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B. Traven - Die Troza (1936)
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ERSTES KAPITEL

1

»Y tu, como te llamas?« fragte der Contratista, Don Remigio Gayosso, den jungen Tseltal-Indianer, vor dem er stand.
»Andres Ugaldo, su humilde servidor!« antwortete der Bursche höflich.
»Bueno. Y de que sabes trabajar, muchacho? Welche Art von Arbeit hast du bisher verrichtet? Machete-Arbeit? Oder gearbeitet mit der Hadia, mit der Axt?«
»No, patron, ich habe für Don Laureano in Socton mehrere Jahre als Carretero gearbeitet.« »Dann verstehst du gut mit den Ochsen zu arbeiten?« »Si, patron, muy bien.«
»Boyero!« sagte Don Remigio, sich an den Capataz, den Aufseher, wendend, der ihm wie ein Feldwebel mit einem Notizbuch in der Hand folgte.
Der Capataz pokte sein Stückchen zerkauten Bleistift in den Mund, betrachtete dann die stumpfe Spitze eine Weile und sagte endlich:
»Name, puerco sucio, du dreckiges Schwein?« »Andres Ugaldo.«
»Su humilde servidor, jefe! fügst du hinzu, wenn ich dich nach deinem stinkigen Namen frage, du im Mist geborener Wurm. Verstehst du? Noch mal. Name?«
»Andres Ugaldo ist mein Name«, sagte der junge Indianer, dem Aufseher hartnäckig die Höflichkeitsphrase verweigernd, die er dem Contratista freiwillig geboten hatte. Der Contratista, der eigentliche General hier, hätte gar keinen Wert darauf gelegt und nicht ein Wort darüber verloren, wenn ihm der Bursche einfach den Namen genannt haben würde, ohne eine Ehrenbezeigung in Worten hinzuzufügen. Es ist immer nur das winzige menschliche Piepsken, das von einem Untergebenen und Wehrlosen die steifste Ehrenbezeigung unerbittlich verlangt, weil es sich über seine wahre Würde nicht im klaren ist und darum nicht im klaren sein kann, weil es so wenig davon besitzt. Wer nie vergisst, seine Medaillen auf die Brust zu kleben, ist seiner Verdienste nicht ganz sicher.
»Wie heißt du, du Stinktier?« brüllte der Capataz.
»Andres Ugaldo.«
»Ihr sehr untertäniger Diener, mein Herr! fügst du hinzu, wenn ich dich frage!« schrie der Capataz und wurde tiefrot im Gesicht. »Noch mal. Wie heißt du, du Schwein?«
»Andres Ugaldo von Lumbojvil.« Der Bursche verzog keine Miene in seinem Gesicht. Er stand ruhig da, als wäre er aus braunem Holz geschnitzt. Selbst im Blick seiner dunklen Augen zeigte er weder Furcht noch Erregung. Kalt und fest heftete er seinen Blick auf das Gesicht des Capataz, das vor Wut zu platzen schien.
»Dir werde ich schon das blinde Gehorchen beibringen, du Kröte, warte nur, wenn wir erst einmal allein und unter uns sind, ich und du«, sagte der Aufseher, während er den Namen in sein Notizbuch schrieb und in der nächsten Rubrik hinzufügte: Boyero.
Boyero war Ochsenknecht.
Als er geschrieben und einige Minuten lang das Geschriebene mit Wohlwollen betrachtet hatte, sehr stolz darauf, so schön und schwungvoll schreiben zu können, blickte er auf und sah Andres an. Er gedachte ihm gerade eine weitere kräftige Warnung für die Zukunft in das Gesicht zu brüllen, als Don Remigio ihn rief: »He, Ambrosio, du gottverfluchter Lepero, Hund von einem Faulenzer, wo steckst du denn mit deiner gottverdammten
Schreiberei? Komm hierher und schreibe hier den Muchacho auf.
Hat im Holz gearbeitet mit der Axt. Den nächsten notierst du als Machetero. Sagt, er kann tüchtig mit dem Machete arbeiten. Vier Wochen nur, dann geben wir ihm die Axt.«
»A sus ordenes, jefe«, rief der Capataz sofort, als er angerufen wurde, und sprang pflichteifrig mit einem Satz hinter seinem Herrn her. »Bin schon hier, Don Remigio, und stets zu Ihren hochgeschätzten Befehlen.«
»Schreib schon und prassele nicht so viel Quatsch. Mach voran, du Esel. Jede Stunde hier unnötig verbracht, kostet mich einen Sack teures Geld. Himmel und Hölle, Madre Santisima en el lado de Dios, warum habe ich mich je dazu verdammen lassen, Caobakontrakte zu übernehmen? Jeder Tag hier in dieser Wildnis, unter den Barbaren, kostet mich ein volles Jahr meines schönen und gesunden Lebens. Meine arme Mutter, eine Heilige wie es keine zweite gibt, würde sich in ihrem armen Grabe noch verrenken, wenn sie wüsste, wie ich mich hier abplagen muss und was ich unter dieser Gluthitze zu erdulden habe, um ein armseliges Leben fristen zu können und ein paar verbogene Centavos zu verdienen, um in Ehren grau zu werden.«
Don Remigio war am Ende der langen Reihe der Caobaleute angelangt, die zur Arbeit im Dschungel angeworben worden und heute eingetroffen waren. Er hatte sechzig Burschen angefordert, aber die Werbeagenten hatten ihm nur fünfundvierzig schicken können. In einem Brief, den der Capataz überbrachte, hatten sie ihm mitgeteilt, dass er froh sein möge, eine so hohe Zahl von Leuten zu bekommen, andere Contratistas hätten sich mit einem geringeren Satz begnügen müssen, und ihn hätten die Agenten, Don Ramon und Don Gabriel, nur darum besser berücksichtigt, weil sie wüssten, dass er an den Werbeprovisionen nie herumknabbere, sondern willig die ausgelegten Vorschüsse einlöse und die Provisionen zahle.
Don Remigio hatte jeden einzelnen der aufgestellten Monteriaarbeiter, meist Indianer und einige Mestizen, nach dem Namen gefragt, die Namen verglichen mit den Namen auf den Listen, die ihm die Agenten geschickt hatten, und dann begonnen, die Leute in die Arbeitsgruppen zu verteilen, in denen die jungen Burschen infolge ihrer körperlichen Kräfte und Fähigkeiten oder ihrer Erfahrung in bestimmten Arbeiten am nützlichsten für seinen Kontrakt sein würden.
Nachdem er mit dieser ungemein schweren und verantwortungsreichen Arbeit zu Ende war, gefiel er sich darin, über sein Schicksal zu wehklagen und sein elendes Dasein zu bejammern. Da ihn sonst niemand auf Erden je bemitleidete, so gab es, in dieser Umgebung wenigstens, keinen anderen Weg, bemitleidet zu werden, als sich selbst etwas vorzujammern.

 

2

Diese Vernehmung und Verteilung der angeworbenen Caobaleute in Arbeitskolonnen ging auf dem weiten Gelände der Administracion oder Verwaltung der Caoba-Ausbeutungs-Company vor sich. Das Gelände war eine Halbinsel, gebildet von zwei Urwaldflüssen, die hier zusammentrafen und von hier aus vereint weiterflossen, um nach einer langen Wanderung durch Dschungel und tropischen Busch endlich in den gewaltigen Ushumacintastrom einzumünden. Ob es sich um eine Wanderung von hundert oder zweihundert oder gar vierhundert Kilometer handelte, wusste niemand, weil Entfernungen nie gemessen wurden und auch niemand Zeit dafür fand oder Lust dazu hatte, es zu tun. Für wissenschaftliche Forschungen hatte hier niemand Interesse, und erst recht kümmerte sich hier niemand um irgendwelche Schönheiten der Natur. Das Gelände war flach und von dürrem Präriegras überwuchert. Auf diesem Gelände lastete von etwa acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags eine erstickende tropische Glut, die das an sich schon sehr magere Gras noch weiter verkümmern ließ und beinahe versengte. Nur wenige Bäume und Sträucher standen verschüchtert herum, als schämten sie sich ihrer Existenz inmitten des dürren Grases. Je mehr das Gras verdorrte, je mehr wurde der sandige Boden bloßgelegt. Von diesem glühenden Boden prallte die brüllende Hitze zurück in die kochenden und flirrenden Lüfte, so dass, wenn man in dem offenen Gelände stand, man sich fürchtete, einen tiefen und gesunden Atemzug zu tun, weil man glaubte, die Lungen müssten einem plötzlich vertrocknen.
Die Verwaltungsgebäude, die Oficinas Centrales, waren nichts anderes als die üblichen Indianerhütten des tropischen Amerikas, nur in größerem Maßstab gebaut. Eine Anzahl kräftiger Stämme war in den Boden gegraben worden. Darüber wurde ein Dachstuhl gelegt, gleichfalls aus rohen Stämmen gebildet, und dann durch Lianen mit den aufrecht stehenden Stämmen verbunden. Nur Äxte wurden gebraucht und keinerlei Nägel verwendet. Das Dach wurde mit Palmblättern gedeckt.
Die Wände wurden von dünnen Baumstämmchen geformt, die, eines dicht an das andere gereiht, in den Boden gesteckt und dann mit dünneren Lianen miteinander verbunden wurden. Die Türen waren roh behauene dicke Bretter aus Mahagoniholz, und sie hingen in roh gearbeiteten Angeln aus hartem Holz von anderer Art. So war jedes einzelne Gebäude beschaffen.
Innerhalb eines jeden Gebäudes waren Räume abgeteilt, deren Wände gleichfalls nur aus nebeneinander gereihten dünnen Stämmchen bestanden. Die Türen, die von einem Raum in den anderen führten, sofern überhaupt Türen vorhanden waren, bestanden entweder aus rohen Brettern oder aus mit Bast verflochtenen Stämmchen. An einigen der Türen war ein Stück grauer Pappe angepickt, auf der geschrieben stand der Name des Contratista oder des Angestellten, der hier sein Büro hatte. Einzelne dieser Pappstückchen trugen noch den Vermerk >Privat<. Irgendwo anders würde ein solcher Vermerk lächerlich und ironisch gewirkt haben; denn auch nicht das Geringste, was man >Privat< hätte nennen können, konnte in dem Gebäude oder in einem der abgetrennten Räume vorgenommen werden, ohne dass ein jeder, der gerade in der Nähe war, es ebenso deutlich zu sehen und zu hören vermochte, als geschähe es unter offenem Himmel. Aber das Wort >Privat< hatte hier den Zweck, zu offenbaren, dass es sich bei den Gebäuden um regelrechte und zivilisierte Bürogebäude handle und nicht etwa, wie ein hergelaufener Zeitungsreporter vielleicht meinen möchte, um Hütten, in denen Kannibalen ihren Unterschlupf hatten.
Auf Tischen, gefertigt aus roh zugehauenen Mahagonibrettern, lagen Geschäftsbücher von derselben Art, wie man sie auch sonst überall auf Erden antrifft, wo Geschäfte betrieben werden. Nur Tinte sah man wenig. Und die wenige, die auf hundert Meilen im Umkreis angetroffen werden konnte, war in dem Privatbüro des Gerente, des Verwalters, zu finden, wo sie dazu dienen sollte, Schecks zu unterschreiben. Aber selbst diese Tinte war häufiger vertrocknet als flüssig. Alle Eintragungen in Bücher oder auf Listen wurden mit Tintenstift oder mit gewöhnlichem Bleistift vollzogen, wodurch sie absolut nichts von ihrem Wert verloren; denn, wem es so nicht gefallen sollte, der konnte ja hier herkommen und es besser machen. In gewissen Wochen und Monaten des Jahres durften die Bücher des Nachts nicht auf den Tischen oder auf den rohen Regalen liegen bleiben, sondern mussten an Schnüren, die mit Kreolin getränkt waren, an den Balken aufgehängt werden. Wurde das vergessen, so geschah es häufig, dass man das Buch am Morgen nicht mehr vorfand oder nur einige vergessene Fetzen. Ameisen, Käfer oder Cucarachas hatten das Buch auf ihren Streifzügen angetroffen und entweder aufgefressen oder stückweise davongeschleppt und in ihren Bauten aufgespeichert.
Eine noch größere Vorsicht musste mit Briefumschlägen geübt werden. Von Briefumschlägen wurde alles das weggefressen, was gummiert war. Gelang es jedoch, die Umschläge vor Insekten zu bewahren, so konnten sie dennoch unbrauchbar werden in der Regenzeit, wo sie zusammenklebten, und so gut zusammenklebten, dass sie nur durch Aufschneiden wieder geöffnet werden konnten. Eines der Gebäude war modernisiert worden und unter den Einfluss futuristischer Architekten geraten. Es handelte sich um das Gebäude, das dem Gerente, dem Verwalter oder Administrador, als Hauptbüro und als Villa diente. Bei diesem neuzeitlichen Gebäude waren die Stämmchenwände mit Schlamm beworfen worden, der, sobald er trocken war, an den Stämmchen festklebte, die Wände undurchsichtig machte und sogar, bei oberflächlicher Betrachtung, den Eindruck von Zementwänden vorschwindelte.
Auf dieses Gebäude war die Company, insbesondere aber der Administrador, ebenso stolz wie eine New Yorker Versicherungsgesellschaft     auf     ihren     sechzigstöckigen
Wolkenkratzer.
Einige Nachahmungen dieser Villa wurden im Laufe der Zeit neu hinzugefügt und erhielten den Namen Bungalows, aber nicht Villen.
Es war der ewige Wunsch des Administradors, das Haus mit roter oder grüner Farbe anstreichen zu können. Jedoch, es war keine Farbe vorhanden. Er hätte natürlich die Farbe mit einer der Händlerkarawanen bestellen können. Aber er vergaß das Bestellen immer, wenn dazu Gelegenheit war, und erinnerte sich seines Wunsches nur dann, wenn die Karawane bereits abgewandert war.
Dachte er aber dennoch rechtzeitig an die Bestellung, dann war er gewöhnlich betrunken. Und betrunken oder nicht betrunken, es kostete ihn eine zu große Mühe, auszurechnen, wie viel Farbe er für das Gebäude brauchen würde.
Bei einer dieser mathematischen Berechnungen war er einmal auf die Zahl von vierzehntausend Kilo Farbe gekommen, die er zum Anstreichen des Hauses benötigte. Und diese hohe Zahl für ein Haus von zwölf Meter Länge und acht Meter Breite und lediglich einem Stockwerk zu ebener Erde erschreckte ihn so sehr, dass er es für eine Zeit aufgab, die Menge der Farbe, die er benötigte, auszurechnen.
Und immer, wenn er entweder vergessen hatte, den Auftrag für Farbe mit einer Karawane mitzuschicken, oder wenn seine Berechnung so herauskam, dass eine Karawane von vierhundert Mules nötig gewesen wäre, die Farbe hierher in den Dschungel zu bringen, befreite er sich von diesem Wunsche dadurch, dass er sich einen Vortrag hielt oder eine Ansprache an sich selbst und darin erklärte, dass ein grüner oder roter Anstrich des Gebäudes oder überhaupt irgendwelcher Ausputz lediglich ein Luxus degenerierter Hosenschitter sei und dass vollwertige Männer keines Luxus bedürfen. Aber das war nur eine Entschuldigung. Der wahre Grund bestand darin, dass weder er noch sonst irgendeiner der Angestellten hier je daran dachte, genügend lange Zeit in dieser gottvergessenen brutalen Wildnis zu verbringen, um ein ernsthaftes Interesse daran zu finden, wie das Haus, in dem er zu wohnen verpflichtet war, beschaffen sei oder wie es aussehe.
Die Oficinas oder die Administracion, wie die gesamte Anlage mit den verschiedenen Gebäuden genannt wurde, machte auf jeden Neuankommenden den Eindruck, dass sie nur angelegt und aufgebaut worden sei, um den Bewohnern für eine kurze Zeitdauer, vielleicht für sechs Monate, als Arbeitscamp und Unterschlupf zu dienen, ähnlich wie die Gebäude in einem Gelände, wo Öl gebohrt werden soll.
Aber hier, wie in allen übrigen Monterias oder Mahagoni­Camps, kam es dann stets darauf hinaus, dass die provisorische Anlage eine dauernde wurde und oft genug fünf, ja selbst zehn Jahre den Verwaltern und Angestellten als Wohn- und Arbeitsort zu dienen hatte.
Obgleich die Zahl der Gebäude beschränkt war, konnte man die Anlage doch recht gut eine Stadt nennen. Die Bewohner dieser Stadt gewöhnten sich an diese Verhältnisse gewöhnlich sehr rasch nach ihrem Eintreffen, und sie wurden so gleichgültig, dass sie nie oder nur gelegentlich auf den Gedanken kamen, die Stadt durch gute, gesunde und menschenwürdige Bungalows zu verschönern.

 

3

Der Verwalter, die Rechnungsführer, die Schreiber, alle waren Leute mit einer gewissen Bildung, zuweilen sogar mit sehr guter Bildung. Ständig hatten sie Sehnsucht nach guten Häusern und guten Betten und reinlicher Umgebung. Aber unter dieser glühenden Sonne, die tagaus, tagein auf ihrem Hirn lastete, und inmitten einer Armee von Indianern, die in ihrer Mehrheit nicht einmal Spanisch, sondern ihre Ursprache redeten und die ihren eigenen Gewohnheiten nachlebten, und außerdem zwanzig Tagesritte von der nächsten kleinen Stadt entfernt, in solcher Umgebung und unter solchen Bedingungen kostete es zu viel geistige Anstrengung, Pläne für eine zivilisierte Stadt auszuarbeiten, und noch viel mehr geistige Anstrengung kostete es, diese Pläne auszuführen. je weniger man zu denken gezwungen war, desto besser war das Leben hier zu ertragen.
Außerdem glaubte auch ein jeder der Angestellten, vom Administrador bis hinunter zum jüngsten Lohnschreiber, dass sich morgen vielleicht etwas ereignen werde, wodurch ihm die Möglichkeit gegeben würde, die Stellung hier zu verlassen und mit der nächsten Händlerkarawane zum zivilisierten Leben zurückzukehren. Da aber alle Angestellten nur hier waren, weil sie von ihrem Arbeitslohn leben mussten, und sie die Stellung nur angenommen hatten, weil sie anderswo keine bessere finden konnten, so gab es nur zwei Möglichkeiten für sie, von hier fortzukommen. Die eine war die Nachricht, dass ihnen eine gute Erbschaft zugefallen sei, die andere, dass man ihnen einen guten Posten in einer Stadt angeboten habe. Auf eine solche Nachricht warteten sie von Monat zu Monat, versuchten gelegentlich zu sparen, um sich ein kleines Kapital zu verschaffen und damit eine Weile leben zu können, bis sich eine andere gute Stellung böte. Auf eine solche Veränderung hofften sie so lange, bis sie endlich entweder bei Ablauf ihres Vertrages mit einer Karawane abzogen, ohne Rücksicht auf unangenehme wirtschaftliche
Folgen, oder vom Fieber mitleidlos erschlagen wurden. Auch das wurde als Befreiung angesehen.
Alle Beschäftigten kamen freiwillig hierher, so freiwillig jedoch, wie die wirtschaftliche Lage jedes einzelnen es ihm aufzwang. Aus reiner Abenteuerlust kam wohl selten einer zu den Monterias.
Geschah das aber doch, vielleicht verführt durch schöne Dschungelgeschichten, die von einem bunten und aufregenden Leben erzählten, so war der Verführte nach vier Wochen Aufenthalt bereit, seine Seele an irgendwen zu verschachern, der ihm nur von hier forthalf. Er war dann davon überzeugt, dass es in der Hölle nicht schlimmer sein könne, als es hier sei.
Für einen Büroarbeiter war es viel schwieriger, von einer Monteria fortzulaufen, als für einen Indianer. Und selbst ein Indianer tat es nur, wenn er keinen anderen Ausweg sah, sein armseliges Leben zu schützen. Fünfzehn Tage allein durch den Dschungel zu wandern oder selbst zu reiten, war so schwierig, dass es von einem, der wusste, was es bedeutete, nicht unternommen wurde. Es waren auch Reittiere und Tragtiere nötig. Zum Ankaufen dieser Tiere und der Verpflegung benötigte man Geld. Der Administrador gab aber einem Abreisenden kein Geld, sondern nur einen Scheck auf die Gesamtsumme, den niemand hier einlösen konnte. Und selbst für tausend Pesos konnte kein Reittier oder Tragtier gekauft werden.
Alle brauchbaren Tiere gehörten der Verwaltung. Der Administrador wollte und konnte keinen Angestellten verlieren, solange er keinen Ersatz für ihn hatte. Darum verkaufte er keine Tiere. Stahl aber der Flüchtige die Tiere und die Verpflegung, so wurden ihm drei Capataces auf guten Pferden nachgeschickt, und er war in weniger als zwei Tagen zurück. Der Administrador war nicht nur der oberste, sondern auch der alleinige Richter; und, wenn er so wollte, konnte er auch gleichzeitig der Strafvollstrecker sein. Wenn der Beraubte, der
Geschädigte, der Verärgerte gleichzeitig auch der Richter und Strafvollstrecker ist, dann ist es eine Dummheit, sich von ihm fangen zu lassen, und man versucht es besser auf eine andere Art als durch eine schlecht organisierte Flucht, sich aus seinem Machtbereich zu befreien.

 

4

Es war eine wirkliche Stadt, ein Pueblo, was hier aufgebaut war. Die Gebäude der Company waren zwar die größten Häuser, aber weder waren sie die einzigen, noch waren sie in der Mehrzahl. Mehr als dreißig andere Baulichkeiten waren über das Gelände verstreut. Einige dieser Häuser waren im Stile der Companygebäude errichtet, nur um vieles kleiner. Andere waren sehr dürftig aufgebaut, ohne Sorgfalt und ohne Zeitvergeudung. Wieder andere waren nichts weiter als auf den Boden gesetzte Palmdächer und so niedrig, dass die Bewohner entweder nur gebückt oder gar nur auf den Knien rutschend in das Haus gelangen konnten.
In diesen Häusern wohnten Leute, die nicht Arbeiter der Company waren, die entweder ein unabhängiges Geschäft betrieben oder in irgendeiner Form für die Company tätig waren, ohne einen Kontrakt als Angestellte oder Arbeiter zu haben. Hier waren indianische und mischblütige Frauen, die für die Angestellten die Wäsche besorgten, deren Kleider in Ordnung hielten, die Hemden flickten, Strümpfe stopften und Schuhe reinigten und ausbesserten. Dann war ein Barbier mit einem Jungen anwesend, der hier sein Geschäft ausübte. Ferner wohnten hier die Artesanos oder Handwerker, die für die Company arbeiteten, aber in mehrfacher Hinsicht dennoch unabhängig waren und mehr nach eigenem Willen arbeiteten als unter den Befehlen des Verwalters. Das waren die Schmiede, die Geschirrmacher und die Cayuqueros oder Canoefahrer. Hinzu kamen, als Bewohner der Stadt, die Schar der Zacateros, die Burschen, denen die Pflege der Ochsen, Pferde und Mules oblag, der Tiere, die das Unternehmen für den geregelten Fortgang des Betriebes benötigte.
Auch wohnten hier Familienangehörige der Arbeiter, die ihnen in den Dschungel gefolgt waren, weil sie keine andere
Heimat hatten als den Platz, wo der Sohn oder der Mann Arbeit gefunden hatte.
Manche dieser Familienangehörigen übten ein kleines Gewerbe aus. Sie besaßen einen winzig kleinen Kramladen für solche Dinge, die in der großen Tienda der Company nicht geführt wurden, weil sich der Verkauf nicht lohnte. Einige andere nähten Kleider für Frauen und Mädchen oder Hemden und Hosen für andere unabhängige Leute der Stadt.
Und dann wohnten hier die Parasiten, die sich überall einfinden, wo Arbeiter außer ihrer Arbeit kaum irgendwelche Zerstreuung finden. Es war der Nachtrab des kämpfenden Heeres. Es war der unbestimmte, aber geduldete, weil unentbehrliche Trupp, der sich in Goldgräbersiedlungen, Ölfeldern, Minendörfern einfindet, sobald Leute begonnen haben, hart zu arbeiten. Wo dieser Trupp herkommt, auf welche Weise er von den neuentdeckten Ölcamps erfährt, wie er sich in unglaublich kurzer Zeit bildet und organisiert und wie er selbst Gefahren auf sich nimmt, um an den Ort des Profits zu gelangen, das erscheint ebenso geheimnisvoll wie das Auftauchen von Geiern über einem Kadaver, der nur eine Stunde alt ist.
An Verdienste, wie sie in Goldfeldern oder Ölcamps möglich waren, konnte hier nicht entfernt gedacht werden. Aber selbst die armseligen Löhne, die in einer Monteria gezahlt wurden, schienen genügend Anreiz zu bilden, dass selbst hier das Schlachtfeld nicht frei von Hyänen blieb.
Es wurde unversteuerter Mescal und Comiteco verhökert. Das war streng untersagt, denn nur die Company hatte das Recht, Branntwein zu verkaufen. Aber es wird überall am meisten an den Dingen verdient, die verboten oder hoch besteuert sind. Wurde eine dieser Branntweinschenken entdeckt, so ordnete der Verwalter die Zerstörung der Hütte an, und er untersagte den Bewohnern den weiteren Aufenthalt auf dem Gelände. Der Vertriebene machte sich nichts daraus. Er packte auf und zog zu einer anderen Monteria, wo er seine Schenke aufmachte, bis er auch dort fortgejagt wurde. Abermals wanderte er zu einer Monteria, wo nach einigem erfolgreichen Aufenthalt er gleichfalls den Betrieb verlegen musste. In manchen der Monterias wurde es nicht so streng genommen, und es musste erst zu grässlichen Skandalen, verschärft durch einige Morde, kommen, ehe er den Ausweisungsbefehl erhielt.
Nach einigen Monaten konnte er es versuchen, nach der ersten Monteria zurückzukehren. Entweder war hier nun ein neuer Administrador im Amt, oder der Verwalter hatte inzwischen so viele andere Schenkwirte forttreiben müssen, dass er sich des Zurückgekehrten nicht erinnerte oder zuweilen so tat, als ob er ihn nicht kenne.
Solch unerlaubte Branntweinverkäufer gab es in jeder Hauptstadt einer jeden Monteria oft gleich ein halbes Dutzend. Es war merkwürdig, oder es mochte für die Uneingeweihten merkwürdig erscheinen, dass solche wilde Schenken überhaupt auch nur einen Tag bestehen konnten, ohne dass der Administrador davon hörte. Der Grund, warum er nichts davon erfuhr, war, dass diejenigen, die eine wilde Schenke kannten und besuchten, die Kenntnis ihres Vorhandenseins als tiefstes Geheimnis bewahrten. Zu denen, die auf das Vorhandensein dieser wilden Schenken nicht verzichten wollten, gehörten sogar auch die Angestellten, also dieselben Leute, die den eigentlichen Generalstab des Verwalters bildeten. Und nicht selten war selbst der Verwalter in jenen Hütten anzutreffen, entweder bereits schwer geladen oder besten Willens, sich so gotterbärmlich voll zu pumpen, dass er in einen Zustand geriet, wo er der Überzeugung war, Administrador einer Monteria zu sein, als wäre es das Beneidenswerteste, was ein Mann in seinem Leben erreichen könne.
Manchmal waren die Ursachen seiner Duldsamkeit weniger in seiner Herzensgüte zu suchen als vielmehr darin, dass die Schenken ihm entweder eine Duldsamkeitssteuer zahlten oder die Rechnungen, die er für seine eigene Person in der Schenke machte, nie zur Bezahlung vorlegten.
Die Branntweinschenken erfüllten eine weitere Aufgabe als soziale Einrichtung. Die Besucher kamen nicht nur, um sich hier mit billigem, aber schwer berauschendem Comiteco voll zu füllen, sondern um einige andere Erregungen zu haben, von der Art, die man allein nicht genießen kann. Es ist kein Vergnügen, den Inhalt seiner linken Hosentasche gegen den Inhalt der rechten Hosentasche auszuspielen. Der Genuss und die Aufregung stellen sich nur dann ein, wenn man sein eigenes Geld anlegt, um das der anderen Gäste zu gewinnen. Je mehr Gäste willens sind, vom andern zu gewinnen, um so aufregender ist das Geschehnis und um so weniger fühlt man, dass man Zeit nutzlos vergeudet habe. So war es ganz natürlich, dass in diesen Schenken heftig und mit Eifer gespielt wurde. Es wurde alles mögliche gespielt, von dem man aus Erfahrung weiß, dass man dabei gewinnen und verlieren kann. Um Abwechslung zu schaffen, führte man zuweilen neu erfundene Spiele ein, die ein paar Wochen in der Mode waren und dann wieder abgesetzt wurden, und reumütig kehrte man zu den mehr zuverlässigen und länger erprobten Karten und Würfeln zurück. Es war meist das Spielen, das zu Skandalen, Feindschaften und Morden führte.
Wenn inmitten eines zivilisierten Landes die härtesten Strafen und die tüchtigste Polizei nicht verhindern können, dass offen oder unter allen möglichen Verkleidungen um Gewinn gespielt wird, bei Tag und bei Nacht, so darf man sich nicht wundern, wenn auch hier der Administrador das Spielen nicht zu unterdrücken vermochte. Es war um so schwerer für ihn, es zu verbieten oder sonst unmöglich zu machen, weil er selbst, hätte es keine Spielgelegenheit gegeben, nicht gewusst hätte, wie die Abende verbringen. Er wurde meist nur dann wütend und trieb alle Schenkwirte auf einmal von der Monteria fort, wenn er zu oft oder gar ständig verlor. Jedoch er wie auch die Company, wie alle übrigen Verwalter in den Monterias vergaßen nie, dass die Schenken und die Spielgelegenheiten unentbehrlich für den geregelten Fortgang des Unternehmens waren. Ohne die wilden Schenken und Spielhütten wäre das Leben der Leute, die hier zu arbeiten hatten, oft wohl kaum zu ertragen gewesen, wenigstens nicht für lange Zeit. Den hier wohnenden Handwerkern und Angestellten musste etwas geboten werden, was sie den Sinn ihres Lebens nennen konnten. Andernfalls würden sie vergessen haben, dass zwischen ihnen und den Ochsen und Mules der Monterias ein Unterschied bestand. Ochsen und Mules hatten kein Bedürfnis, Aguardiente zu trinken und um Geld zu spielen; sie waren zufrieden, ihre harte Arbeit und ihr Futter zugewiesen zu bekommen. Besonders neu angekommene Angestellte gebärdeten sich, nachdem sie begonnen hatten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, wie eingefangene Coyoten oder Jaguare, die man an eine Kette gelegt hatte. Sie verfielen in Tobsucht, versuchten den Verwalter oder die übrigen Büroschreiber zu ermorden. Sie nahmen sich ein Pferd und ritten ohne Lebensmittel auf und davon, ohne einen bestimmten Weg zu nehmen, und sie mussten dann gesucht werden und wurden fieberkrank irgendwo im Dschungel gefunden.
Sie erholten sich, hatten das Fieber für immer in ihrem Körper eingefressen, begannen zu arbeiten und gleichzeitig zu trinken und zu spielen. Unter der ewig gleich glühenden Sonne an einem Himmel, der ständig zu schmelzen schien, und in einer Luft, die wie kochender Dampf war, verrichteten sie ihre Arbeit im Halbschlaf und mit einem Empfinden, als läge eine bleierne Last auf ihrem Hirn. Mangels irgendwelcher anderer Zerstreuung verfielen sie nach einigen Wochen in einen Zustand, in dem sich während des ganzen Tages, beginnend mit dem Aufstehen am Morgen, ihr Lebensinteresse lediglich auf Branntweintrinken und auf das Spielen am Abend konzentrierte.
Darüber vergaßen sie das Sparen, vergaßen den Wunsch, in eine zivilisierte Stadt zurückzukehren, dort zu heiraten und ein geordnetes Leben zu führen.
Alles wurde ihnen gleichgültig, und wichtig war ihnen nur noch, dass stets genügend Aguardiente, Zigaretten und Tabak in der Tienda waren, und von einigem Interesse die Höhe des Betrages, den sie am letzten Abend verspielt oder gewonnen hatten, und wie viel es an diesem Abend sein werde.
Die Leute alles vergessen zu machen, was es außerhalb ihrer augenblicklichen Umgebung gab oder geben mochte, war ein Vorteil für die Company, wie es für einen Diktator von Nutzen ist, wenn er die von ihm Beherrschten so weit herunterzuwürdigen vermag, dass sie völlig uninteressiert am politischen Leben werden und sich glücklich fühlen, weil sie es nicht länger mehr nötig haben, selbst zu denken und für sich selbst irgendwelche Verantwortung zu übernehmen. Das Schaf fühlt sich am wohlsten, am sichersten und am glücklichsten innerhalb der Herde, in der es nichts weiter zu tun hat als zu grasen, Wolle zu liefern und kleine Schäflein zu zeugen. Wenn die neuen Angestellten diesen Zustand erreicht hatten, wenn ihr Denkvermögen und ihr Ehrgeiz denen der Schafe in einer Herde gleichgeworden war, dann hatten sie begonnen, brauchbare und verlässliche Stützen der Company zu werden, für die sie arbeiteten und die ihnen die Gehälter zahlte.

 

5

La Ciudad, die Stadt, wäre nicht vollständig gewesen ohne eine weitere Anziehungskraft der Cantinas.
Aguardiente und Spiele allein können einen Menschen, dessen Hirn sich im Zustand der Vernebelung befindet, nicht völlig und ausgiebig genug erfreuen. Ebenso wenig kann man ja auch von einem Schaf erwarten, dass es glücklich ist, wenn es nur grasen und Wolle liefern darf. Störe den Mann nicht in der Ausübung seines Zeugungstriebes, sondern belohne ihn für die rege Betätigung seiner Gelüste, und du hast einen zufriedenen und gehorsamen Bürger, der dir keinerlei Schwierigkeiten macht in der Befriedigung deines Hungers nach Macht. Hier handelte es sich nicht um Hunger nach Macht, sondern um Hunger nach Geld. Beide Machtgelüste sind freilich identisch, nur zeigen sie nach außen hin ein anderes Gesicht. Wer die Macht besitzt, hat auch gleichzeitig alles Geld; und umgekehrt, wer genügend Geld hat, besitzt jede Macht, die er zu besitzen wünscht. In diesem besonderen Falle erfüllten die Schenkwirte eine weitere soziale Aufgabe. Sie bemühten sich, die Männer, die hier zu arbeiten und zu wohnen verpflichtet waren, so zufrieden zu stellen, dass deren Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nicht allzu sehr gestört wurde, was den Zwecken der Company gewiss nicht dienlich gewesen wäre.
In den Cantinas fanden sich immer Frauen vor, die ihr Bestes taten, damit dieses Leben für die Männer nicht zu eintönig wurde. Sie bemühten sich aus eigenen Kräften und unter Mithilfe der Cantineros, ihren eigentlichen Beruf zu verschleiern. Einige betätigten sich als Kellnerinnen. Sie brachten den Männern den Aguardiente an den roh gezimmerten Tisch, und wenn sie das bestellte Glas auf den Tisch stellten, so stellten sie ein zweites Glas daneben für sich selbst. Dieses zweite Glas freilich enthielt nur gefärbtes Zuckerwasser mit einem Tropfen Comiteco hineingeschenkt. Aber das Glas wurde berechnet, als wäre es reiner Comiteco. Gehalt bekamen die Kellnerinnen nicht, jedoch eine kleine Kommission für die Gläschen Zuckerwasser, die sie selbst tranken. Sie verstanden es so einzurichten, dass für jedes Glas, das der Besucher bestellte, drei auf die Kellnerin kamen. Wenn der Mann dann endlich betrunken war, dann kamen auf jedes weitere Glas, das er bestellte, sechs bis zehn für die freundliche Kellnerin. Inzwischen hatte der Mann sein Urteilsvermögen so weit eingebüßt, dass er in der Kellnerin, die selten unter fünfundvierzig war und auch sonst keinerlei Schönheiten aufwies, eine junge, frische, schöne Blüte des weiblichen Geschlechts erblickte. Der Preis wurde vereinbart, und darauf verließen der Mann und die Frau die Schenkhütte in einer Weise, dass man leicht glauben konnte, es handle sich um ein Brautpaar, das sich vom Hochzeitsmahl entferne, um nun endlich zu erfahren, ob sich die Sache verlohnt oder ob man sich ineinander verrechnet habe. Zuweilen kam die Krankenschwester nach einer Stunde zurück, um sich nach einem anderen Siechen umzusehen, der ihre Kur benötigen mochte. Oft auch kam sie nicht zurück, sondern ward erst am nächsten Tag wieder öffentlich gesehen.
Andere Frauen, deren Reize weit unter denen standen, die hier von einer Kellnerin verlangt wurden, Frauen, die, wenigstens nach ihrem Aussehen, ihr erstes halbes Jahrhundert hinter sich hatten, die oft voller Pockennarben waren, schielten, schiefe Mäuler besaßen, und, weiß die Hexe von Patzcuaro, welche Unzahl von Warzen und überflüssiger Bärte sie haben mochten, alle diese Frauen mussten sich anderweitig vor den kritischen Augen der Welt hier betätigen. Sie waren Köchinnen, Flickerinnen, Näherinnen, Wäscherinnen, Spül- und Aufwaschmädchen dem öffentlich zugegebenen Amte nach.
Aber da diese Ämter nur Vorwand waren, so brachten sie nichts ein, und der eigentliche Beruf, um dessentwillen sie hier hergekommen waren, wurde in den Vordergrund gerückt. Da sie niedrige Preise machten und sich in dieser Stadt ohne Straßenbeleuchtung nur nachts sehen ließen, so fehlte es ihnen nie an Kundschaft.
Viele dieser Frauen, um nicht offen zu sagen alle, waren in vieler Hinsicht hier glücklicher als im versprochenen Paradies. Wo sie bisher gewesen waren, in einer Stadt oder selbst in einem Dorf, hatten sie während der vergangenen dreißig sicherlich ein züchtiges und jungfräuliches Leben geführt. Nicht weil sie das so wünschten, sondern weil sie, selbst wenn sie Goldstücke dafür hätten bezahlen können, nicht einmal einen verkrüppelten Mann gefunden hätten, der sich ihrer Person und ihrer heißen Wünsche auch nur für eine halbe Stunde angenommen haben würde.
Hier jedoch waren alle Männer so kerngesund und wohlerhalten in ihrer Natur, dass sie nicht einmal ahnten, was Abweichung vom Natürlichen sei, viel weniger wäre einer dieser Männer auf den Gedanken geraten, durch Umwege etwas zu bekommen, was unter den Umständen auf geradem und natürlichem Wege nicht zu erhalten war. Für die Männer hier war eine Frau eben eine Frau. Und da sie Frauen, nach denen sie sich vielleicht zuweilen sehnten, nicht um sich haben konnten, so nahmen sie, was eben zu haben war. Aussehen und Alter der Frau war ihnen gleichgültig, denn davon wollten sie ja keinen Gebrauch machen.
Solange eine Frau das in Ordnung und in nützlichem Zustande besaß, was die Männer verlangten und benötigten, war die Frau eine willkommene Bereicherung des anderweitig so trostlosen Lebens.
Und weil es sich in allen Fällen um Frauen handelte, die seit den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr darauf gehofft hatten, zu derartigen Herrlichkeiten des Lebens zu kommen, gaben sie aus Dankbarkeit alle ihre Kraft her, um auch nicht eine einzige Minute des letzten Restes ihres irdischen Daseins unversüßt zu verschwenden. Männer, die einige Erfahrung besaßen, kamen zu der Überzeugung, dass derjenige, der nie eine verschrumpfte alte Leier einmal versucht habe, nicht wisse, was ein wahrer Genuss sei. Sie schwangen sich zu der Behauptung auf, dass sie ein frisches Jüngferchen selbst dann nicht haben möchten, wenn es ihnen auf einem seidenen Polster angeboten würde, denn nur der Kenner wisse echte Kunst zu schätzen.
Der Verwalter, als oberste Behörde, erhielt von den Cantineros das Privileg des Brinco Primero, des ersten Sprunges, zugestanden, um ihn in guter Laune gegenüber den wilden Schenken zu halten. In vielen Fällen, man darf sagen in der Mehrheit der Fälle, war der Administrador freilich allen seinen Göttern dankbar, dass dieses Recht auf den ersten Sprung eben nur ein Privileg war und keine Pflicht.
Wäre es eine Pflicht gewesen, so hätte der Verwalter es wohl doch bei vielen Gelegenheiten vorgezogen, sich in die Tiefen des Dschungels zurückzuziehen und erst dann wieder zum Vorschein zu kommen, wenn er sicher war, dass das Objekt sich so weit vom Pflichtplatze entfernt habe, dass es innerhalb vierundzwanzig Stunden selbst nicht einmal mit einem Flugzeug wieder hergeschafft werden könnte.

 

6

Waren einige neue Kurschwestern in der Stadt angelangt, so schickte sie der Cantinero, bei dem sie Unterkunft und Arbeit erhalten hatten, in die Oficina Particular, das Privatbüro des Senor Administrador, um von ihm die Aufenthaltserlaubnis einzuholen; denn da das Gelände als Konzession der Company gehörte, so konnte der Verwalter das Wohnen auf dem Gelände verbieten, wem immer er wollte. Die Neuangekommene stellte sich vor, bescheiden und lächelnd, ihr Bestes angezogen, mit stark parfümierter Seife gewaschen, sich züchtig auf den angebotenen harten Stuhl setzend und so gewählt und elegant sprechend, wie sie glaubte, dass es in guter Gesellschaft richtig sei.
Die Vorstellung geschah immer gegen sechs Uhr abends, wenn von dem Verwalter erwartet wurde, dass er die Sorgen des Tages nun hinter sich habe und sich freudigeren Gedanken hingeben könne. Er betrachtete die Besucherin und fragte: »Wie heißen Sie?«
»Amalia Zarraga, Ihre sehr untertänige Dienerin, Caballero.« »Harte Reise durch den Dschungel gehabt, Senorita?«
»Oh, Dios mio, mein allmächtiger Gott, hätte ich das vorher gewusst, wäre ich gewiss nicht hier hergekommen. Aber ich wusste nicht, was tun. Ich bin von Puxtacan. Mein armer Mann starb vor zwei Jahren.«
Nun nahm sie ein weißes Tüchelchen hervor, weil sie jetzt bereit war, Tränen zu vergießen.
Das war der Moment, in dem nach Programm der Verwalter zu sagen hatte: »Ein bedauernswertes Schicksal, Sie arme Frau.«
Er stand dann auf, kam auf sie zu und klopfte ihr auf die Schulter. Das geschah freilich nur dann, wenn die sich vorstellende Frau einen begehrenswerten Eindruck auf ihn zu machen verstand. Und das hing davon ab, ob er sich an jenem Tage und zu dieser Stunde in harten Nöten befand. Unter solchen Umständen nahm er es nicht so genau mit dem Aussehen und der Gestalt der Besucherin. War er jedoch am vorhergehenden Tage gut versorgt worden, oder hatte er etwas Besseres mit größerer Beständigkeit in der Nähe, dann war mit dem ausgesprochenen Bedauern der Hauptteil der Vorstellung beendet. Er sagte lediglich: »Bei wem können Sie arbeiten? Bei Don Prisciliano? Gut. Sie wissen, dass hier im Camp auf Ordnung gesehen wird. Kein Herumtreiben hier. Keine Skandale. Oder ich sehe mich genötigt, Sie mit dem nächsten arabischen Händler, der herkommt, nach Jovel zurückzuschicken.«
»Ich danke Ihnen ja so sehr, Caballero, dass ich hier bleiben darf, um meinen traurigen Verlust zu verschmerzen und hier in einem anständigen und ehrenwerten Berufe mein tägliches Brot zu verdienen. Con su permiso, caballero, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, ich werde mich nun zurückziehen.« Sie stand auf, machte eine demütige Verbeugung und verließ das Büro.
In dem Falle jedoch, dass der Senor Administrador ein gewisses Gefallen an der Besucherin fand, sagte er: »Sie müssen viel gelitten haben, Senora, in Ihrem Leben.«
Darauf sagte sie: »Gracias, caballero, mil gratias, tausend und aber tausendmal Dank für Ihr Verständnis meiner Herzensqualen. Mi alma y mi corazon sangran, meine Seele und mein Herz bluten, Caballero, der vielen Leiden wegen, die ich durchgekostet habe, seit mein armer Mann, gesegnet sei sein Grab, mich allein in dieser grausamen Welt zurücklassen musste. Warum habe ich mich nicht sofort getötet, gleich am selben Tage, als ich ihn in das kalte, nasse Grab versenkte. Aber, por la Santisima Madre de Dios, das wäre ja eine Sünde gegen Gott gewesen. Und vergessen Sie nicht, Caballero, ich bin eine fromme Christin und keine von denen, die es nicht so genau nehmen.«
Der Verwalter hatte sich inzwischen eine Zigarette angezündet und mehrfach mit dem Kopf genickt, um der Beklagenswerten zu verstehen zu geben, dass er die Welt und deren grausame Tücken kenne und dass er ähnliches im Leben durchgemacht habe.
Die Besucherin nahm nun wieder ihr Tüchelchen zur Hand und fegte sich damit an den Augen entlang, sorgfältig darauf achtend, dass die Pinselei an den Augenwimpern und unter den Augen nicht verwischt wurde. Auch den Mund tupfte sie sich ab, ohne das Tüchelchen rot zu färben, denn sie hatte nicht viele dieser feinen Tüchelchen, oder, um ganz deutlich zu sein, sie besaß nur dieses eine, das sie nur bei hochfestlichen Angelegenheiten zu gebrauchen sich vorgenommen hatte.
Sie seufzte endlich tief auf mit einem nachfolgenden Schlucken in der Kehle. Darauf sagte sie: »Ich hoffe nun, hier in dieser Einsamkeit alles das vergessen zu können, was ich erlitten habe, Senor Administrador, und für jedes Entgegenkommen, das Sie gütig genug wären, mir zu erweisen, werde ich Ihnen bis an mein Lebensende, das wohl bald erfolgen wird, ewig und ewig dankbar sein.«
Der Verwalter stand nun auf, ging auf die leidende Frau zu, klopfte ihr abermals auf die Schulter und sagte: »Es wird schon alles gut werden.« Dabei rutschte er mit der Hand höher hinauf und streichelte ihr Haar, eine Schmeichelung, die der armen Frau so gefiel, dass sie ihren Kopf dicht an seine Brust legte, tief aufschnupfte und das Tüchelchen gegen die Nase brachte. Sie war so unendlich dankbar für diese Tröstung, dass sie sich nicht enthalten konnte, die Hand plötzlich zu ergreifen und gegen ihr Gesicht zu pressen. Im Überschwang ihrer dankbaren Gefühle ließ sie sich dazu hinreißen, die Hand heftig zu küssen, so kräftig, dass sie ihre Zähne in die Hand eindrückte.
Nun kam sie zu sich, als erwache sie aus einem Traum, und sagte: »Perdone me, Senor, entschuldigen Sie mich für meine Handlung, aber ich weiß ja gar nicht, was ich tu, ich bin wie betrunken.
Sie sind so sehr gütig, Senor, viel gütiger, als ich es verdiene. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Wenn ich doch nur mit einem Worte wüsste, wie ich mich Ihnen für Ihre große Güte erkenntlich zeigen könnte.«
Sie vollführte nun eine taumelnde Bewegung mit ihrem Oberkörper, als falle sie in Ohnmacht.
Diese Geste gab dem Verwalter die erwartete Gelegenheit zu sagen: »Wollen Sie nicht eine Copita, ein kleines Gläschen mit mir trinken, damit Sie wieder zu Kräften kommen? Ich habe einen guten Cognac hier. Natürlich nicht hier im Büro. In meiner Wohnstube. Darf ich Sie einladen?«
Sie lächelte nun. »Un caballero tan noble y tan fino, wie könnte ich einem Herrn, so edel und so großmütig, eine so ehrlich gemeinte Einladung ablehnen!«
Sie stand auf und ging ihm voraus in der Richtung, die er angedeutet hatte. Es folgten dem ersten Gläschen einige mehr. Er rückte näher, und sie sagte: »Nicht unter den Armen, por favor, da bin ich sehr kitzlig.«
Nach einer Weile hörte man sie laut auflachen: »Unter den Hüften kann ich es auch nicht ertragen.«
Es wurde ein weiteres Gläschen eingeschenkt, und der Verwalter fand dann eine Stelle, wo die arme Frau weniger kitzlig zu sein schien oder das angenehme Gefühl das unangenehme so weit überwog, dass es Sünde gewesen wäre, sich über das Kitzeln zu beschweren.
Von nun an ging alles schnell vonstatten. Man hörte die Frau mit deutlicher Stimme ablehnen. Sie gab sich ersichtlich Mühe, recht energisch in ihrer Ablehnung zu erscheinen. Zweifellos kannte sie ihre Leute und wusste, gegen welchen Mann sie sich sehr willig zu zeigen hatte und bei welchem ein besserer Erfolg zu erzielen war, wenn man eine kleine Vorstellung veranstaltete, um den Aufgescheuchten glauben zu machen, dass er eine stolze
Feste kühn bezwungen und nach herrlichem Kampfe erobert habe. Jedenfalls wurden die Ablehnungen immer seltener und immer leiser. Die letzten Worte, die man außen vernehmen konnte, bezogen sich nur noch auf die Moskitos, die auf die erhitzten Beine der Besiegten loszustechen begannen.
Hatte der Verwalter erst einmal die Idee aufgenommen, dass es sich lohnen könnte, mit einer Besucherin eine Stunde zu verbringen, dann ließ er willig die langen Reden über sich ergehen. Nur wenn die sich Vorstellende schon so weit abgegriffen erschien, dass der Verwalter, selbst wenn er sehr in Verlegenheit sein sollte, nicht einmal mehr auf einige kleine verborgene Reize zu hoffen wagte und er aus dem Verhalten der sich Anbietenden den richtigen Schluss zog, dass, abgesehen vom Mangel an körperlichen Annehmlichkeiten, es ihr auch noch an den Talenten fehlte, durch verfeinerte und hochkultivierte Handlungen besonderer Art ihren Mangel an körperlichen Vorzügen reichlich auszugleichen, dann verabschiedete er sie so rasch, dass sie gar nicht dazu kam, ihm zu erzählen, sie habe eine kranke Mutter und ein halbes Dutzend jüngere Geschwister zurücklassen müssen, die sie alle zu versorgen habe und die ohne ihre fleißige Arbeit alle Hungers sterben müssten. jedoch in Fällen wie dem, der jetzt zur Verhandlung stand, wo entweder die Anwesende noch genügend Reize besaß, ihn zu interessieren, oder sie das Glück hatte, zu einer Stunde zu kommen, wo er nichts Besseres zur Verfügung hatte, gefiel er sich in der Rolle, sich Geschichten aufmerksam anzuhören und sie sogar mit Trostworten und Ausrufen des Erstaunens oder eines tiefgefühlten Verstehens zu begleiten. Er wusste recht gut, dass sicher das meiste, was ihm vorgetragen wurde, wenn nicht gar die ganze Geschichte erlogen oder aus üblen Romanen auswendig gelernt worden war und vielleicht hundertmal oder fünfhundertmal für gleiche oder ähnliche Zwecke erzählt worden sein mochte. Die Frau, die eine gute und wahr klingende Geschichte geschickt vorzutragen weiß, ist sich bewusst, dass sie damit manchen anderen Mangel, den sie haben könnte, vortrefflich verdecken kann. Wie beim Häuser- oder Automobilverkauf macht es sich immer gut bezahlt, wenn der Verkäufer gut zu reden versteht. Damit umnebelt er das kritische Urteil des Käufers.
Der Administrador, der hier die höchste Persönlichkeit war und von jedem, der herkam, Respekt forderte oder wenigstens erwartete, konnte nicht einfach zu einer der wilden Schenken gehen, sich dort besinnungslos voll gießen und dann eine der so genannten Kellnerinnen mit sich nach seinem Bungalow schleppen. Er hätte keine Frau dort gefunden, die nicht wahrscheinlich am Abend vorher oder gar nur eine Stunde vorher sich mit irgendeinem dreckigen Ochsenhirten oder einem Canoeburschen eingelassen hatte, weil er einen Peso besaß, und die jetzt vielleicht Läuse, wenn nichts Ärgeres an sich trug.
So leicht konnte der Verwalter seine königliche Würde nicht gefährden. Und darum, wenn die Cantineros wünschten, dass er ihnen stillschweigend erlaubte, Aguardiente zu verkaufen und Spielbanken zu halten, so übernahmen sie eine stillschweigend anerkannte Verpflichtung, jede neuankommende Dame, die zu Berufszwecken herkam, dem Verwalter zur Begutachtung ins Haus zu schicken, was unter dem Vorwand geschah, dass sie sich die Erlaubnis zum Aufenthalt bei ihm zu holen habe.
Jede Dame wurde von den erfahrenen Cantineros einige Stunden lang eingehend unterrichtet, wie sie sich gegenüber dem Verwalter zu benehmen habe. Die Verwalter wechselten zuweilen. Und jeder Verwalter hatte seine eigenen und besonderen Ideale in dieser menschlichen Notwendigkeit. Es war die Aufgabe der ersten zwei oder drei Frauen, die mit einem neuen Verwalter Stundenfreundschaft schlossen, seine Eigenheiten und seinen Geschmack zu erforschen und diese Kenntnis dann den Cantineros mitzuteilen.

 

7

Der gegenwärtige Verwalter, Don Leobardo Chavero, fand nur dann Geschmack an einer Besucherin, wenn sie es verstand, in ihm den Eindruck hervorzurufen, dass sie eine verhältnismäßig anständige Frau sei. Dass sie wirklich eine hochachtbare Bürgerin sei, das erwartete er nicht. Sie wäre ja sonst nicht hier. Aber er wollte doch stets den Eindruck haben, dass die Frau nur aus Unglück, aus einem Unglück, an dem sie schuldlos war, gezwungen worden sei, den untersten Markt aufzusuchen, der für diese Frauen noch in Frage kommen konnte. Die Monteria war der letzte Markt. Nach diesem gab es keinen anderen mehr. Selbst Gefangene, die dafür bezahlen konnten und denen gelegentlich aus Gesundheitsgründen diese Rechte zugestanden wurden, würden wohl die Mehrzahl dieser Frauen abgelehnt haben. Je mehr eine Besucherin bei Don Leobardo den Eindruck zu erwecken verstand, dass sie nur aus Zufall oder Unkenntnis hier hergekommen sei, um so größere Aussichten hatte sie, tage-, ja wochenlang in seinem Bungalow verweilen zu dürfen und von allen Bewohnern der Stadt so behandelt zu werden, als wäre sie seine Frau. Geschah dies, so erlaubte Don Leobardo nicht, dass die Frau im Camp blieb, nachdem er ihrer müde geworden war. Er wartete, bis eine Händlerkarawane zur Monteria kam, deren Eigentümer er vertrauen konnte, und er schickte die Frau, mit einem ansehnlichen Scheck versehen, in ihre Heimatstadt zurück. Jedoch, wenn sich eine Frau schlecht betrug, sich mit ihm prügelte, dann warf er sie mitleidlos hinaus, kümmerte sich nicht mehr um sie, und es blieb ihr keine andere Wahl, als zurückzutreten in die Reihe der Kämpferinnen gegen heftige Konkurrenz.
Don Leobardo, wie auch sonst kein einziger Verwalter in den Monterias, war moralisch durchaus nicht engherzig. Wenn er eine Frau für Wochen hatte, so hinderte ihn diese Tatsache nicht daran, neue Besucherinnen zu empfangen und auf ihre Fähigkeiten hin zu prüfen, vorausgesetzt, dass sie seinem Geschmack entsprachen. Und traf es sich so, dass eine der neuen Besucherinnen sein besonderes Gefallen fand, so nahm er sie gleichfalls für einige Wochen in sein Haus, ohne die frühere Frau, falls sie ihm immer noch genügend zusagte, aufzugeben. Die neue Gehilfin wurde aufgenommen als Gesellschafterin der ersten Frau. Wem von beiden diese Art eines traulichen und glücklichen Familienlebens nicht zusagte oder wer von beiden zänkisch war, wurde mit einem Scheck entlassen. Es geschah, dass während der sechzehn Monate, die Don Leobardo in dieser Monteria als Verwalter zubrachte, er einmal für drei Monate und zwei Wochen, wie die Bevölkerung ausrechnete, eine Frau und drei Gesellschafterinnen zu gleicher Zeit in seinem Bungalow unterhielt. Es war ein sehr fröhliches Familienleben, und wäre es nach Don Leobardo gegangen, so hätte er es für ein volles Jahr aushalten können. Aber zwei Angestellte, die gleichfalls Gefallen an zwei Gesellschafterinnen fanden und deren Neigung gelegentlich erwidert wurde, und zwar dann, wenn Don Leobardo mit der Frau und einer Gesellschafterin lebensphilosophische Probleme zu lösen suchte, brachten Unfrieden in das häusliche Glück. Die Schuld an dem Unfrieden trug nicht Don Leobardo, der sich bereit erklärt hatte, sowohl den beiden sündhaften Gesellschafterinnen als auch den beiden Angestellten zu vergeben und die Vorfälle zu vergessen, sondern die Schuld trugen die beiden Gesellschafterinnen, die nach drei Tagen entdeckten, dass jede von ihnen den unrichtigen der beiden Angestellten erwischt habe, und sie darum tauschen wollten. Das führte zu Revolverschüssen, von denen die meisten fehlgingen, aber zwei trafen, ohne Schuld der Schützen freilich, die, wie sie sagten, nicht die Absicht gehabt hätten, sich gegenseitig zu ermorden. Es blieb Don Leobardo daraufhin nichts anderes übrig, als die beiden Gesellschafterinnen in einem Raum einzusperren und dort eingesperrt zu halten, bis er sie mit der Karawane eines arabischen Händlers nach Balun Canan schicken konnte.

 

8

Wer als Uneingeweihter, aus Versehen vielleicht, herkam, in diese Stadt, so hastig aufgebaut im Dschungel und so schmucklos und nüchtern, gewann den Eindruck, dass es sich um ein Camp handle, in dem jedes Gebäude, jede Hütte, jedes Wesen, Mensch oder Tier, keinem anderen Zweck diene als dem, Mahagoniholz zu gewinnen. Diesen Zweck verfolgten freilich die Stadt und deren Bewohner, wie in einem Bergwerksort jede Tätigkeit, mittelbar oder unmittelbar, dem Gewinn von Kohlen oder Erzen dient.
Was außerhalb der Arbeit in diesem Camp vor sich ging, sah einer nur dann, wenn er hier Wochen zubrachte. Er durfte aber diese Wochen nicht zubringen als Besucher oder als Zeitungsschreiber oder als Mitglied einer Inspektionsbehörde, sondern er musste hier sein als Beteiligter, sei es als Angestellter, als Handwerker, als Contratista, als Händler, als Arbeiter oder als Mitglied der großen Heerschar, die für das Vergnügen sorgte und die Lustbarkeiten verkaufte, ohne die das Leben hier schwerlich zu ertragen gewesen wäre.
Waren die Gebäude der Administracion in ihrer Bauart und ihrem Aussehen schon weit entfernt von dem, was man sich unter Bürogebäuden selbst in Zucker- und Kaffeeplantagen vorzustellen gewohnt ist, so waren nun erst recht die Baulichkeiten, die allen anderen Zwecken dienten, noch hundertmal weiter von dem entfernt, was man sich unter Schenken, Spielhallen, Tanzsälen und den Häusern für weibliche Hilfeleistung etwa in einem kleinen Hafen an der pazifischen Küste Zentralamerikas vorstellt.
In jenen kleinen Häfen, wo nur Trampschiffe anlegen, deren Bestimmung und Eigentümer nicht immer klar sind, halten diese Stätten wenigstens noch einen Schimmer des Glanzes oder der Räuberromantik aufrecht, die ein durstiger und weibbedürftiger
Seemann anzutreffen hofft. Er ist durchaus zufrieden und findet es ganz in der Ordnung, wenn die zwei oder drei Tavernen des Hafens und die Tanzsäle, die den Tavernen angehängt sind, aus alten Kistenbrettern, flachgehämmerten Konserven- und Petroleumkanistern und durchlöcherten Stücken verrosteten Wellbleches gebaut sind.
Solche Gebäude stehen in ihrer Architektur und in dem verwendeten Baumaterial immer noch in gewisser Verbindung und Beziehung zur Zivilisation; denn sie erinnern leise an die verwahrlosten Hütten, die man in Gartenkolonien am Rande großer Fabrikstädte in den zivilisierten Ländern gelegentlich sieht, wo Arbeiter ihre Sonntage verbringen und Salat pflanzen, der stets von anderen geerntet wird.
Gegenüber den Baulichkeiten, die man jedoch in den Mahagoni-Camps als Stätten der Lustbarkeit zur Verfügung hat, konnten sich die Bretterhöhlen der kleinen Häfen wahrhaft Paläste nennen. Denn hier in den Monterias gab es nicht einmal Kistenbretter, kein Stück Wellblech, keine Nägel, keinen Draht, keine eisernen Haken oder irgend etwas von dem, was selbst in dem elendsten Hafen der armseligsten Küste immer noch gesehen werden kann.
Tische und Stühle gab es nur in den Gebäuden der Verwaltung, und selbst diese Möbel waren selten mit einer Säge, sondern meist nur mit der Axt und mit dem Machete angefertigt worden. Einige der Angestellten schliefen nur in Hängematten, weil sie der Schlangen, Skorpione und großen Taranteln wegen nicht auf dem bloßen Boden schlafen konnten. Andere Angestellte, darunter der Verwalter und der Hauptbuchführer, besaßen Bettstellen. Diese Bettstellen waren, wie alle Möbel hier, aus dem feinsten Mahagoni- oder Ebenholz gefertigt. Das Holz war Tausende von Dollars wert, in New York oder London natürlich. Hier diente es sogar als Brennholz, wenn es nicht gut genug oder groß genug war, das verlangte Maß für den Markt zu liefern. Aber obgleich das Holz der Bettstellen das edelste Holz war, so waren die Bettstellen selbst so dürftig aus zugehackten Brettern zusammengezimmert, dass sie den Namen Bett nirgendwo sonst hätten verdienen können, nicht einmal bei einem armen Bauern in Albanien. Kreuzweise waren über das Gestell Riemen aus roher Ochsenhaut gespannt. Auf diesem Geflecht lag ausgebreitet eine Bastmatte und darüber eine Matratze, die von Indianern sehr geschickt aus dem Bast einer besonderen Pflanze gearbeitet wurde. Sie war etwa drei Zentimeter dick und verhältnismäßig weich. In europäischen Ländern würde man glauben, sie sei aus Torf gefertigt.
Die Farbe ist ähnlich der des hellen Torfs. Gute Kissen wurden hergestellt aus Inletts, die dick mit ausgesuchtem Louisianamoos, so genanntem Musgo, voll gestopft wurden, das hier reichlich wuchs.
Diese Art Betten und Matratzen galten in der Stadt als der höchste Luxus, den jemand besitzen könne. Und wenn der Verwalter oder ein Angestellter sich eine Frau in seinen Bungalow nahm, so war durchaus zu verstehen, warum die Frauen sich behaglich genug fühlten und überzeugt waren, dass eine englische Herzogin nicht weicher schlafe, denn in ihren eigentlichen Behausungen schliefen die Mädchen entweder in einer Hängematte oder auf einer auf dem Erdboden ausgebreiteten Bastmatte.
Eine Hängematte war schon ein Luxus, den sich nur wenige Frauen leisten konnten; denn selbst wenn sie Geld hatten, konnte es geschehen, dass die Tienda der Company keine im Vorrat hatte, und es war nicht sicher, ob die nächste Karawane einige mitbringen würde. jedoch waren zuweilen indianische Männer oder Frauen im Camp, die es als ihr Geschäft betrieben, Hängematten aus Bastfäden zu knüpfen.
Die Schenken und Spielsäle bestanden zumeist nur aus einem oder zwei rohen Tischen, aufgestellt unter freiem Himmel. Diese Art galt bereits als vornehm. Die weniger vornehmen Trink- und Spielsäle waren nichts anderes als der nackte
Erdboden, wo sich die Besucher nach Indianerart hinhockten und den Mescal entweder gleich aus der Flasche oder aus Fruchtschalen tranken. Auch das Spielen ging auf dem nackten Erdboden vor sich.
Andere Schenken hatten ein halbes Palmdach, das gegen einen Baum oder einen Pfahl so gestellt war, dass es gegen den Wind oder, in den meisten Fällen, gegen die Sicht der Verwaltungsgebäude gerichtet war.
Dann gab es auch wieder Häuser, die aus einem vollen Palmdach bestanden, das ohne Pfähle auf den Boden gestülpt war. Die beiden Giebelseiten wurden mit trockenem Strauchwerk verstellt. Die eine Giebelseite galt als Tür. Wurde das Strauchwerk hinweggeschoben, dann war die Tür offen; und wurde das Strauchwerk vorgeschoben, dann war die Tür geschlossen. Dieser Art waren die Häuser, in denen die Kellnerinnen und sonstigen Frauen wohnten, wo sie ihre Gäste empfingen, um sich mit ihnen über Anatomie zu unterhalten.
Schlafen muss der Mensch, und wenn er kein Bett hat, muss er eben auf dem Boden schlafen. Die Frauen, wie die Mehrzahl der Handwerker, Branntweinwirte und Arbeiter, hatten als Behausung nur solche Hütten, die lediglich ein Palmdach waren, deren Giebel nicht hoch genug reichte, dass man darunter aufrecht hätte stehen können. Da viele, wohl die meisten Bewohner dieser Häuserchen, weder Bett noch Hängematte besaßen, schliefen sie auf einer Matte auf dem Erdboden. Jeder einzelne, der am Morgen aufwachte, ohne von einer Schlange oder einem Skorpion oder einem sonstigen der zehntausend Dschungelkreaturen gestört worden zu sein, betrachtete sich vom Schicksal ebenso begünstigt wie ein Soldat, der unverwundet aus einem langen Krieg heimkehrt.
Die Handwerker hätten sich natürlich bessere Hütten bauen können; denn sie besaßen die notwendige Geschicklichkeit. Aber es fehlte ihnen an Zeit. Alle Zeit, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, Sonntag eingerechnet, gehörte der Company.
Nachts waren sie zu müde, und sie hätten diese Arbeit nachts auch nicht tun können. So blieb es für immer bei dem Dach, bis es eines Tages verbrannte oder von einem heftigen Hurrikan zerstört wurde. Dann hatten sie gerade genügend Zeit, um ein neues Dach zu bauen, das in den meisten Fällen dürftiger ausfiel als das frühere. Jeder hoffte, von den Schulden, die er bei der Company hatte, freizukommen, um in seine Heimat zurückzukehren.
Weil jeder hoffte, dass dies in kurzer Zeit geschehen würde, darum nahm ein jeder vorlieb mit dem primitiven Hause, wie er es hatte. Aber je länger er hier in der Monteria arbeitete, um so tiefer geriet er in Schulden bei der Company und um so aussichtsloser war die Hoffnung fortzukommen. Die Schulden mussten erst abgearbeitet sein, ehe der Mann das Camp verlassen durfte.
Es gab freilich noch eine andere Art von Häusern. Bei diesen war das Dach auf Pfähle gesetzt, hoch genug, dass man unter dem Dach aufrecht stehen konnte und sogar noch ein wenig Raum über einem frei blieb. Einige der Aguardienteverkäufer besaßen solche Häuser. Oft wurden diese Häuser verschönert dadurch, dass eine der Seiten mit Buschwerk bedeckt wurde, so dass eine Wand entstand.
Zuweilen wurde eine zweite Wand auf diese Weise geschaffen, und der Wirt trennte einen Raum ab, den er nach allen Seiten mit Buschwerk verkleidete. In diesem Raum schlief er mit seiner Frau oder, wenn er keine Frau mitgebracht hatte, der Reihe nach mit einer der Meseras oder Kellnerinnen, die in seiner Schenke bedienten.
Einige der Handwerker, die zu den intelligenteren gehörten, Maestro, Meister, genannt wurden, ihre Arbeit gut bezahlt erhielten und, weil sie unersetzbar für den geregelten Betrieb, wie der Schmied, der Geschirrmacher, der Postreiter, der Mayordomo der Arrieros, unabhängig waren und respektiert wurden wie die Angestellten, wohnten in Hütten, die, nur in verkleinertem Maßstabe, den Gebäuden der Verwaltung nicht unähnlich schienen. An den Umständen gemessen, konnten diese Häuser als das Beste angesehen werden, was überhaupt für die Bewohner dieser Stadt erreichbar war.

 

9

Am äußersten Rande des Geländes und nahe dort, wo bereits der Dschungel begann, stand eine verwahrlost aussehende Hütte ohne Wände. Das morsche Palmdach zeigte an mehreren Stellen große Löcher, und zerbröckelnde Sparren ließen darauf schließen, dass beim nächsten Sturm mit Sicherheit damit gerechnet werden konnte, dass von dem Dach nichts mehr übrig bleiben werde. Ein morsches Brett, angenagelt an einen der Hauptpfähle, trug eine verwitterte Inschrift, geschrieben offenbar mit einem dicken Zimmermannsbleistift. Einige der Buchstaben waren unleserlich geworden. Aber wer sich auf das Entziffern von mysteriösen Hieroglyphen verstand, vermochte mit einiger Geduld zu entdecken, dass die Inschrift einst gelautet hatte. Escuela, Schule.
Die Monterias waren durch Gesetz verpflichtet, Schulen für die Kinder ihrer Arbeiter und Angestellten und aller übrigen Leute, die hier wohnten, zu bauen und zu unterhalten. Das Gesetz hatte mit dieser Anordnung gemeint, dass die Monterias die Schulen voll auszurüsten und auch für den Lehrer zu sorgen und ihn zu bezahlen hätten. Da dies aber in der Verordnung nicht ausdrücklich Wort für Wort geschrieben stand, sondern in der Konzession nur gesagt worden war, dass eine Schule erbaut und unterhalten werden müsse, so war die Company dieser Verordnung so nachgekommen, wie sie von der Company ausgelegt wurde.
Ein Dutzend Pfähle waren in den Boden gegraben und darüber war ein Palmdach gelegt worden.
Um zu vermeiden, dass sich irgend jemand hinsichtlich der Bedeutung dieser Hütte Irrtümern hingeben konnte, wurde das Brett mit der Aufschrift Escuela Rural, Landschule, angenagelt. Es war seit dem Bestehen dieser Monteria nie ein Kind darin unterrichtet worden. Und die Hütte diente jetzt während der heißesten Stunden des Tages zum Unterstellen der Mules und Esel, um sie ein wenig Schatten genießen zu lassen.
In den Jahresbilanzen der Company, von denen einige Kopien den Behörden eingereicht werden mussten, fand sich auch die Escuela als Vermögen der Company mit aufgezählt, und zwar als ein Vermögensbestand in der Höhe von zweitausendsechshundert Pesos. Der wahre Wert belief sich lediglich auf die verwendete Arbeitszeit einiger Peones und betrug vier Pesos und achtzig Centavos.
Jede Monteria hatte eine solche Schule, weil sie laut gesetzlicher Bestimmung eine haben musste.
Die hier geschilderte war die beste von allen. Die Schulen der übrigen Monterias hatten längst weder Dach noch Dachsparren. Die Schule der Monteria La Tumba bestand nur noch in einem Pfahl, der von entschwundener Pracht Zeugnis ablegen konnte; die anderen Pfähle waren seit Jahren entweder verfault, oder es hatte jemand die noch brauchbaren für bessere Zwecke verwendet. Es war nicht ironisch gemeint sondern zufällig wirklich Tatsache, dass der einzelne Pfahl, der noch stehen geblieben war, das Brett trug, auf dem man noch zwei Buchstaben,.s...1., lesen konnte. Die anderen Buchstaben waren verblichen.
Alle diese Schulen hatten vor der Diktatur nicht bestanden. jetzt aber waren sie unter der Zahl der Landschulen in den Berichten des Unterrichtsministeriums aufgeführt und zeigten der ganzen Welt, welche Anstrengungen El Caudillo, der Führer, gemacht habe, um den Bildungsstand der Nation zu erhöhen. Der Diktator diktierte, dekretierte und verordnete und, siehe da, ein neues Volk wurde geboren und nahm seinen ihm gebührenden Platz unter den zivilisierten Nationen der Erde ein. Auf dem Papier!

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