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B. Traven - Die Troza (1936)
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ZWÖLFTES KAPITEL

1

Inzwischen war es nun völlig Tag geworden, aber die Sonne drang nur in dünnen Strähnen und blinzelnd durch das dichte Laub der Bäume. Der starke Morgentau des tropischen Dschungels gab den Bäumen, den Sträuchern und dem Gestrüpp ein Ansehen, als hätte es während der letzten Nachtstunden heftig geregnet. Stießen die Burschen oder die Ochsen gegen einen Strauch oder einen der dünneren Bäume, so fiel das Wasser auf sie herab, dass sie nach wenigen Schritten völlig durchnässt waren.
Obgleich die glühende Sonne hier in der Gasse kaum sichtbar war, begann sie dennoch bereits auf den Kronen der Bäume zu lasten. Die kochende Hitze unter den Bäumen wurde mehr und mehr erstickend und das Atmen für Menschen und Tiere schwerer und schwerer, je höher die Sonne stieg.
Die Burschen befanden sich gleich wie in einem Dampfbad; denn das Wasser, das schwer auf den Blättern der Sträucher ruhte, begann nun zu verdunsten. Die heißfeuchten Dämpfe fanden jedoch keinen Ausweg. Sie stiegen hoch gegen die dichten Kronen der Bäume, in denen sie sich verfingen und hängen blieben und die Luft noch heißer, dicker und erstickender machten.
Die Troza wurde durch die Gasse geschleppt.
Fluchend, auf die Ochsen einschreiend, Vicente fortgesetzt Befehle zurufend, arbeitete Andres.
Dabei erinnerte er sich jeden Tag zehnmal seiner früheren Tätigkeit als Carretero. Auch da wurden die Carretas von Ochsen über elende, felsige, steinige, dann wieder versumpfte und heruntergebrochene Straßen gezogen und gezerrt. Auch dort musste hart gearbeitet werden, um die Carretas in Gang zu halten, sie nicht versinken oder vom Wege abgleiten und in die Abgründe stürzen zu lassen. Dennoch, so hart und quälend jene Arbeit auch zu sein pflegte, verglichen mit dem Abschleppen von Trozas, war das Führen einer Carreta ein Sonntagnachmittagsausflug.
Das, was hier Callejon, Gasse, hieß, hatte mit einem Weg nur das gemeinsam, dass eben Trozas darauf geschleift wurden. Einige Stämme und dichte Sträucher, die ein Hindernis bereiteten, waren abgehackt worden, und das war alles, was zur Verbesserung der Gasse getan werden konnte.
Die Ochsen trotteten, von Vicente ständig mit Schreien oder mit dem Piekstecken angetrieben, gemächlich voran, käuend, zuweilen brummend, mit den Schwänzen um sich schlagend, um die aufkommenden Beißfliegen abzuwehren. Ihre Mäuler streiften dicht über dem Boden; denn nur wenn sie ihre Köpfe sehr tief hielten, konnten sie ihren Nacken die volle Kraft geben, die sie benötigten, um die Troza zu schleppen. Das schwere, rohgearbeitete, lange Joch lag in einem Balken quer über ihren Köpfen. Es war festgeriemt mit Riemen, die durch die in die Hörner gebohrten Löcher gezogen worden waren, und ließ nicht zu, dass der eine seinen Kopf allein und unabhängig vom andern bewegen konnte. Wurde das eine Tier von einem der großen Insekten belästigt und gestochen und schüttelte es schwerfällig den dicken Kopf, so wurde der ganze Balken geschüttelt und das andere Tier genötigt, seinen Kopf in gleicher Weise zu schütteln. Je dichter die Beißfliegen aufkamen, je wilder arbeiteten die geplagten Tiere mit ihren Köpfen, um sich zu wehren. Ihre großen, runden Augen quollen dick aus ihren Höhlen und röteten sich unter den Schmerzen, die sie ertragen mussten. Wie leicht hätte es ein mitleidiger und liebender Gott gehabt, die Qualen dieser unschuldigen, arbeitswilligen Tiere zu verringern oder gar zu beseitigen, wenn es ihm nur gefallen haben würde, keine Beißfliegen zu erzeugen, keine Moskitos, keine Maden, die jede wunde Stelle eines lebenden Tieres anbohrten und sich eingruben, keine so tiefen Moraste entstehen zu lassen, die keiner Kreatur dienten und lediglich parasitischen Insekten aller Arten zum Brutplatz gegeben waren.
Schwärme winzig kleiner Fliegen krochen den Tieren und ihren menschlichen Mitarbeitern in die Ohren und in die Augen. Zecken warteten im Laub der Büsche und ließen sich niederfallen auf Tiere und Menschen, sobald nur das Gebüsch gestreift wurde, und fraßen sich in die Haut, ihre Köpfe tief eingrabend und so fest einkrallend, dass es schmerzte, wenn man sie herauszerrte, und sich entzündete und noch viel mehr schmerzte, wenn beim Herauszerren der Kopf abriss und im Fleisch stecken blieb.
Zwei Stunden nach Sonnenaufgang schon rieselte an Hunderten von Stellen das Blut von den Körpern der Ochsen und der beiden Burschen. Die fingergroßen Beißfliegen des Dschungels saugten in ihrem Hunger nach frischem Blut, den sie so selten nur stillen konnten, nicht nur das Blut, sondern sie waren so wild und hungrig, dass sie sich zum ruhigen Saugen kaum Zeit nahmen, sondern ganze Stücke Fleisch aus dem Körper ihrer Opfer rissen. Und die kleinen Picahuyas, deren Herbeikommen und Stechen weder Tier noch Mensch bemerkte und deren Stich erst fühlbar wurde, wenn das Insekt bereits wieder fortgeflogen war, ließen kleine Blutblasen an Hunderten von Stellen zurück. Diese Blasen reizten eine Woche lang die angestochene Stelle so, dass man sie mit den Nägeln tief aufkratzte, um einige Minuten lang zu hoffen, eine kurze Erlösung von den Qualen gefunden zu haben, obgleich man wusste, dass diese Erlösung trügerisch war und neue und schmerzlichere Juckreize mit Sicherheit folgten.
Eine Carreta zu führen war kaum irgendwelche Arbeit, verglichen mit dem Schleppen einer Troza.
Der Carretero marschierte lachend, schwatzend, pfeifend, singend neben seiner Carreta her. War der Weg trocken und nicht zu schwierig, so setzte er sich sogar in die Carreta und überließ es seinen erfahrenen und geübten Ochsen, sich den besten Weg zu suchen. Dann kam gelegentlich ein Stück Weg, wo Steine weggeräumt werden mussten, wo kräftig in die Speichen gegriffen werden musste, um der Carreta aus dem Morast zu helfen, wo Steine zu suchen und in die Löcher des Weges zu füllen waren, um die hohen Räder nicht versinken oder die Achsen brechen zu lassen.
Eine Troza dagegen, so winzig, so unschuldig, so unbedeutend solch ein Stamm auch neben einer Carreta aussehen mag, verursachte eine Arbeit, so schwer, so anstrengend, so ermüdend, so viel Tricks und gute Kenntnisse verlangend, dass man mit derselben Arbeitsleistung leicht zehn Carretas hätte fahren können, ohne besonderes Missgeschick dabei zu erleiden.
Auf den ersten Blick erschien es ungemein einfach, mit Hilfe zweier kräftiger, gutgenährter Ochsen einen Caobastamm durch den Dschungel zu schleifen. Selbst auf einer trockenen, gepflasterten Straße hätte das schon einige Mühe gekostet. Mehr Mühe kostete es schon auf flacher, trockener Erde, wo keinerlei Hindernisse irgendwelcher Art das Schleppen erschwerten. Aber in einer Dschungelgasse erforderte es alle Anstrengung, die ein Paar starke Ochsen und zwei Männer nur leisten konnten.
Im Handel mit Caoba wurde eine Troza eine Tonne genannt. Caoba ist ungemein hartes und außerordentlich schweres Holz. Dennoch ist eine Troza keine Tonne, keine tausend Kilogramm, nach dem Gewicht gerechnet. Sie kommt schon näher einer Raumtonne, einer Tonelada.
Als Vicente eines Tages Andres fragte, wie schwer wohl so eine frische Troza sei, da sagte Andres, dass nach seiner Schätzung eine Troza wohl ihre vierzehn Arrobas an Gewicht haben könne, so an die hundertundfünfzig oder hundertundsechzig Kilogramm, so ganz genau wisse er das nicht, und das hinge auch davon ab, ob die Troza sehr frisch sei oder trocken. Einen Stamm, der ein solches Gewicht hat, zu handhaben erforderte sicher gute Kräfte. Vier Arrobas galten als eine reichliche Last für ein Tragmule. Und eine Troza Caoba wog so ziemlich viermal soviel, wie einem Mule auf guten Wegen aufgeladen wurde. Nur bei Ladungen, die sehr gut und glatt lagen, wie etwa roher Kaffee in Säcken, und wenn die Tiere nur kurze Strecken zu gehen hatten und auf Wegen, wo kein Morast war und wenig Steigung, konnte man einem Mule zwei Quintales, acht Arrobas, aufladen. Die Ochsen brauchen freilich die Troza nicht auf ihren Rücken zu schleppen, aber ob die Last weniger Mühen verursachte, wenn sie am Boden entlanggeschleift wurde, konnte man allein schon daran beurteilen, dass vier Mules wohl kaum eine Troza hätten fortschleifen können. jedenfalls nicht hier, und zehnmal weniger in jenen Teilen der Gasse, die weiter unten lagen, näher dem Tumbo.

 

2

Die Ochsen zerrten an, und die Troza, kam in Bewegung. Eine wichtige Aufgabe für den Boyero war, wie Andres dem Vicente erklärte, darauf zu achten, dass die Kette da, wo sie in die Zughaken geklemmt ist, immer unter der Troza lag. Drehte sich die Troza, so dass die Kette nach oben kam, so musste die Troza beim nächsten Anzerren so gedreht werden, dass die Kette wieder nach unten gelangte. Denn nur wenn die Kette unter dem Chuze lag, hob sich der Chuzo, die Spitze, hoch, andernfalls bohrte er sich in den Grund. Das jedoch war keine leichte Arbeit, die Troza richtig zu wenden. Der Boyero konnte nicht einfach nebenherschlendern wie bei einer Carreta. Unausgesetzt musste die Troza mit dem eisernen Haken, den Andres in der Hand trug, hochgezerrt werden. Die Spitze geriet unter Baumwurzeln, die sich kreuz und quer über die Gasse hinstreckten. Dann musste angehalten werden. Waren die Wurzeln nicht zu dick, dann wurden sie durchgehackt. Waren sie jedoch zu hart und brauchte es zu lange Zeit, um sie abzuhacken, dann mussten die Zughaken ausgebrochen werden. Die Ochsen wurden umgedreht, die Haken am entgegengesetzten Ende der Troza neu eingesetzt, und die Ochsen zogen die Troza nach rückwärts aus dem Wurzelgestrüpp heraus. War das gelungen, dann wurden die Haken abermals herausgezerrt und wieder vorn beim Chuzo eingesetzt, und die Troza wurde hochgezerrt, dass sie nun über die Wurzel hinwegschleppte und ein abermaliges Unterkriechen unter die Wurzel vermieden wurde.
Dann lagen Furchen im Wege, und die Troza musste darübergehoben werden, um zu vermeiden, dass sie sich eingrub. Die Ochsen zogen mit aller Kraft, und war die Spitze nicht in der richtigen halben Sekunde über das Hindernis gehoben, so steckte sie auch gleich einen halben Meter in der Erde. Und wieder mussten die Haken herausgebrochen und erneut am entgegengesetzten Ende angebracht werden. Die Ochsen wurden gedreht, und die Troza wurde abermals rückwärts herausgezogen. Auf hundert Meter Weg konnte das Wenden und Rückwärtsherausholen fünfmal geschehen.
Dann lagen Steine im Weg, Äste, Stämme, in denen sich die Troza verfing, wenn sie schlecht geführt wurde. Und jeder Aufenthalt bedeutete verlorene Zeit und verdoppelte Arbeit.
So war es nicht zu verwundern, dass Andres über und über in Schweiß gebadet war und so keuchte, dass man glaubte, er müsse zusammenbrechen, wenn eine Troza einen Kilometer weit geschleppt war und die Ochsen zurückgeführt wurden, um die nächste Troza einen Kilometer weit zu schleppen. Nur ein geübter und starker Bursche vermochte es zu schaffen, unter tropischer Hitze, eingeschlossen in heißer, feuchter Luft, ohne frischen Windhauch, der Kühle brachte, neben einer Troza herzulaufen, die schwere Last fortgesetzt anzuheben und in richtige Bahnen zu leiten. Durch einen falschen Zug der Ochsen konnte die Troza Andres oder Vicente auf die nackten Füße fallen, und waren die Burschen nicht vorsichtig, so schlug die Troza so heftig gegen ihre Beine, dass sie zerschunden wurden. Auch das geschah zuweilen, und die einzigen Trostworte, die der Verunglückte hörte, waren: »Hättest dich besser vorsehen sollen. Die Tage, an denen du nicht arbeitest, werden dir natürlich nicht angerechnet.
In drei Tagen bist du auf den Beinen, oder wir werden dich vier Stunden henken, um dich zu lehren, auf deine Knochen zu achten. Wir haben für deine Knochen unser gutes Geld bezahlt und lassen uns nicht darum betrügen, verstehst du, du stinkfauler Chamula.«
Manch einer der Boyeros oder der Ochsenjungen, die als Gananes die Ochsen antrieben, brauchte freilich jene gut gemeinten Trostworte nicht zu schlucken. War er unter eine Troza geraten, als sie über harte Wurzeln oder über Gestein und Fels schleppte, so fand man den Jungen oder ebenso häufig den
Boyero, wenn die Ochsen endlich zum Stehen gebracht waren, so zerquetscht und zerrieben, dass nicht viel mehr von ihm übrig war, um darauf Trostworte zu verschwenden. Und hätte ihn El Picaro gar henken wollen, dann wären die Stücke einzeln abgefallen, und was am Strick noch hängen geblieben wäre, würde vielleicht nicht einmal mehr das Begraben wert gewesen sein. Die Seele war längst herausgequetscht, und wenn es ihr gefallen hatte weiterzuleben, so schwebte sie in jenem Augenblick irgendwo herum und war sicher in einer Gegend, wo man faule oder widerspenstige Caobaarbeiter nicht henkte oder peitschte.
»Nun haben wir die letzte halbe Legua mit den Trozas zu machen«, sagte Andres, als er die letzte Troza nahe bei denen, die bereits herangeschleppt worden waren, abkettete. »Die Ochsen müssen jetzt erst einmal verschnaufen. Das gibt uns Gelegenheit, uns einen Augenblick hinzusetzen, eine Zigarre zu drehen und sie zu rauchen.«
Mit der letzten Fahrt wurden stets die Täschchen der Burschen, die Morrales, mitgebracht, um sie in der Nähe zu haben. Die Ochsen waren ebenso vom Schweiß durchnässt wie die beiden Burschen. Sie bewegten ihre Köpfe, die immer noch fest angeriemt waren an dem schweren Jochbalken, der auf ihnen lag, in einem merkwürdigen, gleichen Rhythmus, um ihre Lungen mit Luft voll zu füllen. Ihre Flanken pumpten. Ihre großen Augen schienen noch weiter aus den Höhlen zu quellen. Es war kaum eine Stelle an ihrem Körper, die nicht rot war von herunterrieselndem Blut.
»Die armen Bestias«, sagte Vicente, an die Ochsen dicht herangehend und ihnen einige Beißfliegen, die sich eingebissen hatten, auf dem Rücken breitschlagend. Dickes, frisches Blut spritzte so heftig aus den vollgetrunkenen Insekten heraus, dass es Vicente ins Gesicht schoss.

 

3

Hin und wieder hatte es in den reicheren Companien einen Administrador gegeben, der hundertmal sagte: »Las pobres bestias! Die armen, bedauernswerten Tiere!« Und oft war auch ein Bedauern abgefallen für die indianischen Peones und anderen Arbeiter, die hier Gesundheit, Leben und persönliches Glück opferten, damit die Welt Mahagonischränke haben konnte. Jene menschlich fühlenden Verwalter und Direktoren hatten innerhalb der letzten hundert Jahre mehr als einmal versucht, die Leiden der Arbeiter und der Ochsen zu lindern. Mancher der Administradores konnte sich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft mit dem, was er hier sah, so wenig abfinden, dass er sich sofort hinsetzte und einen langen Brief an seine Company schrieb, darin erklärend, dass er es nicht ertragen könne, solche Leiden zu sehen, und dass die Company einen anderen Mann schicken oder Änderung schaffen solle. Der Postreiter ritt aber nicht am selben Tage ab, sondern erst nach fünf Wochen. Inzwischen hatte sich der neuangekommene Administrador an alles gewöhnt, was er hier sah und erlebte. Er las seinen Bericht nochmals durch, begriff nicht, wie er ihn überhaupt je hatte schreiben können, und zerriss ihn. Denn er selbst hatte inzwischen gelernt, wenn auch in geringerem Umfange, dieselben Leiden zu erdulden, die alle übrigen Leute hier erdulden mussten. Er wurde von Beißfliegen, Zecken, Moskitos gepeinigt wie alle anderen. Er hatte zu den Camps zu reiten, blieb mit seinem Mule stecken, musste ihm helfen, aus dem Morast zu kommen, erreichte vielleicht das Camp nicht vor der Nacht weil er sich im Wege geirrt hatte, und musste die Nacht im Dschungel verbringen, an der Stelle, wo er sich befand, als die Nacht hereinbrach. Dann kamen energische Briefe von der Company, die ihn verantwortlich machte für eine geregelte und volle Lieferung. So vergingen kaum drei Monate, und der Administrador bemerkte schon nicht mehr auch nur eines der Leiden, die er während der ersten Tage seiner Tätigkeit nicht ansehen zu können glaubte, ohne seinen Verstand zu verlieren.
Jeder neue Administrador fühlte in den ersten Wochen nach seiner Ankunft den ernsten Wunsch, die Leiden und Qualen von Mensch und Tier zu verringern. Dieser Wunsch hatte seine Ursache seltener in Menschen- oder Tierliebe, sondern er wuchs viel häufiger aus dem Bestreben heraus, die Lieferungen zu erhöhen. Der Administrador sagte sich, je leichter er die Arbeit für die Leute mache, um so mehr könnten sie schaffen. Und jeder neue Verwalter kam mit einem neuen System, das er zu versuchen gedachte und von dem er behauptete, es sei unfehlbar.
Einer war gekommen und hatte die herrliche Idee gehabt, eine Art von Wagen zu bauen, der auf starken, breiten, sehr niedrigen Rädern lief, die mehr Rollen als Räder waren. Er dachte sich, dass man mit Hilfe dieses Wägelchens die Trozas abschleppen könne, und dass es sogar möglich sei, auf sehr trockenen Gassen gleich drei oder vier Trozas auf einmal zu befördern.
Die Idee war vortrefflich in der Theorie. Als sie aber ausgeführt werden sollte, stellte sich heraus, dass die Boyeros in einer Woche mit Hilfe der Wägelchen nur weniger als ein Drittel schaffen konnten von dem, was sie nach der früheren, scheinbar schwerfälligeren Methode leisteten. Die Wägelchen rammten sich tiefer und hoffnungsloser in den Morast als die einzelnen Trozas. Wenn ein Wägelchen erst einmal unter starke Wurzeln geraten war, so kostete es unendliche Mühe, es wieder herauszuhaken, ohne dass es dabei in die Brüche ging.
Ein anderer Verwalter hatte die gute und auch sehr richtige Idee, dass man Lokomobilen aufstellen und mit Hilfe von starken Drahtseilen die Trozas dann heranzerren könnte. Aber als er in der Monteria angelangt war und die Wege, auf denen er geritten kam, kennen gelernt und erlebt hatte, wie oft und wie tief er mit seinem Mule im zähen Dschungellehm und in den Morästen stecken blieb, wie oft er absteigen musste und wie viele
Kilometer er zu Fuß gehen musste, weil das Mule mit seiner Last auf dem Rücken bis zum Sattel einsank, da wusste er, dass seine Idee undurchführbar sei, denn eine Lokomobile konnte auf solchen Wegen selbst nicht einmal in Teilen hier hertransportiert werden. Und wie viele Pferdekräfte eine solche Lokomobile haben müsste, um Trozas an Seilen über Wurzeln und durch Moräste zu schleppen, hatte er vergessen auszurechnen.
Wieder ein anderer wunderte sich, warum nicht frühere Administradoren auf die einfache Idee gekommen seien, mit Motorbooten den Hauptstrom und dann die Seitenflüsse hinaufzufahren und Maschinen auf diesen Booten herzubringen. Auch diese Idee sah gut aus in San Juan Bautista, der Stadt, die vom Hafen aus auf Motorbooten erreicht wurde. Aber als er einmal in der Monteria war und mit sehr geschickten und erfahrenen Cayuqueros in Canoes Teile des Stromes und der Flüsse abgefahren hatte, wusste er, dass ein Motorboot nur hier herkommen könne, wenn es ein Flugboot sei, und selbst ein solches Boot würde Schwierigkeiten gehabt haben, den Weg zu machen, ohne ständig Gefahr zu laufen, verloren zu gehen.
Würden die Caobas so schnell wachsen, wie in einer Fabrik Automobile erzeugt werden können, dann würde es sich lohnen, Eisenbahnen und Automobilstraßen zu bauen. Wenn aber die Eisenbahn nicht ganz dicht an der Stelle vorbeiführt, wo die Caoba geschlagen wird, dann kommt es auf dasselbe heraus; denn dann muss eben, wie früher auch und wie seit Hunderten von Jahren, die Troza mit Ochsen dicht bis an die Bahn geschleppt werden, und der Weg, den die Troza geschleppt wird, bleibt der gleiche, der er heute ist, morastig, felsig, bergig, überquert von Tausenden von starken und schwachen Wurzeln, die widerstandsfähig sind wie Drahtseile. Denn nur dort, wo alle Voraussetzungen für solche Wege sich finden, sind auch die Bedingungen anzutreffen, unter denen Caoba wachsen kann.
Welche Vorschläge auch in Büros gemacht, welche Ideen auch vorgebracht wurden, es stellte sich immer heraus, dass die
Methode, nach der die Trozas gegenwärtig geschlagen, abgeschleppt und abgeschwemmt werden, die einzige ist, mit deren Hilfe Caoba erzeugt und der Welt zugänglich gemacht werden kann.
Alle Schwierigkeiten, alle Leiden, ja selbst die Mehrzahl scheinbar unnötiger Grausamkeiten, fanden ihre Begründung in Verhältnissen, gegen die der Mensch offenbar machtlos ist. Ein anderes Wirtschaftssystem würde wahrscheinlich unter solchen Umständen auf Mahagoniholz völlig verzichten oder versuchen, die Caoba in besonderen Pflanzungen zu erzeugen, so gut organisiert, dass jede Troza dicht bei der asphaltierten Automobilstraße wächst und mit einem Motorkran auf das Lastauto gehoben wird. Dann würde wahrscheinlich eine Tonne Caoba zehntausend Dollar kosten; aber wenigstens würden dann keine Indianer mehr ihrer Schulden wegen in die Sklaverei verkauft, nicht mehr erbarmungslos gepeitscht und mitleidlos gehenkt werden. Es kann ja auch kein Krieg geführt werden, ohne dass man Menschen versklavt, uniformiert und sie zu stummen, widerstandsunfähigen Objekten idiotischer oder brutaler Vorgesetzter herabwürdigt. Man kann keinen Krieg haben und Freiheit zugleich; wie man auch keine Caoba haben kann und gleichzeitig Menschlichkeit und Erbarmen gegen Mensch und Tier im Dschungel. Denn selbst wenn die Contratistas und die Capataces sich wie Heilige gegenüber den Indianern gebärden würden, dann blieben immer noch die Beißfliegen, die Moskitos, die Zecken, die Moräste, die Wurzeln, die Tiger, die Schlangen, die mitleidlose Glut der tropischen Sonne. Und es ist sicher anzunehmen, dass die Beißfliegen, die Moskitos, die Moräste, die stählernen Wurzeln und die tropische Hitze eine wichtige Aufgabe hinsichtlich des Wachstums der Caoba zu erfüllen haben. Keines ohne das andere.

 

4

Aus ihren Kürbisflaschen schütteten Andres und Vicente Wasser in ihre Trinkschalen. Dann kniff jeder ein Stück von seinem Posol ab, der in dicke, grüne Blätter eingewickelt war und sich in diesen Blättern frisch hielt.
Das Stück Posol wurde in dem Wasser in den Jicaritas geknetet und dann aufgelöst, so dass dieses Wasser ein Aussehen erhielt, als wäre es ein gelblichweißer Brei. Dieser Brei wurde dann noch gut mit den Fingern verrührt, um auch das letzte Restchen des Teiges aufzulösen.
Nun schoben die Burschen eine Prise grobes Salz in den Mund und tranken den Brei in kleinen Schlucken und mit Ruhe und Wohlbehagen.
Sie saßen auf einer Troza. Nichts weiter trugen sie als zerlumpte weiße Baumwollhosen, aufgekrempt bis nahe den Hüften. Ihr bronzefarbener Oberkörper war nackt. Ihre Füße ohne Sandalen.
Da sie oft in Dornen traten und ihnen Sandalen, so genannte Huaraches, nützlich gewesen wären, insbesondere auch als Schutz gegen Skorpione, so war das Tragen der Sandalen nicht nur zu teuer für sie, sondern auch viel zu umständlich. Wenn sie einmal bis an die Hüften in dem zähen Urwaldschlamm steckten und versuchten, den sandalenbekleideten Fuß herauszuziehen, so riss das wenige Riemenzeug, mit dem der Huarache am Fuß gehalten wurde, ab, und die Sandale blieb tief im Morast stecken.
Das Ausgraben kostete Zeit und war nicht selten ergebnislos. Der Morast fiel wie dicke Suppe in sich zusammen; sobald das Bein herausgezogen war, schloss er sich zähe, und die Sandale konnte nicht gefunden werden.
War einmal der Fuß herausgezogen, so war die Stelle, wo er gesteckt hatte, nicht mehr genau zu finden, und die Sandale mochte gut einen halben Meter weiter stecken als da, wo der Mann nach ihr suchte. So war es das beste, einfach nichts an den Füßen zu haben.
Obgleich die Muchachos nun schon eine Weile stillsaßen und mit Andacht ihren Posol schlürften, keuchten sie noch immer heftig von der Anstrengung ihrer Arbeit. Ihre Hände und Beine zitterten, und zuweilen öffneten sie ihren Mund lächerlich weit, um Luft zu bekommen. Ihr Haar war nass vom Schweiß, und ihre Hosen sahen aus wie aus dem Wasser gezogene Lumpen.
»Habt ihr auf eurer Finca auch Posol?« fragte Andres.
»Natürlich«, antwortete Vicente. »Aber wir nehmen nur Posol mit, wenn wir zum Markte gehen oder den ganzen Tag in den Feldern arbeiten und erst spät am Abend heimkommen.«
»Posol ist eine sehr gute Sache, Nene. Hier mehr als in der Finca. Als ich mit den Carretas war, da hatten wir nie Posol. In jener Gegend kennt man ihn nicht. Häufig marschierten wir des Nachts und schliefen bei Tage. Nachts wird man weniger durstig als am Tage. Und ich will dir auch hier gleich sagen, Nene, trink nicht so viel Wasser. Du hast beinahe an jedem Graben getrunken. In vielen der Pfuhle ist Fieber drin. Böses Fieber. Das Wasser im Campo ist besser. Aber wo du es nicht kennst, sei vorsichtig. Ein Magen, voll gepumpt mit Wasser, ist gefährlich. Posol, in Wasser aufgeweicht, ist weniger gefährlich. Du löschst deinen Durst mit Posol besser als mit Wasser. Der Posol nimmt einen großen Platz in deinem Magen ein, und du hast weniger Verlangen, den ganzen Magen mit Wasser voll zu pumpen. Wenn du keinen Posol hast, dann spüle dir den Mund nur mit Wasser aus, aber trinke es nicht in Mengen. Und immer etwas Salz mit hinunterschlucken. Weißt du, Nene, in den Monaten, die ich hier nun arbeite, haben wir allein von unserm Camp acht eingegraben, die am Paludismo verreckten. Das geht wie Schweinefucken, weißt du. Du schüttelst dich plötzlich, dann wird dir furchtbar heiß und gleich darauf eiskalt, und das geht so mehrere Male. Dann redest du eine Unmasse von blödem Gesapper und fürchtest dich vor - der Teufel allein weiß, was du in deinem Fieberwahn sehen magst, aber es ist grässlich. Dann krümmst du dich und schlägst um dich. Und auf einmal bist du weg, wie eine breitgeklatschte Fliege. Und dann graben sie dich ein. Da, ein Kilometer weit hinter der Oficina, wo El Picaro mit dem Lausehund, dem El Gusano, haust, da ist der Campo Santo, der Begräbnisplatz. Die wilden Schweine kommen in der Nacht, wühlen die Gräber auf und fressen die Kadaver. Da sind ein paar Kreuze, aber es ist keine Seele darunter, unter den Kreuzen. Die Schweine lassen nichts da liegen.«
Vicente riss seine großen Kinderaugen weit auf, als Andres alles das erzählte. Dann aber lachte er:
»Du machst dich nur lustig über mich und willst mich nur aufziehen.«
»Gar nichts zum Lustigmachen«, sagte Andres ernst. »Es ist so, wie ich dir sage. Und wenn du nicht von den Schweinen gefressen werden willst, dann trinke besser nicht so viel Wasser. Und wenn du trinken musst, dann nur mit Posol und Salz.«
Vicente hatte Laub von den Bäumen geschlagen und es den Ochsen vorgeworfen, die es mit gleichem Wohlbehagen genossen wie die beiden Boyeros ihren Posol. Dann rauchten die beiden eine kurze, dicke Zigarre.
»Und nun weiter, damit wir die Trozas endlich alle weghaben. Am Mittag ist El Gusano beim Tumbo, um zu sehen, ob wir alle da haben. Dann inspiziert er die Trozas, ob die Muchachos auch die richtigen Marken eingeschlagen haben, damit die Montellanos ihr Holz kennen, wenn es im Hafen ankommt. Die sehen jetzt sehr darauf, El Picaro und El Gusano, dass sie ihre eigene Marke mit drin haben in jeder Troza, damit die Montellanos sie ihnen anrechnen können. Weißt du, sie bekommen Prämien für jede Troza. Wenn sie eine Troza erwischen, bei der der Muchacho, der sie schlug, vergessen hat, ihre Marke mit einzuhacken, darin geben sie ihm fünfzig drauf, weil das ihr Geld ist.
Die Cabrones, die gottverfluchten. Los, zerr die Ochsen heran!«

 

5

Die Troza war angekettet, und die Fahrt begann.
»Lass mich einmal deine Arbeit versuchen, Andresito«, sagte Vicente.
»Gerne. Ich mache deine Arbeit mit Vergnügen.«
Andres ging vor den Köpfen der Ochsen und ein wenig zur rechten Seite.
Vicente ergriff den Haken und begann, die Troza zu führen.
Die Fahrt ging nur zehn Meter weit, dann saß der Chuso der Troza unter einer Wurzel, und die Ochsen standen wie festgemauert.
»Ja, Nene, du musst eben aufpassen! Verflucht aufpassen musst du, dass die Spitze der Troza nicht in die Erde fährt und nicht unter eine Wurzel. Dafür hast du ja deinen Haken, dass du die Troza richtig führst und gut anhebst, ehe sie sich festrennt.«
»Das tat ich doch auch, aber die Troza ist zu schwer. Die kann ich nicht allein anheben und nicht einmal drehen, damit die Kette nicht nach oben kommt und der Chuso zu tief fällt.«
Andres lachte. »Das wollte ich nur wissen und sehen, du kleiner Säugling. El Gusano hat mir heute morgen gesagt, dass ich dich eine Woche anlernen soll, und dann sollst du selbständiger Boyero sein mit einem Jungen, den er von den Oficinas bekommen wird. Das wusste ich ja vorher, dass du zu schwach bist eine Troza anzuheben. Und wenn du sie nicht fortgesetzt anheben und verhindern kannst, dass die Spitze sich im Grund oder im Schlamm oder unter querliegenden Wurzeln festzerrt, dann bringst du keine einzige Troza auch nur einen halben Kilometer weit.«
Vicente nickte und blickte Andres verwundert an. »Ich wusste nicht, Andresito, dass du so verflucht stark bist.«
»Ich bin auch mal so schwach und wacklig auf den Beinen gewesen wie du, Nene, aber das ist nun schon eine gute Weile her, als ich in Tenejapa im Laden helfen musste. Mach dich nur wieder an die Ochsen, und ich werde die Trozas führen. El Gusano wird ja sicher Gift schnaufen, wenn ich ihm sage, dass du innerhalb der nächsten sechs, vielleicht zehn Monate kein Boyero sein kannst, auch wenn er dich jeden Abend zwei Stunden lang henken lässt um dich mürbe zu kriegen.«
Die Trozas wurden nun eine nach der anderen bis zum Arroyo Ciego geschleppt dem Blinden Graben.

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