ELFTES KAPITEL
1
Andres trottete mit den übrigen Boyeros zur Weide, um die Ochsen heranzuholen und aufzujochen.
»Hast du schon mal mit Bueys gearbeitet, Nene?« fragte Andres gutmütig Vicente. »Ich werde dich Nene, Säugling, nennen. Du bist ja nur gerade ein winziger Säugling. Wie heißt du denn sonst noch? Vicente. Trauriger Name. Nene ist besser für dich. Ja, was ich fragte, mit Ochsen weißt du nicht umzugehen?«
»No, companero.«
»Dachte ich mir. Bist du von einer Finca? Ich auch. Mein Vater hatte so ungefähr hundert Pesos Schulden beim Herrn der Finca. Und als der Enganchador auf unsere Finca kam und Leute für die Monterias aufkaufte, da verkaufte der Patron meinen Vater für die Schuldsumme, weil der Patron sagte, er müsse sein Geld haben und könne keine hundert Jahre darauf warten. Ich war damals Carretero, Ochsenfuhrknecht, bei einem Frachtunternehmer in Socton. Als ich dann hörte, dass mein armer Vater verkauft worden war, und ich wusste, dass er hier in der Jungla, die Arbeit und die Prügel nicht aushalten würde, da kehrte ich heim und übernahm das Konto meines Vaters und kam in die Monteria. Siehst du, Nene, so geht das. Wie bist du denn hergekommen?«
»Für die Kosten des Begräbnisses meines Vaters.«
»Auch sehr schön. Nimm dich nur gut zusammen. Du siehst nicht aus, als ob du sehr stark auf der Brust bist. Wenn du nicht ordentlich isst und dich nicht gut vorsiehst, wirst du es hier nicht lange machen. Hast du noch eine Mutter?«
»Si, tambien hermanos, auch jüngere Geschwister. Du, warum hat mich denn El Gusano verpeitscht? Ich hatte doch nichts verbrochen«, fragte Vicente mit kläglicher Stimme.
»Das ist so hier. Das wirst du noch lernen. El Picaro und El Gusano, diese niederträchtigen Hurenknechte, empfangen jeden, der neu ankommt, mit einer Tracht Hiebe, um ihn einzugewöhnen, wie sie sagen. Das ist die Politik der Montellanos, denen die Monteria gehört. Wie niedrig diese elenden Knechte als Menschen sind, kannst du daraus sehen, dass sie uns, die wir ganz wehrlos sind, peitschen, wenn immer sie Lust darauf verspüren. Diese Halunken sind die erbärmlichsten Jammerwichte, die du dir nur denken kannst. Wenn ich den Revolver hätte und die Peitsche, und sie hätten keine, dann solltest du mal sehen, was für winselnde Jammerfetzen sie sind. Die würden dann mehr wimmern und um Gnade heulen als ein Hund mit krankem Hinterloch. Nicht ein Spritzerchen von Mut und Blut im Herzen. In ein Indianerdorf würden sie sich nicht wagen, auch wenn sie rundherum mit einem halben Hundert von Revolvern behangen wären. Das findest du immer und überall; die kränklichsten und erbärmlichsten Wichte sind die elendsten Peiniger Wehrloser. Feigheit ist die Tugend der Diktatur!«
»Macht er das mit allen Neuen so? Oder nur mit mir?«
»Mit allen. Ich will dir etwas sagen, Nene. Es tat mir leid, als er dich, kleines Jüngelchen, das du bist, so grausam verprügelte. Es tat uns allen leid. Ich wollte hinzuspringen und die Prügel auf mich nehmen. Und auch Santiago wollte es tun. Kannst uns glauben. Aber wir dachten dann, es sei vielleicht besser für dich, dass du das kennen lernst. Es härtet dich besser ab, und du kriegst die richtige Wut, die wir brauchen. Das nächste Mal, wenn er dich vorhat bei der Fiesta, nimmst du es schon weniger tragisch und spuckst ihn schon breit an. Nur nicht winseln. Es kommt schon noch einmal unsere Abrechnung. Man kann es nie wissen. Hast du den Cancionero, den Sänger, singen hören? Im
Dschungel. Es lauert etwas herum, sage ich dir, Nene. Und außerdem noch eins: Hätte ich mich oder Santiago für dich verprügeln lassen, es hätte dir nicht gut getan. Kannst du glauben. Er hätte dich morgen oder übermorgen trotzdem vorgenommen. Brauchtest nur vergessen, a sus ordenes, mi jefe! zu sagen, und schon hättest du deine Einweichung weggehabt und dann um ein Vierfaches schlimmer als heute, wo er dich nur gerade so angetippt hat, wie er das nennt.«
»Angetippt? Schön angetippt. Ich bin sicher, mein Rücken ist aufgeplatzt.«
»Lass sehen, wenn wir zum Wasser kommen. Ich reibe dir Salz ein, damit es nicht eitert. Wenn es im Dschungel erst einmal zu eitern beginnt, dann ist es böse. Kriegst die Maden 'rein. Und die können wir nur mit Kreolin herausbrennen, und das tut, gottverflucht noch mal, elend weh, kann ich dir sagen.
Und wenn du nicht geheilt bist zur Fiesta, schlägt er dir das alles wieder auf.«
»Aber da ist es doch besser... sich im Fluss zu ersäufen.«
»Ist besser, Nene. Das weiß ich. Aber du hast doch eine Mutter, die du wieder sehen möchtest und die sich grämt, wenn du ihr verloren gehst? Ist das nicht so?«
Kaum hörbar sagte Vicente: »Si, asi es.«
»Und auch Geschwister hast du, alle jünger als du. Vielleicht überlebst du das hier nicht. Mehr als die Hälfte aller Muchachos kommen nie wieder heim. Sterben weg wie Fliegen. Manche am Paludismo. Andere kriegen was am Magen wegen dem verdorbenen Wasser, das wir, wenn es zu trocken ist, aus verseuchten, stehenden Pfützen saufen. Die Ochsen saufen es nicht. Wir müssen, weil wir es nicht so lange aushalten können wie die Ochsen. Andere schlagen sich aus Unvorsichtigkeit die Axt ins Bein, und das Bein fängt Gangrena, unheilbare Fäulnis in Fleisch und Knochen. Dann bist du froh, wenn dich einer erlöst von deinen Leiden und dir den Machete ins Herz rennt, um dir die letzte Gnade zu erweisen. Andere werden von einem Tiger oder Löwen angefressen oder weggeschleppt.
Oder ein fallender Baum erschlägt dich. Oder du fällst unter die Ochsen beim Abschleppen, und ein halbes Dutzend Trozas geht über dich weg und presst dir deinen Magen flach wie eine Tortilla. Warum willst du dich dann noch im Fluss ersäufen? Und vielleicht überlebst du doch noch alles und siehst deine Mutter und deine Geschwister wieder. Es ist diese Hoffnung, Nene, die dich lehrt das alles zu ertragen.«
»Und du, hast du auch eine solche Hoffnung?« fragte Vicente.
»Wir alle, auch ich. Ich habe ein Mädchen, das auf mich wartet. Ein kleines, liebes Mädchen.
Gottverflucht noch mal, lass uns lieber von etwas anderem reden. Verflucht und verschitt noch mal. Und hier sind wir bei den Ochsen.«
Andres hielt seine Laterne hoch und rief: »Habt ihr sie alle zusammen? Oder sind wieder ein paar von den Cabrones ausgebrochen?«
»Sind alle hier«, rief einer der Muchachos.
»Hier habe ich auch die Zugkette, die uns letzte Nacht fehlte«, sagte Andres, während er die Kette von seiner Schulter fallen ließ. »Muss wohl einer der Ochsen im Dunkeln hinter sich hergeschleift haben. Sie lag dicht beim Jacalito.«
2
Die Ochsen waren alle paarweise aufgejocht. Jeder Boyero nahm einen Jungen mit sich und zog mit seinem Paar Ochsen ab.
»Damit du das besser verstehst, Nene, will ich dir hier verschiedenes erklären. Ein Paar zusammengejochte Ochsen nennen wir hier eine Mancuerna; fünf Paar Ochsen, also fünf Mancuernas, nennen wir ein Tiro. Du, der Junge, der einem Paar Ochsen voranmarschiert und sie antreibt, ist ein Ganan, und ich, der Verantwortliche für ein Paar Ochsen, bin der Boyero. So, und nun gehen wir los zu unserer Arbeit.«
Es war noch immer schwere, schwarze Nacht, wohl kaum zwei Uhr. »Warum beginnen wir denn so sehr früh, Andres?« fragte El Nene.
»Weil wir um zehn Uhr mit unserer Tagesarbeit so ziemlich durch sein müssen. Es wird dann so unerträglich heiß, dass die Ochsen nicht mehr arbeiten. Es kommen dann auch die großen Beißfliegen auf, die den Ochsen eine Hölle bereiten, so dass sie wild werden, und wir können sie dann kaum noch behandeln.
Sie schlagen um sich, versuchen das Joch abzuwerfen, und ein Arbeiten mit ihnen ist so gut wie unmöglich. Du kannst sie nicht mehr führen, sie brechen aus.«
»Aber die Schläger arbeiten doch jetzt nicht, sondern fangen erst um vier Uhr an und arbeiten durch bis zum Abend.«
»Großer Unterschied, Nene. Du wirst noch mancherlei Unterschiede kennen lernen. Die Ochsen, siehst du, sind eben Ochsen. Wir, die Boyeros und die Hacheros, wir sind keine Ochsen, wir sind Indianer, Menschen; wir lassen uns gefallen, was sich Ochsen nicht gefallen lassen. Darum können die Montellanos und besonders El Picaro und El Gusano mit uns auch machen, was sie mit den Ochsen nicht machen können.
Verstehst du nun den Unterschied, warum die Ochsen früh arbeiten und zeitig aufhören, während wir und die Schläger doppelt so lange Zeit zu arbeiten haben wie die Ochsen? Wenn die Ochsen ihre Ruhe bekommen, so gegen elf Uhr vormittags, dann bekommen wir, die Boyeros, die Gananes, noch lange keine Ruhe. Wir arbeiten bis weit in den Nachmittag hinein, weil wir eben keine Ochsen sind.«
»Das scheint hier alles viel schlimmer zu sein als auf unserer Finca daheim«, sagte Vicente.
»Ha, eine Finca, Nene, ist Himmel auf Erden, verglichen mit einer Monteria. Bis jetzt weißt du das noch nicht. Aber in vier Wochen wirst du nichts weiter für dich in diesem Leben oder nach deinem Tode wünschen, als auf einer Finca zu leben als verschuldeter Peon. Auch da bekommst du hin und wieder einmal von dem Mayordomo deine Prügel. Aber es geht doch immer gerecht dabei zu, und du hast noch von keinem Peon gehört, dass er sich auf einer Finca zu Tode gearbeitet hätte. Und eine Fiesta auf einer Finca ist eine wirkliche Fiesta, mit Kirche, mit Musik mit Tanz, mit so vielem und gutem Essen, dass du denkst, der Magen muss dir platzen. Hier ist eine Fiesta der Massentanz der Mulepeitschen auf den Rücken der Caobaleute, und die Musik, die dazu gemacht wird, ist das Wimmern, Stöhnen, Wehklagen und Fluchen der gemarterten und gepeinigten Muchachos, die ihre tägliche Tonnenzahl nicht liefern konnten und darum erbarmungslos gepeitscht oder noch erbarmungsloser gehenkt werden.«
»Gehenkt?«
»Ja, gehenkt. Das ist die ureigene Erfindung der Montellanos, um die Hacheros, die kontraktlich nur zwei Tonnen täglich zu liefern haben, so erbarmungslos zu quälen, dass sie dieser Grausamkeit nur entgehen können, wenn sie täglich drei Tonnen Caoba schaffen.«
»Aber gehenkt? Wie denn gehenkt?« fragte Vicente.
»Denke darüber jetzt nicht nach, Nene. Wirst es schon noch zeitig genug kennen lernen. Wir haben jetzt anderes zu tun. Besser, du gibst auf deine Füße acht, dass du keinen falschen Schritt machst oder unter die Ochsen schlitterst. Sie trampeln dich in den Morast, ohne es zu wollen. Und ehe ich dich herausgekratzt habe, bist du schon erstickt. Kümmere dich jetzt um nichts anderes als um das, was ich dich lehre.«
3
»Da sind wir nun in meinem Semaneo«, sagte Andres. »Nimm nun deine Laterne hoch und suche die nächste Troza, und wenn du eine gefunden hast, dann rufst du mich. Ich werde mir auch eine suchen.«
»Was ist denn das, eine Troza? Das musst du mir schon sagen, wenn ich eine suchen soll.«
»Das ist ein Stamm geschlagener Caoba, eine Tonne Mahagoni. In die richtige Länge gehackt, abgerindet und quadratisch zugehackt, so dass der Stamm ungefähr einen Fuß Durchmesser hat. Musst darauf sehen, dass du eine fahrtbereite Troza findest, eine, die bereit ist abgeschleppt zu werden. Da liegen eine Menge Stämme herum, die für die Hacheros viel Arbeit kosteten, ihnen aber nicht angerechnet werden. Das sind Stämme, die innen faul sind, oft ist nur ein Stück faul, was der Schläger nicht sehen kann, nicht eher, als bis er durch ist mit dem Schlagen. Und da sind wieder andere Stämme, die der Länge nach aufgerissen sind, auch das kann der Schläger nicht früher sehen, als bis der Stamm lang auf dem Boden liegt. Wird ihm auch nicht angerechnet und er hat umsonst gearbeitet.
Solche Stämme bleiben liegen und verfaulen hier. Kümmere dich nicht darum. An einem Ende ist der Stamm, der fahrbereit ist, viereckig zugespitzt. Dieser zugespitzte Teil heißt Chuso. Also einen Stamm, der keinen Chuso hat lässt du liegen. Entweder ist er faul oder rissig, oder der Schläger spitzt ihn erst morgen zu, weil er heute nicht damit fertig wurde.«
Vicente ging mit der Laterne nach einer Richtung und Andres nach der entgegengesetzten. jeder lief kreuz und quer in seiner Richtung.
»He Nene, ich muss dir noch etwas sagen, damit du die Trozas leichter findest!« schrie Andres hinter dem Jungen her. »Achte auf die frisch geschlagenen Äste und Zweige auf dem Boden.
Wo frische Äste herumliegen, siehst du auch den Baumstrunk und gleich dabei eine oder zwei Trozas. Die Mehrzahl der Bäume geben nur gerade eine Tonne, eine Troza, aber es gibt viele, die zwei Tonnen ergeben. Wenn die Äste nicht frisch sind, dann kommen sie von Bäumen, die vor einer Woche geschlagen wurden, und diese Trozas sind bereits abgeschleppt.« »Ich werde gut nachsehen.«
4
Was die Muchachos Linternas, Laternen, nannten, hatte mit dem, was zivilisierte Menschen unter einer Laterne verstehen, nicht mehr gemeinsam, als dass die Linterna auch zum Leuchten diente. Es war eine Blechkanne, die etwa dreiviertel Liter Petroleum enthielt. Oben war eine Tülle eingesetzt und festgelötet, und in dieser Tülle steckte ein Stück wollener Lumpen. Das war die ganze Laterne. Aber für diese Art von Arbeit war sie brauchbarer als irgendeine andere. Sie war eine Art Petroleumfackel.
Eine wirkliche Laterne würde nicht eine Stunde ausgehalten haben, dann wäre alles Glas zerbrochen und das Gehäuse so verbeult und verbogen gewesen, dass man nur durch langes Raten darauf gekommen wäre, dass man es mit einer ehemaligen Laterne zu tun habe. Obgleich die Laternen offen waren, widerstanden sie den Stürmen und sogar dem Regen bis zu einem gewissen Grade. Wenn sie ausgingen, hatten die Boyeros erhebliche Mühe, sie wieder anzuzünden.
Zündhölzer hatte kein einziger der Leute. Zündhölzer waren einmal zu teuer, zum andern wurden sie nach zwei Stunden Tragens unbrauchbar. Entweder wurden sie vom Regen oder von den dicken Nebeln und dem schweren Tau nass, oder, und das war die häufigste Ursache, sie zermanschten von dem Schweiß der arbeitenden Muchachos.
Jeder Boyero hatte ein Feuerzeug, auf das sich der Mensch, der im Dschungel arbeitet oder durch den Dschungel wandert, immer verlassen kann. Zündhölzer werden untreu. Aber diese Feuerzeuge der Caobaleute, aus einem Stück Stahl, einem Feuerstein und einer Lunte bestehend, waren stets zuverlässig. Um eine ausgegangene Laterne anzuzünden, musste freilich erst mit Hilfe des Feuerzeugs ein kleines Feuerchen aus trockenem Laub und dünnen, trockenen Reisern angeblasen werden. Von dieser Flamme erhielt dann die Laterne ihre Zündung. Bei stürmischem und sehr regnerischem Wetter unterhielten die Boyeros in ihren Arbeitsbezirken ständig kleine Feuer, um die Laternen rascher wieder anzünden zu können.
Jede Laterne gab nur einige Schritte weit Licht. Darum war das Suchen der Trozas schwierig und zeitraubend. Die Boyeros und ihre Hilfsjungen, die Gananes, wie Vicente einer war, konnten bei dem Suchen nicht spazieren gehen. Sie rannten wie wildgewordene Teufel kreuz und quer durch das Gebüsch und Gestrüpp des Dschungels, um die nächste Troza zu finden. Und sie rannten nicht nur wie wildgewordene Teufel hin und her, sondern sie sahen auch wie wildgewordene Teufel aus, wenn sie sich, nur schmutzige, weiße, hochgekrempte Hosen an, den Oberkörper nackt und einen zerfetzten Palmhut auf dem pechschwarzen, langen Haar, die dunkelbraunen, halbnackten Körper von dem rauchenden, flackernden, offenen Licht gespenstisch beleuchtet, mit dem Machete in der Hand, halb gebückt durch das dornige Gestrüpp mit katzenartiger Geschwindigkeit und Gelenkigkeit kriechend ihren Weg suchten.
Wie die Hacheros, so hatten auch die Boyeres ihre tägliche, oder genauer gesagt, ihre nächtliche Pflichtleistung zu vollbringen, und erreichten sie diese Leistung nicht, so wurde ihnen der Tag nicht bezahlt, auch wenn sie vier Fünftel ihrer Arbeit getan hatten. Blieben sie mehr als zweimal in der Woche mit ihrer Arbeit zurück, so wurden sie für die Fiesta gebucht oder bei einbrechender Nacht neben den Schlägern gehenkt, die wegen zu geringer Lieferung aus ihrer Faulheit gerüttelt werden sollten.
Jedem Boyero wurde für die Nacht und den darauf folgenden Vormittag ein bestimmter Distrikt zugeteilt, der am Tage vorher von den Schlägern geholzt worden war. Es kam die Arbeit von drei bis vier Schlägern auf einen Boyero. Die Montellanos hatten es so weit geschafft, dass sie auf sechs Schläger einen
Boyero mit seinem Ganan zum Abfahren der geschlagenen Caoba zu setzen verstanden. Während der Arbeitszeit eines Boyeros musste der Bezirk, der ihm übergeben worden war, von allen fahrbereiten Trozas rein geschleppt werden. So fleißig und so tüchtig auch ein Boyero sein mochte, er allein konnte die Arbeit nicht leisten. Dafür hatte er Ochsen zur Hilfe. Indianer oder andere Menschen kann man zu bestimmter Arbeitsleistung zwingen, wie man sie auch abrichten kann, sich uniformieren zu lassen und andere Leute zu vergasen oder abzuschießen und sich selbst auf Befehl abstechen zu lassen. Mit Ochsen kann das nicht so leicht gemacht werden, darum nennt man sie auch Ochsen, von denen man nicht verlangt, etwas über Volksehre zu wissen. Und darum genügte es nicht, dass ein Boyero fleißig war wie eine junge Biene im Frühling. Wenn die Ochsen unwillig waren oder müde oder verrückt wurden durch die Schwärme der Beißfliegen, half dem Boyero weder Fleiß noch guter Wille. Die Ochsen wollten nicht arbeiten, und ohne deren Hilfe konnte der Boyero auch nicht eine einzige Troza abfahren. Da die Ochsen keinen Verstand hatten, konnten weder die Montellanos noch El Picaro oder El Gusano sie für die Kurzlieferung der Boyeros verantwortlich machen. Die Boyeros jedoch wurden verantwortlich gemacht, sie bekamen die Arbeit dieser Nacht nicht angerechnet, sie wurden auf der Fiesta gepeitscht, sie wurden gehenkt; denn sie waren Boyeros, um ihre Ochsen zu verstehen, ihre Ochsen zum Arbeiten zu bringen, ihre Ochsen so zu erziehen, dass sie begreifen lernten, dass die Welt nur ein einziges Ziel kannte, nur eine Aufgabe zu erfüllen hatte, nämlich die, die Montellanos in drei Jahren zu Millionären zu machen, damit deren Angehörige und Freunde in Spanien sagen konnten: Das sind fürwahr tüchtige Leute, die haben es zu etwas gebracht, die haben drüben in Amerika ihr Glück gemacht, und Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wie es im Reich der Caoba zuging, erfuhr ja die Welt nicht, am wenigsten hörten die davon, die im Kreis um Konferenztische aus schwerem Mahagoni saßen, das Ausgleichen von Handelsbilanzen erörterten und gleichzeitig berieten, auf welche Weise man die Ausbreitung gefährlicher kommunistischer Ideen unter den weißen und den farbigen Arbeitern erfolgreich verhindern könne.
5
Vicente ließ einen hallenden Ruf vernehmen, den er tönend durch die Nacht sandte, beide Hände wie ein Sprachrohr gegen seinen Mund pressend.
»Halt die Linterna hoch!« schrie Andres zurück. »Was sagst du?«
»Halt die Laterne hoch, damit ich sehe, wo du bist«, wiederholte Andres.
Andres rannte zu den Ochsen, die näher bei ihm waren als bei Vicente. Er trieb die Ochsen auf das Licht zu, das Vicente hochhielt. Als er an der Troza war, die Vicente gefunden hatte, sagte er »Stecke deine Nase hoch in die Luft, Nene, dass du den Geruch wegkriegst. Da, wo eine frisch geschlagene Troza liegt, da riecht es anders als in den übrigen Teilen der Selva. Riechst du es?«
»Ja, es riecht frischer und grüner. Saftiger.« »Das ist es, Nene. Wenn du erst einmal den Geruch gut geschnappt hast, ist das alles halbe Arbeit.
Und wenn dir der Wind gut entgegenkommt, gehst du auf eine frische Troza zu wie ein Hund auf ein frisch gebratenes Rippenstück. Das ist viel wert, nach der Nase zu gehen. Oft geht dir die Laterne aus, und du musst mit deiner Nase suchen, wenn du eine Troza finden willst. Immer ist nicht so gutes Wetter wie jetzt, in der Trockenzeit.«
»Trockenzeit? Aber es regnet ja beinahe jeden zweiten Tag.«
»Das ist hier anders als im offenen Land und auf den Fincas und in den Dörfern. Wie es jetzt ist, nennen wir es hier knochentrocken. Es wird eigentlich nie trocken hier. Es ist alles zu dicht in den Kronen. Keine Sonne kommt durch bis auf den Boden. Und unten alles dickes Gebüsch. Bleibt alles nass und modrig. Darum haben wir ständig die schweren, dicken Nebel in der zweiten Hälfte der Nacht und einen Tau so dick, dass du glaubst, es müsse die ganze Nacht geregnet haben. Aber wenn wir erst einmal die Regenzeit haben, Junge, dann sollst du mal etwas zu sehen bekommen. Da schwimmst du viermal am Tage und viermal in der Nacht. Aber dann arbeiten wir nicht gerade hier, dann sind wir bei den Barrancas, den Gräben, und am Flusse, wo wir abschwemmen. Dabei können dir auch leicht beide Beine oder beide Arme oder der Kopf abgequetscht werden. Das geht wie nichts, und weg ist der Kopf, wie abgekniffen. Ich sollte dir das besser nicht alles erzählen, solange du noch neu bist. Aber es ist doch vielleicht richtig, dass ich dir das alles gleich jetzt sage. Besser, wenn ich es dir sage als die andern, die noch zehnmal übertreiben, um sich an deiner Angst zu ergötzen.«
»Daneben ist gleich noch eine andere Troza, und zwanzig Schritte weiter sind noch zwei, die habe ich schon gesehen.«
»Das ist gut, sehr gut, Nene. Dann brauchen wir während der Nacht nicht weiterzusuchen. Ehe wir die vier abgeschleppt haben kommt der Morgen herauf, und wir finden die Trozas schneller, weil wir dann besser sehen können als mit den gottverfluchten Linternas, die nichts wert sind. Und nun aber voran mit der Arbeit. Ich habe dir so viel erzählt, dass wir beinahe eine halbe Stunde darüber verloren haben. Hilf mir die Ochsen zurückziehen, dass wir die Kette anhaken können.«
Die Zugkette war einem der Ochsen über den Rücken geworfen worden, damit sie nicht hinterher schleifen und sich im Gestrüpp verfangen sollte, wenn die Ochsen geführt wurden.
»Nun schlagen wir die Schlepphaken in die Troza, an jeder Seite einen. Siehst du, so. Die Haken fressen sich schon tiefer in das Holz ein, wenn die Ochsen erst einmal ordentlich angezogen haben.
Und nun ziehen wir das Ende der Kette durch die beiden Haken und knebeln sie mit der Kralle fest.«
»Du arbeitest schon lange mit den Ochsen in der Caoba, Andresito?« fragte Vicente.
»No. Nur ungefähr vier Monate. Es können auch acht sein. Man vergisst hier ganz die Zeit, und erst dann, wenn die schwere Regenzeit einsetzt, weiß man, dass wieder ein Jahr herum ist, und weil wir bis jetzt noch keine schwere Regenzeit hatten, weiß ich, dass ich noch kein volles Jahr hier bin.«
»Aber dann hast du gut gelernt.«
»Aber, Hombre, mit Ochsen verstehe ich doch umzugehen. Ist ja mein Geschäft, wie ich dir gesagt habe. Ich war doch Carretero. Mehr, Encargado, Führer einer Karawane. Mir können Ochsen nichts erzählen, ohne dass ich weiß, was mit ihnen los ist.
Ich kann mit Ochsen besser reden als mit dir, Nene; und die Ochsen reden auch mit mir besser als du.«
Vicente lachte in seiner jungenhaften Weise laut auf.
»Erzähle mir keine solch aufgeblasenen Geschichten. Wie können denn Ochsen sprechen?«
»Adelante, Moreno! No, nicht du, Rojo, Moreno, adelante!« rief Andres die Ochsen an. Dann sagte er: »Siehst du, wie nur der Braune jetzt anzieht und der Rote fest stehen bleibt?«
»Verteufelt, Andres, du bist ein gran maestro, ein großer Meister«, sagte Vicente mit Bewunderung und mit einer Stimme, die offenbarte, dass er vor Erregung beinahe die Luft verlor.
»Die Ochsen so lenken zu können, dass nur der eine anzieht und der andere stehen bleibt, ist notwendig, das wirst du schon noch sehen. Die Troza gräbt sich tief ein in den Morast, und wenn dann beide anziehen, gräbt sie sich noch tiefer ein. Man kann sie aus dem zähen Schlamm nur wieder herauszerren, wenn der eine Ochse anzieht und die Troza auf die Seite zerrt, um sie wieder in Gang zu bringen.«
»Adelante!« rief nun Andres beiden Ochsen zu, und sie zogen an. »Du gehst bei den Ochsen, Nene, mit deiner Linterna, und mit dem Treibstecken piekst du sie, damit sie rüstig laufen. Los!«
Die Schleppfahrt ging an. Rüstig kamen sie nicht vorwärts, weil Ochsen ja keine Pferde sind. Sie gingen gemächlich und bedächtig, aber gleichmäßig. Hier war der Boden fest, und der Marsch wurde wenig aufgehalten.
»Nene, warte!« rief Andres. »Beim Führen hast du Acht zu geben, dass die Troza nicht in zu dichtes Gebüsch gerät, wo wir sie mit dem Machete herauszotteln müssen. Los! Andres lief hinter der Troza her. An einem Riemen trug er den Machete in einer Lederscheide an der Seite. Auch Vicente trug einen Machete. Andres hatte in der einen Hand seine Laterne, in der andern hielt er einen kräftigen, eisernen Haken.
Mit diesem Haken arbeitete er fortgesetzt an der Troza, zerrte sie in diese Richtung und in jene, um sie gut zu führen; hob sie an, wenn sie sich in den Boden eingraben wollte, und rüttelte sie heftig, wenn sie sich in Gestrüpp festzusetzen schien.
Nach etwa dreißig Minuten war die Troza einen Kilometer weit geschleppt.
»Halt!« kommandierte Andres. Die Ochsen standen aber bereits, ehe Andres gerufen hatte. Er kommandierte das >Halt< Vicente, denn als die Ochsen standen, beeilte sich dieser, sie heftig anzutreiben, weil er glaubte, sie wollten faulenzen.
»Da siehst du, Nene, dass die Bueys mehr Verstand haben als du. Die wissen, dass wir hier nun an dem Callejon sind, an der Gasse, und dass sie hier stehenzubleiben haben. Hier haken wir ab und gehen zurück und holen die anderen Trozas, eine nach der andern, bis zu diesem Callejon. Wenn wir alle, die wir heute abschleppen müssen, hier an dieser Gasse haben, dann schleppen wir jede einzelne wieder weiter, ungefähr einen Kilometer. Würden wir jede Troza gleich durchschleppen bis zum Tumbo, dann schafften wir nur die Hälfte. Die Ochsen müssen sich erholen, sie müssen verschnaufen, und das können sie nur, wenn sie nur kurze, heftige Arbeit tun und dann wieder zurückgeführt werden, wobei sie leer gehen und im gemächlichen Laufen neue Kräfte sammeln.«
»Aber so schwer war doch die Arbeit nicht, dass sie sich schon erholen müssen«, erwiderte Vicente.
»Schreie nicht so früh, Säugling. Ich habe dir ja schon gesagt, hier ist der Boden fest, da geht es flink von der Stelle. Warte nur erst, bis wir in dem Callejon schleppen. Da wirst du etwas sehen.
Kannst dann froh sein, wenn wir nicht für jede einzelne Troza vier Tiros, zwanzig Paar Ochsen, heranholen müssen von den übrigen Burschen. Dann arbeiten wir sechsunddreißig Stunden ohne Unterlass, um die geschlagenen Trozas des einen Tages abzuschleppen. Das wird jetzt und heute nicht geschehen. Es sieht nicht nach Regen aus. Aber wir kommen zu einer Stelle, dicht vor dem Tumbo, wo wir die andern heranholen und für die Troza fünf Mancuernas, fünf Paar Ochsen, haben müssen.«
»Was ist denn das, ein Tumbo?« fragte Vicente.
»Das ist der Platz, wo die Trozas aufgehäuft werden und warten, bis die schwere Regenzeit einsetzt und sich der trockene Graben, oder der Arroyo, damit du das besser verstehst, mit Hochwasser füllt und sie dann abgeschwemmt werden können bis zum kleinen Fluss und dann zum großen Strom.«
6
Die beiden Burschen wanderten mit dem Ochsengespann zurück, um die nächste Troza zum Callejon zu schleppen.
Andres blieb plötzlich stehen, leuchtete näher hin und sagte: »Du, Nene, höre einmal, hast du denn diese Troza hier nicht gesehen? Die lag doch in deinem Wege, als wir nach Trozas suchten.«
»Natürlich habe ich die gesehen. Ich habe doch keinen Kleister in meinen Augen«, verteidigte sich der Junge.
»Scheint mir nicht so. Warum hast du sie denn nicht mitgenannt? Sie liegt ja näher beim Callejon.«
»Ich glaubte, sie zähle nicht. Sie ist ja nicht fertig. Nicht quadratisch zugehackt.«
»Das ist eine Troza, die nicht viereckig zugehackt wird, das ist ein Rollete. Und dass dieser Rollete für uns eine Troza ist, kannst du daran sehen, dass sie einen Chuso hat, dass sie zum Abschleppen zugespitzt ist.«
»Warum wird denn der Rollete nicht viereckig gehackt in seiner Länge?«
»Das ist eine lange Geschichte. Und da ich dich anzulernen habe, kann ich dir das ja gleich heute alles erzählen. Ich bin überhaupt sicher, dass ich heute nicht meinen Deber, meine Pflichtleistung, schaffe, wir beide den Tag verlieren und mir El Gusano vielleicht eine Salbung noch obendrein verabreicht. Er hat mir ja eine neue versprochen, wie du gehört hast. Weil ich zu aufsässig bin.«
»Wo bist du denn aufsässig, Andresito? Du bist der feinste Boyero, den es auf Erden gibt«, sagte Vicente überzeugt.
»Nach deiner Meinung, Nene. Schade ist es, dass deine Meinung hier nicht gilt. Hier gilt nur die Meinung des El Picaro und des El Gusano, und wenn du denen mit deinen Meinungen kommst, reißen sie dir gleich ein Dutzend über den Rücken, und du kannst froh sein, dass nicht ein paar von dem Dutzend dir über den Kopf und die Ohren rasseln. Los, ziehe die Ochsen herum und wirf mir die Kette herunter, damit ich einhaken kann.«
Die zweite Troza wurde zur Gasse geschleppt.
Als die beiden nun wieder leer zurückmarschierten, sagte Vicente: »Du wolltest mir sagen, warum ein Rollete nicht viereckig zugehackt wird, sondern nur abgerindet und rund
bleibt?«
»Richtig. Im Grunde genommen kann es uns und erst recht dir ja völlig gleichgültig sein, ob die Trozas rund bleiben oder viereckig sind. Für die Schläger freilich bedeutet ein Rollete weniger Arbeit, sie brauchen nicht lange daran herumzuhacken und können sich den nächsten Baum vornehmen. Die Montellanos sind sehr geschäftstüchtig. Um keinen Käufer zu verlieren, liefern sie sowohl zugehackte Trozas als auch Rolletes. In Amerika und in England sind die Leute so arm an Caoba, dass sie das Holz in ganz dünne Blätter sägen und dann diese dünnen Blätter auf gewöhnliches Holz, das sie in ihrem eigenen Lande haben, aufleimen und schön polieren. Das ist natürlich ein Betrug. Die Leute, die sich Mahagonimöbel kaufen, denken, dass sie wirklich durch und durch Mahagoni an ihren Möbeln haben.
Aber nur außen ist ein ganz dünnes Blättchen Mahagoni aufgeleimt, und wenn es so schön poliert ist sieht es aus, als ob alles aus Mahagoni wäre. Nun wirst du verstehen, warum manche Käufer die runden Stämme vorziehen, denn aus den runden Stämmen kann man in der Mitte dünne Blätter heraussägen, die um einige Zentimeter breiter sind als die, die aus den viereckigen gesägt werden können.«
»Dann könnte man doch aber alle Trozas rund lassen«, sagte darauf Vicente.
»Man könnte, aber man tut es nicht. Die Rolletes haben auch wieder ihre Nachteile. Die reißen leichter der Länge nach auf und werden dadurch zur Hälfte oder ganz wertlos. Die Trozas, die viereckig zugehackt sind, reißen viel seltener, und bei ihnen können auch die Käufer rascher sehen, ob nicht der Stamm vielleicht rissig ist, was bei den Rolletes schwerer, oft überhaupt nicht zu sehen ist und erst dann herauskommt, wenn der Käufer die Troza in der Säge hat.«
»Wer hat dir das alles so klar erzählt, Andres?«
»Einer der Hacheros. Er ist ein Chamula und heißt Celso. Der ist hier El Tate in unserm Camp, der ehrwürdige Vater. Er ist schon seit Jahren hier und weiß mehr als die Contratistas. Vor ihm haben beide, El Picaro und El Gusano, den Schitt in den Pantalones, solche Angst haben sie vor ihm.«
»Kriegt er denn keine Fiesta?«
»Ich glaube nicht. Der Cirilo hat mir erzählt, dass vor einem Jahr unser früherer Contratista, Don Remigio, den Celso für die Fiesta gebucht hatte, weil Celso frech gewesen war. Als Celso die Prügel weg hafte, da hat er sich glatt hingelegt und eine ganze Woche keine Hand zur Arbeit gerührt. Er ist der beste Schläger, der jemals irgendwo in einer Selva gearbeitet hat, der einzige, der, wenn er will, fünf Tonnen im Tage schaffen kann. Aber er tut es nicht. Don Remigio konnte den Celso nicht missen.
Er ließ ihn rufen, aber Celso kam nicht. Da musste der große Contratista kommen und zu Celso sprechen. Don Remigio sagte, er würde ihn schon mürbe kriegen. Da sagte Celso, ja, das könne er, aber je mürber er geprügelt werde, je weniger könne er arbeiten, und es sei ihm überhaupt nichts daran gelegen, ob man ihn totschieße oder totschlüge. Das sei ihm alles gleich. Und dann sagte er noch, dass er in Zukunft für jeden Hieb, den er bekomme, eine volle Woche nicht arbeite, und wenn er fünfzig Hiebe bekomme, dann eben ein Jahr nicht arbeite. Don Remigio sprach dann besser mit ihm, und Celso stand auf und ging an seine Arbeit. Er hat nie wieder Prügel gekriegt seitdem. Aber es ist jetzt so, dass sich weder El Picaro noch El Gusano an ihn heranwagen. Er ist gefährlich. Und Don Severo hat ihnen auch anbefohlen, den Celso ganz in Ruhe zu lassen, weil ihm seine Arbeit wichtiger sei und mehr Geld einbringe als die Arbeit der beiden Aufseher.«
»Warum läuft er denn nicht weg?« fragte Vicente.
»Das ist nicht so leicht, selbst nicht für ihn. Und nun Schluss, wir müssen uns jetzt dranhalten und das Feld rein kriegen von den Trozas. Es wird nicht lange dauern, dann kommt El Gusano angeritten, und wenn wir nicht alle Trozas im Calleion haben, gibt es die Hölle für uns beide. Ich kann es aushalten. Ob du es aushalten kannst, weiß ich nicht und glaube es nicht. Und wenn du etwas abkriegst, gibst du mir gar noch die Schuld. Das Beste, was ich hier für dich tun kann, solange du und ich zusammen arbeiten, ist, mit allen Kräften zu verhindern, dass El Gusano uns beide buchen kann; denn du fährst dabei am schlechtesten, du kleines Würmchen. Also, lass uns jetzt gründlich in die Speichen greifen.«
7
Die Sonne ging auf, als alle Trozas in der Gasse lagen, um von dort weitergeschleppt zu werden.
»Nun werden wir frühstücken«, sagte Andres.
In der Nacht hatten, sie Mais mitgebracht in einem Sack, der einem der beiden Ochsen aufgeladen worden war und dann, als sie auf dem Arbeitsplatz ankamen, an einen Baum gehängt wurde, um zu verhüten, dass der Mais von Wildschweinen weggeholt werden konnte.
»Streue den Ochsen den Mais vor«. sagte Andres. »Achte darauf, dass er auf flachem Boden liegt.« »Soll ich abjochen?« fragte Vicente. »Nein. Es macht zu viel Arbeit, wieder aufzujochen.«
Jeder der beiden Burschen hatte in einem Basttäschchen, seinem Morral, das bescheidene Frühstück hierher mitgebracht und die Tasche neben den Mais an denselben Baum gehängt.
In wenigen Augenblicken hatte Andres ein Feuerchen brennen. Vicente lief zu einem modrigen Bächlein und füllte die blechernen Kaffeekännchen und gleichzeitig die Kürbisflaschen, die während der Nacht ausgetrunken worden waren, mit Wasser. Sie schütteten den gemahlenen Kaffee und ein Stück braunen Rohzucker in die Kännchen und stellten sie an das Feuer. Sie hatten gekochte schwarze Bohnen, eingewickelt in große grüne Blätter, in trockenen Maisblättern etwas Salz und dazu ein Dutzend großer Tortillas mitgebracht. Die Tortillas legten sie in heiße Asche, die aus dem Feuer gezogen wurde, und die Bohnen kamen in ein irdenes Schüsselchen und wurden in das Feuer gesetzt, um sie zu wärmen. Dann schnitten sie grüne Pfefferschoten in kleine Stückchen und mischten sie mit den Bohnen. Jeder hatte ein Bündelchen grüner Kräuter verschiedener Sorten, die der Dschungel lieferte.
Als die Bohnen heiß waren, wurden sie in Stücke heißer Tortilla gewickelt und so eingedreht in den Mund geschoben. Das Salz nahmen sie zwischen die Finger und schoben es nach einigen Bissen nach.
Die grünen Kräuterchen wurden dann hinterher geschoben. Inzwischen war der Kaffee gekocht, und sie tranken ihn aus einer Fruchtschale, die ihnen als Becher diente und gleichfalls als Schüsselchen, in dem während kurzer Arbeitspausen der Posol geknetet wurde.
Während sie ihren Kaffee tranken, nahmen sie rohe Tabakblätter hervor und drehten sich Zigarren.
Vicente, obgleich noch ein Junge, verstand es gut, sich eine Zigarre zu drehen, und er rauchte sie mit dem gleichen Wohlbehagen, wie es Andres tat.
Ihre Zigarren waren kaum zur Hälfte geraucht, als El Gusano angeritten kam. Er blieb auf dem Pferd sitzen, und ohne »Buenos dias! Guten Morgen!« zu sagen, rief er gleich: »Alle Trozas gefunden und im Callejon?«
»Si, todas, alle 'raus!« antwortete Andres, beim Feuer sitzen bleibend und gemächlich weiterrauchend.
»Vorangemacht und arrastrando al tumbo, abgeschleppt zum Schwemmgraben. Und nicht so lange hier faul gesessen und Zigarren geraucht. Zum Rauchen habt ihr am Abend Zeit.« El Gusano überblickte die Gasse.
»Erst müssen die Ochsen ihren Mais haben«, verteidigte sich Andres.
»Das sehe ich selbst, brauche dich nicht, mir das zu sagen«, grunzte El Gusano, mehr um Andres nicht recht geben zu wollen, als um zu bestätigen, dass die beiden Burschen in diesem Augenblick nichts tun konnten und darum ebenso gut friedlich rauchen mochten, bis die Ochsen ihren Mais gekaut hatten.
»Wie ist denn die Bajada, der Teil der Gasse, der abwärts zum
Graben führt? Mucho ledo, viel Sumpf und Morast?« fragte El Gusano.
»Gestern sind wir bis an die Hüften eingesunken, und es wird heute nicht besser sein«, sagte Andres.
»Wie viel Tiros wirst du denn brauchen für die Subida und die Bajada, für den Hügel vor dem Abschwemmgraben?«
»Vielleicht schaffe ich es mit zwei Tiros, zehn Gespann Ochsen. Letzte Woche hatten wir an vier Tagen zwanzig Paar Ochsen nötig, da saßen wir bis unter den Armen im Morast mit unseren Trozas«, erklärte Andres.
»Weiß ich. Gut, ich schicke dir zwei Tiros, zehn Paar. Cirilo und Fidel werden sie dort haben gegen neun Uhr. Mit deiner Mancuerna macht das elf Gespann, die ihr dann habt. Und nun nicht so lange hier gesessen und geraucht. Morgen gehst du auf die andere Seite des Arroyo, da wird bereits seit drei Tagen geschlagen, und die haben gute Vorräte gemacht, die abgeschleppt werden müssen.«
El Gusano gab seinem Pferd einen Hieb und trabte ab, um andere Boyeros zu inspizieren. »Wie weit haben wir zu schleppen von hier bis zum Tumbo?« fragte Vicente, als die beiden wieder allein waren.
»Ungefähr zwei Leguas, etwa acht Kilometer.«
»Und jede Troza muss zwei Leguas weit geschleppt werden?«
»Die Trozas, die wir hier heute bei der Gasse aufgeschichtet haben, müssen alle zwei Leguas weit geschleppt werden«, sagte Andres. »Das ist gar nichts; vor zwei Monaten hatten wir beinahe fünf volle Leguas von der Schlagstelle bis zum Tumbo. Auf einem solch langen Wege trifft man häufig ein Dutzend Gräben, Arroyos, an. Aber das sind dann alles solche Arroyos, die nicht zu dem Hauptstrom führen, die sich nach einigen Meilen verlaufen oder die zu einem der Seen führen, und die Seen haben keine direkte Verbindung mit dem Strom. Einige der Gräben wieder gehen zum Strom, aber sie erweitern sich an gewissen Stellen, gehen über weites Steingeröll, und dort sacken die Trozas so sehr, dass sie nicht genug Wasser haben, um abzuschwimmen. Kannst es glauben, und Celso hat es mir gesagt, so leicht ist das nicht, eine Monteria zu entdecken und zu gründen. Es ist genug Holz da zum Schlagen. Aber wenn keine Gräben da sind oder die Gräben gegen den Weg laufen, der nötig ist, um zum Strom schwemmen zu können, dann ist die Monteria so gut wie nichts wert, wenn sie auch noch so schöne Caoba haben sollte. Wenn jede Troza erst einmal fünf Leguas, also mehr als zwanzig Kilometer oder gar noch weiter geschleppt werden muss, dann lohnt es sich nicht. Da schleppst du vielleicht drei oder vier Tage an jeder Troza und vielleicht gar noch mit zwanzig Gespannen. Die Contratistas haben nicht so leichte Arbeit, wie du dir das denkst. Die suchen oft eine Woche lang und zwei und drei Wochen lang nach Arroyos, die auch bestimmt zum Strom führen, wenn sie Hochwasser haben. Die Contratistas müssen dann mit ein paar Muchachos mit Machetes den ganzen Graben abschreiten, um sicher zu sein, wohin er führt. Die Gräben sind oft fünfzig, vielleicht hundert Kilometer lang, ehe sie in den Fluss münden. Und da laufen die Leute dann drei oder vier Tage durch den Dschungel, immer am Graben entlang, um dann nach all der Mühe festzustellen, dass der Graben nicht zum Abschwemmen gebraucht werden kann. Die Gräben müssen auch rein gehackt werden von Bäumen und Gestrüpp, damit die Trozas nicht aufgehalten werden beim Schwemmen. Dafür haben wir die Macheteros. Darum sind die Monterias so teuer, und nur Leute mit sehr viel Geld können sie kaufen, weil eine gute Monteria breite und tiefe Abschwemmgräben hat und alle Gräben erforscht und aufnotiert sind, ob sie auch gebraucht werden können. Allein diese Arbeit, alle die Gräben zu erforschen und zu notieren, kostet Monate an Arbeit, und das ist Arbeit, die gemacht werden muss, obgleich sie auch nicht eine Troza Caoba heranschafft.«
»Andreucho, du bist der klügste Muchacho, den ich je in
meinem Leben angetroffen habe«, sagte Vicente bewundernd. »Ich bin sehr froh, dass ich dein Ganan werden durfte.«
»Bin nicht so klug, wie du denkst. Ich mache nur die Augen auf und halte die Ohren offen, wenn andere Leute, die mehr wissen als ich, besonders die Contratistas und die Angestellten, miteinander sprechen. Du musst erst gut Spanisch studieren, dann lernst du besser verstehen, was andere sagen.
Dein indianisches Idioma hilft dir nicht viel im Leben, Nene. Und nun lass uns die Trozas den Callejon entlangschleppen. Hole die Bueys heran und koppele die Kette an das Joch.«
Andres warf den Rest seiner Zigarre ins Feuer, trat das Feuer aus und hing dann die Täschchen, in denen sie ihr Essen verwahrten, wieder an den Baum. |
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