oder zu den Branntweinhütten. Nur manchmal blieben sie hier. auch sitzen, um zu spielen oder sich in fauler Weise zu unterhalten.
Heute jedoch blieben sie alle bei Tische sitzen. Ohne dass ein Wort darüber geäußert worden wäre, wusste jeder, dass nun eine Konferenz stattfinden würde. Die Contratistas, die nur alle drei Monate einmal für ein paar Tage zu den Oficinas kamen, und jeder zu einer anderen Zeit so wie es ihm gerade am besten behagte, waren heute alle auf einmal gekommen, ohne dass sie gerufen worden wären. Sie wussten, dass heute die Brüder eintreffen und die Monteria übernehmen würden. Im ersten Anschein machte es den Eindruck, als wären die Contratistas aus ihren fernen Distrikten lediglich darum heute alle zusammen hier hergekommen, um die neuen Besitzer zu begrüßen und deren Anordnungen in Empfang zu nehmen.
Aber das war nicht so. Es war niemand hier, der die drei Montellanos nicht kannte; und selbst die jüngeren Angestellten, die persönlich nie einen der Brüder gesehen hatten, kannten deren Ruf, deren Taten und deren Habgier. Die Montellanos waren als Mitarbeiter oder als Mitcontratistas in derselben Company unerträglich genug. Sie jedoch als Vorgesetzte, als Direktoren und Besitzer der Company, für die man arbeitete, zu haben, das lehnte ein jeder ab, der je von ihnen gehört hatte.
Die Company hatte vier Contratistas, die hier mit ihren
Leuten für die Company Mahagoni heranschafften. Alle vier hatten abgelehnt ihre Kontrakte beizubehalten. Die Montellanos redeten keinem der vier zu, hier zu bleiben und für sie zu arbeiten. Einmal wussten sie, dass es vergeblich gewesen wäre. Zum anderen, und das gab den Ausschlag, war es ihnen im Grunde genommen sehr willkommen, dass kein Contratista blieb.
Sie selbst waren erfahrene Contratistas und brauchten niemand zur Hilfe. Ihre Pläne hatten sie bereits gemacht, wie sie in Zukunft die Monteria in einer Weise leiten würden, dass alles Geld, was sie den Contratistas hätten zahlen müssen, in ihre eigene Kasse ging.
Das einzige, was jetzt in Hinsicht auf die Contratistas zur Verhandlung stand, war die Ablösung der Kontrakte. Es war die Sorge der Montellanos, die Kontrakte so billig zu übernehmen, wie das nur irgend möglich war. Dass sie, die Brüder, ihrer Brutalität, ihrer Habgier und ihrer Unverträglichkeit wegen so sehr unbeliebt, zum Teil verhasst zum Teil gefürchtet waren, betrachteten sie nicht als eine Schande oder gar als einen Nachteil, sondern vielmehr als einen sehr wertvollen Vorteil für ihre Verhandlungen. Keiner der Contratistas wollte unter ihnen arbeiten, jeder wollte seinen Kontrakt ablösen, und weil er ihn ablösen wollte, darum wussten die Montellanos, dass die Sicherheit bestand, die Kontrakte unter dem Preis kaufen zu können. Die Verhandlungen, die von den Contratistas während des Nachmittags im Beisein des Administradors, Don Leobardo, gepflogen worden waren, drehten sich um den Preis, den sie fordern würden. Sie hatten beschlossen, an ihren Preisen festzuhalten und nicht nachzugeben.

 

3

Eine Viertelstunde lang nach dem Abendessen war am Tisch nur über Kleinigkeiten geredet worden. jeder wusste, dass dies nur Verlegenheitsgespräche waren, um den Keim der Verhandlungen reifen zu lassen.
Dann aber konnte Don Severo nicht länger verschlucken, warum er überhaupt hierher zum Abendessen gekommen war. Er hätte ebenso gut in seinem Bungalow mit seinen Brüdern allein essen können. »Don Remigio«, sagte er plötzlich, mitten aus einem gleichgültigen Gespräch über den Hafenverkehr in El Carmen heraus, »Don Remigio, haben Sie mir die Aufstellung Ihres Kontraktes gemacht?«
»Gewiss, Don Severo.« Don Remigio nahm sein Kontobuch hervor und eine Anzahl von Listen.
»Ich habe hier alle Namen der Leute, die ich in meinem Kontrakt habe. Hinter jedem einzelnen Namen finden Sie, was der Mann mich kostet, wie viel er außerdem inzwischen auf sein Konto genommen hat, wie viel er täglich als Lohn bekommt und wie viel er bis zum Tage der Übernahme, also morgen, verdient hat. Die einzelnen Kontrakte eines jeden Mannes mit den Namen der Bürgen und dem Stempel der Municipalidad hat Don Leobardo in seiner Oficina.«
»Bueno, Don Remigio?« fragte Don Severo.
»Ich habe neunundachtzig Leute in meinem Kontrakt. Die Gesamtschuldsumme der Muchachos ist, nach Abrechnung der verdienten Löhne, heute
neunzehntausendzweihundertsiebenundvierzig Pesos.
Der    Vorrat    an    Caoba,    den    ich    habe,    beträgt achttausendsiebenhundert Pesos in runder Summe. Es ist bei weitem mehr geschlagen, etwa sechshundert Tonnen, aber die werde ich nicht mit einrechnen, weil sie noch nicht geschleppt
sind.«
»Das wäre dann insgesamt, Don Remigio?« »Insgesamt
siebenundzwanzigtausendneunhundertsiebenundvierzig Pesos.«
Don Severo hatte, während Don Remigio sprach, die Zahlen alle auf einem Stück Papier aufgekritzelt.
»Das stimmt, Don Remigio«, sagte Don Severo und malte einen dicken Punkt hinter die letzte Ziffer, die er geschrieben hatte. »Das wäre dann, was ich Ihnen zu zahlen haben würde.«
»Etwas mehr«, antwortete Don Remigio ruhig.
»Was denn noch mehr?« fragte Don Felix, sich einmischend.
»Du bist ruhig, verstehst du!« rief ihn Don Severo an.
»Ist doch mein Geld auch«, verteidigte sich Don Felix.
»Schitt, dein Geld! Es ist auch meins und Cachitos. Und halt's Maul!« riet ihm der Ältere. »Sei überhaupt froh, dass du hier beisitzen und zuhören kannst, wenn Leute, die etwas von Geld verstehen, miteinander reden.«
Dann zündete er sich eine Zigarette an.
Gleich nach Beendigung des Abendessens hatte Don Leobardo aus der Tienda mehrere Flaschen Comiteco bringen lassen, aus denen fortgesetzt eingeschenkt wurde.
Don Severo goss sich jetzt ein mächtiges Glas voll und schoss es mit einem Ruck hinunter. Die Flasche ging weiter, und wo sie nicht zur Zeit ankam, schenkte sich der Durstige aus einer der anderen Flaschen ein. Die jüngeren Angestellten riefen, aus Höflichkeit gegenüber den älteren Caballeros, immer ein »Salud!«, ehe sie tranken. Die Contratistas und die drei Brüder hielten das nicht für nötig, weil sie keine Zeit verschwenden wollten.
Trinke, wenn du trinken willst, und rede nicht lange. Es tut weder dir noch andern gut.
Als Don Severo heftig gekrächzt und dann gegrunzt hatte, sagte er, als habe er nicht genau hingehört: »Wie sagten Sie, Don Remigio? Etwas mehr? Was denn da noch mehr?«
»Das ist doch gewiss sehr einfach zu verstehen, Don Severo. Zwanzig Prozent Aufschlag auf die Summe, für die Ablösung.«
»Ich Ihnen zwanzig Prozent mehr zahlen? Aber, Mann, wir sind doch hier nicht beisammen, um Chantage, Erpressung, gegeneinander zu verüben.«
Don Remigio zuckte die Schultern. »Da ist keine Chantage. Ich habe die Mühe gehabt, mir die Leute heranzuholen. Freilich, die Agenten haben sie herbeigeschafft. Aber ohne meinen Auftrag, ohne meine erheblichen Vorauszahlungen wäre kein Mann hier. Ich habe die Leute anlernen müssen; denn keiner verstand etwas von dem Arbeiten in einer Monteria.«
»Keine Ursache, zwanzig Prozent zu verlangen,« Don Severo kritzelte wieder auf dem Papier herum.
»Vielleicht nicht«, sagte Don Remigio, »aber ich löse nur ab für diesen Betrag. Sie mögen annehmen oder ablehnen.«
»Abgelehnt!« sagte Don Severo kurz. Er wartete eine Weile und hoffte, der Contratista würde zu handeln anfangen. Als keine Antwort erfolgte, fragte er: »Was tun Sie denn mit den Leuten, die Sie auf dem Halse haben?«
»Machen Sie sich nur darum keine Sorge, Don Severo.« Don Remigio lachte und zog die Flasche zu sich heran. Er entkorkte die Flasche und hielt sie in der Hand, um sich einzuschenken. Während er sie hielt und das Glas in der anderen Hand zwirbelte, als wolle er überlegen, ob er trinken solle oder nicht, wiederholte er: »Keine Sorge. Ich ziehe mit meiner Bande nach Quintana Roo. Jederzeit kann ich einen Chiclekontrakt bekommen. Ich brauche nur ja zu sagen. Die amerikanischen Kaugummifabrikanten zahlen gerade jetzt sehr gute Preise für Chicle.«
»Mag sein«, meinte Don Severo. »Aber die Reise währt sicher vier Wochen, vielleicht fünf oder sechs. Ich kenne Quintana Roo. Während dieser sechs Wochen verdienen Sie nicht einen krummen Centavo. Wenn Sie auf dem langen Wege sind und durch Dörfer kommen, haben Sie alle Aussicht, dass Ihnen die Hälfte der Muchachos wegläuft. Und gleich so von heute auf morgen dort in den Chicle zu kommen, wie Sie sich das denken, geht auch nicht. Sie müssen mit den Jefes der Indianer dort verhandeln, um Distrikte zu bekommen. Die Verhandlungen können sich drei Monate hinziehen, ehe Sie sicher anfangen können. Die Jefes nehmen sich Zeit, die haben keine Eile und warten auf den, der ihnen die höchsten Prozente bezahlt. Ich kenne den Chicle, Don Remigio. Und weil ich ihn kenne, darum bin ich hier in der Caoba.«
Don Remigio wusste, dass Don Severo recht hatte. Er hatte gehofft, Severo würde in Angst verfallen, wenn er drohte, mit den Leuten abzuwandern. Aber so leicht waren die Montellanos nicht zu fangen.
Sie waren Spanier, und bis heute hatten sie noch keinen Mexikaner angetroffen, der gerissen genug gewesen wäre, einem der Montellanos ohne ihre Zustimmung auch nur einen Peso aus der Tasche zu holen. Don Severo, auf dem Papier scheinbar Summen ausrechnend, beobachtete Don Remigio unausgesetzt. Er fühlte, dass jetzt der Augenblick gekommen sei, wo Don Remigio unsicher zu werden und zu überlegen begann, ob er nicht in der Tat bei dem Chiclegeschäft zu kurz kommen könnte. Es konnte recht wohl geschehen, dass, wenn er in den Gebieten ankam, alle Kontrakte vergeben und keine Distrikte, wo sich die Ausbeute gelohnt hätte, verfügbar waren; die Distrikte, die er vielleicht bekommen konnte, mochten so tief im Dschungel sein, dass er die Wege dorthin zu suchen hatte, dann ohne Lebensmittel war und es einige Wochen dauerte, bis Behausungen errichtet und Proviant herbeigeschafft war und mit der Förderung begonnen werden konnte. Gäbe es hier und dort Telefone oder Telegrafen, dann hätte er vorher anfragen können.
Da es aber keinerlei Mittel gab, sich im voraus zu verständigen, musste ein Contratista das Risiko übernehmen, mit seinen Leuten anzumarschieren, um entweder einen fetten Kontrakt zu erwischen oder einen mageren oder gar keinen. Er hatte gute Verbindungen mit den großen Chicleaufkäufern und -agenten, die ihm aber in diesem Augenblick nur von Nutzen wären, wenn er hätte telegrafieren können. Einen Boten mit Briefen zu schicken dauert drei, vielleicht fünf Wochen; und ehe die Antwort kam, vergingen abermals fünf Wochen. Das alles schien Don Severo recht gut zu wissen, und darum hatte er Don Remigio so gut in der Hand, dass er mit ihm spielen konnte.
Don Severo hörte mit dem Kritzeln auf. Es war schwer zu erraten, ob er überhaupt etwas ausgerechnet oder nur Zahlen hin und her geschoben hatte, um den Anschein zu erwecken, als müsse er auf den Centavo genau berechnen, wie viel er zahlen könne, während er in Wirklichkeit nur auf den Augenblick wartete, der ihm die Schwäche seines Gegners verriet. Vielleicht hätten nicht einmal seine beiden Brüder genau sagen können, was er tat und wie er dachte.
»Bueno, Don Remigio«, sagte er nun, den Bleistift, mit dem er gerechnet hatte, heftig auf die Tischplatte werfend, »bueno, ich zahle Ihnen eine runde Summe von fünfundzwanzigtausend Pesos für Ihren Kontrakt.«
Mit dem Aufschlag von zwanzig Prozent, den der Contratista gefordert hatte, betrug die Summe, die er erwartete, dreiunddreißigtausendfünfhundertsechsunddreißig Pesos, der Unterschied also etwa achttausendfünfhundert Pesos.
Severo wartete nicht auf eine Antwort. Er zog das Scheckbuch aus seiner hinteren Hosentasche und sagte: Ich schreibe gleich den Scheck aus, Don Remigio. Wie ist Ihr Apellido, Ihr werter Zuname? Ja, ich erinnere mich, Gayosso, Don Remigio Gayosso.«
»Aber hören Sie, Don Severo«, sagte der Contratista mit verblüffter Stimme, »dafür gebe ich den Kontrakt nicht her.«
»Gut, muy bueno, Don Remigio, dann behalten Sie ihn. Er ist für mich zu teuer.« Severo klappte das Scheckbuch wieder zu und schob es zurück in seine Hosentasche.
Don Remigio, der so lange geglaubt hatte, dass die Montellanos zu ihm kommen müssten, weil sie ohne ihn ja keine Leute haben würden, sah sich nun in die Notwendigkeit versetzt, zu verhandeln. Er tat es beinahe schüchtern.
»Wie ich gesagt habe, Don Severo, mit den Vorräten an Caoba kostet mich der Kontrakt rund achtundzwanzigtausend Pesos. Ich will nicht mehr von den zwanzig Prozent Aufschlag sprechen. Aber die achtundzwanzigtausend müssen gezahlt werden.«
»Dann kommen wir uns ja schon näher«, sagte Severo. »Ich brauche den Kontrakt nicht zu kaufen.
Ich schicke meine Brüder fort, und Sie können mir glauben, Don Remigio, sie kommen in zehn Wochen zurück mit hundertfünfzig Muchachos, die uns die Hälfte kosten von dem, was Sie für die Burschen bezahlt haben. Wir wissen die Leute zu bekommen, die wir brauchen.«
»Sicher, das wissen Sie«, sagte Don Leobardo.
»Es ist nicht notwendig, Don Leobardo, dass Sie das so ironisch sagen«, erwiderte Severo ruhig, sich dabei ein Glas einschenkend. »Wenn ich Muchachos brauche, dann muss ich sie eben haben. Es geht Ihnen genauso. Ohne Muchachos können Sie so wenig Caoba schaffen wie wir. Wenn ein König in den Krieg ziehen will, braucht er Soldaten; und wenn er die Soldaten nicht mit schönen Worten >von wegen der Ehre, für das Vaterland kämpfen zu dürfen< einfangen kann, dann fängt er sie mit der Drohung ein, sie erschießen zu lassen, falls sie nicht alle freiwillig kommen und ihn und den Krieg hochleben lassen. Wir haben die Monteria mit allen Konzessionen gekauft und brauchen Muchachos, wie ein König Soldaten braucht. Wo ist der Unterschied? Sagen Sie mir das, Don Leobardo. Von selbst kommen die Muchachos nicht und bitten mich darum, hier in der Caoba zu arbeiten. Und da sie von selbst nicht kommen, muss ich sie mir holen, so oder so.«
»Es gibt verschiedene Arten, sie zu holen«, sagte nun Don Rafael, der alte Buchführer.
»Richtig, Senor, sehr richtig. Darum bin ich ja willens, die Kontrakte hier alle zu kaufen, ohne zu fragen, wie die Muchachos hier hergekommen sind, ob sie freiwillig kamen oder nicht.« Don Severo blickte seine Brüder an, die ihm gegenübersaßen. Sie rückten mit ihren Köpfen näher, und alle drei steckten ihre Köpfe dicht zusammen und flüsterten. Das war nur Komödie, denn Don Severo tat dennoch, was er wollte, ohne seine Brüder um Rat zu fragen. Aber es sollte so aussehen, als ob er nun in seinem Angebot Don Remigio leichter entgegenkommen könne, ohne sich in seiner kaufmännischen Würde etwas zu vergeben.
»Sie müssen nicht denken, Caballeros, dass wir hier hergekommen sind, um Ihnen allen die Hälse abzuschneiden«, sagte er, auf seinen neuen Vorschlag einlenkend.
»Das weiß man nicht so genau«, warf Don Leobardo ironisch ein.
»Wie meinen Sie denn das, Don Leobardo?« fragte Severo. »Ich wollte damit sagen, man weiß das nicht so genau, warum Sie hier sind, zum Halsabschneiden oder zum Gurgelzuziehen.«
Don Severo schien es nicht übel zu nehmen. Vielleicht betrachtete er es sogar als Lob. Er sagte: »Don Leobardo, Sie wären der letzte, dem ich die Gurgel zuziehen würde.«
»Richtig«, lachte der Administrador. »Ich habe ja kein Geschäft mit Ihnen zu machen. Ich übergebe Ihnen nur, was die Company Ihnen verkauft hat; und weil die Contratistas ja immer noch Contratistas der Company sind, habe ich natürlich ein
Interesse daran, zu sehen, wie sich die Ablösung vollzieht.«
»Sie sagen«, wandte sich Don Severo nun wieder an Don Remigio, »der wirkliche Wert des Kontraktes ist in runder Summe achtundzwanzigtausend Pesos?«
»So sagte ich, Don Severo.«
»Ich bot Ihnen fünfundzwanzig. Nun, wir sind nicht hier, um die Kontrakte zu stehlen. Aber da ist noch eine Frage.« »Bueno?«
»Sie haben zwei Capataces, zwei Aufseher, Don Remigio?« »Drei.«
»Die kennen ihre Distrikte und die Vorräte?« »So gut wie ich.« »Bleiben die hier?«
»Zwei ja. Einer geht mit mir. Er ist mein ältester Muchacho. Der würde mit niemand sonst bleiben, nur mit mir.«
»Also die zwei anderen bleiben?«
»Dafür garantiere ich. Die könnten auch nicht gut gehen, die sitzen zu tief mit Vorschüssen drin.
Der eine heißt Ambrosio. Säuft, wenn er zu den Oficinas kommt, und ist hier zu nichts nütze. Aber im Semaneo ist er seinen Lohn wert. Der andere heißt Emeterio. Sehr zuverlässig. Kennt den Distrikt am besten und ist ein guter Schaffer mit den Leuten.«
»Sie wollen sagen, er holt die letzte Krume heraus aus den Leuten?«
»So ungefähr wollte ich das sagen. Der Ambrosio ist jedoch härter.«
»Und brutaler«, warf Don Leobardo ein. »Er ist ein Schinder und war sicher einmal Folterknecht bei den Rurales oder bei einem der schwarzen Gerichte des Cacique.«
»Ist mir lieb, zu hören. Ich brauche tüchtige Leute zum
Heranschaffen.« Don Severo goss sich ein neues Glas voll. »Ja, ich brauche tüchtige Leute. Ich habe auch nicht einen Pfahl Caoba im Hafen.
Nur, was gerade hier vorrätig ist. Die Muchachos müssen tüchtig 'ran.«
»Nur zu!« sagte Don Rafael mit einem breiten Grinsen. Auch er zog die Flasche herbei und bediente sich.
»Gut denn, Don Remigio, damit wir zu einem Ende kommen.« Severo holte Atem. »In Rücksicht darauf, dass ich die beiden Capataces hier behalten kann, die mir zur Hilfe kommen, gut, ich gehe zehn Prozent hinauf. Anstatt fünfundzwanzig, sagen wir siebenundzwanzigfünfhundert bar.«
Don Remigio schwieg eine Weile. Er war langes Verhandeln nicht gewohnt. Es machte ihn müde. Die härteste Arbeit im Dschungel vermochte ihn nicht halb so zu ermüden wie eine Stunde Verhandeln mit Leuten, die nicht willens waren, einen Preis zu zahlen, den er für gerecht ansah. Er wusste, dass er wahrscheinlich tausend Pesos mehr aus dem Kontrakt herausschlagen könnte; denn die Montellanos brauchten die Leute und konnten ohne Leute nichts tun. Aber er war sich gleichzeitig auch recht wohl bewusst, dass es mit einem Chiclekontrakt ebenfalls genügend Schwierigkeiten hatte.
»Aceptado, angenommen!« sagte er kurz.
Don Severo schrieb sofort den Scheck aus, um zu verhindern, dass Don Remigio etwa anderer Meinung würde.
Mit den übrigen Contratistas ging Don Severo rascher vor. Sie hatten bei weitem weniger Leute, weniger Vorräte und geringere Vorschusssummen. Ihre Stellung als Contratistas war weniger stark als die des Don Remigio. Ihnen blieb nur ein Weg offen, falls sie den Preis, den ihnen Don Severo bot, nicht annahmen, und das war, hier zu bleiben. Da sie das nicht wollten, mussten sie nachgeben. Bei ihnen hätte der Vorschlag, ihre Leute nach Quintana Roo zu führen, lächerlich gewirkt.
Als Don Severo ausrechnete, wie viel er für die Kontrakte gezahlt hatte, fand er, dass er in jeder Hinsicht unter dem Preis gekauft hatte. So leicht, wie er andeutete, war es nicht, genügend Leute in kurzer Zeit hier herzubringen. Das konnte Monate dauern. Und während dieser Monate wurde keine Caoba geschlagen. Der wirkliche Verdienst aber bestand darin, dass die Montellanos mit den Kontrakten gleichzeitig genügend große Vorräte von Caoba mit übernahmen. Diese Vorräte hatten sie zu dem üblichen Preis, den der Contratista erhielt, gekauft. Waren diese Vorräte erst einmal im Hafen, dann brachten sie so viel ein, dass die Brüder allein für die gegenwärtigen übernommenen Vorräte das Doppelte, ja das Drei- oder gar Vierfache von dem erhielten, was sie für die Kontrakte insgesamt bezahlt hatten. Es kam nur auf den Marktpreis an. Inzwischen aber wurde gefördert und gefördert, und weil alle Leute Vorschuss hatten, so hoch, dass sie ein, zwei oder drei Jahre arbeiten mussten, ehe sie irgendwelchen Lohn erhielten, vorausgesetzt, dass sie ihren Vorschuss in der Zwischenzeit nicht erhöhten, so waren alle Förderungen von nun an reiner Gewinn.
Die Montellanos konnten gut damit rechnen, dass innerhalb eines Jahres nicht nur alle die Summen verdient waren, die sie für die Kontrakte bezahlt hatten, sondern sogar auch noch das bare Kapital, das sie für die Monterias und die Konzessionen angelegt hatten.

 

4

Als alle Geschäfte erledigt erschienen, war es fast Mitternacht. Don Severo gähnte und goss sich ein neues Glas voll. Die Mehrzahl der Caballeros tat ein gleiches.
Der Chinese kam herein und sagte zum Administrador:
»Don Leobaldo, ich habe geglaubt, dass vielleicht die Caballelos jetzt einen Kaffee tlinken möchten. Ich habe ihn beleit.«
»Chinito«, rief Don Rafael, »ich würde dir einen Orden verleihen, wenn ich El Caudillo wäre.«
»Nicht nötig, Don Lafael, nicht nötig«, sagte der Chinese lachend. Ich ziehe vol, von den Caballelos zehn Centavos fül jede Tasse, die sie tlinken, einzukassielen. Jede Tasse zehn Centavos, Caballelos.«
»Bringe den Kaffee schon herein und schreibe ihn auf«, sagte Don Leobardo.
»Natürlich, meine Herren«, Don Severo wandte sich an alle, die hier im Comedor saßen, »es ist natürlich klar, dass Sie hier die Oficinas als Ihr Haus betrachten dürfen, solange es Ihnen gefällig ist.«
»Nur morgen noch, mit Ihrer Erlaubnis, Don Severo«, erwiderte der Administrador. »Morgen wollen wir die Tiere von den Prärien hereinholen, die Sättel in Ordnung bringen und unsere Habseligkeiten packen.«
»Solange Sie wünschen, Caballeros. Uns stören Sie nicht«, sagte noch einmal Don Severo. Er konnte das leicht sagen, denn er wusste, dass in längstens zwei Tagen bestimmt niemand mehr hier sein würde.

 

5

Während die Montellanos mit den Contratistas verhandelten, hatten die Caballeros nicht dabeigesessen, als wären sie in einer Kirche. Dazu waren ihnen die Predigten des Don Severo nicht wichtig genug. An einem seitlich angerückten Tische hatten die jüngeren Angestellten inzwischen ein reges Spiel mit Karten eingeleitet und, unbekümmert um das, was um sie herum vorging, mit Eifer fortgeführt, lediglich unterbrochen durch häufiges Füllen der Gläser. Am anderen Seitentisch wurde gewürfelt. Um was gewürfelt wurde, konnte man an dem Haupttische nicht hören, und selbst wer nahe dabeisaß, aber mit den Würfelnden nicht in Beziehung stand, würde kaum mit Sicherheit gewusst haben, ob um gewisse Mädchen gewürfelt wurde oder um bestimmte Mules, die auf dem Rückwege zu reiten der Gewinner das Vorrecht haben sollte. Man soll sich überhaupt im Leben nicht so sehr darum kümmern, worum gespielt wird, als vielmehr darum, dass es dabei ehrlich zugeht.
Don Acacio, der jüngste der Montellanos, schien schließlich weniger interessiert zu sein an den Geschäften, die sein älterer Bruder zu aller Zufriedenheit abwickelte, als an einem anderen Kontrakt, den er gern zum unbeweglichen Besitzstand der Monteria gezählt haben würde und darum hoffte, ihn mit übernehmen zu können in gleicher Weise, wie die Arbeiter der Kontrakte, die Handwerker, die Ochsen, die Mules und die Gebäude übernommen wurden.
Er ließ seinen Bruder mit dem letzten der Contratistas in Ruhe verhandeln. Und als er seinen Bruder tief in der Verhandlung versunken sah und Don Felix auf ihn gerade nicht sonderlich zu achten schien, wandte er sich mit einem vertraulichen Gesicht an den Administrador: »Hören Sie, Don Leobardo, was wird denn aus den Mädchen, die Sie und noch einige der Caballeros in Ihren Bungalows haben?
Die lassen Sie uns doch hier, nicht wahr? Ich würde gern die lange Braunhaarige übernehmen, die mit Ihnen ist.«
»Würden Sie, Don Acacio? Das glaube ich. Es ist schade, dass Sie sich von El Carmen oder Frontera nichts mitgebracht haben. Die Mädchen gehen alle mit uns nach Yucatan. Wir wissen noch nicht, wie es dort aussehen wird in dieser Hinsicht; und wir möchten uns nicht so sehr auf gut Glück verlassen.
Was man hat, weiß man; was wir vielleicht dort bekommen, wissen wir nicht. Und was der Mann benötigt, muss er haben. Um so mehr, als ich in Yucatan in den ersten Monaten nicht viel Zeit übrig haben werde, um mich erfolgreich nach einigen Gehilfinnen umzusehen. Ich jedenfalls nehme meine zwei Krankenschwestern mit. Ich bin an sie gewöhnt und sie an mich. Aber vielleicht versuchen Sie es bei einem oder dem andern der jüngeren Caballeros, die mehr Zeit und Laune haben, fischen zu gehen, als ich. Vielleicht ist einer knapp in seinem Reisegeld oder hat in der Tienda ein Konto stehen, mag sein, er tritt seine erworbenen und verdienten Rechte ab gegen eine entsprechende Ablösung. Wenn nicht, müssen Sie einem der Türken einen Auftrag mitgeben, dass er Ihnen das nächste Mal, wenn er herkommt, eine Lieferung macht. Er berechnet Kommission, aber manchmal ist die Lieferung die Kommission wert. Bis dahin bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich in den Aguardientehütten umzusehen, ob sich für gelegentliche Auffrischung einschlafender Fähigkeiten was findet.«
Don Acacio stand auf und ging zu den Seitentischen, um sich mit den jüngeren Schreibern zu unterhalten. Er war nicht lange dort, als Don Eladio aufsprang und laut rief: »Was denken Sie denn, wer ich bin? Ein Sklavenhändler? Oder ein Patrote, der mit Putas handelt? Lassen Sie mich in Ruhe, verflucht noch mal! Mit Ihren gottverdammten Schweinereien! Wo denken Sie denn, wo Sie sind, Cabron?«
»Cabron? Zu mir? So ein verfuckter Sohn einer räudigen Hündin? Zu mir?« Damit hatte Don Acacio aber auch schon den
Revolver herausgezogen und zweimal gefeuert.
Don Eladio war ebenso rasch gewesen, und auch er hatte zweimal gefeuert. Da jedoch die übrigen jungen Caballeros, die dabeisaßen, an solch alltägliche Vorkommnisse gewöhnt waren, so packten sie, im Augenblick, als sie sahen, dass zwei Revolver 'raus und hoch waren, die beiden erhitzten Kämpfer bei den Armen und rissen sie herum, rechtzeitig genug, dass die Kugeln in das Palmdach flitzten. Don Severo stand gemächlich auf, warf einen bekritzelten Zettel, den er gerade in der Hand hielt, mit heftiger Gebärde auf den Tisch und schrie hinüber zu Acacio. »Por Jesu Cristo und zum gottverdammten Donnerwetter noch mal, kannst du piepsender Hahn, kaum aus dem El gepellt, nicht eine Minute unter anständigen Caballeros sitzen und einen halben Liter Aguardiente saufen, ohne dabei herumzuschießen wie ein irrsinniger Indianer! Dios sabe, Gott im Himmel allein weiß, wie nötig wir die paar Cartuches, die gottverfluchten paar Patronen brauchen werden, und du schießt sie hier los auf die Companeros, die morgen ihrer Wege gehen. Backpfeifen sollte ich dich, du Burro, du trauriger Esel! Steck die Kanone ein und setz dich auf deinen Ursch und lass uns hier in Ruhe!«
»Du hast mir nichts zu kommandieren, verstehst du!« rief Don Acacio. »Die haben Cabron zu mir gesagt und Patrote.«
»Und was sonst noch?« fragte Don Severo ironisch. »Recht haben sie, dass sie das zu dir gesagt haben. Die scheinen dich gut zu kennen. Hundert Cabrones bist du wert. Was warst du denn, als ich dich verhungernd aufgriff, anderes als ein Patrote. Setz dich hin und halt's Maul.«
»Was sagst du zu mir?« rief Don Acacio. »Zu mir? Mich aufgegriffen, du? Wo denn? Wenn ich das Geld nicht gehabt hätte, wer hätte dir denn auch nur einen Centavo geborgt?«
»Leg dich ins Bett, bist über und über besoffen«, sagte Don Severo, während er sich niedersetzte, um seine Verhandlungen weiterzuführen.
Don Acacio, einmal in Wut, regte sich aber immer mehr auf. »Besoffen, ich? Und welch anderes besoffenes Schwein will mir sagen, dass ich nicht trinken kann?«
Mit einem Ruck zog er den Revolver wieder heraus. Er fuchtelte damit herum, unschlüssig, wen er erschießen solle. Einige Schritte war er zurückgetreten und hatte nun alle Caballeros vor sich.
Don Severo war der einzige, der die Ruhe nicht verlor und sich nicht einschüchtern ließ. Er richtete sich nur halb im Sitz auf, nahm eine Flasche, die vor ihm stand und warf sie mit einem kräftigen und wohlgezielten Ruck so geschickt, dass sie die Hand des Acacio, in der er den Revolver hielt, so heftig traf, dass ein Schuss losging, aber gleichzeitig auch der Revolver auf den Boden fiel. Der Schuss war durch die Wand gegangen.

 

6

Don Eladio, der am nächsten gestanden hatte, sprang rasch hinzu und hob den Revolver auf, während Don Acacio torkelnd gegen die Wand fiel. Gleich darauf hörte man draußen ein Schwein grausam quietschen; und im selben Augenblick vernahm man das Kreischen und Schreien eines der beiden Chinesen: »Das Schwein ist elschossen, unsel bestes Schwein ist elschossen.«
Das Schwein hatte draußen, dicht an der Wand, die Nacht verbringen wollen. Dort war Schlamm, der davon herrührte, dass alle Caballeros, die sich im Comedor die Hände wuschen, das Wasser auf jene Stelle nahe der Wand gossen, wenn sie das Waschbecken leerten.
In diesem Schlamm schlief das Schwein jede Nacht, und es fühlte sich sehr wohl dabei. Der Platz war um so begehrter, weil auch gelegentlich einige Tortillas, Stücke Brot, schlecht abgenagte Knochen von den Essenden zu der Wandöffnung hinausgeworfen wurden und dem Schwein beinahe vor die Füße fielen, so dass es nicht weit zu laufen hatte, um diese willkommenen Bissen aufzuschnappen. Der Schuss war so gegangen, dass er die Wand am unteren Ende durchdrungen und das arme Schwein, das an den Streitigkeiten ganz unschuldig war, in den Schinken getroffen hatte.
Es war keine lebensgefährliche Wunde. Aber für die Chinesen war das Schwein verloren; denn es konnte nun auf der Reise nicht durch den Dschungel getrieben werden; um es auf den Rücken eines Mules zu verladen, dazu war er, zu schwer, ganz abgesehen davon, dass das lächerlich gewesen wäre und Don Leobardo sicher abgelehnt hätte, für den Transport ein starkes Mule zu bewilligen.
Der Chinese kam in den Comedor mit der traurigsten Miene, die er aufzusetzen fähig war. Er fuchtelte mit den Armen nach allen Seiten, schlug mit den Händen in der Luft herum und tanzte hin und her wie ein verärgerter Derwisch. Dabei lamentierte er und wimmerte, wusste jedoch nichts anderes zu sagen als: »Ach, mein almes, almes Schwein und musste so elend stelben. Oh, mi poblecito cochinito, und muss nun so elend glausam stelben.« Draußen, offenbar bei dem Schwein hockend, es liebkosend und hätschelnd, hörte man den andern Chinesen jammern und wehklagen. »Du, unsel Stolz und unsel ganzel Leichtum. Muchacho, oh, dulce Muchacho, oh, süßes Jungelchen, wil haben dich so gut gepflegt, und nun musst du so elend veldelben. Oh, Muchacho, Muchacho!«
»He, Chinito«, sagte Don Rafael lachend und die Sprechweise des Chinesen nachahmend: »Hast du den Celdo, deinen Muchacho, ich meine dein almes Schwein, auch in die Velsichelung gekauft, um in China beglaben zu welden?«
»Don Lafael«, sagte darauf der Chinese traurig, »ich bin so niedelgeschlagen, und Sie können noch lachende Wolte sagen.«
»Genug nun der Trauerfeierlichkeitl« rief Don Leobardo über den Tisch hinweg. »Das Schwein ist dahin, und es ist gut so. Am besten, Chinito, du schlachtest es gleich jetzt und wartest nicht erst bis zum Morgengrauen. Dann hat es zuviel Blut verloren. So kriegen wir doch morgen endlich ein wirkliches Abschiedsmahl, wie du es uns schuldest, Chinito.«
Der Chinese tat einen tiefen Seufzer, als wolle er sich mit der Würde einer frischgebackenen Witwe in das unvermeidliche Schicksal ergeben. Er schnaufte fest durch die Nase und sagte: »Vielleicht haben Sie lecht, Don Leobaldo. Bis zum Molgenglauen zu walten ist zu spät.«
Er ging hinaus, und man hörte ihn mit seinem Geschäftsteilhaber aufgeregt chinesisch reden.
Sie schienen nach einer Weile sich über etwas geeinigt zu haben; denn der Chinese kam zurück in den Comedor und sagte: »Caballelos,   es  ist  gut,  molgen  haben  wil   ein  gloßes
Abschiedsessen mit allem, was so ein gutes Schwein helgeben kann. Abel, ich muss sehl bedaueln, Caballelos, molgen muss ich fül jedes Mahl einen Peso belechnen fül jeden Caballelo. Ich kann es nicht fül wenigel machen.
Abel ich velspleche, die Essen sind viel mehl welt, die ich Ihnen molgen selviele.«
»Gut, wir bezahlen dir einen Peso.« Don Leobardo bestätigte es ihm. »Und nun mache keine Dummheiten, Chinito. Nimm das frische Fleisch nicht mit auf die Reise, sonst haben wir jede Nacht Tiger um das Lager herum. Schneide alles, was übrig bleibt morgen sofort weg und hänge es zum Trocknen auf. Es wird nicht ganz durchtrocknen bis zum nächsten Tag, aber es ist doch sicherer so.
Und dann gibt es auch für uns gute Mahlzeiten auf dem Wege.«
»Muchas glacias, Don Leobaldo. Dalan habe ich nicht gedacht. ja, die Tigel sind hintel dem flischen Fleisch hel wie die Fliegen. Con su pelmiso, mit Ihlel Ellaubnis, ich welde nun das alme Schwein schlachten. Es tut mil so sehl weh. Abel ich glaube, die Kugel tut dem almen Schwein auch weh im Schinken wie mil mein Leid in del Blust.«
Er lief hinaus und gab seinem Mitarbeiter den Befehl, sich zu beeilen, das Schwein von seinen irdischen Schmerzen zu erlösen.

 

7

Im Comedor war es während des Gespräches mit dem Chinesen ruhig geworden. Don Acacio saß, in sich versunken und übel gelaunt, wieder am Tisch. Er hatte sich an das Ende der Bank gesetzt, weil er wohl wusste, dass er Schwierigkeiten haben würde, über die Mitte der Bank zu klettern, ohne unter den Tisch zu fallen. Ein neues Glas, vollgeschenkt mit Comiteco, stand vor ihm. Es war bereits das zweite seit dem Kampf um seine Ehre. Aber das erste hatte einer der Angestellten zu vier Fünfteln mit Wasser gefüllt und nur den Rest mit Comiteco. Man konnte jedoch keinen der Montellanos anführen, ganz gleich, womit man es versuchte. Don Acacio setzte das Glas nur an den Mund, da wusste er auch schon, was los war und was der gütige Trinkgenosse damit gemeint hatte. Er nahm das Glas und schleuderte es mitsamt dem Inhalt zur offenen Wand hinaus.
»Das kann sich keiner hier mit Cachito erlauben. Soy muy macho, ich bin ein richtiger Mann mit Haaren auf der Brust. Ich weiß, was Comiteco ist und was gepisst ist.« Er sprach das nicht in einem Zuge, sondern in halben Sätzen, aber er brachte es doch in richtigen Zusammenhang. »Cabrones, he, wo zur Hölle und den Teufeln ist mein Revolver?«
Er hatte nach hinten gelangt und entdeckt, dass ihm die Kanone abgenommen worden war.
»Callate! Halt's Maul, Cachitol« rief Don Severo. »Säuglinge sollen nicht mit Licht und Scheren spielen, und wer so besoffen ist wie du, braucht keine Pistole mehr. Marsch, ins Bett!«
»Ich geh' in mein gottverdammtes Bett wann ich will. Und ich lasse mir von niemand kommandieren, nicht einmal von dir, wenn du auch mein wirklicher Bruder wärst.«
»Noch ein Wort«, rief Don Severo erbost, »und ich schlage dir die Flasche hier auf den Schädel, dass deine eigene Mutter dich nicht einmal mehr aufzuheben für wert hält.«
»Schitt, Mutter. Lange abgenippelt, oder weiß der Teufel, wo sie ist und mit wem sie hurt. Die Flasche her, sage ich! Wenn ich trinken will, dann trinke ich, und wenn ich schießen will, dann schieße ich. Das nächste Mal wird es wieder ein Schwein sein, aber eines, das auf zwei Beinen steht.«
Er richtete sich jetzt auf, ging einen Schritt am Tisch entlang und zog eine Flasche herbei. Er setzte die Flasche an den Mund und goss sich voll. Dann stellte er die Flasche mit einem lauten Knall zurück auf den Tisch, richtete sich gerade, warf die Brust heraus, klopfte sich mit beiden Händen darauf und schrie. »Muy macho soy yo! Ein ganzer Mann! Und wenn ich trinken will, dann trinke ich. Und ich trinke euch alle lahm. Hierher, wer eine heiße Bohne zwischen die Rippen gebrannt haben will! Wo ist meine Kanone? Verflucht noch mal! Ich will meine Kanone!«
»Felix«, rief Don Severo. seinen Bruder an, »pack dir das Hähnchen auf und trage es zu seinem Nest!«
Felix stand auf und ging auf Acacio zu.
Als Acacio ihn kommen sah, geriet er abermals in Wut. »Einen Schritt näher, und es geht dir wie dem Schwein! Ich schlachte dich ab. Soy muy macho y muy bravo. Der Tapferste von allen, der bin ich, verstehst du, du Cabron und Hundesohn!«
»Betrage dich hier unter den Caballeros, Cachito!« sagte Don Felix beruhigend.
»Caballeros? Schitt! Alles Hurensöhne!«
»Besser, du gehst in deine Wiege und schläfst dich aus, Cachito.« Don Felix nahm Acacio unter den Arm, um ihn hinauszusteuern. Don Acacio stieß seinen Bruder zurück, dass er gegen die Wand taumelte. Don Felix wurde darüber nicht ärgerlich. Er lachte nur. Dann ging er wieder auf Don Acacio zu und schlug ihm so heftig hinter die Ohren, dass Don Acacio wie gefällt in der Ecke des Comedor zusammenbrach und dort wie ein Klumpen liegen blieb.
»Nimm das Häufchen Schitt schon endlich auf, Felix«, sagte
Don Severo, »und bringe es in Sicherheit, damit ich hier vielleicht doch mal mit meinem Geschäft zu Ende komme.«
Don Felix hob den am Boden Liegenden auf und zerrte ihn hinaus in die Nacht.
»He, Chinito«, hörte man ihn draußen rufen, »gib mal eine Laterne her, dass ich unseren Bungalow finde!«

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