DREIZEHNTES KAPITEL
  1
  Als die beiden Muchachos mit der ersten Troza ankamen, sahen sie,  dass vor ihnen andere Boyeros hier gewesen waren und ihre Trozas am  Rande des Grabens abgeladen hatten. An dieser Stelle vereinigten sich  nun mehrere Boyeros, die aus den verschiedenen Richtungen Trozas  heranschleppten. 
    Der fernere Weg bis zum Tumbo wurde so schwierig,  dass alle Gespanne von hier aus gemeinsam arbeiten mussten. Nicht genug  damit, es wurden vom Campo noch einige Ochsenpaare mehr hierher  geschickt, wie El Gusano dem Andres am Morgen versprochen hatte. 
    Die beiden Muchachos trieben die Ochsen leer zurück, um die nächste Troza heranzuführen. 
    »Warum heißt denn der Graben Arroyo Ciego, Andres?« fragte Vicente.  »Ein Graben kann doch nicht gut blind sein«, setzte er hinzu, lachend,  nach der Art der Jungen, die sich nicht sicher fühlen, ob sie soeben  von einem Älteren angelogen wurden oder ob es vielleicht in Wahrheit  doch so sein könne, wie der Ältere und Erfahrenere gesagt hat. 
    »Dieser Arroyo«, erklärte Andres, während die beiden nebeneinanderher  schlenderten und die vor ihnen marschierenden Ochsen vorwärts trieben,  »dieser Graben hat eine recht niedliche Geschichte mit viel Humor. Es  ist eine lustige Geschichte für den, dessen Geld es nicht kostete. Du  hast vielleicht gesehen, dass der Graben in der Richtung zum Fluss  abfällt. Wenn wir Regenzeit haben, dann strömt das Wasser in diesem  Arroyo in den Fluss, und wenn wir dann hier die Trozas aufschichten und  die Strömungen beginnen und der Graben voll Wasser ist, dann lässt sich  von hier sehr gut schwemmen. 
    Als im vorigen Jahr hier geschlagen wurde, nur weiter oben an diesem  selben Arroyo, da ging Don Remigio diesem Graben nach. Er ging aber  nicht bis zum Ende, weil er ja sehen konnte, dass der Graben in den  Fluss einmündete. 
    So wurden an diesem Graben, etwa fünf Kilometer weiter oben, ungefähr  zweihundert Tonnen Caoba aufgeschichtet, fertig zum Abschwemmen. Die  Regenzeit kam, das Hochwasser füllte den Arroyo, und die Muchachos  schoben lustig und vergnügt die Trozas in den Arroyo. Die Trozas  schwammen wunderschön von dannen, ohne viel Arbeit zu machen mit  Klarschieben. Aber an der Hauptkontrollstelle des Stromes, an den  Oficinas, wo die Trozas aufgefangen werden zur Buchung und Verrechnung,  da fehlten die zweihundert Tonnen, von denen Don Remigio genau wusste,  dass sie abgeschwemmt worden waren. Er hatte seine Marke in allen  Trozas, und ihm fehlten zweihundert Tonnen. 
    Die Trozas mussten gesucht werden. Es war für Don Remigio und die  Muchachos keine leichte Arbeit, den ganzen Graben entlangzuwandern.  Jeder Schritt musste aus dem Dschungel herausgehauen werden, um den  Graben genau verfolgen zu können. Und was denkst du dir, was geschehen  war?« 
    »Das kann ich nicht erraten«, sagte Vicente. 
    »Sicher nicht, Nene. Die Trozas wurden alle in einem Sumpf gefunden.  Der Arroyo machte auf seinem Wege eine Schwenkung, oder besser, er  gabelte sich. Die Hauptfurche lief in den Sumpf, und eine Nebenfurche,  die nicht tief genug war, dass Trozas in ihr schwemmen konnten, lief  weiter und wahrscheinlich zum Fluss. Diese zweihundert Trozas aus dem  Sumpf zu fischen, das hat Don Remigio genug Arbeit gekostet. Er musste  Balsas, Flöße, bauen lassen, auf denen die Muchachos die Trozas im  Sumpf erreichen und fischen konnten. Celso sagte mir, dass kaum hundert  Tonnen gefischt werden konnten, die übrigen stecken noch drin und sind  verloren. Der Graben ist blind, wie du siehst ich meine, er hat keine  Abfahrt zum Fluss, obgleich er den Anschein erweckt, dass er richtig  abläuft. Aber das ist nicht unsere Sorge. Unsere Sorge wirst du kennen  lernen, wenn wir alle Trozas vor dem Blinden Graben haben und auf die  andere Seite hinüberschleppen müssen, denn der Hauptgraben, der zum  Fluss führt, ist noch eine halbe Legua weiter auf der anderen Seite des  Blinden.« 
    
  2
  Ein und eine halbe Stunde später hatten alle Boyeros ihre 
    Trozas am Blinden Graben. Es war nun ihre Aufgabe, die 
    Trozas auf die andere Seite zu schleppen. Sie machten sich sofort an die  Arbeit. 
    Sie suchten die Stelle des Grabens, wo das beste Gefälle war. Hier  stiegen einige Muchachos hinunter und hackten alles Gebüsch und  Gesträuch weg, das den fallenden Trozas hätte hinderlich sein können.  Der Arroyo hatte eine Tiefe von etwa zwanzig Metern. Die Wände fielen  ziemlich steil ab. 
    Die Breite war vielleicht zwölf Meter. 
    Als die eine Wand von Gestrüpp gereinigt war, gingen die Burschen über die  zweite Wand her. 
    Inzwischen waren andere tätig, die Ochsengespanne mit Ketten  aneinanderzukoppeln. Es wurden zwölf Gespanne zu einem Zug  zusammengekettet. 
    Auf dem Grunde des Grabens war das Gestrüpp am dichtesten. Eulalio,  einer der Boyeros, stand bis über die Brust in diesem Gestrüpp und  hackte rechts und links mit dem Machete, um den Graben zu säubern. Der  Boden war angefüllt mit Steingeröll, das teils von oben  heruntergefallen und teils im Laufe der Zeit angeschwemmt war. Andres  arbeitete mit seinem Machete einige Meter höher an der  gegenüberliegenden Wand und hackte hier das Gestrüpp weg Die Gananas,  die jungen der Boyeros, schafften das abgehackte Gestrüpp zur Seite, um  den Graben völlig rein zu haben. Andres richtete sich für einen  Augenblick auf, um sich den Schweiß, der ihm in die Augen lief,  abzuschütteln. Er rief Vicente an: »He, Nene, das Gestrüpp musst du  schon einige Schritt weiterschleppen, sonst kommt es uns in den Weg,  wenn wir die Trozas 'runtergleiten lassen.« Als er das sagte, folgte er  mit den Augen Vicente, und dabei fiel sein Blick auf Eulalio, der im  Grunde das Gebüsch hackte und gerade jetzt die Steine freigelegt hatte. 
    Er wollte sich soeben seiner eigenen Arbeit zuwenden, als er wie  zufällig noch einmal auf das Steingeröll am Grunde blickte. Und  gleichzeitig schrie er laut auf: »Una culebra, Eulalio!« 
    Eulalio hatte das drohende, merkwürdige Ratteln der Schlange wohl  gehört, aber einige Sekunden lang nahm er dieses unzweideutige Geräusch  in seinem Bewusstsein nicht ganz auf, weil er meinte, er irre sich und  das Geräusch könnte vielleicht von den Muchachos herkommen, die mit den  Ochsengespannen wirtschafteten und dort mit Ketten und Geschirren  rasselten und rattelten. Als Andres jedoch schrie: »Una culebra!«, da  sprang Eulalio instinktiv zurück. Aber er stolperte gegen einen Strunk,  der von dem abgehackten Gestrüpp stehen geblieben war, und den letzten  Halt, den er vielleicht noch hätte gewinnen können, verlor er, als er  auf lose Steine trat, die nachgaben und ihn zu Fall brachten. Dadurch  streckte er gegen seinen Willen den nackten Fuß der Schlange entgegen,  die, durch das Zerstören ihres Heimes aufs höchste erbost, ihren Körper  halb aufgerichtet und in der Sekunde, als Andres sie von seinem  erhöhten Standplatz aus sah, angesetzt hatte, um, einem Peitschenhieb  gleich, auf Eulalio loszuflitschen. Ihr weitgeöffneter Fang würde  wahrscheinlich beim ersten Aushieb nur auf Eulahos hochgekrempelte Hose  zugeschlagen haben, und da die Hose nahe den Hüften genügend wulstig  war, würde wahrscheinlich der Fang nur die Hose aufgerissen haben, ohne  den Körper zu verletzen, und Eulalio hätte genügend Raum gewinnen  können, um weiter zurückzuspringen. Nun aber, da er gefallen war und  der Schlange auch noch seinen Fuß so weit entgegenstreckte, dass er  einen Viertelmeter vom Fang der Klapperschlange entfernt war, und  diese, ihrem Instinkt folgend, den ausgestreckten Fuß als eine Waffe  ansah, die gegen sie gerichtet war, schlug sie mit voller Wut und all  ihrer Kraft ihren Fang gleich zweimal tief in das Bein des Eulalio, am  unteren Teil der Wade, im zweiten 
    Schlag auch noch eine oder gar zwei Sekunden im Fleisch hängen  bleibend. Nachdem die Schlange ihren Aushieb getan hatte, wendete sie  sich und fuhr mit der Raschheit und der Sicherheit eines Pfeils in das  geschlagene Gestrüpp am Boden des Grabens, in der Richtung, wo Vicente  das Gestrüpp forträumte. 
    »Nene, una culebra!« schrie Andres, den Jungen warnend. 
    Vicente hatte aber den ersten Ruf gehört, den Andres Eulalio zuschreien  konnte. Darum war Vicente bereits auf halber, Höhe der Grabenwand, als  die Schlange dort anlangte, wo er beschäftigt gewesen war, das Gestrüpp  beiseite zu schieben. 
    Die Burschen, die oben am Rande des Grabens mit den Ochsen  wirtschafteten, hatten das Schreien des Andres ebenfalls vernommen und  kamen nun mit den Machetes herbei, um die Schlange zu fangen. Es waren  viele unter ihnen, die Schlangenfleisch als guten Leckerbissen  willkommen hießen, um so mehr, als die Kost, die ihnen der Koch  verabreichte, so dürftig war und so wenig abwechslungsreich, dass jede  Zugabe, die Fleisch war oder als Fleisch betrachtet werden durfte, eine  Bereicherung bedeutete. Als junge und unglaublich hart arbeitende  Menschen waren sie immer hungrig, und irgend etwas, was ihre Mahlzeiten  fetter machen konnte, war gleich einer unerwarteten Gabe des Himmels.  Sie gingen so weit, getrieben von ihrem Hunger nach vollwertiger  Nahrung, dass sie, wenn ihnen am Nachmittag Zeit blieb und sie während  ihrer Arbeit die Entdeckung eines reichen Ameisenhaufens gemacht  hatten, den Ameisenhaufen ausgruben, die Ameisen trockneten und dann,  einige Tage darauf, in Fett rösteten, um sie, mit Chile reichlich  gewürzt und in heiße Tortillas eingewickelt mit höchstem Genuss zu  essen. Gelegentlich in Fett geröstete dicke Ameisen zu haben ist auf  alle Fälle besser und zuträglicher, als tagaus, tagein und zu jeder  Mahlzeit nur Tortillas und schwarze Bohnen mit grünen Pfefferschoten  essen zu müssen. 
    So rasch aber auch die Burschen hinter der Schlange her waren, sie kannte ihre  Umgebung besser. 
    Oben und außerhalb des Grabens wäre sie den Burschen nicht entwischt.  Aber sie war schwer zu fangen in dem tiefen Arroyo, der dicht bewachsen  war mit dornigem, tropischem Gebüsch, dessen Boden angefüllt war mit  losem Steingeröll, in dessen Wänden nach allen Richtungen hin Löcher,  Gänge und kleine Höhlen gegraben worden waren von allen möglichen  Tieren, die in diesem Gestrüpp lebten. War die Schlange hier erst  einmal entwischt, dann war es aussichtslos, sie weiter zu verfolgen. 
    »Verflucht«, rief Cirilo, »sie war ein mächtiges Luder, das muss ich  schon sagen. Ich wette, sie hatte nahe zwei Meter, und sie war sicher  so dick wie mein Arm. Schade, dass wir sie nicht kriegen konnten. 
    Was die heute Abend einen guten Braten gegeben hätte! Schlangensteaks. Es ist  wirklich zum Weinen.« 
    »Ich würde nie auch nur einen Bissen von einer Schlange anrühren, auch  wenn ich verhungern sollte«, sagte Sixto, sich schüttelnd. »Ich lasse  mir einen guten Braten von einer großen Eidechse wohl gefallen, einer  fetten Iguana. Das ist das Richtige. Fleisch, so zart und schmackhaft  und noch besser als das eines jungen Zickleins. Aber eine Schlange  essen? Ich sicher nicht.« 
    »Dann weißt du eben nicht, was gut schmeckt auf dieser Erde«,  berichtigte ihn Cirilo. »Wie kann ein Christ denn eine Iguana essen?  Iguanas sind giftig, weißt du das nicht?« 
    »Wir haben daheim genug gegessen, und niemand ist je daran gestorben, das kann  ich dir nur sagen.« 
    Sie kehrten zurück zu ihrer Arbeit. 
    Eulalio war nach seinem Fall rasch aufgesprungen gleichfalls hinter der  Schlange hergerannt. Auch er ging zurück und setzte seine Arbeit, den  Graben von Gestrüpp zu lichten, fort. Andres stand am Rande des Grabens  und rief Eulalio zu: »Ich glaubte, sie hätte dir eins ausgewischt, es  sah ganz so aus.« 
    »Nichts zu machen, ich war ihr zu rasch fort mit dem Bein«, antwortete Eulalio. 
    
  3
  Der Graben war gereinigt, und die Burschen stiegen die Trozas auf  dieser Seite hinunter, bis alle im Graben aufgehäuft waren. Dann wurde  die oberste Troza angehakt, und die Ochsen begannen, sie auf das  gegenüberliegende Ufer hinaufzuziehen. Mit weniger als zehn Gespannen  wäre sie kaum hochgekommen. 
    Während die Burschen hier noch  arbeiteten, kamen weitere Gespanne, die gleichfalls Trozas bis hierher  geschleppt hatten, zur Hilfe, und nun war das gesamte Campamento, das  volle Arbeitskommando der Boyeros, versammelt. Jedes Gespann hatte  seinen besonderen Jungen. Die erfahrenen Boyeros klebten an der steilen  Grabenwand, die Troza hin und her hakend und schiebend, damit sie sich  nicht zu tief in die weiche Wand bohren sollte, während sie  hinaufgezogen wurde. Nach dem Transport einiger Trozas aber war die  Wand völlig aufgerissen, und mit jeder weiteren Troza kostete es mehr  Anstrengung, die Stämme hochzuzerren. 
    Es wurde versucht, sie quer zu nehmen und an jedem Ende gleichzeitig  anzuhaken. Aber dann ergaben sich neue Schwierigkeiten. Der Stamm  schleppte nun in der ganzen Breite über die aufgerissene weiche  Grabenwand, und die Last wurde zu schwer, so dass die Ochsen sie nicht  mehr zu ziehen vermochten. Die Burschen ketteten wieder los und zerrten  die Troza wie gewöhnlich mit der Spitze voran hoch. Ein langer Ast  wurde unter die Spitze geschoben, und an jeder Seite kletterten vier  Burschen hoch, die den Ast gleichzeitig emporhoben, um die Spitze nicht  in die Wand einrennen zu lassen. Bei jedem Anziehen der Gespanne jedoch  verloren die Burschen ihren Halt an der Wand, fielen mit ihrem Ast  hinunter auf den Boden und mussten aufs neue hinaufklettern, um mit dem  nächsten Anziehen die Troza einen Meter weit hochzuschaffen. 
    Es war nach einem solchen Herunterfallen, als Eulalio zu Andres sagte:  »Ich kriege keine Luft mehr, Andreucho. Der Graben ist so stickig.« Er  kletterte auf allen vieren an der Wand hinauf und stellte sich oben  gegen einen Baum, wo er mit weitgeöffnetem Mund nach Luft schnappte. 
    Nach einer Weile schien es ihm, als habe er sich erholt, und weil er  die Burschen sich mit einer neuen Troza so abquälen sah, gedachte er  wieder in den Graben hinunterzusteigen, um ihnen zu helfen. Aber als er  das Bein bewegen wollte, fühlte er in der Wade ein Kribbeln, und dann  war es ihm, als schliefen ihm die Zehen ein. Dieses Gefühl ging rasch  vorüber. Er machte eine zweite Anstrengung, den Graben  hinunterzuklettern, als er nun einen heftigen Schmerz in der Wade  fühlte. Er empfand den Schmerz wie ein Stechen und gleichzeitig wie ein  Zusammenpressen,   unterbrochen  von  einem  Rucken  und 
    Stoßen. 
    Wieder versuchte er aufzutreten, und abermals fühlte er, dass er keinen  sicheren Stand auf seinem Fuße habe. Er setzte sich. auf den Boden und  bemerkte, dass aus der Wade Blut quoll, das ihm sehr dunkel erschien.  Er besah sich die Wunde und rief Andres an, der, oben am Rande des  Grabens angekommen, mit seinem Haken die Troza, die heraufgeschleppt  war, herumzuziehen versuchte, während die übrigen Burschen von unten  aus die Troza nachschoben, um den Ochsen zu helfen, sie über den Rand  zu zerren. 
    »Ich habe mich beim Fallen an einem Dorn gerissen« sagte Eulalio zu  Andres. »Vielleicht war der Dorn giftig. Oder es war ein Splinter von  einem Chechen. Oder eine Fliege hat mich gestochen. Und es scheint, sie  war giftig. Hier fühlt es sich hart und geschwollen an.« 
    »Lass sehen, Lalio«, sagte Andres, bei ihm niederkniend. Er sah sich  die Wunde genauer an. Dann ließ er Eulalios Bein zurückfallen. Sein  Gesicht hatte einen erschrockenen Ausdruck. 
    »Du, Lalio, das ist, gottverflucht noch mal, sehr böse. Ich glaubte,  sie hätte vorbeigeschlagen. Aber sie hat dich gekriegt. Und ordentlich.  Hier sind die Fänge drin. Ganz deutlich zu sehen. Das sind keine  Beißfliegen und auch keine Dornen.« 
    Die Muchachos standen oben am Grabenrand, um Atem zu schöpfen, während  die Ochsenjungen den Zug der Gespanne wieder zurückzerrten, um die  nächste Troza heraufzuziehen. 
    
  4
  »He, Muchachos!« rief Andres. »Her mit euch! Ein Feuer angezündet.  Das gottverfluchte Luder von einer Chingada Culebra hat den Lalio  geschnappt. Vicente, lass mich mal deinen Rachen ansehen.« 
    Vicente  kam willig herbei und sperrte seinen Mund weit auf. Andres besah sich  die Lippen des Jungen und fragte dann: »Hat dich ein Mosco gestochen,  oder hast du einen Riss im Maul?« 
    »No, Andres.« 
    »Gut, dann lege dich hier mal neben dem Bein des Eulalio hin, sauge ihm das  Blut aus den Punkten. Aber mit aller Kraft.« 
    Ohne zu fragen und ohne zu denken, tat Vicente, wie ihm sein Maestro befahl. 
    Andres nahm seinen Machete und kratzte die Spitze an einem Stein  scharf. »Spuck das aus, was du jetzt in deinem Munde hast, Nene. Du  hast doch das ausgesaugte Blut nicht etwa hinuntergeschluckt?« 
    »So dumm bin ich doch nicht.« Vicente lachte. »Außerdem habe ich das  schon zweimal auf unserer Finca getan, als Jungens von einer Cascabel  gebissen wurden. Aber nur einer ist durchgekommen, der andere ist daran  gestorben.« - Andres kniete neben Eulalio nieder und schnitt mit der  Spitze seines Machete die Wade so weit auf, dass die sich  gegenüberliegenden Punkte des Bisses in eine Wunde kamen. Dann kreuzte  er noch mit einem heftigen Schnitt quer darüber hin, um die Wunde weit  zu öffnen. Er rief einen anderen Jungen herbei, besah sich seinen Mund  und hieß ihn, die nun sehr vergrößerte Wunde noch weiter auszusaugen.  Inzwischen brannte ein Feuer, und die Muchachos, wissend, wie der Biss  einer Culebra de Cascabel behandelt werden muss, hatten zwei Machetes  im Feuer. Als die Machetes glühend waren, brannte sie Andres in die  Wunde. 
    Dann schnitt er die Wunde noch weiter auf, glühte sie abermals aus, und  darauf rieb er glühende Kohlenstückchen in das verschmorte Fleisch. 
    Während all dieser schmerzhaften Behandlungen verzog Eulalio keine  Miene. Er rauchte ununterbrochen an einer sehr dicken Zigarre, die  Cirilo für ihn gedreht hatte. Alles, was die Burschen taten oder  rieten, ließ er geduldig mit sich geschehen, ohne zu widersprechen und  ohne selbst etwas zu raten. 
    »Wenn wir nur eine Handvoll Schlangenkraut hier hätten oder eine  tüchtige Prise Calomel, die er schlucken könnte, dann wäre ihm sicher  geholfen, denke ich«, sagte Matias. 
    »Das alles hilft gar nichts«, mischte sich Fidel ein. »Nichts von dem  hilft, was du da machst, Andres. Wir brauchen einen alten Indianer aus  unserm Dorf, der weiß, wie man Schlangenbisse heilt.« 
    Santiago setzte sich dicht bei Eulalio hin, während er sich eine  Zigarre drehte. »Kaue deinen Tabak mehr, als, du ihn rauchst, Lalio«,  riet er. »Und wenn du ihn tüchtig gekaut hast, dann mische ihn mit  heißer Asche und stopf das so tief in die Wunde, wie du kannst.« 
    »Gute Idee«, sagte Andres. »Ich wusste gar nicht, dass du so schlau  bist. Aber das wollen wir einmal machen.« Nicht nur Eulalio, auch alle  übrigen Muchachos, die jetzt Zigarren rauchten, begannen große Stücke  ihrer Zigarren abzubeißen und sie zu kauen. 
    
  5
  In diesem Augenblick kam El Gusano angeritten. Eine Weile blieb er  auf dem Pferd sitzen. Er war bis dicht an den Rand des Grabens auf der  gegenüberliegenden Seite gekommen, wo er zu überlegen schien, ob er auf  dem Pferd sitzen bleibend die andere Seite des Grabens erreichen könnte  oder ob er besser daran täte, abzusteigen und zu Fuß auf die andere  Seite zu klettern. 
    Er kam zu der Überzeugung, dass das Pferd genug  Schwierigkeiten hätte, ohne Reiter die eine Grabenwand  hinunterzuklettern, und noch viel mehr Schwierigkeiten, die andere  steile Wand wieder hinaufzusteigen. Es war für die Ochsen schwer genug  gewesen, die an einer flacheren Stelle hinübergeführt worden waren.  jetzt aber war der Boden der Wände so zerweicht und aufgerissen von den  darübergezerrten Trozas, dass sein Pferd an dieser Stelle eingesunken  wäre, hätte er versucht, den Graben zu überklettern. Und bis an den  Hals vielleicht in die weiche Erde zu sinken und sich vor den Muchachos  lächerlich zu machen behagte ihm in diesem Augenblick wenig. 
    Er blieb deshalb auf dem Pferde sitzen und schrie nur hinüber: »Ihr  stinkigen Golfos und Faulenzer, was habt ihr euch denn nun schon wieder  hinzusetzen und Zigarren zu rauchen, wo es nun gegen Mittag geht und  die Trozas noch alle hier herumliegen. Fehlt noch eine halbe Legua bis  zum Tumbo.« 
    »Den Eulalio hat eine Culebra gebissen«, rief Pedro, »und er kann nicht  arbeiten.« 
    »Dann braucht doch ihr faules Gesindel ihm keine Gesellschaft zu  leisten, wenn er nicht arbeiten kann.« Nun stieg er dennoch vom Pferde  ab, ging den Graben einige zwanzig Meter weiter hinauf und kletterte  dort hinüber. Er kam auf die Gruppe zu, besah sich die  schwarzgeschmorte Wunde und sagte: 
    »Da hättet ihr Pulver hineinschmieren sollen.« 
    »Wo sollen wir denn hier Pulver hernehmen?« fragte Santiago. 
    »Oder gekauten Tabak«, sagte El Gusano. 
    »Da sind wir dabei, das zu tun«, erwiderte Andres. 
    »Nun, dann aber los! Und überhaupt ist der Biss jetzt genügend  gedoktert. Alles 'rausgebrannt. Du kannst jetzt gut weiterarbeiten,  Muchacho«, wandte er sich an Eulalio. »Nur nicht hier verweichlichen  eines Culebrabisses wegen. Mich haben schon hundert Culebras gebissen,  und ich lebe immer noch.« 
    »Das war aber eine Cascabel«, erklärte Pedro. »Wir haben sie gesehen. Sie war  gut ausgewachsen, beinahe zwei Meter lang.« 
    »Warum denn nicht gleich fünf Meter, und warum denn nicht gleich noch  ein Tiger obendrein?« höhnte El Gusano. »Und nun genug hier mit dem  Herumsitzen. Die Trozas müssen zum Tumbo, oder ich lasse euch heute  Nacht um elf alle antreten, wenn ihr sie jetzt nicht schafft. Wenn ich  zurückkomme und ich treffe euch immer noch an, dass ihr nichts tut,  dann gibt es was, aber was Gutes, das kann ich euch schwören.« Er  kehrte um, kroch über den Graben an der Stelle, wo er herübergekommen  war, setzte sich auf sein Pferd und ritt zu den Schlägern, um jene  ordentlich in Gang zu bringen. 
    Die Burschen mischten nun den gekauten Tabak mit heißer Asche, machten  daraus einen dicken Brei, schmierten ihn in die Wunde und banden einen  dreckigen Lappen, den Andres aus seiner Hose gerissen hatte, fest  darüber. 
    Eulalio stand auf, und alle Muchachos gingen wieder an ihre Arbeit. 
    
  6
  Die letzten Trozas wurden aus dem Graben gezerrt, und dann begann  das Abschleppen der am Grabenrand aufgeschichteten Stämme zum Tumbo. 
    »Nun mache deine Glotzen auf, Nene!« sagte Andres zu Vicente. »jetzt  wirst du etwas kennen lernen. Bis jetzt hast du nicht gearbeitet,  sondern bist nur mit den Ochsen spazierengegangen. 
    El Gusano weiß ganz gut, warum er sich gerade jetzt fortgemacht hat.  Denn nun wird's lustig. Nun kommt der Weg, auf dem du bis über die  Ohren weg in den Schlamm rutschen kannst; und wenn es niemand zur  rechten Zeit sieht, bleibst du stecken, und die zehn oder zwölf Gespann  Ochsen gehen mitsamt der Troza über dich hinweg und treten dich so tief  in den Morast ein, dass dich nicht einmal Gott mehr finden kann am  Jüngsten Tag. Geh nicht zu dicht an die Ochsen heran! Wenn sie  anzuziehen beginnen, dann schlagen sie rechts und links aus und treten  mit ihren Füßen, was ihnen in den Weg kommt.« 
    Die nächsten fünfhundert Meter waren Gefälle, es ging bergab. Die  Boyeros machten sich das zunutze. Sie koppelten nun gleich drei oder  vier Trozas zusammen und ließen sie mit einem Zug bis zur tiefsten  Stelle des hier abfallenden Geländes fahren. So währte es nicht lange,  und alle Trozas waren abermals aufgereiht. 
    Der Weg von da bis zum Schwemmgraben war eine sehr breite Erdfalte.  Seit Tausenden von Jahren waren darin Bäume und Pflanzen vermodert, die  eine weiche Erde bildeten. Es kam infolge der dichten Kronen der  gewaltigen Dschungelriesen, kaum je ein Sonnenstrahl herunter, der den  weichen Grund dieser Falte zuweilen hätte austrocknen können. Von  beiden Seiten und auch noch von dem Gefälle her lief alle Feuchtigkeit  in diese Falte, gleich, ob es Regen war oder der schwere Tau, der in  den frühen Morgenstunden von Bäumen und Sträuchern abtropfte. So ergab  es sich, dass diese Falte einen Morast bildete, den man gut einen Sumpf  hätte nennen können. Nur hatte ein Sumpf gewöhnlich mehr Wasser. Dieser  Morast war in vieler Hinsicht gefährlicher als ein Sumpf, wenn es galt  da durchzuwaten, durchzureiten oder schwere Baumstämme  hindurchzuzerren. Es war leichter, Trozas durch einen Sumpf zu ziehen  als durch diese Art von Morästen, die in den Dschungeln so ungemein  häufig sind, dass man den Eindruck gewinnt, der ganze Dschungel  bestünde nur daraus. Mit genügend langen Ketten und einer guten Anzahl  von Ochsengespannen war es, verglichen mit dem Schleppen durch diese  Moräste, ein Vergnügen, Trozas zu fahren. In einem Sumpf, wenn er nicht  gar zu verwachsen war, vermochte eine Troza zuweilen zu schwimmen. Aber  die fette Erde des Morastes war so zäh, so zusammenhängend, so schwer  lehmig, dass eine Troza, die hier durchgeschleppt wurde, von der  klebrigen, leimigen und kalkigen Masse umklammert wurde wie von einem  gewaltigen Monstrum, das eine Beute, die es erst einmal ergriffen hat,  nicht mehr herzugeben gewillt ist. Eine Troza, die am Tumbo anlangte  und auf ihrer letzten Strecke durch diesen Morast gefahren worden war,  hatte den dreifachen Umfang ihrer natürlichen Dicke, weil der zähe  Schlamm sich an der Troza festklammerte und sich mitziehen ließ. Dieser  Schlamm war so zäh, dass er oft mit den Händen allein nicht von der  Troza abgepellt werden konnte, sondern dass Machetes, Äxte und dicke  Äste zu Hilfe genommen werden mussten, um den harten und zähen Schlamm  abzuschälen. 
    Als Don Severo und El Picaro vor zwei Wochen mit Hilfe einiger  Muchachos das zu eröffnende neue Arbeitscamp erforschten, um die  Ausbeutungsregionen festzulegen und die Abschwemmgräben zu entdecken  und zu bezeichnen, hatten sie wohl diese Erdfalte, über die alle  Trozas, die in diesem Campo geschlagen wurden, geschleppt werden  mussten, gesehen. Einen vollen Tag verwendeten sie darauf, eine andere  und bessere Anfahrtsgasse für diesen Tumbo zu finden. Aber es stellte  sich heraus, dass auf einer Breite von etwa fünf Kilometern alle Wege,  die zu dem Hauptgraben führten, durch solche Erdfalten gingen. Und da  alle diese Erdfalten Moräste gleicher Art waren, wurde entschieden,  einfach den kürzesten Weg zu wählen, und das war der, vor dem die  Boyeros jetzt die Stämme aufgereiht hatten. 
    
  7
  Matias, Pedro und Fidel waren vorausgegangen, um sich den Weg in  seiner ganzen Länge anzusehen. Als sie zurückkamen, sagte Matias: »Nun  hört einmal zu, Muchachos! Jetzt setzen wir uns erst einmal alle  hierher und drehen uns eine Zigarre und rauchen sie in Ruhe. Und wenn  ihr etwas wissen wollt, können wir euch alles recht schön erzählen, was  wir gesehen und erlebt haben. El Gusano glaubt, dass wir morgen Mittag  alle Trozas am Tumbo haben werden. Und ich kann euch sagen, wenn wir  alle Trozas in drei Tagen am Tumbo haben, dann können El Gusano und El  Picaro froh sein. Was meint ihr, Pedro und Fidel? Habe ich vielleicht  nicht recht?« 
    »Sicher«, sagte Pedro kurz. 
    »Es kann auch eine Woche dauern«, verbesserte Fidel. 
    Darauf sagte Sixto, während er seine frisch gewickelte Zigarre  andächtig ableckte: »Dann können wir uns ja auch alle auf ein  reichliches Henken freuen, wenn wir die Trozas nicht wenigstens in zwei  Tagen drüben haben.« 
    »Und wenn uns der Hundesohn auch alle henkt und jeden acht Stunden lang  in der Nacht henkt, es hilft ihm gar nichts, in weniger als drei Tagen  kriegen wir die Trozas nicht hinüber.« Matias zündete sich seine  Zigarre an. Nachdem er einen kräftigen Zug getan hatte, fügte er hinzu:  »Und wenn wir alle richtige Muchachos wären und keinen Schitt in  unseren Pantalones hätten, dann würden wir für jede Stunde, die uns die  Hurenbengel henken, einen vollen Tag nicht arbeiten.« 
    »Dann fangen sie wieder mit den Fiestas an, mit dem Aufledern von  fünfzig Hieben auf jeden«, sagte Cirilo. Matias lachte grimmig. Es war  mehr ein Bellen als ein Lachen. Und er sagte: »Was können denn diese  Cobardes, diese verhurten Hunde und Stinksöhne einer Puta, noch an mir  oder an Fidel oder an dir, Sixto, abledern? Mein Rücken ist so hart  geknüppelt von diesen Bestien, dass ich schon lange nicht mehr nur  Hühneraugen auf dem Rücken habe und völlig verholzte Striemen, sondern  bereits eine dicke Hornschwarte. Die können mir hundert aufledern, und  ich rauche mir dabei meine Zigarre ebenso ruhig und zufrieden wie  jetzt.« 
    Nun mischte sich Andres ein. »Sie wissen, dass uns das Knüppeln und  Peitschen nicht eine Miene im Gesicht zucken lässt, und dass es nicht  mehr hilft. Darum haben sie ja auch das wunderschöne Henken erfunden.« 
    »Gar nichts haben sie erfunden«, meinte Procoro, ein anderer der  Boyeros. »Gar nichts. Die sind viel zu dumm, um etwas zu erfinden. Das  haben die Montellanos erfunden. Damit haben sie alles Geld gemacht, mit  dem sie die drei Monterias hier kaufen konnten. Fragt mal die Hacheros,  wie die jetzt drei und vier Tonnen im Tag machen aus Furcht vor dem  Henken. Und uns wird das auch noch zukommen. Das kann ich euch  erzählen. Wenn die Schläger anstatt der üblichen zwei Toneladas jetzt  drei und vier schaffen müssen, dann müssen wir natürlich jeden Tag das  Doppelte abfahren, ob mit oder ohne Ochsen. Und wenn die Ochsen bocken  und sich hinlegen, dann könnt ihr die Trozas auf eurem Rücken  weiterschleppen.« 
    »Somos los indios colgados, wir sind die gehenkten Indianer«, sagte Fidel. 
    »Oder los indies ahorcados, die zu Tode gehenkten Indianer«, fügte Sixto hinzu. 
    »Das wäre besser als nur die Colgados.« Procoro puffte dicken Rauch aus  seiner Zigarre. »Einmal ahorcado, richtig zu Tode gehenkt, ist viel  besser. Dann ist man das ganze Elend hier los. Aber immer nur halb  gehenkt werden und am nächsten Tage das Doppelte arbeiten müssen, um  nicht am Abend wieder vier Stunden lang gehenkt zu werden, das ist die  ewige Hölle. Wir müssten sie alle hier totschlagen, nicht nur El Picaro  und El Gusano, sondern auch gleich alle anderen Capataces in allen 
    Campos und dann die drei gottverfluchten Montellanos noch obendrein.« 
    »Aber erst allen fünfhundert aufgeledert, dann kuriert und dann vier  Wochen lang jeden Abend mit heißem Kaffee und Aguardiente voll gepumpt  bis zum Platzen und dann sechs Stunden lang gehenkt. 
    Und wenn ihnen alle Glieder so lang ausgehenkt sind, dass sie aussehen  wie Bindfäden, dann an einen Baum gebunden und an den Baum ein Feuer  gelegt. Gottverflucht noch mal, wenn ich das eines Tages mit denen  allen tun könnte, dann will ich doch gern dafür zehnmal in die Hölle  gehen.« Matias stand auf, warf den Rest seiner Zigarre heftig auf den  Boden, trat darauf und drehte den Fuß dabei kräftig hin und her, als  wolle er den Zigarrenstumpf tief in die Erde bohren. »So, genau so«,  sagte er wild, »genau so möchte ich den Kopf dieses Sohnes einer  elenden Hündin, den höllisch verdammten Kopf des El Gusano hier in die  Erde bohren.« 
    »Wer möchte das nicht?« sagte Andres. »Aber das hilft uns alles nichts, wir tun  besser daran, unsere Trozas abzufahren.«  | 
  
    
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