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B. Traven - Die Troza (1936)
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VIERTES KAPITEL

1

»Endlich wird man doch nun etwas in den Magen kriegen«, sagte Don Remigio zu Don Mariano.
»Mittag habe ich nur gerade eine Tasse Kaffee trinken können. Der Muchachos wegen, die ich erst einmal in Ordnung haben wollte, konnte ich mir keine Zeit nehmen.«
»Hier können wir uns die Hände waschen«, sagte Don Mariano, während er auf einen rohen hölzernen Ständer zuschritt, auf dem eine Emailleschüssel mit Wasser stand; ein Stück gewöhnlicher gelber Seife lag daneben und ein schlecht gewaschenes, graues Handtuch war über eine Leiste gehängt.
Die beiden Caballeros wuschen sich Gesicht und Hände, kämmten sich mit einem Taschenkamm das Haar durch und schritten dann zu dem Comedor. Der Speisesaal war ein großer Raum unter einem Palmdach. Drei Seiten dieses Raumes hatten Wände, wie üblich aus aneinander gefügten dünnen Stämmchen. Die vierte Seite war nur zum Teil geschlossen. Der größere Teil war offen.
In der Mitte stand ein langer, aus dicken Mahagonibrettern roh gearbeiteter Tisch, eigentlich mehr Bohlen als Bretter. Die Bretter waren ungehobelt und nur gehackt. An jeder Längsseite befand sich eine lange, ebenso roh gearbeitete Bank, gleichfalls aus Mahagoni. Der Boden war dick mit Zacate, langem Dschungelgras, bedeckt. Infolgedessen konnte man in dem Comedor wie auf einem sehr dicken, weichen Teppich gehen. Unter dem Zacate, auf dem nackten Erdboden, lag eine dicke Schicht von Asche, die, soweit das überhaupt möglich ist, das Hereinkriechen von Reptilien und Insekten verhindern sollte.
In einer Ecke war ein zweites Holzgestell, auf dem eine Schüssel mit Wasser stand und Seife sowie Handtuch bereitlagen, damit diejenigen, die sich waschen wollten, nicht gar zu lange zu warten brauchten, falls die Schüssel draußen im Portico nicht genügte.
An den Wänden, teils an Holzpflöcken, teils mit Kaugummi gegen die Pfosten geklebt, hingen bunte Reklameplakate von Zigarettenfabriken, Bierbrauereien, Corniteco-Destillatoren, Pappreste abgelaufener Kalender von Geschäftshäusern der größeren Städte, ein eingerahmtes Bild Nuestra Senora de Guadalupe, der Gottesmutter, und drei ungerahmte und weit eingerissene Bilder der Heiligen Antonio, Jose und Juan Bautista.
Alle diese Verschönerungen verdankten ihr Dasein dem Kunstempfinden der beiden Chinesen, die in den Jahren, seit sie hier das Restaurant, sie nannten es >Café< besaßen, nach und nach die Wände in dieser Weise geschmückt hatten.
Kreuz und quer über den Speisesaal gezogen waren rote, grüne, gelbe und blaue Papiergirlanden, die hier hingen seit dem letzten Santofest des Senor Administrador, als in diesem Saal ein gewaltiges Gelage stattgefunden hatte, mit Tanz und allem, was bei solchen Gelegenheiten geschieht. Diese Girlanden hatten viel Arbeit verursacht und die Chinesen allerlei Geld gekostet; sie sahen schön aus und gaben dem an sich so elenden Raum ein freundlicheres Gepräge und den Essern einen besseren Appetit. Darum hatte man sie hängen lassen, und jeder war zufrieden. Mit der Zeit würden sie schon von selbst zermürben und abfallen.
Über dem Tisch lag ein, grünes Wachstuch, das an den Ecken und Kanten so durchgescheuert war, dass man seine Hände in die Löcher stecken konnte. Diese Tischdecke gab den speisenden Angestellten täglich dreimal Gelegenheit, sich laut über den Geiz der Chinesen zu unterhalten, und zwar so, dass der Chinese es beim Bedienen hinunterschlucken musste. Und jedes Mal, wenn einer der Angestellten erklärte, dass er ganz bestimmt nach dem Essen die Wachstuchdecke abziehen und sie vor dem Comedor verbrennen werde, weil er die Schweinerei nun satt habe und endlich eine andere Decke in anderer Farbe vor sich sehen wolle, sagte der Chink: »Sehl gut, Caballelo, muy bueno, dann essen Sie alle auf dem lohen Holz. Ich habe eine neue Decke seit zehn Monaten bestellt, das kann ich beschwölen bei allen meinen hochehlwüldigen und edlen Volfahlen. Abel wenn die Pataches, die Kalawanen, die Decke nicht mitblingen, was kann ich denn dafül? Schicksal und Volsehung sind anzuschuldigen, nicht ich.«
»Halt die Klappe, Chinito«, rief Don Leobardo über den Tisch hinweg, »bring schon endlich den lausigen Pastel und den Kaffee, oder wir sitzen sonst in drei Stunden immer noch hier, Und wenn du nicht bald hier eine neue Tischdecke heranschaffst, verflucht noch mal, so ziehe ich dir dein Fell ab, lasse es gerben und als Decke hier auflegen, um endlich einmal eine menschenwürdige Tischdecke zu haben.«

 

2

Die Caballeros ließen sich lässig am Tisch nieder. Die jüngeren Angestellten rückten ihre unbequemen Stühle näher, nachdem der Chinese ihnen die Teller mit der heißen Suppe vorgesetzt hatte.
Don Leobardo blickte den Contratista an, der neben ihm saß, und sagte mit müder Stimme, als falle ihm das Sprechen schwer: »Meine Herren, ja, ich meine Sie da unten, wir wollen doch die Sitten und Gebräuche zivilisierter Holzhacker auch unter erschwerten Umständen und in der Einsamkeit des tropischen Dschungels, umgeben von Tigern, Löwen und wilden Indianern, nicht vernachlässigen.
Bitte, meine Herren, wir haben heute einen Gast unter uns, Don Remigio. Vielleicht besinnen wir uns wenigstens eine Weile darauf, dass wir Hosen, wenn auch höchst verdreckte, anhaben und nicht in Hemden herumlaufen wie die Caribes.«
Der Unbequemlichkeit wegen übelgelaunt, nahmen die jungen Schreiber, die es anging, ihre weitausgestreckten Arme vom Tisch. Der eine sagte halblaut zu seinem Nachbar: »Ach Schitt, der Alte will wieder einmal die Harmonika spielen.« Dann schlürften sie ihre Suppe hinunter, nachdem sie Brot hineingebrockt hatten, um ihr einen festeren Bestand zu geben.
»Sie werden höchlichst überrascht sein, Don Remigio, über die große Neuigkeit, die ich Ihnen jetzt unterbreite«, sagte Don Leobardo.
Alle, die am Tisch saßen, horchten auf.
»Ich sollte doch wohl von einer Neuigkeit früher wissen als Sie, Don Leobardo. Ich habe vor zwei Tagen mit Don Ramon und Don Gabriel gesprochen, die mir die neuen Leute für den Kontrakt herbrachten. Die haben mir nichts von Neuigkeiten besonderer Art gesagt.«
»Die wussten nichts. Ich habe es aus einem Brief von der Company.«
»Den müssen Sie aber schon seit einigen Tagen hier haben, Don Leobardo.«
»Richtig, aber es bot sich vorher nicht die rechte Gelegenheit, um darüber zu reden. - Die Company hat die Monteria verkauft.«
Alle, die am Tisch saßen, auch Don Remigio, vergaßen den Bissen, den sie aufgespießt hatten, in den Mund zu schieben. Nach einer Weile fragte der Contratista: »An wen verkauft?« »An die drei Montellanos.« »An diese Coyoten?« sagte Don Remigio erstaunt. »Ja, an diese Räuber. Was sagen Sie dazu?« »Was tut denn die Company?«
»Die Herren der Company haben beschlossen, sich völlig umzuorganisieren. Ich vermute, die haben eine vorzügliche politische Nase. Sicher riechen sie etwas. Mag sein, der alte Knacker da oben, der Diktator, wackelt auf seinem Stühlchen, und die Company sucht sich rechtzeitig aus der Konzession zu ziehen. Kommen neue Regenten auf, so kann es leicht geschehen, dass die Konzessionen und Verträge, die von der Diktatur genehmigt wurden, für ungültig erklärt werden und eine neue Bestätigung den bisherigen Konzessionären nicht gegeben wird oder nur unter neuen Bedingungen.«
»Keine Sorge«, sagte Don Rafael, der älteste Buchführer, »keine Sorge, Caballeros, der alte Cacique da oben auf seinem Thrönchen sitzt fester im Sattel als je zuvor, besonders jetzt, wo er begonnen hat, neue Männer mit modernen Ideen heranzuziehen und mehr Freiheiten zu geben denen, die gegen die Diktatur sind.«
»Das beste Zeichen, dass der alte Fuchs sieht, seine Herrlichkeit beginnt zu verbleichen«, sagte Don Leobardo. »Das ist ja eben der Grund, dass er in letzter Stunde noch schnell das fallende Gebäude mit neuen Säulen stützen möchte. Es ist zu spät; und ich denke, die Company weiß mehr, als sie vermuten lässt. Der Staat Tabasco, insbesondere dessen Hauptstadt San Juan Bautista, ist von jeher rebellisch gegen den alten Knochen gewesen. Ich würde mich nicht wundem, wenn es in San Juan Bautista über Nacht zu brennen anfängt.«
»Dann zieht sich die Company völlig aus dem Caobageschäft zurück?« fragte Don Remigio. »Das nehme ich an.«
»Womit können denn die drei Montellanos bezahlen?«
»Die haben reichlich Geld gemacht als Contratistas, auf der anderen Seite des Stromes.«
»Ja, das glaube ich.« Don Remigio nickte und stocherte in seinem Essen herum. »Ich habe nie so brutale Contratistas kennen gelernt wie diese Montellanos. Die armen Burschen, die denen in die Hände fallen, haben Ursache, zu sagen, dass sie wissen, wie Teufel beschaffen sind, und sie brauchen es nicht in der Hölle zu lernen. Auf diese Art kann man freilich in ein paar Jahren ein Vermögen machen. Aber dieses Vermögen möchte ich denn doch nicht auf meinem Gewissen tragen.«
»Ich kenne sie«, berichtete Don Leobardo. »Ich kenne sie von der Zeit her, als ich Administrador auf der La Constancia war. Die Montellanos waren Contratistas in El Rompido, nahe unserer Monteria. Ob je ein Mann aus ihren Kontrakten lebend heimgekommen ist, ich glaube es nicht. Aber sie verstanden das Holz herauszuholen und ihren Sack voll Geld zu machen. Sie ließen keinen anderen Contratista in El Rompido hinein. Vorher hatte El Rompido acht Contratistas gehabt. Diese acht konnten nicht so viel heranschaffen, wie es die drei Montellanos vermochten. Natürlich war das nur möglich, weil sie ihre Muchachos dahinschlachteten ohne Gnade und Barmherzigkeit. Ich bin überzeugt, dass kein anderer Contratista im ganzen Land so viel Burschen verbraucht hat wie diese drei.
Jeden Monat brachten die Agenten neue Trupps an, und alles, was kam, nahmen die Montellanos ab, weil sie ewig ohne Leute waren. Wenn ein neuer Trupp ankam, war die Hälfte des letzten Trupps, der von den Montellanos übernommen worden war, bereits unter der Erde verfault.«
»Das eine weiß ich, Don Leobardo«, sagte Don Remigio, »wenn das wirklich so ist, dass die Montellanos die Company gekauft haben, ich mache nicht mit. Ich löse meinen Kontrakt mit Ihnen ab.
Sie zahlen mir meine Ausgaben für den Kontrakt und können die Leute haben. Aber ich arbeite nicht mit ihnen zusammen und helfe nicht, ihr Vermögen zu vergrößern. Dios irtio, ich warte ja nur darauf, dass ich für mich eine Entschuldigung habe, um mich überhaupt aus den Monterias in Ehren zurückzuziehen und unter zivilisierten Menschen in einer Stadt ein anständiges Geschäft zu betreiben.
Meine Frau und meine Kinder will ich doch endlich einmal glücklich machen mit meiner ständigen Anwesenheit. Meine Frau ist eine Witwe, und meine Kinder sind Waisen, so wie es jetzt ist. Nun habe ich einen guten Grund, hier Schluss zu machen. Jetzt brauche ich von mir nicht zu glauben, dass ich mich aus diesem Geschäft zurückziehe, weil ich schlappmachen will und es nicht mehr aushalte. Ich könnte es ja gut noch drei Jahre aushalten. Und das Geld, das ich mir in diesen drei Jahren verdienen könnte, käme mir auch recht gelegen. Aber mit den Montellanos zu arbeiten, no Senor, lieber mit Höllenknechten.«
»Die Firma ist schon eingetragen in San Juan Bautista. Sie heißt: Montellanos Hnos, Gebrüder Montellano. Feine Brüder.«
»Ich bin überzeugt, sie sind gar keine Brüder«, meinte Don Mariano. »Ich kenne sie genügend und bin sicher, dass sie nicht Brüder sind, jeder einzelne spricht einen anderen spanischen Dialekt. Spanier sind sie, aber jeder aus einer anderen Provinz.
So ist die Bruderschaft recht verdächtig.«
»Aber sehr bequem«, mischte sich Don Rafael ein.
»Gut gesagt, Don Rafael, sehr bequem!« lachte der Administrador.
»Was werden Sie denn nun tun, Don Leobardo?« fragte der Contratista.
»Ich bleibe bei der Company. Sie haben mir bereits einen neuen Posten angeboten, mit mehr Gehalt.
Die Company hat eine große Henequen-Pflanzung in Yucatan. Da können Sie mich in meinem neuen Amt antreffen, meine Herren«, sagte Don Leobardo, sich an den ganzen Tisch wendend. »Wer von Ihnen mitkommen will, mag es mir sagen.«
Die Angestellten hatten sich von der überraschenden Nachricht noch nicht völlig erholt.
»Nicht alle von Ihnen können mit mir kommen«, berichtigte Don Leobardo. »Es wird davon abhängen, wie viele Bürogehilfen und wie viele Feldverwalter ich benötige. Aber für Sie alle ist Platz genügend vorhanden. Die Company hat zwei Bananenpflanzungen von den Montellanos als Teil der Zahlung übernommen; außerdem hat die Company selbst noch vier eigene Bananenpflanzungen und zwei Kakaoplantagen. Wer von Ihnen nicht hier zu bleiben wünscht, kann in anderen guten Stellungen bei der Company unterkommen, falls er den Wunsch haben sollte.«
»Wann übernehmen die Montellanos die Monteria hier?« fragte Don Mariano, der Lagerverwalter.
»Am ersten April. Und es wird Sie interessieren, zu hören, dass die Montellanos zwei weitere Monterias gekauft haben und am selben Tage übernehmen, das sind La Estancia und La Piedra Alta.«
Don Remigio spülte sich den Mund mit einem Glas Wasser aus, gurgelte, spuckte das Wasser in einem weiten Bogen zur
Tür hinaus und sagte dann: »So scheint es, dass die drei noblen Brüder hier ein Monopol zu errichten gedenken.«
»So scheint es nicht nur«, erwiderte der Administrador, »sondern so ist es.«
»Ein Grund mehr und der endgültig entscheidende, meine Herren, dass ich am einunddreißigsten März meinen Kontrakt an die Gebrüder Montellano abtrete. Ich nehme, was sie mir für die Leute, die ich habe, bieten.«
»Vorsicht!« lachte der Administrador. »Die bieten Ihnen ein Viertel von dem, was Sie für die Leute bezahlt haben. Aber geben Sie nicht nach. Verlangen Sie den vollen Betrag und zwanzig Prozent mehr für Ihren angeblichen Verlust. Die Gebrüder bezahlen, was Sie verlangen. Ohne Leute können sie mit der Monteria nichts anfangen. Die Leute brauchen sie so notwendig, wie sie Caoba brauchen. Ohne Caoba kein Profit, ohne Muchachos keine Caoba. Wenn Sie fest draufdrücken und sagen, dass Sie Ihre Leute nach Quintana Roo führen und einen Chiclekontrakt dort übernehmen, falls sie den verlangten Preis nicht zahlen, schwitzen die Brüder Pech und zahlen ohne ein weiteres Wort.«
»Das ist richtig, Don Leobardo, die brauchen meine Leute mehr, als ich sie brauche. Ich werde meinen Preis daraufhin einrichten. Vielleicht mache ich noch ein gutes Geschäft bei meinem Auszug aus La Armonia.«
»Damit hätten wir ja nun endlich eine Gelegenheit, um auch an das Trinken zu denken und das Geschäft unseres alten Freundes, Don Remigio, zu befeuchten und zu ölen, damit es besser rutscht«, sagte Don Leobardo mit lautem Lachen. Er rief den Chinesen an, der die Geschirre abzuräumen begonnen hatte: »Chinito, lauf 'rüber in meine Bude und bring die Flasche mit Comiteco Anejo, den alten, verstehst du. Es ist die Flasche mit der roten Kapsel auf dem Kork, die nicht aufgemachte.«
»Ich splinge, Don Leobaldo«, sagte der Chinese und eilte hinaus in die Nacht. In einer Minute schon war er zurück.
»Die Flasche habe ich mir aufgehoben für eine besondere Gelegenheit, Caballeros«, erklärte der Administrador. »Und diese festliche Gelegenheit ist jetzt endlich gekommen: Abreise aus der Wüste.
Die Monteria La Armonia und Leobardo Chavero sehen sich gegenseitig nimmer wieder. Salud, Caballeros!«

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