SECHZEHNTES KAPITEL
1
Die Muchachos wanderten, völlig erschöpft von einer fünfzehnstündigen schweren Arbeit in den Tiefen des Dschungels, zurück zum Campo. Als sie dort ankamen, war es dunkel geworden.
Eine Stunde darauf gingen sie zum Koch, um ihr Abendessen zu empfangen: schwarze Bohnen, aufgekocht mit grünen Pfefferschoten, Tortillas und Kaffee. Während sie aßen, fragte Pedro: »Was macht denn unser Companero Eulalio? Hat jemand nach ihm gesehen?«
»Ja«, erwiderte Andres, »ich habe ihm Kaffee gegeben. Halb sieht es aus, als ob er sich erhole, und halb, als ob er draufgehen wolle. Ich werde nicht ganz klug aus ihm.«
»Wir werden nach dem Essen einmal untersuchen, was wir mit ihm tun können«, sagte Matias, während er seine Bohnen mit einem Stück Tortilla auflöffelte und sie in den weitgeöffneten Mund schob.
Fidel nahm einen Schluck Kaffee und meinte: »Da können wir nun auch nicht mehr viel tun. Das Bein ist fort, und wenn wir noch einmal an ihm herumsägen, dann bleibt ja von dem ganzen Jungen nichts mehr übrig.«
Die essenden Burschen hockten vor der Küche auf dem Boden, spärlich beleuchtet von den flackernden Feuern der Kochhütte und zwei schmökenden Laternen, die der Koch an zwei Pfählen der Hütte aufgehängt hatte. Während die Burschen noch hier hockten, kamen die Hacheros gleichfalls zur Küche, um ihr Essen zu empfangen.
Häufig, wenn die Schlagfelder zu weit entfernt von dem
Campo waren, nahmen die Schläger wie auch die Boyeros beim Abrücken am Morgen ein leichtes Essen mit sich und wärmten es nahe bei ihrer Arbeitsstelle auf. In einem solchen Falle erhielten sie ihr volles Mittagsmahl am Abend. Das so genannte volle Mittagsmahl, oder la comida, unterschied sich von dem leichten Essen, wie es die Burschen am Morgen und am Abend erhielten, nur darin, dass es neben den schwarzen Bohnen noch Reis gab und ein Stückchen Trockenfleisch oder an Stelle dessen eine schwindsüchtige Ölsardine und zuweilen ein halbes Dutzend Bananen, die nahe den Oficinas Centrales gewonnen wurden. Es muss nun freilich gesagt werden, dass es hinsichtlich des Essens hier bei weitem gerechter zuging als bei Kriegsheeren zivilisierter Länder. El Picaro und El Gusano erhielten auch nicht eine armselige Bohne besseres Essen als die Muchachos. Und selbst Don Severo, wenn er, wie jetzt, im Arbeitscamp war, erhielt dasselbe Essen, vielleicht nur etwas aufgeheitert durch eine oder zwei Büchsen Ölsardinen in der Woche. Nur die Leute in den Oficinas Centrales, in dem Hauptquartier der Monteria, wo der Laden war und die Händler hinkamen, vermochten sich etwas Besseres zu leisten.
2
Wenn die Caoba in der Region ausgab. und die Burschen mehr als eine Stunde vom Campo entfernt zu arbeiten begannen, dann wurde das Campo verlassen und im Mittelpunkt der neuen Ausbeutungsregion ein neues Campo gebaut, eine Oficina für den Contratista oder den aufsichtführenden Capataz, eine neue Küche und neue Wohnhütten für die Leute. Da alle diese Gebäude von primitivster Art waren und kein anderes Material verwendet wurde als das, was der Dschungel bot, so dauerte das Aufbauen eines neuen Campo kaum einen Tag. Und es wurde wieder verlassen, wenn eine neue entferntere Region eröffnet und ausgebeutet wurde. Nur das Hauptquartier der Monteria blieb unveränderlich an ihrem ursprünglichen Ort.
Es musste dort verbleiben, weil es die Zentrale der Konzession bildete. Die Konzession ging der Company oder den Unternehmern verloren, wenn, je nach den Verhältnissen, für sechs oder zwölf Monate die Zentrale verlassen wurde und niemand in dem Konzessionsgebiet arbeitete. Die Regierung hatte dann das Recht, die Konzession als aufgegeben anzusehen und sie an einen neuen Unternehmer zu vergeben. Freilich, es geschah oft, dass drei, fünf, ja zehn Jahre vergingen, ehe die Regierung offiziell Kenntnis davon bekam, dass die Konzession verlassen war. Die Companien und Unternehmer zahlten nur Steuer für die Produktion, die verschifft wurde. Das Nichteingehen der Steuer mochte seine Gründe darin finden, dass in der Konzession wenig produziert wurde, vielleicht aus Mangel an Caoba oder Mangel an Leuten. Die Ursache brauchte keineswegs die zu sein, dass die Konzession verlassen worden war. Und ob sie verlassen war oder ob sie gehalten wurde, konnte nur genau festgestellt werden dadurch, dass die Regierung eine Kommission ausschickte. Das war sehr kostspielig; und ob die Kommission wirklich die Monteria fand oder sich auch nur die Mühe nahm, sie zu finden, das konnte die
Regierung nie wissen. Das Hauptquartier der Company oder des Unternehmers im Hafen oder je nachdem in San Juan Bautista gab nur solche, je nach besonderen Umständen gefärbte Berichte ab; die den eigenen Geschäften günstig waren. Diese Geschäfte waren oft nichts anderes als reine Spekulationsgeschäfte, die sich durch das Festhalten an der Konzession leichter verschleiern ließen.
Die Montellanos freilich dachten nicht daran, ihre Konzessionen aufzugeben. Im Gegenteil, sie beuteten sie aus bis zum letzten Baum, den sie nur finden konnten. Und hätten sie eine Konzession entdeckt, die wirklich verlassen war, ohne voll ausgebeutet zu sein, so wären sie mit einer solchen Wildheit darauflosgesprungen, dass man hätte glauben können, sie wollten den ganzen Dschungel verschlingen.
3
Eine reichlich große Schar von Burschen war es, die jetzt beim Abendessen um die Küchenhütte herumhockten, aßen, schmatzten, schlürften, schwatzten, mit ihren Schüsselchen und Kännchen klapperten, aufstanden, sich an anderer Stelle wieder niederhockten, riefen, pfiffen, summten, stritten.
Einige hockten ganz in sich zusammengefallen und begannen über ihren Trinkschalen und irdenen Näpfen einzuschlafen.
Mehrere Burschen standen auf, um sich zu den Hütten zu begeben und sich auf ihre Matten zu werfen.
Da kam El Picaro auf die Gruppe der Boyeros zu. Er wurde erst gesehen, als er ganz dicht vor ihnen stand, denn es war längst volle Nacht. Der Schein der Feuer und der beiden Laternen, die ewig zu überlegen schienen, ob sie nun wirklich leuchten sollten oder besser daran täten, mit einem letzten kummervollen Flackern zu verlöschen, reichte nur einige Schritte weit in die schwere Dunkelheit.
El Picaro war noch immer über und über mit Schlamm und Morast bedeckt. Selbst sein Gesicht und sein Haar zeigten noch reichlich Spuren des eleganten Rittes, den er durch den Morast zu machen versucht hatte. Jedoch der Morast war nun eingetrocknet und verkrustet und hing an seiner Kleidung fest wie ein Panzer. An vielen Stellen begann der verkrustete Schlamm bereits abzufallen und abzublättern oder in Staub zu krümeln. El Picaro wartete sicher auf den nächsten Regenguss, um sich dann voll bekleidet in den Regen zu stellen und den Morast von seiner Kleidung, seinen Stiefeln und aus seinem dichten Haar abwaschen zu lassen, ohne sich selbst dabei anstrengen zu müssen. Es war nicht etwa so, dass er den Dreck an sich liebte. Der eine Grund, warum er noch immer mit dieser Schlammkruste herumlief, war der, dass er nur diese Kleidung besaß. Auch die vier Hemden, die er hatte, waren alle gleich zerlöchert und gleich verkrustet, weil selten ein Tag vorüberging, an dem er nicht durch Morast zu reiten oder zu waten hatte und häufig genug lang in den Schlamm fiel. Der andere Grund, warum er immer noch diesen Dreck an sich trug, war, dass er bis jetzt noch keine Minute Zeit gefunden hatte, sich zu waschen oder ein Hemd herauszusuchen, das besser ausgesehen hätte, als das, das er gegenwärtig auf dem Leibe trug. Zu alledem kam hinzu, dass er genauso müde war wie alle übrigen Leute und zu dieser Stunde weder genügend Kraft noch Ehrgeiz aufzubringen vermochte, um sich zu waschen und die Schlammkrusten von seinem Hemd und seiner Hose abzupellen und abzureiben.
Der Dschungel und das Arbeiten im Dschungel lassen keine Privilegien zu, der Herr ist wie der Knecht und der Offizier gleich dem Soldaten; am Abend sind beide gleich müde, und beiden ist auch das letzte Fünkchen von Ehrgeiz und Liebe zur Reinlichkeit verloren gegangen, sobald sie ihr Essen verschluckt haben.
El Picaro blieb zwischen den Boyeros stehen. Einige der Muchachos blickten träge zu ihm auf, um zu erraten, was er wolle und welche neuen Befehle er zu geben beabsichtige. Die Mehrzahl jedoch nahm gar keine Notiz von ihm.
»Ihr könnt auch aufstehen und >Buenas noches, jefe!< sagen, wenn ich hier herkomme«, begann er.
Keiner der Burschen rührte sich. Nur Vicente, halb ängstlich vor Furcht, dass ihm El Picaro vielleicht einen Hieb versetzen könnte, sagte fast halblaut: »Guten Abend, Patroncito!« Aber im selben Augenblick bemerkte er, dass keiner der Burschen das Maul aufgemacht hatte, um El Picaro zu grüßen, und er schämte sich und hatte das Gefühl, dass er ein Verräter an seinen Kameraden sei. Es nahm ihm das jedoch niemand übel; denn keiner der Burschen würde es gewünscht haben, dass El Picaro diesem armseligen Krümchen von einem Menschen, das vor Müdigkeit und Überanstrengung völlig winselig geworden war, ein paar heftige Tritte in den dürren Leib versetzt hätte.
Drüben bei den Schlägern, hörte man auch, was El Picaro hier sagte, denn er rief es laut genug und mit der Absicht, dass alle es hören sollten.
Als El Picaro schwieg und außer Vicente niemand sich rührte, sagte Celso zu der Gruppe, in der er hockte und seine Bohnen aß: »Bueno, gut, dass keiner aufstand und nur das Würmchen von einem Jüngelchen das Maul aufgemacht hat; denn ich kann euch hier schwören: Wenn einer von euch >Guten Abend, Jefe!< gesagt hätte, dann hätte ich ihm heute Nacht die Fresse kurz und klein gehämmert.«
»He, was sagst du da?« rief El Picaro, der gehört hatte, dass Celso redete, ohne zu verstehen, was gesagt worden war.
»Ich sagte, dass ich ihm die Fresse zerschlagen werde«, gab Celso zur Antwort.
»Wen schlägst du in die Fresse?« fragte El Picaro.
»Den, der sein Maul zur unrechten Zeit aufmacht«, erwiderte Celso und versteckte sein Gesicht hinter seinem Blechkännchen, aus dem er nun einen langen Schluck Kaffee sog.
El Picaro konnte in dem ungewissen Licht nicht deutlich sehen, wer gesprochen hatte. Aber er schien etwas anderes vorzuhaben; denn er vergaß im Augenblick, was Celso sagte, und machte sich nicht die geringste Mühe, darüber nachzudenken, wie Celso das meinte.
Er blickte nun wieder auf die Boyeros, wickelte sich eine Zigarette, ging zu einem der Feuer, wo er sie anzündete, und kam wieder zurück zu der Stelle, an der er gestanden hatte. Dann puffte er eine Wolke von Rauch aus und sagte: »Ein paar von euch kommen 'rüber zu meiner Oficina. Ich werde euch Spaten geben. Es wird besser sein, ihr grabt den Eulalio jetzt noch ein. Er ist tot. Wir können ihn nicht bis morgen liegenlassen, dann stinkt er und verpestet uns hier die ganze Umgebung. Ihr wisst ja, wo der Cementerio ist, der
Begräbnisplatz. Eine gottverdammte Sache hier, dass man seine Leute nie voll haben kann. Und Don Severo ist immerfort hinter mir her. Ich dachte, er würde sich durchhelfen.
In einer Woche hätte er sich an seinen gottverdammten Stumpf einen Holzknüppel anbinden und kräftig schlagen und sein Konto 'runterarbeiten können. Aber gottverflucht noch mal, alles geht verkehrt hier.«
Er winkte einigen Muchachos, ihm zur Oficina zu folgen.
4
Die Burschen standen auf und gingen zur Hütte, wo Eulalio lag. »Nichts mehr mit ihm zu machen«, sagte Matias. »Er ist richtig tot. Die Mühe mit dem Beinabsägen hätten wir uns sparen können. Das verfluchte Gift muss schon oben in seinen Hüften gewesen sein, als wir das Bein abschnitten.
Vielleicht hat er noch einen zweiten Biss gehabt, weiter oben, den wir nicht gesehen haben. Ich bin sicher.«
»Eine schöne blaue Leiche macht er.« Santiago betrachtete sich Eulalio in dem trüben, rauchigen Licht ganz nahe und mit einer rührenden Andacht, die wie ein ungesprochenes Gebet war. Aber als er sich seiner Gefühle bewusst zu werden begann, schüttelte er sie mit einer raschen Bewegung seines Kopfes ab.
Um bei den Muchachos, die herumstanden und nicht wussten, was zu tun und was zu sagen, auch nicht den leisesten Eindruck zu erwecken, dass er vielleicht gar weinerlich sein könnte, sagte er in seinem üblichen ironischen Ton: »Und nun müssen wir auch noch wieder sein abgesägtes Bein ausgraben gehen, das wir schon beerdigt hatten, damit wir es zu dem übrigen Körper legen können; denn wenn eines schönen Tages die Englein kommen sollten, um ihn aufzuwecken, dann würde er seine gottverdammte Mühe haben, auf seinem Stumpf herumzuhumpeln und das Bein zu suchen.«
»Denkst du nicht, Santiago«, meinte darauf Andres, »dass ihn Dios ebenso gut willkommen heißen wird, wenn er nur mit einem Bein angehumpelt kommt?«
»Dessen bin ich nicht so sicher. Dios bekommt vielleicht einen Schreck, wenn er ihn so sieht in seiner zerlumpten Hose und mit einer dicken Schlammkruste überdeckt. Und überhaupt, ein armseliger Ochsenknecht, wie er ist und wie wir alle hier, zerpeitscht, unvernarbte Schwielen überall, voller Dreck, nicht gekämmt, die aufgekrempte Hose so zerlöchert, dass man hinten seinen Ursch und vorne seinen Pricker sieht, und dann da auftreten neben all den Päpsten, Kardinälen, Bischöfen, Prälaten und den frischgewaschenen Engelchen, die da herumflattern, no camerada, das kann ich nicht glauben, dass da Eulalio willkommen geheißen und als gleichberechtigt aufgenommen werden wird.
Das kann mir niemand erzählen, und wenn es mir einer erzählen will, dann schwindelt er.«
Andres war neben Eulalio niedergekniet und bemühte sich, ihm die Augen zuzudrücken, die nicht halten wollten. Er gab dann den Burschen einen Wink, und sie zogen Eulalio auf seiner Matte in die Mitte der Hütte. Darauf stellten die Muchachos die rauchenden Arbeitslaternen um den Leichnam, zwei zu beiden Seiten des Kopfes und zwei zu beiden Seiten der Füße, so wie sie es daheim in der Finca taten. Nur gebrauchten sie dann Kerzen. Da aber hier niemand Kerzen hatte, so mussten die schmökenden, offenen Dochtfunzeln diesen frommen Dienst versehen.
»Dios wird es sicher weder ihm noch uns übel nehmen, auch la Madre Santisima nicht, wenn wir an Stelle der Kerzen nur unsere elenden Linternas hier brennen, weil wir nichts Besseres haben«, sagte Pedro so, als wollte er den Himmel um Entschuldigung bitten, dass sie dem Verblichenen keine besseren Begräbnisfeierlichkeiten bieten konnten.
5
Vicente und einige der anderen kleinen Jungen hockten sich nieder und begannen, Litaneien zu singen.
Von diesen Litaneien verstanden sie kein Wort richtig; denn was sie sangen, war nur durch häufiges Hören gelernt. Weil es zu einem Drittel korruptes Latein war, zum andern Drittel ein noch schlechteres Spanisch und das letzte Drittel gemischt war aus vier verschiedenen indianischen Dialekten, so hatte sicher selbst Gott im Himmel seine verfluchten Schwierigkeiten, zu verstehen, was diese Burschen hier unten im Dschungel eigentlich von ihm wollten. Der Singsang kam jedoch aus ihrem vollen Herzen und war auf alle Fälle ehrlicher als neunzig Prozent aller Gesänge, die in einer zivilisierten Sprache, den Anwesenden verständlich, an offenen Gräbern heruntergeleiert werden und das auch noch mit Mienen, aus denen man, ohne Zeichendeuter zu sein, leicht ablesen kann, dass alle, Sänger und Zuschauer, nur einen Gedanken haben: »Oh, heiliger Bimbam, wenn doch nur die Steherei hier schon zu Ende wäre und wir uns einen guten Cognac einschwenken könnten. Das ist ja wahrhaftig, um junge Hunde zu kriegen, ehe der alte Salbader von einem Pfaffen zu Ende kommt. Ja, verflucht noch mal, hat er denn nun immer noch was zu sagen? Es wird gleich zu regnen anfangen, und meine Frau hat ihren neuen Hut aufgesetzt, und der kostet mich einen Haufen teures Geld. Weiß der Teufel, warum habe ich mich auch verleiten lassen, mit zu diesem Begräbnis zu zotteln, es wäre ganz gut ohne mich gegangen. Gott sei gelobt, nun fängt er ja an, ihn einzusegnen und von dem Staub und der Asche zu reden und drei Prisen Dreck in die Grube zu pfeffern. Da habe ich schon einen nassen Tropfen auf die Nase gekriegt, es fängt richtig an zu regnen, und ich habe keinen Schirm mitgebracht! Den ganzen Tag war Sonnenschein, und gerade jetzt muss es zu regnen anfangen. Nun muss ich auch noch den Hut abnehmen und mir mein fettiges Hutband ansehen und das Futter beschnüffeln.«
6
Andres zog die zweite Matte hervor, die unter derjenigen lag, auf der Eulalio ruhte, während Fidel und Matias den Körper anhoben. Diese zweite Matte deckte jetzt Andres über den Körper, nachdem die untere Matte zu beiden Seiten des Eulalio hochgerollt war.
»Wo habt ihr denn das Bein?« rief Matias.
»Hier ist es«, erwiderte Procoro und schob es gegen den Stumpf. Cirilo bemerkte beiläufig: »Es war höchste Zeit, dass wir das Bein ausgruben, die Hunde hatten schon angefangen, es aufzuscharren.«
»Ihr hättet es im Campo Santo eingraben sollen«, sagte Sixto.
»Dazu hatten wir heute Mittag keine Zeit, El Gusano war ja gleich hinter uns her, dass wir abmarschieren sollten, um die neue Gasse drüben zu bauen.«
Die obere Matte wurde nun gleichfalls umgerollt. Mehrere der Burschen hatten Lianen und lange Bastriemen herbeigebracht. Der Körper, völlig eingewickelt in die beiden Petates, wurde rundherum verschnürt, damit er beim Tragen aus den Matten nicht herausrutschte.
Als er nun wie ein langes Paket aussah, knieten alle Burschen nieder, bekreuzigten sich und fielen in das Singen der Jungen ein. Jeder sang nach seiner Weise, und es waren sicher keine drei, die eine und dieselbe Litanei oder dasselbe Ave zu singen vermochten, auch wenn sie es gewollt hätten. Was aber auch immer die Worte waren, die sie sangen, oder die ungewisse und verworrene Melodie, mit der sie ihren Gefühlen Ausdruck gaben, sie alle dachten dabei an Eulalio; Eulalio, den sie gestern gesund in ihrer Mitte gesehen hatten und der heute sich verabschiedet hatte, um zu einer anderen Monteria als Boyero zu gehen. Mit Ochsen umzugehen und Trozas zum Tumbo zu fahren war das einzige, was Eulalio gut verstanden hatte.
Darum bestand bei keinem der Muchachos ein Zweifel darüber, dass, wohin Eulalio auch immer gehen oder wo er auch immer ankommen würde, er wieder Boyero sein und Trozas zu fahren haben werde.
Vielleicht würde er weniger gepeitscht von El Gusano und seltener gehenkt auf Anordnung des Don Severo; vielleicht gab es zuweilen gutes Fleisch beim Essen und mehr schwarze Bohnen und frischere Tortillas; vielleicht bekam er ein neues Hemd und eine gute weiße Baumwollhose und gelegentlich seine Trinkschale voll gefüllt mit gutem altem Comiteco; aber Trozas musste er täglich fahren, von zwölf Uhr nachts bis elf Uhr morgens, und nachmittags Calzadas bauen. Das war gewiss. Und das war der feste, unerschütterliche Glaube aller Caobaleute. Denn Eulalio war desertiert, ohne seine Schulden abgearbeitet zu haben. Solange die nicht bis zum letzten Centavo abverdient waren, hatte er Trozas zu fahren, wohin er auch immer gehen würde. Menschen kamen und gingen, aber die Schulden blieben.
Ungezählte Tausende von Peones, von Landarbeitern, lebten auf den Fincas, Domänen und Feudalherrschaften als Leibeigene und hatten Schulden abzuarbeiten, die von ihrem Vater herrührten, der wieder die Schulden seines Vaters übernommen hatte. »Die getreue Abtragung der Schuld des Vaters ist die fromme Pflicht des gehorsamen Sohnes, damit der Vater weniger lange Zeit im Fegefeuer zu leiden habe und Ruhe im jenseits finde.« Der Cura sagte das, wenn immer er zur Finca kam und in der Kapelle der Finca die Ehen der Peones einsegnete und deren Kinder taufte. Und darum waren alle Muchachos, die hier Litaneien sangen, durchaus des Glaubens, dass Eulalio auch jetzt wieder Trozas fahren würde; denn dass es für einen Peon jemals ein Dasein geben könne, hier oder im jenseits, wo er nicht zu arbeiten brauche, wo er keine Schulden habe, die er herunterzuarbeiten verpflichtet sei, wäre ihnen unbegreiflich gewesen. Die Arbeit mochte vielleicht weniger hart sein, das Essen besser und die Behandlung milder; aber gearbeitet musste werden. Weil Eulalio nichts anderes kannte als Arbeit mit Ochsen und Trozas fahren, so war das auch jetzt wieder seine Arbeit, und alles ging durchaus natürlich zu. »Una vez peones, para siempre peones. Das Schicksal machte uns zu Proleten und Landarbeitern, und deshalb bleiben wir in alle Ewigkeit Peones. Ni la muerte nos libra.
Selbst der Tod befreit uns nicht von unserem Schicksal.«
7
Die Burschen hörten auf zu singen, bekreuzigten sich, dann den Abgeschiedenen und dann abermals sich. Sie waren nun bereit, Eulalio aufzunehmen und mit ihm abzuwandern.
Da kam El Gusano in die Hütte. Er blickte sich um, sah auf das Paket am Boden und sagte: »So viele Laternen brauchen doch wirklich nicht zu brennen. Weiß die gottverdammte Hölle, wann wir wieder frisches Petroleum bekommen. Fackeln aus Ästen hätten es auch getan.«
»Ja, die hätten es auch getan, Jefe.« Santiago richtete sich auf und blies die Laterne aus, die er in der Hand hielt, und zwei andere, die dicht zu seinen Füßen standen.
Ohne sich weiter um El Gusano zu kümmern, sagte er: »Vamonos, muchachos!« Die Burschen wurden geschäftig, nahmen den Packen auf ihre Schultern und marschierten aus der Hütte.
Während all dieser Bewegungen und Handlungen schoben und stießen sie El Gusano von einem Platz zum andern, als wäre er ein Stück Möbel, das im Wege stand. Er war eingetreten als Kommandierender, der keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen beabsichtigte, ohne als Befehlender einzugreifen. Er hatte hier in diesem Geschäft nichts anzuordnen, und niemand hatte ihn oder El Picaro um Rat oder irgendwelche Mithilfe ersucht. Er versuchte, herumzuhantieren, als ob er sich verpflichtet fühle, das Begräbnis zu leiten oder irgendwie dreinzureden. Als die Burschen dann endlich auf dem Marsch waren, wollte er folgen. Er bewegte sich so, als ob er auch hier Vorgesetzter sei und einem Arbeiter das letzte Geleit zu geben habe, nicht als Leidtragender oder Trauernder, sondern um die Leute nicht vergessen zu lassen, dass sie ohne seine Befehle nicht einmal ihre Toten begraben konnten oder gar durften.
Die Leute drückten sich jedoch so geschickt in einen Knäuel, liefen so hin und her und schoben sich unausgesetzt so eilig durcheinander, dass dem Gusano keine offene Lücke blieb, um wirklicher Teilnehmer am Marsche sein zu können.
Ganz unerwartet fand er sich mehrere Schritte weit zurück und wusste nicht, wie das gekommen war; denn eben noch schien er mitten unter den Muchachos gewesen zu sein.
Niemand drehte sich nach ihm um. Die Burschen nahmen plötzlich eine sehr rasche Gangart an, so dass er sich lächerlich vorgekommen wäre, hätte er versucht, hinterherzurennen wie ein zurückgelassener Hund.
Er blieb stehen und sah dem Trauerzuge nach. Die kleine Schar wurde rasch von der Nacht verschluckt, und er sah für einige Sekunden nur noch das Fünkchen der schmökenden Laterne, das hin und her schwankte, ganz klein wurde und dann mit einem Ruck verschwand.
8
Nur eine einzige Laterne trugen die Muchachos. Alle übrigen hatten sie beim Verlassen der Hütte ausgelöscht und auf den Boden gestellt. Ihre Geste war so deutlich lickmirnursch gewesen, dass selbst El Gusano sie nicht missverstehen konnte. Nicht einen Tropfen billigen Petroleums wollten sie von ihm geschenkt haben, wenn sie ihren Kameraden zu Grabe trugen. Die eine Laterne, die sie jetzt noch mit sich führten, war der schweren Finsternis wegen notwendig.
Als sie ein Stück gegangen waren und zum Dickicht kamen, begannen sie Äste und Zweige abzuschlagen und sie als Fackeln zu brennen.
Der Cementerio war nur fünfzehn Minuten vom Lager entfernt. Solange ein neues Camp nicht zu weit weg aufgebaut wurde, bedienten sich die Leute des Begräbnisplatzes, der angelegt worden war, als der erste Mann im neuen Semaneo verstarb. Darum wurde der Campo Santo für einen neu eröffneten Semaneo immer weit voraus in jener Richtung angelegt, nach der hin die nächsten Felder aufgeschlossen werden sollten. Dadurch konnte der Begräbnisplatz, einmal angelegt, für lange Zeit dienen. Nur wenn die neuen Camps gar zu weit in neue Gebiete verlegt wurden, musste ein neuer Campo Santo bestimmt werden, damit bei den Begräbnissen nicht zu viel Zeit verloren ging. Alle Zeit der Burschen gehörte als unbestrittenes und als gesetzliches Eigentum den Inhabern der Konzessionen.
Und je weniger Zeit auf so überflüssige Arbeiten wie das Einscharren eines Muchachos verwendet wurde, um so mehr Zeit blieb für nützliche Arbeit. Meist geschah es, dass in einem neuen Camp schon nach drei Tagen jemand eingegraben werden musste.
Ob in diesem Campo Santo, auf dem die Muchachos jetzt anlangten, viele begraben lagen oder wenige, war schwer zu sagen. Eine Anzahl niedriger Hügelchen war unregelmäßig über den Platz verstreut. Hier und da steckten im Boden zerbrochene und verwitterte Kreuzchen, gefertigt aus roh zugehackten Stämmchen. Zu allen Seiten sah man Einsenkungen, von denen man, ohne mehr darüber zu wissen, annehmen durfte, dass dort einen Meter oder noch weniger tief ein Körper in sich zusammengefallen sein musste, so dass die Oberfläche der Erde nachrutschte. An den meisten Hügelchen und Einsenkungen hatten Schweine und Hunde gewühlt. Manch einer der Hunde war von einem Arbeiter mitgebracht worden, weil sich der Hund von seinem Herrn nicht trennen konnte. Und starb der Herr, so suchte ihn der Hund unter der Erde. Aber das waren Ausnahmen. Die Hunde, die sich in Dutzenden in den Camps herumtrieben, waren immer hungrig, und sie mussten gleich den ewig hungrigen zahmen und wilden Schweinen von selbst zusehen, wo und wie sie ihr Futter bekamen, wenn sie leben wollten. Wenn sie ihr Futter nicht von den Lebenden bekommen konnten, so mussten sie es von den Toten nehmen. Allein auf die Jagd in den Dschungel zu gehen, um sich etwas zu fangen, dazu waren die Hunde und erst recht die zahmen Schweine zu furchtsam und zu faul. Die wilden Schweine waren im Dschungel zwar in ihrer Heimat, aber sie versuchten, mehr noch als die zahmen, so bequem zu leben, wie es eben einem Schwein von Natur wegen zusteht. Im Streit um diese leichten Beuten blieben die wilden Schweine gegenüber den zahmen und gegen die hungrigen Hunde immer siegreich, und sie überließen den Besiegten das Feld nur, wenn sie sich infolge eines übervollen Magens nicht mehr rühren konnten.
9
In wenigen Minuten war ein Loch gegraben. Einige der Burschen begannen wieder, eine Litanei zu singen, diesmal jedoch weniger aus einem Herzensbedürfnis heraus als vielmehr darum, weil sie nicht recht wussten, was sie Besseres tun konnten, während das Loch ausgeworfen wurde.
»Wenn wir unsern alten Medizinmann hier gehabt hätten«, sagte Procoro zu Valentin, der neben ihm stand und eine Zigarre drehte, »dann wäre der Eulalio nicht so elend verreckt. Por Dios, wie viele sind in unserm Dorfe doch schon von Cascabeles gebissen worden, und die leben alle noch. Ich kenne ein halbes Dutzend Jungens, alle in meinem Alter, und sie und ich, wir haben uns manchmal zum Vergnügen von einer Klapperschlange beißen lassen und mit ihr gespielt. Dann haben wir geschrieen und sind zum Bruio gelaufen, zu dem alten, verknorpelten Medizinmann, und der hat uns eine Suppe eingegeben, und alles war wieder gut.«
»Du brauchst hier auch nicht gerade so zu schwindeln«, erwiderte Valentin, »auf der Finca, wo ich groß geworden bin, da ist noch ein jeder gestorben, der von einer Cascabel gebissen wurde. Da gibt es kein Mittel dagegen.«
»Und ich sage, da gibt es aber trotzdem ein Mittel dagegen, das immer hilft«, behauptete nun Santiago, sich in das Gespräch mischend. »Ich weiß es bestimmt, von einem halben Hundert von Leuten, die ich kenne, dass es einige gute Medizinen gegen Culebrabisse gibt. Und da gibt es auch noch solche, die du vorher einnehmen kannst. Und wenn du sie eingenommen hast, dann kannst du auf die Culebrajagd gehen und die Schlangen mit der Hand fangen. Sie können dich beißen wie wahnsinnig, und es tut dir gar nichts, überhaupt gar nichts.« Über diese Stimmen hinweg rief nun Cirilo: »Ihr alle wisst einen Schittdreck, das ist es, was ihr wisst. Alle seid ihr Burros, dumme Esel. Wer von einer Culebra gebissen wird wie die, von der Eulalio geschnappt wurde, der geht immer drauf.«
»Wenn er immer draufgeht warum hast du es denn nicht heute Mittag erzählt«, sagte Fidel. »Dann hätten wir den armen Lalio nicht zu quälen brauchen mit dem Beinabsägen, wenn er doch verrecken musste.«
»Ich sage ja nicht«, rechtfertigte sich Cirilo, »dass man nicht alles, was man weiß und was man kennt, wenigstens versuchen soll, um jemand am Leben zu erhalten. Manchmal hilft es eben, wenn das Bein oder die Hand abgehackt wird. Aber dann muss es gleich gemacht werden und nicht erst, wenn das Gift schon den Nabel gebläut hat. Dann kann man sich die Mühe sparen.«
»Verflucht noch mal!« donnerte Andres dazwischen. »Verflucht noch mal mit euch allen hier!
Haltet doch schon endlich mal die gottverfluchten Luken still.«
10
»Was hat das gottverfluchte Streiten jetzt noch für einen Zweck?« ertönte nun eine neue Stimme, die sich aus tiefster Dunkelheit der Gruppe näherte. »Er ist tot und jämmerlich verreckt, und nun lasst ihn endlich vermodern, damit er seine Ruhe bekommt. Wenn ihr hier noch lange schreit und streitet, steht er gar noch auf, kriecht heraus aus seinem Päckchen, das ihr so elend schlecht zusammengeschnürt habt, haut euch allen ein paar in die Fresse und wickelt sich dann wieder ein. Das nenne ich auch ein Begräbnis, hier mitten in der Nacht und mit dem Kadaver vor euch sich herumzustreiten, ob er richtig gedoktert wurde oder falsch. Falsch wurde er von euch Ochsen gedoktert; darum ist er verreckt. Wäre er richtig behandelt worden, dann hätte er sein Bein noch und könnte heute Nacht mit euch wieder losziehen, um Trozas zu fahren.« Es war Celso, einer der ältesten und erfahrensten Hacheros der Monteria, der gekommen war, um zu sehen, wie das Begräbnis sich abspiele. Es waren nur zwei Schläger anwesend, alle übrigen waren im Campo geblieben und hatten sich niedergelegt, weil sie mit ihren Kräften wohl noch weiter herunter waren als die Boyeros. Und da es ein Toter der Boyeros war, so galt es als deren Feierlichkeit allein, und Schläger fühlten keine Verpflichtung, an einer Zerstreuung teilzunehmen, die sie nichts anging. Wenn die Hacheros ihre Toten einbuddelten, dann legten sie gleichfalls keinen Wert darauf, von den Boyeros in ihrem Vergnügen gestört zu werden.
»Das ist es ja eben, Celso, warum wir uns hier streiten«, sagte Cirilo, auf Celso zukommend. »Es ist alles falsch gemacht worden. Wäre er richtig kuriert worden und zu richtiger Zeit, dann würde er jetzt hier herumspringen wie ein junges Zicklein.«
Celso trat nahe an das Loch, wo immer noch gegraben wurde, um es genügend weit und bequem zu machen. Mit überlegener Geste nahm er einem der beiden Burschen, die gruben, den Spaten aus der Hand. »Da stichst du hier einen Fußbreit mehr weg und dann hier einen, und fertig ist der ganze verfluchte Schitt.«
Er warf hier zwei Spaten voll feuchter, schwarzer Erde aus und dort zwei und stieg dann auf den Rand. »Legt ihn nun schon 'rein. Tief genug ist es, dass die elenden Jabalis ihn nicht ausgraben und auffressen. Und wenn die Biester, die verdammten, ihn dennoch auffressen, so wird es ihm auch nicht mehr weh tun.«
Matias und Sixto nahmen den Packen auf, schwenkten ihn einmal hin und her und ließen ihn in das Loch fallen.
Celso, an der anderen Seite stehend, sagte. »Er liegt verflucht krumm in der Höhle, mit dem Hintern auf dem Boden und Kopf und Beine hoch in die Luft gestreckt. Aber er hat ja wohl Zeit, meine ich, sich an diese unbequeme Lage zu gewöhnen.« Darauf bekreuzigte er den Packen, dann bekreuzigte er sich, nahm den Spaten und warf einige Haufen Erde in das Loch. Er reichte den Spaten einem der Burschen und sagte: »Ich bin nicht hier hergekommen, um die ganze Arbeit allein zu tun. Wenn ihr einen Abgezippelten habt, so grabt ihn doch selber ein, gottverflucht noch mal!« Seine Glieder reckend und streckend, sagte er nun: »Was bin ich doch müde! Hölle und Teufel, was bin ich doch hundemüde! Und wie gerne möchte ich den beiden gottverfluchten Coyotes den Spaten über die Schädel knüppeln.«
In dem flickernden, rauchigen Licht der Fackeln um sich blickend, suchte er nach seiner halben Zigarre, die, er auf einen Ast gelegt hatte, als er den Spaten ergriff. Er fand sie, zündete sie mit einem glimmenden Zweig an und verschwand im Dickicht, um zu seiner Choza zurückzugehen.
Während das Loch zugeschüttet wurde, sangen die Jungen und einige der Burschen erneut eine Litanei herunter, von der sie nur vier Zeilen wussten, die sie ohne Unterlass wiederholten, ohne sich dabei je auf eine gemeinsame Sprache und noch viel weniger auf ein und dieselbe Melodie zu einigen.
Als etwa ein Fuß Erde auf dem Paket aufgeschichtet war, sprangen zwei Muchachos in die Grube und traten die Erde mit ihren nackten Füßen fest. Dann legten sie Zweige darüber, warfen abermals Erde darauf und traten diese wieder fest. Endlich war alles ausgeebnet. Das Hügelchen war so unbedeutend und machte einen so unauffälligen Eindruck, dass man vermuten konnte, ein zweijähriges Kind läge hier begraben und es sei außerdem auch noch an Erde gespart worden. Santiago hatte inzwischen zwei Stückchen Holz mit seinem Machete sauber zugehackt und sie mit dem abgerissenen Ende einer Liane zu einem Kreuz zusammengebunden.
Sobald das Hügelchen festgetreten war, steckte er das Kreuz in die weiche Erde. Die Muchachos standen still, bekreuzigten sich dreimal, und Andres sagte halblaut: »Madre Santisima, Allerheiligste Gottesmutter, segne seine arme Seele. Ave Maria Purisima!« Und alle wiederholten: »Ave Maria, Purisima en el cielo, Madre de Dios, Virgencita Santisima, ruega por nosotros und gib ihm deinen Segen und ewigen Frieden! Amen!«
Dann standen sie noch eine Minute schweigend und sahen auf den kleinen Hügel. Matias kniete nieder und rückte das Kreuz ein ganz kleines Stückchen weiter herum, als sei es seiner Meinung nach nicht richtig in die Erde gesteckt. Hierauf scharrte er behutsam mehr Erde dicht an das Kreuz und drückte sie mit spitzen Fingern fest. Als die Burschen nun sahen, dass alles getan war, wandten sie sich und schlenderten zurück zu ihren Chozas.
Aus weiter Ferne schallte das dumpfe Brüllen einer Sippe Monos Gritones, die hoch in den Kronen mächtiger Bäume die Nacht verbrachten. Es dröhnte durch den Dschungel wie das Brüllen verärgerter Löwen. Obgleich es grauenerregend und furchtverbreitend die Nacht zu zerreißen schien, bekümmerte es den Dschungel nicht. Er sang und geigte, zirpte und flötete, winselte und jammerte, jubilierte und seufzte sein urewig gleiches Lied mit der Stetigkeit des Rauschens der Meere.
ENDE
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