ZEHNTES KAPITEL
1
Andres rief sich Vicente heran.
Vicente war ein kleiner, magerer Indianerbursche, kaum zehn Jahre alt. Seine Mutter hatte dreißig Pesos Schulden machen müssen, als sein Vater von einem störrischen Mule geschlagen worden war und daran starb. Sie wollte ihren Mann, von dem sie acht Kinder hatte, nicht wie einen Hund begraben lassen. Sie kaufte einen schlichten Sarg und lud den Cura ein, damit er dem Vater ihrer Kinder auf christliche Weise unter die Erde helfen solle. Der Pfarrer konnte das nicht umsonst tun, denn da ihm Gott wohl Intelligenz gegeben hatte, jedoch auch einen gesunden Magen, der täglich gefüllt werden musste, um die Intelligenz nicht einrosten zu lassen, und der Körper bekleidet werden musste, um nicht Ärgernis zu erregen, so blieb dem Cura nichts anderes übrig, als sich den Segen Gottes, den er austeilte, in klingender Münze bezahlen zu lassen. Das an sich ist keine Sünde, und es ist ein ebenso anständiges Geschäft wie Wagendeichseln hacken oder Hufeisen schmieden. Die Sünde rutscht erst dadurch in dieses heilige Unternehmen, dass die Curas den Leuten einreden, die Leichname müssten unbedingt auf christliche Art unter die Erde gebuddelt werden; und christliche Art heißt natürlich mit Hilfe eines Curas, mit Glockenbimmeln und Wasserumherspritzen, und wenn die Leichname ohne besondere Einsegnung, die nur ein gesalbter Cura vollziehen kann, eingegraben werden, so geht es den armen Seelen schlecht, dann werden sie geschmort und können nur wehklagen und zähneklappern, anstatt fromme Lieder singen und Harfe spielen.
So werden die Leute, ob arm oder reich, davon überzeugt, dass der Segen Gottes vonnöten ist und sie sich bemühen müssen, diesen. Segen für sich oder für die Seelen der Abgeschiedenen zu erwerben oder, sei es gleich deutlich gesagt, zu kaufen.
Der Cura besaß eine Preisliste für die verschiedenen Arten und Grade der Segen, die er in seinem Laden verkaufte. Ein stilles Gebet in der Kirche, das er so still verrichtete, dass niemand es hörte, kostete einen Peso fünfundzwanzig. Wenn er es laut betete, so dass man sein Gemurmel hörte, ohne verstehen zu können, was er sagte, dann kostete das zwei Pesos fünfzig. Wenn dabei eine bestimmte Anzahl Kerzen brennen sollten, um das Gebet feierlicher zu gestalten, dann kostete es fünf Pesos. Mit Gesang der Chorknaben neun Pesos. Mit Glockenläuten zwölf Pesos fünfzig. Der Preis ging hinauf bis zweihundertfünfzig Pesos, wofür alles geliefert wurde, was auf Lager war, besondere Messe, volle Illumination der Kirche, Musik und Gesang am Grabe und noch so allerlei kleine Bimmelchen und Bämmelchen, Sprüchlein und Liedlein, Räucherungen und Spritzerchen, lateinische Litaneien und Kniebeugen. Dieser Luxus war freilich nur für die reichen Finqueros, die großen Domänenbesitzer, die Generale, die reichgewordenen Diputados und Jefes Politicos, die Contratistas und die Werbeagenten der Monterias. Die Mutter des Vicente, die Frau eines armen indianischen Peons, konnte, obgleich sie ihrem verstorbenen Mann alle nur denkbaren Ehren zu erweisen gedachte, nicht mehr für ihn tun, als dreißig Pesos auszugeben, alles eingeschlossen, Sarg, Begräbnis, Totengräber, Segen Gottes, Aguardiente für die leidtragenden Männer, Kaffee und Anis und einige sehr billige Küchelchen für die Frauen.
Freilich, diese dreißig Pesos besaß die Frau nicht. Alles, was sie im Hause hatte, waren vierunddreißig Centavos.
So ging sie zum Finquero, dem Herrn der Domäne, auf der ihr Mann gearbeitet und während seiner Arbeit und infolge seiner Arbeit zu Tode gekommen war.
Nach vielen Tränen und Bitten wurde der Finquero vom
Schicksal der Frau, die mit acht Kindern nun dasaß, so gerührt, dass er sich bereit fühlte, der Frau die dreißig Pesos zu borgen.
»Das weißt du doch aber, Chabela«, sagte der Finquero geschäftsmäßig, »dass ich nichts verschenken kann. Am wenigsten dreißig Pesos.«
»Das weiß ich wohl, Patroncito. Niemand kann etwas verschenken auf Erden.«
»Richtig, Chabela, und gut, dass du das einsiehst. Elpidio, dein Mann, Gott segne seine arme Seele, hat zweiundneunzig Pesos und fünfundsechzig Centavos Schulden bei mir zurückgelassen für Waren aus der Tienda, die er nicht bezahlt hat und die ich ihm auf sein Konto schreiben musste.«
»Das weiß ich, Patroncito.«
»Wie viel Kinder hast du, Chabela?«
»Acht, Patroncito. Fünf Varones und drei Hembras.«
»Das ist sehr gut für dich, dass du fünf Jungens hast, die Mädchen sind nicht viel wert.«
»Gewiss nicht, Patroncito. Und ich habe die Santisima so oft gebeten und ihr Kerzen angezündet, damit sie mir nur Machos geben sollte und keine Hembras. Aber die Madre Santisima, wohl weil sie selbst eine Muchacha, wenn auch eine heilige, ist, hat mir nun drei Muchachas gegeben.«
»Ja, dafür können wir nichts, Chabela. Das ist der Beschluss des Nuestro Senor, unseres Herrn im Himmel, und dessen Beschlüssen haben wir uns zu fügen.«
»Si, patroncito.«
»Wie alt ist denn der älteste Muchacho?«
»Der Vicente? Der ist jetzt - der wurde geboren im selben Jahr, als während des Candelariafestes die Cantina des Don Eulalio abbrannte.«
»Dann ist der Vicente jetzt zehn Jahre alt. Gut, ich will dir die dreißig Pesos borgen, Chabela, aber der Vicente hat es mir zu bezahlen. Ich werde mit Don Gabriel sprechen, wenn er hier vorbeikommt, damit er ihn für die Monterias anwirbt, und Don, Gabriel zahlt mir das Geld zurück.«
»Aber der Vicente wird die Monteria nicht aushalten, Patroncito. Er ist noch sehr jung und schwach.«
»Willst du die dreißig Pesos für das Begräbnis nun haben?«
»Freilich, Patroncito. Ich kann doch meinen guten Elpidio nicht wie einen toten Hund begraben.«
»Dann geht der Vicente also nach den Monterias.«
»Si, patroncito, dann geht Vicente also nach den Monterias.«
»Die drei ältesten Muchachos, die du hast, Chabela, kommen 'rüber ins Haus, auch das älteste Mädchen, um zu arbeiten. Die zweiundneunzig Pesos, die Elpidio bei mir Schulden hat, müssen heruntergearbeitet werden. Das weißt du doch?«
»Si, patroncito.« Die Frau seufzte. Sie seufzte jetzt zum ersten Mal während der langen Unterredung.
»Du bleibst natürlich auf der Finca, mit allen deinen Kindern, und arbeitest gleichfalls, wie früher auch. Deine Kinder wachsen ja inzwischen heran und werden tüchtige Peones. Wenn du etwas aus der Tienda brauchst, dann komme nach dem Begräbnis. Ich schreibe dir ein Konto, Chabela.«
»Muchas gracias, patroncito.«
»Und gut, ich bezahle für dich die dreißig Pesos, die du jetzt haben musst. Schicke den Vicente zur Tienda, um alles abzuholen, was du für den Entierro, das Begräbnis meine ich, benötigst.«
»Muchas, muc hisimas, mil gracias, patroncito«, sagte die Frau. Sie hatte während der Unterredung vor dem Finquero gestanden, der sich im Portico des Hauses in einer Hängematte schwang. Sie kam nun nahe an ihn heran, verbeugte sich tief, ergriff seine Hand und küsste sie ehrfürchtig.
Der Finquero berührte mit seiner Hand das ungekämmte, zottelige Haar der Frau und sagte: »Que vaya con Dios, hija; gehe mit Gott, Tochter!«
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2
Vicente hatte von dem Enganchador Don Gabriel fünfundzwanzig Pesos Vorschuss genommen, als er sich, der Anordnung des Finqueros Folge leistend, für die dreißig Pesos Begräbniskosten seines Vaters für die Monteria hatte anwerben lassen. Von den fünfundzwanzig Pesos gab der Junge zwanzig seiner Mutter, damit sie Hemden und Hosen für die jüngeren Geschwister kaufen sollte, um nicht unnötig hohe Schulden beim Finquero zu machen.
Fünf Pesos musste er für sich behalten, weil er eine Cobija, eine Decke, brauchte, einen Petate, ein blechernes Kaffeekännchen und zwei Töpfchen, um sich Bohnen und vielleicht ein Stückchen Fleisch kochen zu können, wenn er auf dem langen, schwierigen Wege durch den Dschungel war, um mit den übrigen angeworbenen Caobaleuten zu den Monterias gebracht zu werden. Die Decke war so gut wie nichts wert; denn sich eine gute zu kaufen, dazu reichte das Geld nicht aus.
Das waren fünfundzwanzig Pesos, die er nun auf seinem Konto hatte. Dazu kamen die fünfundzwanzig Pesos Stempelkosten des Präsidenten der Municipalidad in Hucutsin für die gesetzliche Bestätigung des Arbeitskontraktes.
Don Gabriel, der Agent, zahlte an den Finquero die dreißig Pesos zurück, als ihm der Junge für den Kontrakt übergeben wurde. Don Gabriel, dem sicher niemand ein zartfühlendes Herz nachreden konnte, fühlte in diesem Falle, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, ein wenig Mitleid dem schwächlichen Jungen gegenüber. Er berechnete ihm darum nur fünfundzwanzig Pesos Anwerbekommission. Außerdem gab er sich Mühe, den Jungen in eine Monteria zu verkaufen, von der er wusste, dass es in ihr weniger hart zuging als in der Mehrzahl aller übrigen. Das war die Monteria La Armonia, wo Don Leobardo Chavero Administrador war, der, wohl mehr aus
Bequemlichkeit und Gemütsruhe als aus einem guten Herzen heraus, die Arbeiter weniger hart behandelte und der sie, wenn sie mit Beschwerden über grausame Behandlung kamen, die sie angeblich von den Contratistas oder deren Capataces erlitten, vertröstete, dass er nach dem Rechten sehen würde. Er vergaß das freilich nach einer halben Stunde völlig, aber die Arbeiter hatten wenigstens das schöne Bewusstsein ausgekostet, dass da jemand auf Erden sei, der sich ihre Beschwerden anhörte und ihnen ein Dutzend Versprechen machte, die gut klangen, wenn sie ausgesprochen wurden. Auch das ist ja etwas wert.
In beinahe allen Fällen genügt es vollständig, wenn Arbeitern eine Menge Versprechen gemacht werden, von ihren Arbeitgebern oder ihren Regenten oder ihren eigenen Führern. Dass solche Versprechen gehalten werden, erwartet niemand. Nur bei einer Revolution erinnern sich die Arbeiter daran, während diejenigen, die Versprechen machten, dann behaupten, die Versprechen seien nicht so gemeint gewesen, wie sie von den Arbeitern ausgelegt wurden, sondern wie sie dem Allgemeinwohl günstig waren. Und das Allgemeinwohl ist immer gegen die Arbeiter, weil man, wenn es für die Arbeiter wäre, nicht von Allgemeinwohl oder von Volkswohl zu sprechen brauchte, sondern lediglich nur von ganz gewöhnlicher, undekorierter Gerechtigkeit.
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3
In der Monteria angekommen, hatte Vicente in der Tienda allerlei Dinge kaufen müssen, die unentbehrlich waren; ein Moskitonetz, eine bessere Decke, ein paar Sandalen, eine Hose. Damit war nun sein Konto, das mit den dreißig Pesos für das Begräbnis seines Vaters begann, auf hundertvierzig Pesos angewachsen, ohne dass er bis jetzt auch nur einen Centavo verdient hatte. Oder mit anderen Worten gesagt: Die ursprünglichen dreißig Pesos Schulden hatten sich um beinahe das Fünffache vermehrt. Der Junge erhielt zwei Reales, fünfundzwanzig Centavos Lohn täglich für eine Arbeitszeit, die selten unter sechzehn Stunden war. Lediglich um die hundertvierzig Pesos abzuverdienen, hatte er fünfhundertsechzig Tage hart zu arbeiten. Da aber von diesen zwei Reales auch noch für sein Essen ein kleiner Betrag abging, den er dem Koch der Arbeiter zu geben hatte, da ferner im Laufe der Monate weitere Einkäufe an Hosen, Sandalen, Hemden und anderen Sachen unvermeidlich waren, so war es ziemlich richtig, wenn man behauptete: Vicente muss zehntausend Jahre in der Monteria arbeiten, ehe er die ursprünglichen dreißig Pesos Begräbniskosten für seinen Vater abverdient haben wird. Es mochten vielleicht nur achttausend Jahre nötig sein, aber ein- Âoder zweitausend Jahre mehr oder weniger spielten keine Rolle.
Gerechtigkeit herrschte in den Monterias. Das muss hier gesagt werden, um keine Irrtümer aufkommen zu lassen.
Es gab keine Ausnahmen unter den Arbeitern. Ein jeder war in genau der gleichen Weise an die Monterias gebunden wie Vicente. Die Schwerarbeiter, die Schläger und Boyeros, verdienten zwar besser, vier und fünf Reales im Tag; aber dafür hatten sie auch höhere Vorschüsse und Schulden und außerdem höhere Abzüge für Fehllieferungen und höhere Zahlungen an die Küche.
Es ging aber so gerecht zu, dass ein jeder zwischen sechstausend und zehntausend Jahren benötigte, um durch seine Arbeit von seinen Schulden erlöst zu werden.
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4
Vielleicht durch den ergreifenden Blick seiner traurigen Augen erweckte Vicente auch bei Don Leobardo Sympathie. Er sah dem Jungen an, dass er im Dschungel kaum lange aushalten würde.
Darum gab er ihm einen leichteren Posten als Mozo, als Bursche, der die Bungalows der Angestellten zu säubern und aufgeräumt zu halten hatte. In dieser Weise war das Leben für Vicente ganz erträglich.
Er bekam hin und wieder ein paar Backpfeifen von Don Leobardo oder einem der Angestellten, wenn sie besoffen oder verärgert waren. Aber das wurde wieder gutgemacht dadurch, dass dieselben Angestellten oder die Mädchen, mit denen sie hausten, dem Jungen allerlei zusteckten, was er sicher nicht hätte haben können, wenn er im Gerätelager oder mit den Handwerkern gearbeitet hätte. Er durfte den Rest aufgebrochener Sardinenbüchsen ausleeren oder aus den Büchsen eingemachter Früchte den Saft ausschlecken, er bekam hier ein Stück Ananastorte, die auf dem Tisch blieb, dort ein Stück Schokolade, das nur angebissen war, halb aufgerauchte Zigaretten, einen Schluck Wein oder Comiteco und gelegentlich sogar ein Hemd, das vielleicht zu groß war, aber brauchbar für ihn, nachdem er es mit einigen Fäden Zwirn an den zu weiten Stellen eingenäht hatte. Würde er nicht eine so große Sehnsucht nach seiner Mutter und seinen Geschwistern gehabt haben, dann hätte er sich hier möglicherweise glücklich gefühlt; denn so leicht und angenehm würde er es niemals auf der Finca getroffen haben, wo die Arbeit auf den Feldern durchaus nicht leicht war und es mehr Prügel gab und kräftigere als hier. Da es sich die Finqueros nicht leisten konnten, Arbeitskräfte dadurch zu verlieren, dass sie ungehorsame oder faule Peones in den Calabozo, in das Gefängnis der Finca, steckten, so wurden sie einfach von dem Mayordomo für irgendwelche Sünden, die sie an den Interessen der Finqueros verübt hatten, heftig verprügelt, und stets am Abend, so dass sie am nächsten Morgen wieder rechtzeitig zur Arbeit erscheinen konnten.
Alles das in Erwägung ziehend, konnte Vicente mit Recht sagen, dass er es in der Monteria gut habe.
Dass er aber bis jetzt in der Monteria es nicht nur gut gehabt, sondern in Wahrheit wie im Paradiese gelebt hatte, erfuhr er am selben Tage, als Don Leobardo abgereist war und die Montellanos die Monteria übernahmen.
Den Montellanos war menschliches Mitgefühl oder Rücksicht auf die körperlichen Fähigkeiten eines Arbeiters völlig fremd. Sie kannten nur Soldaten, Untergebene, die keine andere Aufgabe im Leben zu erfüllen hatten, als das Allgemeinwohl der Montellanos zu fördern. Die Arbeiter waren lediglich Figuren, die nach dem Willen des Don Severo, des Diktators hier, hin und her geschoben wurden, ohne das geringste Recht zu haben, ja oder nein zu sagen oder überhaupt einen Wunsch auszusprechen. Wer auch nur ein Wort gegen irgendeinen Befehl äußerte, erhielt, und das war die geringste Strafe, einen heftigen Tritt in den Hintern oder in den Bauch. Es kam darauf an, wie der Mann vor dem Kommandanten stand. Nach diesen Fußtritten, die sie von ihren Herren erhielten, nannten die Indianer die Spanier Gachupines, wie sie die deutschen Kaffeepflanzer und Landbesitzer Chinks Blancos nannten, anderer Tugenden wegen, die von den Indianern an den deutschen Herren beobachtet - und gut beobachtet - wurden.
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5
Kaum war Don Leobardo mit der Karawane abgereist, so begann Don Severo Generalinspektion zu halten, zuerst in den Oficinas Centrales.
»Was machst du denn hier, Muchacho?« wurde Vicente
gefragt.
»Soy el mozo, patron; ich bin der Bursche hier.« »Mozo für wen?«
»Für Don Leobardo und die übrigen Caballeros.« Don Severo sah sich den Jungen an. »Kannst du kochen?« Er hoffte, er könne den Burschen vielleicht als Koch gebrauchen. »No, patron.«
Don Severo sah sich den Jungen wieder an. Dann sagte er: »Drehe dich um, lass dich von der anderen Seite ansehen.«
Er betrachtete sich das Jüngelchen von hinten, dann ließ er ihn wieder Front machen, um ihn abermals und genauer von vorn anzusehen.
»Sehr groß bist du nicht.« Er packte ihn bei den Armen und fühlte ihm die Muskeln. »Zeig die Hände!«
Der Junge streckte die Hände vor.
»Du hast wohl nie irgend etwas von Wichtigkeit gearbeitet.« »Ich bin Mozo hier, Jefe!«
»Das habe ich dich jetzt nicht gefragt. Und halt's Maul, oder ich schlage dir eine 'rein!« Dann begann er zu überlegen.
»Verflucht noch mal, wo kann ich dich denn hinstecken? Als Mozo werde ich mir einen kleinen Jungen suchen, vielleicht von einem Weibe, das nicht weiß, was es mit ihm machen soll und ihn lieber abgewürgt hätte, ehe er herausgekrochen kam. Der kann das gut machen. Wie viel kriegst du hier?«
»Zwei Reales, Patroncito.«
»Das ist eine Schande, wie die Leute mit dem Geld hier herumgefeuert haben. Einem Säugling, der noch an der Zitze lutscht zwei Reales zu geben. Das ist ja zum Lautrausbrüllen! Zwei Reales. Dabei gehen wir in vier Wochen vor die Hunde und können uns ersäufen.«
»Zwei Reales habe ich in meinem Kontrakt, Patroncito.« Vicente verteidigte seinen armseligen Lohn. »Habe ich dich gefragt?«
»No, jefe, perdone me!«
»Dann halt's Maul!«
Der Junge stand verschüchtert da und kroch ängstlich in sich hinein, wodurch er noch viel kleiner und schwächlicher erschien, als er in Wirklichkeit war.
»Hier faulenzt keiner«, sagte Don Severo, »hier wird gearbeitet. Das, was du hier machst, ist keine Arbeit für einen großen und kräftigen Jungen, wie du bist. Gut, die zwei Reales bleiben dir, weil sie nun schon einmal im Kontrakt sind. Du gehst jetzt zur Bodega, zum Gerätelager, und arbeitest mit Don Felix, bis ich etwas anderes für dich finde. Und mache dich nützlich und packe zu, oder es gibt was aufgepelzt.«
»Si, patroncito.«
Vicente ging zur Bodega und arbeitete mit Don Felix. Innerhalb der ersten halben Stunde hatte er vier Backpfeifen weg und während der nächsten halben Stunde zweimal einen Jochbalken zwischen die Beine gefeuert bekommen und einen Knüppel über den Kopf gehauen, dass ihm die Kopfhaut aufplatzte und das Blut herunterlief.
»Hier wird gearbeitet und nicht geschlafen!« Mit diesen Worten begleitete Don Felix jede Backpfeife und jeden Wurf mit dem Knüppel oder einem Kletterhaken. Das Motto freilich hatte er dem Sprachschatz seines Bruders Don Severo entnommen. Aber er verstand es immer richtig anzuwenden. Genauer gesagt, er wandte es unausgesetzt an; weil es nach seiner Meinung stets passte, wem er sonst nichts zu sagen wusste.
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6
Als Don Severo fünf Wochen später zu den Oficinas Centrales kam mit der Absicht, hier abermals eine Generalinspektion abzuhalten, weil er mehr Leute vor den Bäumen brauchte, traf er auf Vicente.
»Wo arbeitest du jetzt?« »In der Bodega, Patroncito.«
»Das ist keine Arbeit für einen jungen, starken Burschen, wie du bist. Siehst bleich aus. Ich werde dich mit in den Semaneo nehmen. Da ist frischere Luft. Die wird dir gut tun.«
»Si, jefecito.«
»Wie viel verdienst du denn?« »Zwei Reales, Jefe.«
»Das ist eine Sünde unter Gottes Himmel, einem jämmerlichen Fetzen von einem Jungen, wie du bist, fünfundzwanzig Centavos Lohn täglich zu geben. Das ist Geld fortgeworfen. Du kommst mit mir! Du kannst mit den Boyeros arbeiten. Da verdienst du deine zwei Reales. Hier in der Bodega verdienst du nicht einmal einen Quinto. Diese Arbeit kann ein kleiner Junge machen. Einer von den Huren, die ihre Kinder ja doch nur erwürgen oder wie junge Katzen ersäufen. Ich werde einen tüchtigen Hachero aus dir machen. Lass mal die Arme fühlen. Nicht gleich, aber in ein paar Wochen. Da kannst du drei Reales verdienen. Und wenn du deine zwei Tonnen schaffst, gebe ich dir auch vier Reales.«
»Muchas gracias, patroncito!« In seiner Stimme klang Furcht.
»Vier Reales, wenn du deine zwei Tonnen schaffst. Ich bestehle keinen armen Indianer. Ich betrüge niemand um seinen Lohn. Lass dir in der Tienda geben, was du brauchst.«
»Ja, Patroncito, ich gehe. Ich werde wohl etwas von der Tienda brauchen, wenn ich in den Semaneo wandre.«
Ach werde dich zu Andres stecken. Ist ein tüchtiger Boyero. Kann dich gut anlernen.«
»A sus ordenes, patroncito!«
Obgleich er in der Bodega während seiner Arbeit in der ersten Woche sicher nichts zu lachen hatte, so war er bald daran gewöhnt; und weil Don Felix mehr mit anderen Arbeiten in seiner Oficina beschäftigt war, so kam er nur selten in die Bodega, wo Vicente in den letzten drei Wochen alle Arbeit verrichtete, die früher, unter Don Leobardo, der Verwalter, Don Mariano Tello, als gutbezahlter Angestellter getan hatte. Es war freilich gegenwärtig in der Bodega weniger zu tun als unter Don Mariano, weil gerade jetzt keine neuen Arbeitertrupps ankamen. Aber die Arbeit war eben doch auch in der stillen Zeit genügend wichtig, dass sie einen intelligenten und erwachsenen Mann benötigte. Die Intelligenz und Erwachsenheit wurde von Don Felix reichlich geliefert, der Vicente alle Anordnungen gab; und wenn sie nicht genauso befolgt wurden, wie er erwartete, dann sausten dem Vicente ein halbes Dutzend Knüppel zwischen die Beine oder die Mulepeitsche über den Nacken.
Dennoch war, verglichen mit der grausam harten Arbeit im Dschungel und den fünfhundert Gefahren, die dort auf jeden Mann lauerten, die Tätigkeit in der Bodega für einen schwächlichen Jungen wie Vicente gerade noch erträglich. Als er vernahm, dass er nun in den Semaneo geschickt werden sollte, fühlte er, dass auch das letzte Stückchen Faden, das ihn mit dem Paradiese verband, zerrissen wurde. Es war nicht das Grauen vor der Arbeit im Dschungel, das ihn traurig machte. Es war die endgültige Trennung von dem Leben, das er unter Don Leobardo geführt hatte, die ein tiefes Heimweh in ihm aufkommen ließ, ein Heimweh nach Ruhe und Geborgenheit auf der Finca in der Nähe seiner Mutter und seiner Geschwister. Er war noch kein Mann, obgleich Don Felix die Arbeit eines voll erwachsenen Mannes aus ihm herauspresste und herausprügelte. Er war nicht einmal ein junger Mann. Er war ein Kind. Und nie in seinem bisherigen Leben hatte er sich mehr als Kind, als schutzbedürftiges Menschlein, das nach seiner Mutter schreit, gefühlt, denn in dem Augenblick, als Don Severo ihn mit kalten Worten in den Dschungel kommandierte. Er würde sich wohlgefühlt haben, hätte er sich unter einen Baum setzen können, um, von niemand gesehen, sich herzlich auszuweinen.
Das würde sein Gemüt und das wunde Empfinden, das er in sich fühlte, erleichtert haben.
Dazu hatte er jedoch weder Zeit noch Gelegenheit. Kaum hatte er in der Tienda seinen Kram eingekauft, da schrie auch schon Don Severo wütend herüber zu ihm: »He, du faule, schwindsüchtige Kröte von einem Bengel, wo treibst du dich denn eigentlich herum? Sattle mein Pferd und hilf den Arrieros beim Aufpacken der Mules, die wir in den Semaneo mitnehmen. Bewege dich, verflucht noch mal! Ich bezahle dir deinen Lohn, und ich habe kein Geld an faules Indianerpack zu verschenken.«
Ehe Vicente überhaupt richtig zur Besinnung kam und zu überlegen vermochte, was um ihn herum vorging, war er auch schon, mit einem schweren Packen auf dem Rücken, auf dem Marsch. Er trottete hinter den Packmules her, denselben Schritt annehmend, den die Mules hatten. Wie die Packmules, so sank auch er unausgesetzt tief ein in den zähen Morast des Dschungels; und gleich den Mules hatte er Mühe, seine Beine aus dem Morast herauszuzerren. Wie die Mules stolperte und staggerte er die steinigen Hügel hinauf und hinunter, zuweilen, wenn es gar zu steil 'raufging, stöhnte und ächzte er wie sie. Dafür hatte er die brummenden und zwitschernden Fürze der vor ihm hertrottenden Packtiere hinunterzuschlucken. Denn er fürchtete sich, zu weit hinter dem Zug zurückzubleiben und etwa einem Jaguar zur Beute zu fallen oder den Weg zu verlieren. Und blieb er nicht dicht genug auf, so verlor er die Unterstützung, die ihm das letzte Mule im Zuge an den harten Stellen des Weges willig gab und das nicht ausschlug, wenn er, den Schwanz des Tieres ergreifend, sich vorwärtshelfen ließ.
Das Mule hatte mehr Mitleid mit ihm als Don Severo. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass ihm das Mule ja nicht den Lohn zahlte. Vielleicht empfand das Tier ganz richtig, dass ihm der junge näher stand als sonst irgend jemand. Denn beide trotteten in derselben Kette. Und die treueste Kameradschaft bildet sich unter denen, die an dieselbe Kette geschmiedet sind und darum dieselben Leiden zu erdulden haben.
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7
El Gusano hatte an diesem Morgen, als er die Boyeros wecken kam, Vicente mitgebracht und ihn Andres übergeben.
Andres sollte ihn anlernen, damit ein stärkerer Mann bei den Boyeros überflüssig würde und zu den Schlägern geschickt werden konnte.
»Was kann ich denn mit diesem kleinen Mosco hier anfangen? Er kann ja nicht einmal ein Joch hochheben und ist nicht groß genug, es anzuriemen. Wir sind so nicht genug kräftige Leute bei den Tiros.«
»Du machst, was El Picaro kommandiert, verstehst du? Und keine Gegenworte. Ich kann dir auch noch eine zweite Salbung geben, wie die erste war. Oder hast du die vielleicht schon vergessen?«
»Nur keine Sorge, die werde ich dir nie vergessen!«
»Sie! Verstehst du? Mit dir habe ich noch nicht auf demselben Petate geschlafen. Und: a sus ordenes, jefe! Verstehst du?«
»Sicher, Sie. Sie haben ja den Revolver.«
»Dich kriege ich auch schon noch ein zweites und ein drittes Mal für die Fiesta. Und nehme dich dann als ersten vor, wenn ich noch die vollen Kräfte in den Armen habe und gut ausholen kann.« El Gusano grinste, so dass nicht nur seine kurzen Zähne zu sehen waren, sondern auch noch das wulstige, rotviolette Zahnfleisch, das weit hervortrat, sobald er seine Lippen zu einem Grinsen breitzog. Wenn immer er grinste, und noch bei weitem mehr, wenn er lachte, bekam sein wulstiges Zahnfleisch solche Wichtigkeit in seinem geöffneten Munde, dass man darüber seine kurzen Zähne völlig vergaß und die Zähne so unwichtig erschienen, als wären sie nur eine gelblichweiße Kruste, die keinen anderen Zweck haben sollte, als ein weiteres Hervorquellen des Zahnfleisches zu verhüten.
»Aber zuerst lernst du hier den Muchacho an«, fügte er hinzu, »und wenn du das getan hast und dir eine halbe Stunde Zeit bleibt, mürbe ich dir dein aufsässiges Fleisch auf deinen rebellischen Knochen.«
»Weiß ich, Gusano!«
»Jefe!«
»Muy bien, gut, Jefe!« sagte Andres, mit den Schultern zuckend. »Das Wort allein tut es ja nicht. Ich kann auch Jefe sagen oder auch Emperador. Das Wort tut es nicht. Es kommt darauf an, was ich mir dabei denke, wenn ich Jefe oder Herr oder Führer oder Leader sage. Und das sollen Sie erst mal raten, was ich mir dabei denke. Lickmamursch ist gar nichts dagegen. A sus ordenes, jefe!«
»Kannst es ganz gut, und vielleicht verstehen wir uns doch noch eines Tages. Aber deine Salbung entgeht dir nicht. Und nun los, kriege den Jungen fest 'ran. Er ist ein gottverfluchter Faulenzer, und damit er weiß, wovon wir hier sprechen, soll er die Einweihung haben.«
Vicente stand eingeschüchtert da, als Andres und El Gusano miteinander handelten. Jetzt sah El Gusano den Jungen an: »Hebe deinen Packen auf und trage ihn in die Choza.«
Vicente bückte sich, den schweren Packen hochzuheben.
Als er den Packen mit seinen Händen ergreifen wollte, hieb ihm El Gusano ein halbes Dutzend mit der Mulepeitsche über den Rücken.
»Damit dir deine Faulheit aus den Knochen spritzt!«
Vicente schrie auf und sank mit einem Stöhnen über seinen Packen.
El Gusano hängte die Peitsche an seinen Gurt, drehte sich eine Zigarette, und während er sie anzündete, sagte er zu Andres: »Wenn er nicht anstellig ist und lernt, meldest du mir das, ich werde ihn mir dann mit Andacht vornehmen und für die Fiesta
buchen.« »Si, jefe!«
»A sus ordenes, jefe!« kommandierte El Gusano Andres zu antworten.
Andres nahm eine der Zugketten auf, die am Boden lagen. Er hielt sie in der rechten Hand, als ob er damit nun zu seiner Arbeit gehen wollte.
»A sus ordenes, mi jefe!« wiederholte El Gusano mit Nachdruck und brachte seine Hand zum Gürtel, um die Mulepeitsche wieder auszuhaken.
Andres holte halb aus mit der Kette.
El Gusano bemerkte die Bewegung in dem flackernden, ungewissen Licht der Laternen, ließ die Peitsche unberührt und brüllte auf Vicente, der sich eben aufzurichten begann, los:
»Hast du gehört, was ich deinem Maestro, deinem Lehrherrn, gesagt habe und was du zu erwarten hast, wenn du faulenzt?«
»Si, jefe!« sagte der Junge schluchzend.
»Und dann lass dir erzählen, was eine Fiesta ist, damit du besser verstehst, wie hier gearbeitet wird und welche Belohnungen es gibt«, setzte El Gusano hinzu. Nun sah er Andres mit kleingekniffenen Augen an und sagte »Und dir werde ich schon noch gelegentlich etwas zuflüstern.«
In diesem Augenblick hörte man aus dem Dickicht, etwa hundert Schritte von der Choza der Boyeros entfernt, wieder den Sänger, dessen schallende Stimme seit jenem Morgen, wo sie El Gusano in Furcht versetzte, nicht mehr vernommen worden war: »El Picaro y El Gusano, los hijos de un perro y de una puta; euer Fleisch schmeiß ich den wilden Schweinen vor und eure Knochen hungrigen Hunden; dazu kommen noch Severo, Felix und Acacio; y ellos van a morir ya mas despacio!«
Es geschah zum ersten Mal, dass der Sänger auch die drei Montellanos erwähnte, die er sich vorzunehmen versprach. El
Gusano verschwendete diesmal keine Munition an den unsichtbaren Sänger. Er wandte sich nur sehr rasch um, nahm seine Laterne hoch und lief, so rasch wie es das Gestrüpp des Dschungels erlaubte, zum Bungalow des Semaneos.
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Außer Atem kam er an. Er nahm sich keine Zeit, erst in die Oficina zu rennen, um mit El Picaro zu sprechen. Er rannte wie wild geworden zu den Jacalitos, in denen die Hacheros schliefen. Er schnappte sich eine Laterne, die an einem Pfosten hing, und zündete sie an mit der, die er in der Hand trug.
Während er das tat, schrie er: »Raus, alle 'raus!«
Gabino, einer der Muchachos, erwiderte schläfrig: »Aber, Jefe, das kann doch noch nicht vier Uhr sein, es ist doch nur eben medianoche, Mitternacht.«
»Maul gehalten, ihr Hunde!« brüllte El Gusano. »Wenn ich kommandiere: Raus! dann heißt das Raus! für euch Stinksäue und nicht gemuckst.«
Ehe er den Satz ganz beendet hatte, war er schon beim nächsten Jacalito, um auch dort die schlafenden Burschen aufzuscheuchen. Die Muchachos, alle halb im Schlaf, kamen auf den Platz vor der Oficina gelaufen, wo sie sich versammelten. Sie waren völlig verwirrt und schnatterten aufgeregt miteinander, während sie ihre Decken fest um sich hüllten, denn die Morgennebel kamen bereits herangekrochen, und es wurde sehr kühl. Zuerst hatten sie geglaubt, dass Feuer in der Oficina ausgebrochen sei. Dann wieder dachten sie, dass vielleicht einige Pumas oder Tiger sich in das Camp geschlichen und einige Leute, die gerade einmal notwendig hinausgehen mussten, erwischt und fortgeschleppt hätten. Das kam vor und wurde gewöhnlich zu spät entdeckt. Und oft erst nach Tagen oder gar Wochen fanden die Muchachos, wenn sie nach neuen Bäumen suchten, die abgenagten Knochen der verschleppten Arbeitskameraden, die nur an den zerfetzten Lumpen ihrer Hosen, die herumlagen, erkannt werden konnten. Nur weniger als drei Minuten hatte El Gusano gebraucht, um alle Leute vor der Oficina zusammenzuhaben.
»Komm her, Gregorio!« rief er einen der Indianer an. »Nimm hier die beiden Laternen und folge mir!«
Darauf ließ er alle Burschen in einer Reihe antreten. Dann schritt er die Reihe ab, und jeder hatte die Füße hochzuheben, erst den einen, dann den andern. Gregorio musste mit den Laternen so dicht herankommen, dass er die Füße beinahe anschmorte.
El Gusano sagte nicht, was er suchte und warum er die Füße inspizierte. Aber einige der Muchachos waren ebenso schlau wie er, wenn nicht viel klüger in solchen und ähnlichen Dingen.
Gabino sagte zu Celso: »Ich weiß, was der Wurm sucht.«
»Verflucht noch mal« antwortete ihm Celso, »ich hätte nicht geglaubt, dass du so ein kluger Hengst bist. So, was sucht denn der räudige Hund?«
»Er sucht nach Füßen, an denen frischer Morast klebt. Wahrscheinlich hat einer eine Flasche Aguardiente oder eine Büchse Sardinen aus der Oficina gestohlen und ist damit weggerannt. Da er durch Morast rennen musste, sind die Füße natürlich das beste Zeugnis, wer es war.«
»Gut gesehen, Gabi, und gut begriffen.« Celso lachte. Dann sah er zu seinen Füßen hinunter.
»Meine Hinterklauen sind trocken wie meine Ohrlöffel.«
»Da kannst du froh sein, Celso.«
»Warum froh?«
»Der würde dich zu Brei peitschen, wenn du nasse Füße hättest.«
In dem Augenblick kam El Gusano heran. »Pfoten hoch!« rief er. Gregorio leuchtete sie ab.
»Die sind ja nass«, sagte El Gusano misstrauisch und schob Gregorios Arm mit der Laterne näher an den Fuß.
»Natürlich sind sie nass«, sagte Celso mit ärgerlich grunzender Stimme. »Warum sollen denn meine Klauen nicht nass sein? Ich musste doch durch das taufeuchte Gras hierher rennen wie blöde, weil Sie mich von meinem Petate aufjagten. Hier der Gabi hat doch auch nasse Füße. Und Ihre Stiefel sind doch auch naß. Und auch der Gregorio hat nasse Füße.«
»Halts Maul!« blökte ihn El Gusano an und ging weiter zum nächsten Mann, um nach frischem Morast an den nackten Füßen zu suchen.
Als er alle Leute untersucht hatte, stand er eine Weile vor ihnen, sah sie unschlüssig an, schob seinen Hut auf eine Seite, rieb sich mit der flachen Hand den Nacken, kratzte sich dann an den Hüften und sagte endlich: »Zurück zu euren Chozas. Um vier 'raus, oder ich helfe euch auf die Beine. Dreckgesindel!«
»Halt!« schrie er plötzlich, als die Burschen sich eben umgewandt hatten, um zu gehen. »Hat einer von euch gesehen, dass sein Nebenmann vor einer halben Stunde aufstand und erst vor einigen Minuten wiederkam? Ich gebe dem, der ihn mir nennen kann, eine Flasche Aguardiente als Belohnung.«
Keiner der Burschen regte sich.
»Natürlich nicht, keiner hat etwas gesehen. He!« Er wandte sich an Dionisio, den Burschen, der gerade vor ihm stand »Hast du keinen gesehen, der aufstand und eine halbe Stunde ausblieb?«
»No, mi jefe, dormi, ich schlief fest.« »Und du?« redete er den nächsten an. »Tambien dormi, mi jefe, ich schlief ebenfalls.«
»Ich kriege ihn schon, nur keine Hoffnung gemacht«, sagte nun El Gusano zuversichtlich und drohend zugleich. Dann schlenderte er hinüber zum Bungalow, um seinen unterbrochenen Schlaf fortzusetzen.
Später am Morgen, als El Gusano mit El Picaro beim Frühstück saß, sagte er: »Caray und verflucht noch mal, was bin ich doch für ein großer Esel!«
»Weißt du das erst seit heute, Gusano?« erwiderte El Picaro grinsend, während er einen Fetzen von der Tortilla abriss und, nachdem er damit schwarze Bohnen aufgefischt hatte, ihn faul in seinen weit aufgerissenen Mund schob. In gefräßiger Weise kauend und sich an seinem eigenen Witz ergötzend, fragte er abermals: »Weißt du das wirklich erst seit heute, Gusano, dass du ein alter Esel und ein blöder Hammel bist? Ich wusste das nach den ersten fünf Minuten, als ich dich kennen gelernt hatte, und hättest du mich gefragt, was ich von dir denke, ich würde dir das breit ins Gesicht hinein erklärt haben, dass du noch hundertmal dümmer bist, als du aussiehst, und dümmer als du kann kaum jemand aussehen, den Gott geschaffen hat.«
»Ja, aber diesmal habe ich doch wirklich eine ernsthafte Dummheit gemacht.« »Ja, und was denn?«
»Wir haben hier einen Aufwiegler, einen Spion. Den muss ich herauskriegen. Dann bringe ich ihn zu Don Severo, dass er ihn in den Dschungel treibt und erschießt. Auch wenn wir hier jeden Mann notwendig gebrauchen für die Arbeit, Spione und Aufwiegler sind gefährlich und müssen erschossen werden. Dann können die andern leichter unter dem Knüppel gehalten werden. Das hat mir Don Severo gesagt. Der hat mehr als ein Dutzend in dieser Weise abgefertigt.«
»Das weiß ich doch besser als du. Ich arbeite mit ihm ja seit Jahren und habe ihm geholfen, die Spione abzuknallen. Hast du den Schurken gekriegt?«
»Eben nicht. Das ist es, warum ich mich selbst erwürgen könnte. Ich glaubte, dass er unter den Boyeros ist. Aber die Boyeros waren vollzählig. Darum rannte ich hierher und zählte die Muchachos hier aus. Wer fehlte, musste der Spion sein. Es fehlte keiner. Dann untersuchte ich die Knochen. Da musste doch nasser Dreck dran sein von dem Rennen durch den Dschungel. Aber so sehr ich auch die Klauen inspizierte, keiner hatte frischen Dreck dran. Und durch das Suchen habe ich den verfluchten Hund nun gewarnt. In Zukunft gibt er gut acht, dass er trockene Füße hat. Ich hätte das ganz dumm tun sollen, ohne dass die Muchachos merkten, was ich suchte. Eines Nachts hätte ich mir den Hurensohn dann eingefangen.«
El Picaro schlürfte glucksend seinen Kaffee, und mit vollem, kauendem Mund sagte er »Schade, dass wir hier nicht genügend Ketten haben. Dann könnten wir alle Muchachos während der Nacht anketten, so dass keiner Dummheiten machen kann. Ich würde sie überhaupt alle, auch während der Arbeit, angekettet halten. Dann könnte auch nie einer desertieren, und wir verlören keine Zeit mit dem Einfangen.«
»Keine Sorge, Picaro! Ich kriege ihn schon noch. Ich glaube, er verstellt seine Stimme, wenn er in der Nacht seine Schweinereien hinausschreit, so dass man aus der Stimme nicht hören soll, wer er ist.
Aber gefährlich ist er. Wir müssen ihn kriegen und erschießen. Oder er verdirbt das ganze Geschäft hier.«
»Ich werde mit Don Severo darüber reden, wenn er in diesen Tagen hier zu unserem Camp herüberkommt. Und los nun, Gusano: Wir haben Bäume anzukreuzen.« |
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