DRITTES KAPITEL
1
Gutes Essen vermag ein ödes Dasein mit heiteren Momenten zu verschönern, wie auch eine gute Köchin eine verfehlte Ehe erträglich gestalten kann. Hier in der Monteria La Armonia jedoch trug selbst das Essen noch dazu bei, das Leben zu verdüstern und den Aufenthalt und das Arbeiten einer Strafe gleichzustellen.
Zwei Chinesen hatten die Verpflegung der Angestellten in den Oficinas im Kontrakt übernommen.
Jeder Angestellte zahlte einen Peso fünfzig Centavos täglich für drei Essen, die ihm von den Chinks zu liefern waren.
Niemand erwartet von den chinesischen Köchen in den Oil-Camps, in den Regionen der Minen, in den Kaffee-, Zucker-, Bananen-, Henequen-, Kakaopflanzungen, in den Chicle-Camps und wo es sonst sein mag, dass sie ähnliche Fähigkeiten im Bereiten menschlicher Nahrung zeigen sollen wie etwa die Köche großer französischer Restaurants. Wenn man auf diese chinesischen Campköche angewiesen ist und in mehreren Camps gearbeitet hat und reichlich Erfahrung sammeln konnte, so kommt man rasch zu der Überzeugung, dass die chinesischen Köche zweifellos alle in derselben Küche ihre Lehrzeit durchgemacht haben müssen. In allen Camps, auch wenn sie zweitausend Meilen voneinander getrennt liegen, gibt es stets dasselbe Essen, in derselben Form, in derselben Reihenfolge, mit demselben Geschmack, ja selbst mit dem gleichen Mangel an Salz oder Pfeffer in denselben Gerichten. Das Brot. das diese Köche backen, hat in jedem Camp, gleich wo es sich befindet, den ganz genau gleichen öligen Geschmack. Dieser ölige Geschmack rührt von einem Öl oder Fett her, das in den Teig gebracht wird, um das Brot unter der tropischen Glut ein wenig länger widerstandsfähig, weich und genießbar zu halten.
Das Essen ist immer reichlich genug. Soviel muss gesagt werden. Für den Preis, den der Chink für die zu liefernden Mahlzeiten erhält, kann er keinen Kaviar auf den Tisch stellen, auch keine Vorspeisen geben, bestehend aus echter Salami, Trüffeln und Leberpasteten. Selbst dort, wo ihm drei oder gar fünf Pesos für drei Mahlzeiten bezahlt werden, kann er nur das übliche Essen auf den Tisch stellen, weil die Preise, die er für die Materialien zu zahlen hat, so ungemein hoch sind, dass sein Verdienst um nur wenig höher ist als da, wo er die Mahlzeiten für einen Peso fünfzig Centavos täglich herstellen muss. Wohlhabend werden diese chinesischen Köche nur durch ihren Fleiß, ihre Ausdauer und durch eine so geschickt ausgeklügelte Ökonomie in ihrem Geschäft, dass die bekannte Speisung von fünftausend Mann mit fünf Broten und zwei Fischen durchaus nicht als ein Wunder angesehen werden kann.
Wie in allen anderen Camps, so war es auch hier: Die beiden Chinesen beschränkten ihren Einkauf von Waren auf das mindeste. Was immer sie nur selbst erzeugen konnten, das erarbeiteten sie in der Zeit, die ihnen zwischen dem Kochen blieb. Alle Gemüse bauten sie hier selbst auf einem kleinen Stückchen Feld, dessen Bewässerung allein ein Drittel ihrer ganzen Arbeit ausmachte. Sie hielten Hühner, Schweine und Ziegen. Alles hatten sie persönlich und mit unglaubliche r Mühe durch den Dschungel gebracht, ohne auch nur ein Huhn oder ein Zicklein zu verlieren. Während der Nächte konnten sie sich nicht friedlich ihrem verdienten Schlafe hingeben, sondern sie mussten ständig ihre Hühner und Zicklein bewachen, damit sie ihnen nicht von dem Gesindel, das im Camp lebte, gestohlen wurden.
Zu jeder Mahlzeit gab es Biskuits, frische heiße Sodaküchelchen von der Art, wie sie auf keinem Tisch in Amerika fehlen. Mittags und abends gab es stets Pie, warmen
Kuchen, gefüllt mit Ananas oder Bananen oder Apfelmus oder Pflaumen. Wo die Chinks diese Sachen herbekamen, war selbst den Angestellten ein Rätsel. Unter den besonderen Umständen war die Herstellung der meisten schönen Sachen überhaupt nur möglich mit Hilfe von Konserven in Büchsen. Aber sie waren da. Und geschah es, dass sie nicht da waren, dann gab es einen mörderischen Skandal im Comedor. Dann wurde dem Koch von den erbosten Essern vorgeworfen, dass er sie um ihr vollwertiges Essen betrüge, dass er aus ihrem Hunger und Elend sich zum Millionär machen wolle. Und sie drohten, wenn er morgen nicht ein richtiges menschliches Essen auf dem Tisch habe, beide Köche an einen langen Strick zu binden und im Fluss so lange zu tauchen, bis sie grün wären.
Zum Frühstück gab es für die Caballeros, das waren die Angestellten und die Contratistas, irgendeine Frucht, meist Papaya, die hier von den Chinesen angebaut wurde. War Papaya nicht zu haben, dann gab es vielleicht das Herz einer jungen Palme, von indianischen Jungen im Dschungel gesucht. Oder es gab Haferflocken. Oder Shredded-Weizen. Oder irgendeine andere der vielen amerikanischen Körnerfrüchte, die auf einem amerikanischen Frühstückstisch zu finden sind und die tüchtige amerikanische Fabrikanten in Büchsen und Pappschachteln über ganz Nord- und Südamerika verschiffen und so gut eingeführt haben, dass man einige dieser Weizen- oder Haferprodukte bestimmt selbst im Laden des kleinsten Indianerdorfes am Rande des Dschungels finden kann.
Als nächster Gang folgten ein paar Eier, je nach Wunsch des Essers entweder gebraten oder gesotten oder verrührt oder als Omelette. Jedem Wunsch wurde Rechnung getragen. Darauf folgte Reis mit geschmorten Würfeln von Trockenfleisch. Und dann Kaffee, gesüßt mit rohem Zucker und gefettet mit Büchsenmilch.
Zahlreiche der genannten Konserven, wie auch Kaffee und zuweilen selbst Tee, wurden in der Tienda geführt und konnten dort gekauft werden. Aber nur wenn die Köche sehr in Verlegenheit waren und die Dinge durchaus haben mussten, kauften sie etwas in der Tienda. Sie ließen sich alles, was sie für ihre Küche benötigten, von den Händlern mitbringen, mit denen sie vorher bestimmte Preise vereinbarten.
Wer es wünschte, konnte zum Frühstück auch noch Frijoles, schwarze Bohnen, haben. Frijoles gab es zu jeder Mahlzeit. Sie bildeten den Grundstock eines jeden Essens wie überall in Lateinamerika und wie im größten Teil der Vereinigten Staaten. In den Staaten unterscheidet sich dieses Gericht vom gleichen in Spanisch-Amerika nur darin, dass es neben den schwarzen Bohnen ebenso oft auch braune oder weiße gibt.
Nach dem Frühstück arbeiteten die Angestellten, oder sie gaben vor, irgend etwas zu tun, was sie Arbeit nannten. Zuweilen gingen sie fischen zum Fluss hinunter oder jagen in den Dschungel. Die Beute wurde an die Chinesen verkauft oder an andere Bewohner der Monteriastadt.
Manchmal aber mussten die Angestellten doch härter arbeiten. Das war, wenn sie vom Verwalter den Auftrag erhielten, zu den fernen Semaneos zu reiten, um zu inspizieren und die vorhandenen Mengen des geschlagenen Holzes zu buchen. Die Semaneos, die Distrikte in den Tiefen des Dschungels, wo das Mahagoniholz geschlagen wurde, lagen zuweilen einen vollen Tagesritt von den Oficinas entfernt.
Der nächste Semaneo war von dem ersten wieder einen halben oder viertel Tag entfernt. So konnte es leicht geschehen, dass der Verwalter oder einer der Angestellten, wenn er die Semaneos aufsuchen ging, eine Woche oder noch länger unterwegs war. Für den Verwalter oder die Angestellten waren diese Inspektionsritte, obgleich sie eine gewisse Erholung von der öden Gleichförmigkeit des Lebens in den Oficinas bedeuteten, eine Marter.
2
Der Dschungel war überall gleich in seinem Aussehen, ohne irgendwelche Abwechslung für das Auge oder das Gemüt. In dem dichten, feuchten Dschungelgestrüpp war die Hitze drückender und ermüdender als in den Oficinas. Die dunkelgrüne Dämmerung, die sich nie lichtete, lastete auf Gemüt und Seele und erzeugte die melancholische Stimmung, dass alles auf Erden sinnlos sei. Selbst die großen Affen, die hoch in den Wipfeln der Bäume von Ast zu Ast sprangen und dem Reiter halbe Stunden lang mit Geschrei folgten und abgebrochene morsche Zweige nach ihm warfen, verloren ihrer Häufigkeit wegen nach einem halben Tag für den Reisenden jegliches Interesse.
Mit dem indianischen Burschen, der ihn begleitete, konnte der Reiter so gut wie nichts reden, weil der Bursche nur indianisch sprach und der Reiter nur spanisch und gewöhnlich nur die notwendigsten indianischen Ausdrücke und Bezeichnungen kannte. Nicht selten kamen der Verwalter oder die Angestellten von diesen Ritten heim, für immer in ihrer Gesundheit gebrochen, den Körper gefüllt mit unausrottbarem Fieber und das Gemüt angefault von chronischer Arbeitsunlust und allgemeiner Trägheit des Denkens und Strebens.
Zurückgekommen von einem solchen Ritt, empfand der Empleado, der Angestellte, eine Woche lang die Mahlzeiten des Chink als wirkliche Göttergaben, und die Ananastorten, die er, wie er vier Wochen vorher behauptet hatte, nicht riechen konnte, ohne von Ekel überwältigt zu werden, betrachtete er nun als das Köstlichste, was chinesische oder irgendeine andere menschliche Kochkunst zu erzeugen vermag.
Es mag mit Recht angenommen werden, dass diese Ritte wesentlich dazu beitrugen, die Caballeros an diese ewig sich gleich bleibenden Mahlzeiten so sehr zu gewöhnen, dass sie wahrscheinlich den Appetit verloren haben würden, hätten die Mahlzeiten einmal eine geringe Änderung erfahren. Das war freilich nie zu befürchten, weil der Chinese nur in einem ernsten Anfall von Geistesgestörtheit fähig gewesen wäre, die zehn Kochrezepte, nach denen er zu arbeiten verstand, um eines oder zwei zu vermehren.
3
Die Mittagsmahlzeit bestand aus einer Suppe als erstem Gang. Die Suppe war in ihrem Grundelement immer die gleiche Brühe, zuweilen aus Trockenfleisch herausgekocht oder aus einem Wildschwein oder einem wilden Truthahn oder aus einem geopferten Hahn, manchmal jedoch aus frischem Schweine- oder Ziegenfleisch. Aber ganz gleich, aus welcher Sorte von Fleisch die Brühe gekocht war, sie schmeckte immer gleich unbestimmt und wässerig, so dass es selbst für einen Kenner ungemein schwierig gewesen wäre, mit Sicherheit zu sagen, welch ein Tier oder welch ein Vogel den Grundbestand der Brühe geliefert hatte.
Um jedoch diese Gleichförmigkeit nicht gar zu sehr in Erscheinung treten zu lassen, fand ein häufiger Wechsel im festen Bestandteil der Suppe statt. Dieser feste Bestandteil wurde gebildet je nach dem Wochentage aus Reis, braunen Bohnen, Tomaten, Nudeln oder Garbanzos, großen Erbsen, die nie weich werden wollen. Die Chinesen zauberten auch grüne Gemüsesuppen hervor, über deren Herkunft allerlei Gerüchte im Camp umgingen. Als zweiter Gang wurden ein paar Eier aufgetischt. Jeder einzelne Esser wurde beim Auftragen der Suppe gefragt, wie er die Eier wünsche. Nach den Eiern kam ein Beefsteak aus Trockenfleisch auf den Tisch. Dieses Beefsteak war so zäh, dass es in ganz kleine Würfelchen geschnitten werden musste, die nach einem kurzen Versuch fruchtlosen Kauens einfach heruntergeschluckt wurden, um sie wenigstens im Magen zu haben und sich dadurch das Gefühl zu sichern, dass man ein Beefsteak gegessen habe. Manchmal gab es freilich anstelle des Beefsteaks frisches Wild, einen Hahn, einen wilden Truthahn oder ein Zicklein.
Sowenig die Esser zuweilen über die Herkunft der grünen Gemüsesuppen wussten, sowenig wussten sie in beinahe allen
Fällen über die Herkunft des Trockenfleisches und des frischen Fleisches. Die Zähigkeit des Trockenfleisches ließ leicht darauf schließen, dass es sich um das Fleisch alter, ermüdeter Mules und Esel handeln mochte, die von selbst ins Reich der Ewigkeit abgetrabt waren und noch rasch genug gefunden wurden, ehe sie zu kalt waren, um als gesundes Fleisch gebraucht zu werden. Dann kamen auch solche Tiere in Frage, die gefallen waren und eine Minute, bevor sie starben, abgestochen wurden. Und endlich waren da noch solche Mules und Pferde, die vielleicht ein Tiger angefallen hatte und die sich genügend hatten wehren können, um noch in die Nähe des Lagers zu kommen und hier den Gnadenstoß zu erhalten.
Bei altem, gut gesalzenem Trockenfleisch ist es schwer zu sagen, von welcher Sorte Tier es stammt.
Wenn den Essern der Geschmack verdächtig erschien, riefen sie gewöhnlich den Chinesen herbei:
»Mira, Chinito, was ist denn das für eine traurige Sorte von Fleisch heute? Du hast doch nicht etwa eine alte Mula abgemurkst?« Darauf hielt der Chinese im eiligen Lauf des Bedienens inne, klappte beide Hände über der Brust zusammen, lächelte das schöne Lächeln eines zufriedenen und fetten Buddha und sagte: »Caballelos, o meine Hellen, kennen Sie denn dieses volzügliche Fleisch nicht?
Welch eine Sünde gegenübel den Weisheiten Confutses! Das ist das Fleisch eines voltlefflichen, guten kläftigen Dschungelebels. Eine Gabe des Himmels in diesem so tlauligen Landstlich. Eine gute Schnitte vom Keulenstück mehl, Caballelos?«
Dazu gab es frisches Weißbrot und heiße Sodagebäcke. Ferner Tomaten als Salat. Auch Reis mit Chile. Bei seltenen Gelegenheiten ein Tellerchen mit geizig aufgelegten Kartoffelstückchen oder gerösteten Kartoffelscheiben.
Darauf folgten die unvermeidlichen schwarzen Bohnen, entweder ganz oder zerrieben und als Brei aufgewärmt, der genannt wurde: Frijoles Refritos. Was immer auch an der gesunden Auffüllung des Magens bis jetzt gefehlt hatte, wurde mit Hilfe der Frijoles nachgeholt. Sie waren der Kern dieses Mahles wie eines jeden anderen am Tage.
Das Wasser, das in Tonflaschen auf dem Tisch stand, war das schlichte Wasser, das aus dem Fluss geschöpft wurde. Manchmal war es gelblich, manchmal rötlich, und manchmal war es grünlich. Es wurde so getrunken, wie es aus dem Flusse kam. Hätte jemand angeregt, dieses Wasser abzukochen oder irgendwie zu filtrieren, so würde man zweifellos angenommen haben, dass einige Nieten in seinem aufgestülpten Kegel lose seien. Das Glas Aguardiente, das nach dem Kaffee schnell hinterher gespült wurde, sorgte schon für die Abkochung und Filtrierung des geschluckten Wassers.
Und wenn dieses alte Campmittel versagen sollte, so war ja einen Kilometer vom Camp entfernt genügend Platz, wo man den Wassertrinker, bei dem diese Art von Filtrierung versagt hatte, eingraben konnte. Nur sich nicht über solche Kleinigkeiten aufregen, da es letzten Endes ja doch immer auf das gleiche herauskommt.
Nach den Frijoles folgte die Ananastorte oder Bananentorte oder eine Torte gefüllt mit einer Marmelade, deren Herkunft für die Esser ebenso dunkel blieb wie die Herkunft der grünen Gemüsesuppen und gewisser Gerichte vom Trockenfleisch der Dschungeleber. Das Stück Torte wurde hinuntergeweicht mit einem Glas kaltem Tee oder heißem Kaffee. Der Tee wurde vom Chinito angeboten mit: »Té helado, Caballelo?« Das sollte bedeuten: Eis-Tee. Da es aber hier kein Eis gab, so war der gereichte Tee lauwarm. Mit einer halben Zitrone und reichlich Zucker bekam er Geschmack.
Der kluge Mann zog heißen Kaffee vor, mit einem guten Schuss amerikanischer Büchsenmilch und zwei oder drei mächtigen Stücken Rohzucker.
War auch das beendet dann grunzten die Esser, reckten sich, schnauften, gähnten, steckten sich eine Zigarette an, schoben sich hinaus in den Schatten des überhängenden Daches ihrer Bungalows und ließen sich hier in ihre Hängematten fallen.
4
Diesmal hatten sie wenigstens eine Entschuldigung für ihr Nichtarbeiten; denn welcher Idiot wird denn so verblödet sein, dass er in dieser Mittagsglut sich über Rechnungsbücher setzt. Die Bücher werden ja durch und durch zerweicht von den Bächen des Schweißes, die einem von der Stirn herunterströmen.
Nach einem friedlichen Schlaf von drei oder vier Stunden richteten sich die geplagten Angestellten aus ihren schaukelnden Hängematten auf und gurgelten erst einmal eine gute Viertelflasche Aguardiente hinunter mit dem Bemerken, sie müssten sich den Schlaf aus dem Magen waschen und gleichzeitig das verschluckte Wasser desinfizieren.
Nun wanderten sie ein wenig im Camp umher, lediglich, um festzustellen, ob noch andere Frauen wohlbehalten seien, an deren Vorhandensein man der langen Abende wegen interessiert war. Beruhigt schlenderten sie wieder zurück zu den Hauptgebäuden und begannen sich nun ernstlich vor die Bücher zu setzen. Nachdem jeder sein Buch aufgeschlagen hatte, stöhnte er eine Weile, dann zündete er sich eine Zigarette an und schabte an dem Tintenstift herum, den zu gebrauchen er sich nun endlich vorgenommen hatte. War der Tintenstift zum Arbeiten bereit, dann erinnerte sich der Angestellte daran, dass für eine geregelte Verdauung noch andere Dinge notwendig seien als nur das Desinfizieren des Magens. Er suchte sich eine alte Zeitung und marschierte hinüber zu den kleinen Häuschen, wo er beschloss, die Zeitung in Ruhe und mit Andacht zu lesen, um über die politischen Vorgänge unterrichtet zu sein, die sich vor vier Monaten auf Erden abgespielt hatten. Denn das war die neueste Zeitung, die er besaß. Und weil anderes schon vier Monate zurücklag, regte sich der Leser nicht auf dabei, und seine gesunde Verdauung wurde nicht gestört.
Bei dieser notwendigen und interessanten Tätigkeit verbrachte jeder einzelne eine Stunde. War die Zeitung aber angefüllt mit einem langen Mordbericht oder einem gutgespielten Ehedrama, so wurden der Verdauung auch zwei Stunden in Andacht gewidmet. Man muss seinen Körper ehren und achten, solange man ihn besitzt; denn ist er einst dahingegangen, hat es doch keinen Wert mehr, sich um die Verdauung zu sorgen.
Das Häuschen verlassend, bemerkte der Empleado, dass es inzwischen leicht zu dunkeln begann, so dass es wohl bald sechs Uhr sein musste. Bis sechs Uhr war er verpflichtet zu arbeiten. Das stand in seinem Kontrakt.
Er eilte nun hinüber zu den Büros, wo der eine oder andere seiner Kollegen bereits versucht zu haben schien, etwas zu arbeiten, und nur darauf gewartet hatte, dass ein Häuschen frei werde, um über die Politik innerhalb und außerhalb des Landes auf dem laufenden bleiben zu können.
Der zurückgekehrte Mann wurde nun sehr fleißig. Er schrieb wie wild geworden in seinem Buche herum. Fegte Zettel und Listen auf seinem Tische hier hin und da hin und warf alle Papiere durcheinander, so dass, sollte in diesem Augenblick der Administrador hereinkommen, er mit Zufriedenheit den Fleiß und die Ausdauer seiner Untergebenen wahrnehmen könne.
Der Administrador war selten früher zu erwarten. Er hatte sein eigenes Büro, getrennt von den übrigen. Ob er aber in seinem Büro unter Anstrengung aller seiner Geistesgaben arbeitete oder sich mit dieser oder jener oder seinen beiden Freudenbringerinnen unter Aufbietung aller physischen Gaben beschäftigte, dies zu untersuchen gehörte nicht zu den kontraktlichen Aufgaben seiner Untergebenen. Dafür war er der Administrador hier, dass er das Recht hatte, selbst zu entscheiden, welche seiner Verpflichtungen zu dieser oder jener Stunde am dringendsten zu erfüllen war.
Und es trug sich, wie merkwürdig das auch einem
Unschuldigen erscheinen mag, immer so zu, dass im selben Augenblick, in dem der Administrador in die Büros kam und alle seine Leute so wahnsinnig in den Rechnungsbüchern schreibend fand, dass ihnen der dicke Schweiß aus ihren roten, heißen Stirnen quoll und er hinsichtlich solcher Disziplin und solchen Arbeitseifers befriedigt sein konnte, die Handglocke geschwenkt wurde, mit deren frohlockenden Klängen der Chink die Caballeros zum Abendessen rief. |
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