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B. Traven - Die Troza (1936)
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FÜNFTES KAPITEL

1

Das Fördern der Caoba vollzieht sich in drei Hauptetappen. Die erste Etappe ist das Schlagen der Bäume. Ein Contratista übernimmt diese Arbeit auf eigene Rechnung und Gefahr und mit eigenem Kapital. Er ist selbständig wie ein unabhängiger Geschäftsmann. Er liefert die Stämme zur nächsten Abschwemmstelle, wo ihm für jede Tonne zehn Pesos in Gold gezahlt werden, zuweilen etwas mehr, zuweilen weniger, je nach dem Marktpreis des Holzes. Ihm wird von dem Feldverwalter oder Administrador del Campo innerhalb der Konzession der Distrikt zugewiesen, den er auszubeuten hat.
Jeder Contratista bearbeitet einen anderen Distrikt, der oft zwei oder gar drei Tagereisen weit von den Oficinas, wo der Administrador mit den Angestellten seinen Sitz hat, entfernt ist.
Die zweite Etappe ist das Abflößen der Stämme, eine Tätigkeit, die von den Oficinas aus geleitet und beaufsichtigt wird. Denn von dem Augenblick an, wo die Stämme am Flussufer aufgeschichtet sind, fertig zum Abflößen, kümmert sich der Contratista nicht mehr darum. Die Caoba gehört nun der Company.
Die dritte Etappe sind Lagerung und Verschiffung des Holzes zu den Aufkäufern. Bis zu einer bestimmten Station des Stromes schwemmt das Holz frei. Alle Stämme tragen die Brandzeichen der Companien, denen das Holz gehört; denn alle Companien, auch wenn sie an verschiedenen kleineren Flüssen ihre Monterias haben, müssen endlich denselben großen Strom zum Flößen gebrauchen. An der letzten Station, wo bereits Motorboote zu fahren beginnen und die frei schwimmenden Stämme den Fahrzeugen gefährlich werden können, werden die
Stämme aus dem Strom gefischt und von den Vertretern der Companien nach dem Brandzeichen ausgesucht. Hier werden die Stämme dann zu großen Flößen zusammengebaut und von sehr geschickten Floßschiffern zum Seehafen befördert, wo die Flöße wieder abgebaut werden und die Stämme auf Lager kommen, bis sie auf Schiffen weiterverladen werden. Diese dritte Etappe, beginnend an der letzten Station, wo die Stämme frei anschwemmen, bis zur endgültigen Verladung, wird von dem Hauptquartier geleitet und überwacht.
Das Hauptquartier befindet sich entweder im Hafen oder in der nächsten größeren Stadt der Region.

 

2

Die Brüder Montellano, Severo Gurria Montellano, Felix Gurria Montellano und Acacio Gurria Montellano, hatten beim Ankauf der Monteria beschlossen, dass jeder von ihnen den Verwalterposten einer der drei Etappen übernehmen sollte. Severo, der älteste, sollte die dritte Etappe, also die wichtigste Seite des Geschäftes, überwachen; Felix sollte in den Oficinas der Administrador und Acacio, der jüngste und ausdauerndste, sollte der Hauptcontratista sein und als Chef der Contratistas deren Arbeiten überwachen.
Der Plan war gut und auch vernünftig. Aber als es zum Arbeiten nach diesem Plan kommen sollte, stellten sich so viele Hindernisse in den Weg, dass er sich nicht so ohne weiteres durchführen ließ.
Don Mariano hatte schon in jenem Tischgespräch angedeutet, dass er daran zweifle, ob diese drei Brüder wirklich miteinander durch dieselbe Mutter und denselben Vater verwandt seien. Solange die drei, jeder einzelne als selbständiger Contratista, nebeneinander gearbeitet hatten, waren sie immer gut ausgekommen. Jetzt aber, wo sie all ihr Geld zusammengeworfen hatten, um Monterias zu kaufen, war einer gegen den andern misstrauisch geworden. Sie mussten sich ja wohl gegenseitig gut kennen und jeder vom andern wissen, was er wert sei und was er getan hatte, ehe sie sich trafen, um Brüder zu werden. Wenn man einen Namen hat, der sich reichlich oft in Polizeiberichten, Gerichtsurteilen und Gefängnislisten vorfindet so tut man, schon aus Selbsterhaltungstrieb heraus, recht gut, ihn abzuschütteln und nach einem anderen zu suchen, der weniger bekannt und aufgebraucht ist. Das fernere Leben ist dann bequemer, so lange, bis man sich wieder vor die Notwendigkeit gestellt sieht, abermals eine Häutung vorzunehmen. Ein neuer brauchbarer Name ist immer viel sicherer, wenn man einen
Bruder oder eine Schwester oder am besten einen Vater beibringen kann. Dann ist der neue Name weniger verdächtig. Es mag sein, dass die drei Brüder Montellano den Namen ihrer Eltern in einem Telefonadressbuch in Barcelona oder Madrid ausgesucht hatten und den Namen dieser adoptierten Eltern angaben, wenn es in Geschäften notwendig war, größeres Vertrauen zu gewinnen.
Freilich, wenn die Mutter der Montellanos plötzlich nach Mexiko gekommen wäre, würde sie sich gewiss reichlich gewundert haben, drei Söhne vorzufinden, von deren Vorhandensein sie bis dahin keine Ahnung hatte.
Weil jeder der drei Montellanos sicher wusste, warum jeder von ihnen es für ersprießlich angesehen hatte, Bruder der beiden anderen zu werden, darum mochte ihr gegenseitiges Misstrauen gewiss nicht unbegründet sein.
Severo als Hauptkassierer im Hafen zu lassen, wo er das Holz verkaufte und das Geld einkassierte, während die beiden anderen tief im Dschungel saßen, das gefiel den beiden nicht sehr. Es gefiel ihnen überhaupt nicht, dass sie voneinander getrennt leben sollten. Felix im Hafen allein zu lassen war, wie Severo und Acacio behaupteten, ungeschickt weil er nach ihrer Meinung von Geschäften nichts verstand und er wahrscheinlich das schöne gute Holz für weniger Geld verkauft haben würde, als es sie selbst kostete. Das war natürlich nur eine Ausrede, um nicht offen sagen zu müssen, dass sie ihm die Hauptkasse nicht anvertrauen könnten.
Acacio war nach Meinung der beiden anderen zu jung und zu unerfahren, um überhaupt allein gelassen zu werden.
Schließlich nach langen Verhandlungen, die zuweilen nahe daran waren, mit Revolverschüssen belebt zu werden, kamen sie darin überein, dass alle drei zugleich in den Dschungel gehen Sollten, um erst einmal genügend Holz zu fördern. Dann sollten alle drei, wieder gemeinsam, das Holz abflößen und endlich alle drei sich im Hafen niedersetzen, um dort auf die Käufer zu warten. Das war eine sehr kostspielige Arbeitseinteilung. Wenn sie alle drei im Hafen waren, konnten die Contratistas tun, was sie wollten, das Holz mit den Brandzeichen anderer Companien versehen und an andere Companien verkaufen oder gar auf eigene Rechnung abflößen mit Hilfe von Leuten, die an der Floßbaustation auf Gelegenheiten warteten, >wildes< Holz unter dem Preis zu bekommen.
Mehr noch, die Contratistas anderer konzessionierter Companien konnten während der Abwesenheit der drei Brüder in deren Konzession einbrechen und hier einige Monate lang schlagen, ohne dabei gestört zu werden.
Es mochte ferner geschehen, dass, während die drei Brüder im Dschungel arbeiteten, die Preise für Caoba im Hafen sehr hoch stiegen und so viele Käufer da waren, dass man sich den aussuchen konnte, der den höchsten Preis zahlte. Und kamen die Brüder dann endlich zum Hafen, um zu verkaufen, mochten die Preise ungemein niedrig sein, es war vielleicht kein einziger Käufer zu sehen, und das Holz fraß mehr an Lagerkosten, als daran verdient werden konnte. Jedoch das gegenseitige Misstrauen siegte, und alle drei arbeiteten vor den Bäumen als Contratistas, wie sie es früher getan hatten, nur mit dem einen Unterschied, dass jetzt der ganze Gewinn ihnen zufiel und nicht nur zehn Pesos Gold für jede gelieferte Tonne, sondern dreißig, fünfzig, achtzig, ja vielleicht bis zu hundertzwanzig und noch mehr für die Tonne.
Wer mochte wissen und wer konnte voraussagen, wie hoch Caoba im Preise zu steigen vermag?

 

3

Es war nicht nur das Misstrauen allein, das die Brüder daran hinderte, das Geschäft so zu führen, wie sie es ursprünglich geplant hatten. Die Caobavorräte, die sich im Hafen vorfanden und der Company gehörten, waren in den Verkauf nicht mit eingeschlossen worden. Der Preis, den die Company dafür verlangte, war den Montellanos zu hoch gewesen. Die Company war stark genug, um mit dem Verkauf von Caoba zu warten, bis ihr der angebotene Preis am günstigsten erschien.
Billig war die Monteria La Armonia nicht, als die Montellanos sie kauften. Der Distrikt, den die Konzession zur Ausbeutung umfasste, war groß, etwa dreitausend Quadratkilometer tropischer Urwald.
Dass der Distrikt der Konzession reich war an Caoba und, genau besehen, kaum richtig angetastet, das war den Brüdern recht gut bekannt. Als erfahrene Contratistas wussten sie, wo die reichen Distrikte waren. Lange bevor sie überhaupt ernstlich an den Kauf der Monteria dachten, hatten sie den Distrikt nach jeder Richtung hin ausgeforscht, um nicht ein Pferd im dunklen Stall zu kaufen.
Aber zu einer Monteria gehörte mehr als nur die Konzession. Zu einer Monteria gehörten, je nach ihrer Größe, hundert, zweihundert, vielleicht dreihundert Ochsen; dazu gehörten Pferde und zwanzig oder dreißig starke Mules, die gewohnt waren, durch Sümpfe zu marschieren, und darum die teuersten waren. Dazu gehörten die Gebäude, die, wenn sie auch primitiv sein mochten, doch einen erheblichen Wert darstellten. Dazu gehörte die Tienda, die mit Waren stets gut versehen sein musste. Und die Geschirre aller Art zur Förderung, die Äxte, Hacken, Machetes, Ketten, Haken, Sättel, Joche, Feldschmieden, waren von hohem Wert für den, der sie gebrauchte und gebrauchen musste. Hätte ein Käufer diese Dinge nicht gekauft, so würde die verkaufende Company sie ihm geschenkt haben; denn sie fortzutransportieren kostete mehr, als sie im nächsten Ort beim Verkauf erzielt haben würden. Aber der Käufer war hilflos ohne diese Geschirre und sonstigen Waren. Für ihn hatten sie hohen Wert, der Verkäufer wusste das, und er brauchte darum den Preis für diese Dinge nicht zu niedrig anzusetzen.
Severo Montellano, der älteste der Brüder, hatte sein Geld, das er als Contratista verdiente, nicht müßig liegenlassen. Er hatte es verliehe n. Er verlieh sein Geld freilich nicht an ehrlich arbeitende Pflanzer, sondern nur an solche, von denen er wusste, dass sie spielen oder das Geld in anderer Weise verludern würden. Er lieh sein teuer erarbeitetes Geld nicht aus, um dafür Zinsen zu bekommen. Das wäre kein genügend hoher Verdienst gewesen. Er lieh es aus, damit der Rancho, die Pflanzung oder das Haus, worauf er das Geld lieh, verfallen sollte, um in seine Hände zu kommen. So waren er und seine beiden Brüder, die es, seinen Ratschlägen folgend, ebenso gemacht hatten, in den Besitz jener großen Bananenpflanzungen gelangt, die von ihnen jetzt in Zahlung gegeben wurden, als sie die Monteria kauften.
Auf diese Art war es ihnen gelungen, die Monteria zu einem Preise zu erwerben, für den, in barem Geld gerechnet, die Company die Monteria nie verkauft haben würde. Die Company freilich war verhältnismäßig gut bezahlt worden durch Übertragung jener Pflanzungen in den Preis. Wer billig, weit unter dem Preis gekauft hatte, das waren die Brüder Montellano, die die Pflanzungen zu einem Zehntel ihres wahren Wertes hatten erwerben können und diese Pflanzungen mit dem vollen Wert in Zahlung gaben.
Da sie die Caobavorräte der Company im Hafen nicht mit übernommen hatten, so fanden sich die Brüder jetzt ohne irgendwelche Vorräte von Caoba, die zum Verkauf und Verschiffen bereit waren.
Dies war ein weiterer Grund gewesen, warum die drei Brüder beschlossen, in den Dschungel zu gehen, um erst einmal neue
Caobavorräte heranzuschaffen. Solange keine Caoba im Hafen war, konnte man ja doch keine verkaufen.
Es war bei den Beratungen freilich auch erwähnt worden, dass man den Verkauf im Hafen durch Agenturen ausführen lassen könnte, so dass die drei Brüder sich lediglich um die Förderung sorgten.
Aber dasselbe Misstrauen, das sie gegeneinander empfanden, zeigten sie erst recht gegen andere, in diesem Falle gegen die Agenten, die nach Meinung der Brüder alle Betrüger seien; so konnte es dann kommen, dass man lediglich für die Agenten zu arbeiten haben würde.

 

4

Die Montellanos begannen ihre Tätigkeit in der Monteria damit, dass sie die Gehälter der Angestellten sehr eingehend prüften und daraufhin die Löhne der Handwerker, der Karawanenarrieros und aller übrigen Leute, die unmittelbar Angestellte der Company waren und zum Hauptcamp gehörten.
Darunter waren die Gehilfen der Tienda und der Lager; da waren die Jungen, die für die Angestellten die Bungalows reinigten und in Ordnung hielten; die Weideburschen für die Ochsen, wenn die Ochsen zum Auffüttern auf die Prärie geschickt wurden; die Canoeführer; die Peones, deren Arbeit es war, Mais- und Bohnenfelder zu bestellen für die Verpflegung der Hunderte von Männern und Burschen, die hier arbeiteten; die Peones, die Schweine und Ziegen für den Fleischbedarf mästeten und in ihrer freien Zeit die Felle der geschlachteten Tiere gerbten und bearbeiteten, um sie für Zuggeschirre verwenden zu können.
Die Löhne für diese Peones schwankten zwischen einem Real und sechs Reales oder fünfundsiebzig Centavos den Tag. Die Löhne der Handwerker bewegten sich zwischen fünfundsiebzig Centavos und einem Peso sechzig täglich. Die Angestellten bezogen Gehälter je nach ihrer Tätigkeit, ihrer Erfahrung und ihrem Alter von sechzig bis zu zweihundert Pesos im Monat.
Obgleich die Löhne und Gehälter recht bescheiden genannt werden konnten im Hinblick darauf, dass die Leute im Dschungel zu leben hatten und dass jedes Kleidungsstück und jeder Gebrauchsartikel hier das Dreifache, Fünffache oder gar Zehnfache des gewöhnlichen Preises kosteten, so war die Gesamtsumme für die Gehälter und Löhne, die in einem Jahr ausgezahlt wurde, hoch genug, um die Montellanos in Schrecken zu versetzen, als sie sie ausgerechnet hatten.
Was man nicht ausgibt, ist gespart; und Geld, das man in der
Tasche behalten kann, ist verdientes Geld. So dachten die Montellanos. Und sie dachten ferner: je rascher wir mit dem Ausgeben aufhören, um so schneller beginnt das Sparen und Verdienen. Am leichtesten und gefahrlosesten verringert man die Geschäftsunkosten, wenn man Gehälter und Löhne kürzt. Das tut dem, der kürzt, am wenigsten weh. Wem es nicht gefällt, der kann seiner Wege gehen.
Als den Angestellten von der Kürzung Kenntnis gegeben wurde, gingen sie alle ihrer Wege. Sie beriefen sich darauf, dass sie einen Kontrakt mit der Company hätten, nicht aber mit den neuen Besitzern, dass ferner ihre Kontrakte die Gehälter in bestimmter Höhe festlegten, und wenn diese Gehälter nicht weiter bezahlt würden, hätten sie keine Verpflichtung, im Kontrakt zu bleiben, auch wenn die Kontrakte mit im Verkauf eingeschlossen sein sollten.
Die drei Brüder berieten und kamen zu der Überzeugung, dass ihnen nichts Besseres widerfahren könnte als das Abschiednehmen aller Angestellten. Diese Angestellten faulenzten und soffen und hurten doch nur hier herum, und alle ihre Arbeit konnte Don Severo ganz gut allein machen. Reporte und Abrechnungen brauchten nicht angefertigt und abgeschickt zu werden, weil die drei Brüder ja selbst die Company waren, und sich selbst braucht man ja keinen Report zu schreiben. Wenn Don Severo das nächste Mal nach San Juan Bautista kam, konnte er sich umsehen, und er würde ja vielleicht zwei oder drei halbverhungerte Herumtreiber erwischen, die mit Büchern und Rechnungslisten umzugehen verstünden und glücklich sein würden, wenn Don Severo ihnen fünfundvierzig Pesos Lohn im Monat verspräche. Sie brauchen ja nicht dreimal täglich für je fünfzig Centavos zu essen, sondern einmal genügt. Durch lange Arbeitslosigkeit waren sie daran gewöhnt, wenig zu essen; und wenn sie trotzdem noch hungrig sein sollten, so können sie ja für sich selbst kochen und gelegentlich auf die Jagd gehen. Er, Don Severo, wird ihnen das Leben in einer Monteria, in den
Tiefen des Dschungels, umgeben von Tigern, Pumas, großen Affen und Herden von schmackhaften Wildschweinen, so verführerisch schildern, dass sie willens sein werden, beinahe umsonst zu arbeiten, um das Leben eines Robinson Crusoe führen zu können.
Die Frage der Angestellten war damit gelöst. Was die Hauptsache war, eine erhebliche Ausgabe, die größte, die sie an Löhnen hatten, war gespart und konnte als erster Verdienst gebucht werden. - Don Severo, dem von seinen beiden Brüdern willig zugestanden wurde, dass er den besten Kopf und die größte Geschicklichkeit habe, finanzielle Fragen zu behandeln und sie immer zu seinen Gunsten zu lösen, nahm sich nun die Lohnlisten der Handwerker und der Peones vor.
Die drei Brüder beratschlagten, auf welche von den Handwerkern und den Peones man am leichtesten verzichten könnte. Als man diese Männer bezeichnet hatte, ließ man sie rufen, und Don Severo teilte ihnen das Ergebnis der Beratung mit. Sie schienen es nicht tragisch zu nehmen. Das kam Don Severo verdächtig vor; denn diese Leute lebten von der Hand in den Mund und hatten es in der Stadt kaum besser als hier. »Wie viel Restlohn hat jeder von euch noch zu bekommen?« fragte Don Acacio, der jüngste und am wenigsten erfahrene der drei Brüder. Ihm war die Aufgabe übertragen worden, die Leute, die Don Severo und Don Felix als überflüssig bezeichnet hatten, zu verabschieden. Der eine gab zwanzig Pesos an, ein anderer zwölf, ein dritter achtzehn. Don Acacio schrieb einen Gesamtscheck für die Leute aus, und Don Severo unterschrieb ihn.
Es war merkwürdig, wie schnell die Leute ihre Packen ordneten und sich auf den Marsch begaben.
Sie waren gerade daran, abzuwandern, als Don Felix seinen Bruder Don Severo ansah und gleich darauf halb schreiend zu ihm sagte: »Pero, hombre, alter Mann der Dummheit, hast du denn in der Tienda nachgesehen, ob die Leute nicht vielleicht einen gewaltigen Haufen von Borg und Vorschuss haben und jetzt damit verschwinden?«
»Verflucht und drauf geschitt«, brauste Don Severo auf. Mit einem Satz war er draußen, und zwei Sekunden darauf war er bei dem kleinen Trupp.
»Halt da, ihr gemeinen Räuber, wo ist der Scheck? Den Scheck her, oder ich schieße euch zusammen wie kreuzverdammte lahme Karnickel!« schrie er.
Die Leute taten unwissend, als ob sie nie etwas von einem Scheck geahnt hätten.
Aber da kam auch schon Don Acacio herbei, ging auf einen Mann zu und schrie ihn an: »Du, stinkiger Hund, hast den Scheck. Her damit!«
Im Laufen hatte er den Revolver gezogen und hielt ihn jetzt gegen den Mann gepresst.
»Ich habe den Scheck nicht mehr, Jefe«, sagte der Mann ruhig. »Ich habe den Scheck Eulalio gegeben.«
»Eulalio! Eulalio!« rief Don Severo über den Platz hinweg.
Aus einer der Branntweinhütten torkelte eine Frau, deren dreckige Baumwollbluse in Fetzen herunterhing. Sie war heftig in der Soße. Ihr Haar war offenbar seit Tagen nicht gekämmt.
Als sie den Namen Eulalio schreien hörte, tauchte in ihr gewiss eine Erinnerung auf. Sie stemmte beide Hände in die Hüften, bückte sich, um ihren Lungen größere Kraft zu geben, und dann brüllte sie herüber: »Eulalio, der Cabron und Blutschänder. Ich muss auch noch seinen Branntwein hier bezahlen, den er mit den andern Weibern gesoffen hat.«
»Halt dein gottverfluchtes dreckiges Maul«, schrie Don Felix.
»Mein Maul halten?« schrie die Frau und streckte ihre Zunge weit heraus. »Ich mein Maul halten?
Der Hurensohn hat das Geld und ist schon halb in Hucutsin mit seinem Pferd.«
»Was sagst du? Chinga tu matricula, puta vieja!« rief Don Acacio und rannte zu einem Pferd, das an einem Baumstrunk angebunden stand.
»Bäh, ich Puta vieja?« blökte die Frau herüber. »Du kommst nicht über mich, du Puto.« Mit einem Ruck drehte sie sich um, hob ihre Röcke bis an die Schultern hoch und schrie: »Da, komm her, wenn du was schmecken willst. Ich eine Puta vieja? Das muss ich mir sagen lassen, von so einem grünen Hurenbengel!«
Sie drehte ihren Kopf herum, um zu sehen, ob einer die Einladung annahm und ob auch jeder hinsah. Aber niemand machte sich etwas daraus. So etwas und anderes kam jeden Tag zehnmal vor und hatte hier jeglichen Reiz von Neuheit verloren. Als sie sich zu weit herumdrehte, um alle Winkel von rückwärts übersehen zu können, verlor sie das Gleichgewicht, fiel um, und mit hochgestülpten Röcken blieb sie vor dem Eingang der Hütte liegen.
Don Acacio brauchte weniger als eine Minute, um das Pferd zu satteln. Dann hieb er wild auf das Tier ein und verschwand im Dickicht.
Am Abend brachte er Eulalio zurück. Den Scheck hatte er ihm gleich auf dem Wege, wo er ihn eingeholt hatte, abgenommen. Er brachte den Scheck zu Don Severo. Der sah ihn an, und dann zerriss er ihn.

 

5

Den Rest des Nachmittags hatten die beiden zurückgebliebenen Brüder, Don Severo und Don Felix, damit verbracht, erst einmal die Konten der Leute, die zum Camp gehörten, auf die Vorschüsse hin zu überprüfen. Sie kannten ihren Bruder Acacio genügend und wussten, dass er den Scheck schon bringen würde, sollte es auch einen oder gar zwei Morde kosten. Und wenn Don Acacio selber ermordet aufgefunden werden sollte, den Scheck würde er haben, so sicher, als hätte er ihn nie aus der Hand gegeben.
Der Mann war noch nicht geboren, der einem der drei Montellanos einen Scheck hätte stehlen und damit abreisen können, um ihn in Ruhe zu kassieren und das Geld zu verjubeln.
»Im ganzen Feldlager ist ja nicht ein einziger zu finden, der nicht tief in unserer Suppe sitzt«, sagte Don Severo, als sie mit dem Nachrechnen der Konten zu Ende waren.
»Was Besseres konnten wir gar nicht erwarten.« Don Felix lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Wer von der ganzen Bande hier überflüssig ist, der wird gefeuert.«
»Du meinst das nicht gerade so«, warf Don Acacio ein.
»Sicher nicht.«
»Wer hier nicht länger gebraucht wird, verdient seinen Vorschuss vor den Bäumen ab. Und wenn er jeden Centavo abverdient und keinen neuen Borg gemacht hat, dann kann er gehen.«
»Das meinte ich ja. Gerade so meinte ich es, Severo«, sagte Don Felix. »Wir sind nicht hier hergekommen, um Wohltaten zu erweisen und Besoffenen Branntwein zu schenken. Wir sind hergekommen, um zu arbeiten.«
Don Acacio trat in die Tür und blickte hinüber zu den Bungalows der Angestellten. »Ich hoffe, die gehen morgen los.
Ich brauche einen Bungalow für mich.«
»Übermorgen, Cachito. Übermorgen ziehen sie ab mit ihren Gäulen und Schwänzen. Hoffentlich nehmen sie nicht alle ihre Huren mit und lassen uns wenigstens ein paar von den besseren hier.« Don Severo schenkte sich einen Comiteco ein und schoss ihn in einem Schwung hinunter.
Gerade als sich Don Acacio sein Glas füllte, kam Don Julian in den Bungalow, in dem die drei Brüder zeitweise ihre Oficina und Schlafstelle aufgemacht hatten.
»Buenas noches, caballeros!« grüßte er. »Ich wollte Sie bitten, zum Abendessen zu kommen, falls Sie bereit sind.«
»Muchas gracias«, sagte Don Severo, für alle drei sprechend. »Wir wollen uns nur die Hände waschen.«
Don Acacio, der die Comitecoflasche noch in der Hand hielt lud Don Julian ein: »Heften Sie sich erst einmal einen guten Flitzer hinter Ihre Brustwarzen.«
»Kann ich gebrauchen, um mir ein zufriedenes Äußeres zu geben«, sagte Don Julian lachend.
Als er getrunken hatte, gluckste er. Dann krächzte er heftig und machte ein wohliges Gesicht.
»Caray, verflucht noch mal, der ist besser als die Scheuerbürsten, die wir zu schlucken haben.«
»Schenken Sie sich noch einen ein, Amigo«, riet Don Severo. »Wenn der alle ist haben wir auch nichts anderes, als was uns die Türken herbringen. Wie oft kommt denn der Türke jetzt überhaupt?«
»Alle drei Monate«, sagte Don Julian. »Manchmal werden es auch fünf, wenn die Wege schlecht sind.«
»Fertig, ihr da?« fragte Don Severo seine beiden Brüder, die sich mit einem Taschenkamm das Haar glatt strichen. »Bueno, dann losgerattelt!«

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