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B. Traven - Der Karren (1930)
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DRITTES KAPITEL

1

Don Leonardo hatte in Chilon zu einem sehr günstigen Preise dreißig Mules aufgekauft von einem Finquero, der in Geldnot war. Er ließ, mit Andres als Begleitung, die Mules nach Joveltö treiben, wo er sie aufbesserte, um ihnen ein gutes Ansehen zu geben.
Er fragte herum, wie die Preise für gute Mules seien, und er hörte, dass die besten Preise augenblicklich in La Concordia gezahlt würden, wo Kaffeeplantagenbesitzer hunderte von Mules zu kaufen gedächten.
Sobald er durch weiteres Herumhören erfuhr, dass jene Nachricht auf Wahrheit beruhte, beschloss er, die Mules nach La Concordia zu bringen.
Er nahm sein bestes Pferd und ritt voraus, um den Handel abzuschließen. Die Mules ließ er von Andres, der noch einige Burschen von Joveltö zur Mithilfe bekam, nachbringen; denn bei einer so langen Reise kann eine Patache Mules nicht im gleichen Trabe marschiert werden wie ein einzelnes gutes Pferd, auf dem ein guter Reiter sitzt.
Don Leonardo hatte die Mules verkauft, zwei Tage, ehe sie eintrafen. Käufer und Verkäufer waren über den Handel zufrieden. Don Leonardo hatte reichlich verdient, und der Plantagenbesitzer hatte die Mules viel billiger erworben, als er geglaubt hatte zahlen zu müssen. Denn wenn er die Mules von Tabasco hätte kaufen müssen, so wären sie um die Hälfte teurer geworden.

 

2

In La Concordia waren in jener Woche sehr viel Leute anwesend, weil ein Fest bevorstand, das mit einem großen Markt, einer Feria, verbunden war.
Da waren Pferdehändler, Viehhändler, Eselhändler von Balun Canan; Arbeiteragenten, die indianische Arbeiter aus unabhängigen Dörfern für Kaffee- und Kakaoplantagen anwarben; Aufkäufer von Kaffee, von Mais, von Holz; Agenten für Maschinen; Agenten für Eisenwaren und Werkzeuge für Landwirtschaft; Aufkäufer von Land; Händler von Stoffen und Gebrauchsartikeln aller Art. Diese Leute hatten viel Geld mit sich, um Abschlüsse rechtskräftig zu machen. Und diese Leute verdienten viel Geld, und alle hofften, diesmal besonders viel zu verdienen.
Die Abende waren lang. Es wurde gut getrunken. Und weil die Leute nicht wussten, wie sie ihre Zeit während des Abends verbringen sollten oder was sie tun sollten, wenn nicht über Geschäfte geredet wurde, so spielten sie heftig.
Don Leonardo reiste nicht gleich zurück, nachdem er seine Mules verkauft hatte. Er nützte die Gelegenheit, um mit dem verdienten Gelde neue Geschäfte zu machen und ordentlich hinzuverdienen zu können.
Aber seine Geschäfte gingen ebenso wenig sehr rasch vonstatten wie die Geschäfte aller übrigen Leute.
Die Männer nahmen sich recht viel Zeit; denn sie hatten genügend Zeit, und jeder hoffte auf noch bessere Gelegenheiten und noch bessere Angebote.
Und auch er wusste nicht, was er während der Abende tun sollte. So war es ganz natürlich, dass er sich mit einer Gruppe von Männern zusammensetzte und spielte, wie es alle andern auch taten. Er kannte jeden einzelnen der Caballeros, mit denen er spielte. Sie alle waren, wie auch er selbst, ehrlich und zuverlässig im Spiel, während sie alle, er nicht ausgenommen, in Geschäften oft genug versuchten, mit allen möglichen Kniffen den Gegenpart zu übervorteilen. Im Spiel muss man ehrlich sein, das verlangt die Ehre des Caballero; im Geschäft nimmt es niemand so genau, und jeder bleibt dennoch ein Ehrenmann.
Die Gruppe spielte Siete y Medio. Das Spiel geht sehr rasch vor sich. Frühmorgens um zwei Uhr hatte Don Leonardo alles Geld verloren, das er für die Mules erhalten hatte. Aber das Spiel ging weiter. Auch nicht einen einzigen Peso hatte er übrig, um ihn einsetzen zu können mit der Hoffnung, sein Geld wiederzugewinnen. Und beim Spiel borgte kein Caballero. Das war altes, gut ausgeprobtes Gesetz.
Sie spielten in einem großen Raum im Hause eines ihnen bekannten Bürgers von La Concordia. Alle Herren hatten ihre Burschen, ihre Muchachos, mit sich.
Diese Burschen waren stets in der Nähe ihres Herrn. Sie lagen schlafend auf ihren Matten dicht bei.
Einige schliefen im Portico, andere in den Ecken des Raumes, indem ihre Herren spielten. Das störte die Herren in keiner Weise.
Zuweilen wurde der eine oder der andere der Burschen leicht mit dem Fuße seines Herrn angestoßen:
»Ola, spring rüber und klopfe an die Tür der Cantina, hier sind zwölf Reales, einen neuen Liter Comiteco Anejo. Na, los, spring schon und besinn dich nicht. Wir sind trocken.«

 

3

Diesmal war es nicht Lazaro, sondern Andres, der von einem der Caballeros angestoßen wurde. Bei solchen Zusammenkünften waren die Burschen gesellschaftliches Gemeineigentum aller anwesenden Herren, so dass niemand darauf achtete, wessen Bursche von wem angerufen und mit einem Auftrage fortgeschickt wurde.
Andres kam zurück und stellte die Flasche mit dem Comiteco auf den Tisch.
»Da, nimm einen Hieb, Muchacho«, sagte Don Laureano, der Andres geschickt hatte. Er goss ein Glas voll und schob es dem Jungen zu. Andres goss es mit einem Ruck hinunter. Dann spießte er sich mit einem Zahnstocher ein Stückchen Käse auf, der in klein geschnittenen Stückchen auf einem Teller lag, und aß es.
Das Verhältnis eines Herrn zu seinem Burschen ist in Mexiko nicht wie ein Verhältnis von Herrn und Sklaven. Auf der Reise besonders ist der Herr nicht zu stolz dazu, mit seinem Burschen aus derselben Flasche zu trinken, ganz gleich, was es ist, Wasser, Kaffee, Branntwein oder ein Sodagetränk. Und im Essen ist es ebenso. Wenn es sehr kalt ist, rollt sich der Herr in seine Decke dicht neben seinen Burschen ein, damit sie sich gegenseitig warm halten. Der Herr teilt seinen gebratenen Truthahn mit seinem Burschen in durchaus ehrlicher Weise; der Bursche rupft sich mit den Fingern von dem Ball Posol oder dem Stück Fleisch so viel ab, wie er glaubt nötig zu haben, um satt zu werden. Er wird aber das Essen seines Herrn nicht anrühren, auch wenn er Hungers sterben sollte, wenn nicht der Herr gleichzeitig isst oder gegessen hat. Aber obgleich der Muchacho eben aus derselben Flasche mit seinem Herrn getrunken hat, so macht es seinem Herrn keine Skrupel irgendwelcher Art, dem Burschen gleich darauf einen Fußtritt zu geben, wenn der Bursche nicht rasch genug aufspringt, um ein abtrabendes Pferd einzufangen, ehe es zu weit ist.
Andres wollte sich wieder in seinen Winkel kauern, als Don Leonardo ihn bemerkte.
»Hören Sie, Don Laureano«, sagte Don Leonardo, »ich setze meinen Muchacho, wie viel setzen Sie dagegen?«
Don Laureano hielt die Bank.
Er sah auf, prüfte Andres mit einem raschen Blick von oben bis unten, wie man ein Pferd prüft, zu dessen Kauf man sich im Augenblick entscheiden muss.
»Spricht er Castellano oder nur Idioma?« fragt Don Laureano, während er die Karten mischte.
»Spricht beides und weiß ein wenig zu lesen und zu schreiben«, erwiderte Don Leonardo.
»Fünfundzwanzig Pesos«, sagte Don Laureano kurz und mit einem Ton, durch den er andeutete, dass dies das Äußerste sei, was er bieten wolle.
»Aceptado, angenommen«, antwortete Don Leonardo. Das Spiel fiel, und Don Leonardo verlor.
Er zog seinen Revolver aus dem Gurt und wog ihn in der Hand. Irgendwo anders wären die Spieler aufgesprungen, um Don Leonardo vor einem übereilten Selbstmorde zu bewahren. Aber obgleich jeder der Herren die Bewegung des Don Leonardo gesehen hatte, so machte auch nicht einer Miene, dem Don Leonardo in die Hand zu fallen. jeder besaß gesunde Philosophie genug, um sich zu sagen:
»Wenn er sich erschießen will, so ist das seine Sache, das geht uns gar nichts an. Wir lassen ihn anständig begraben, denn das ist unsere Pflicht als Caballeros und als Freunde.«
Aber die Herren waren viel zu gute Mexikaner, um nicht zu wissen, dass sich niemand so schnell erschießt.
Solange er nicht seinen Rancho und sein Haus und das Haus seines Schwiegervaters und auch noch sein bestes Pferd verspielt hat, solange besteht keine Gefahr des Selbstmordes. Mexiko ist viel zu schön dazu, und ob man bei einem zweiten Leben die Gewissheit hat, abermals in Mexiko zu landen, ist keineswegs so sicher. Darum ist es besser, man behält, was man hat, und versucht die Götter nicht.
Don Leonardo streichelte seinen Revolver liebkosend, und dann legte er ihn vor Don Laureano hin.
Don Laureano unterbrach das Mischen der Karten, legte die Karten aus der Hand und betrachtete sich den Revolver, wie man ein Kunstwerk ansieht. Er wog ihn, schwenkte ihn, sah in den Lauf, prüfte den Mechanismus und sagte: »Kaliber 38. Bueno, muy bueno. All right, fünfzig Pesos.«
Einer der Mitspielenden rief: »Gebe sechzig dafür.« »Gebe ich auch«, sagte Don Laureano trocken. »Wird mehr geboten?« fragte er herumblickend. Niemand gab mehr.
»Gut, sechzig Pesos«, meinte Don Laureano nickend zu Don Leonardo.
»Aceptado«, antwortete Don Leonardo.
»Lassen Sie die sechzig stehen, oder wollen Sie weniger setzen, Don Leonardo?« fragte Don Laureano.
»Ich will meine erste Karte sehen, und dann setze ich.«
»Bueno, wie Sie wollen, Amigo.«
Don Leonardo hob die Karte, die ihm ausgeteilt war, auf. Es war eine Sieben. Er sagte: »Ich setze die sechzig Pesos.«
»Gut«, erwiderte Don Laureano. »Otra, eine mehr, oder haben Sie genug?«
Don Leonardo überlegte einen Augenblick. Sieben war so günstig, dass es Sinnlosigkeit genannt werden musste, eine weitere Karte zu verlangen. Wenn er den Revolver verlor, blieb ihm nur noch sein Sattel und dann nur noch sein Pferd. Er hätte auf einem geborgten Pferde zurückreiten müssen, und das ist für einen Caballero beinahe ebenso beschämend, wie etwa gar zu Fuß wandern zu müssen wie ein Indianer. Ein mexikanischer Caballero hat nur dann ein Recht, zu Fuß zu gehen, wenn sein Pferd unter ihm zusammengebrochen ist. Zu Fuß gehen dort, wo man, wenn auch unter großen Mühen und unter steten Gefahren für Tier und Reiter, reiten kann, das tun nur amerikanische Forschungsreisende.
Und aus diesem Grunde stehen sie nicht sehr hoch in der Achtung eines mexikanischen Caballeros, auch wenn diese Forschungsreisenden sich durch ihre Arbeiten einen Namen in der gesamten zivilisierten Welt gemacht haben sollten.
Don Leonardo überlegte noch eine Sekunde, während er die Karte, die Don Laureano schon halb aus dem Spiel gezogen hatte, so durchdringend und scharf anblickte, als hoffte er, den Wert der Karte von der Deckseite aus lesen zu können.
Er beschloss, zu sagen: »Genug, gracias.« Aber ganz gegen seinen Willen stieß er hervor: »Otra, eine mehr.«
Die Karte wurde ihm zugereicht. Er hielt sie eine Weile so, wie er sie bekommen hatte, mit dem Bild nach unten, als fürchte er, sie zu sehen. Alle Spieler blickten ihn an, um seine Spannung vollauf genießen zu können. Spiele sind ja nur darum so interessant, weil man immer zwei Spannungen erlebt, die eigene und die der Mitspieler.
Don Leonardo drehte die Karte vorsichtig um. Alle seine Mitspieler wussten ja nun bereits, dass er entweder sechs oder sieben haben musste; denn wenn er weniger gehabt hätte, dann würde er nicht gezögert haben, eine neue Karte zu verlangen.
Er sah, dass er einen König bekommen hatte. Er legte die beiden Karten auf und sagte mit herausgepresstem Atem:
»Sietey Medio, Caballeros; sieben und ein halb, meine Herren.«
Ruhig, als ob es gar nicht anders hätte ausfallen können, nahm er seinen Revolver und schob ihn in seinen Gurt zurück. Er zog einige hundert Pesos ein, und er hatte außerdem die Bank gewonnen. Wer die Bank hält, hat immer einen halben Punkt gut, den er allen übrigen Mitspielern voraus ist.

 

4

Das Spiel ging weiter.
Nachmittags um fünf Uhr erklärten die Herren, dass die letzten drei Spiele nun ausgeteilt würden und dass daraufhin keine Revanche mehr verlangt werden dürfe und keine mehr gegeben zu werden brauche.
Darauf einigten sich die Herren, weil sie nun alle so übermüdet waren, dass sie kaum noch die Karten halten konnten und schon begannen, sich zu verzählen.
Don Leonardo hatte sein gesamtes Geld zurückgewonnen und etwa zweitausend und einige hundert Pesos mehr.
Bei einem Überschlagen der gewonnenen und verlorenen Summen fand sich, dass keiner der Herren zu sehr ausgeblutet worden war. Die zwei- oder dreitausend Pesos, die der eine oder andere verloren hatte, wurden nicht tragisch genommen. Die Herren, die verloren hatten, rechneten, halb schon im Schlafe, aus, um wie viel sie die Waren, die sie zu verkaufen gedachten, höher berechnen würden, um den Verlust beim Spiel wieder auszugleichen. Wenn es zur Endrechnung kommt, stellt sich meist heraus, dass es selten die Spieler selbst sind, die den Verlust bezahlen. Irgendjemand, der am Spiel ganz unbeteiligt war, muss bluten.

 

5

Halb torkelnd standen die Männer auf und traten in den Portico. Die Burschen, die hier herumlungerten und auf ihre Herren warteten, sprangen herbei und trugen die Stühle aus dem Raum, in dem die Caballeros gespielt hatten, hinaus in die Halle. Die Männer ließen sich müde in die Stühle fallen. Einige nickten ein, und andere redeten schläfriges Zeug, mehr um sich wach zu halten, als um ernsthaft zu reden. Eine halbe Stunde später rief der Herr des Hauses, dass die Männer zum Essen in den Comidor kommen möchten.
Nachdem die Herren gegessen hatten, standen sie auf, reckten sich, machten sich auf, in die Straßen zu gehen, um zu sehen, was sich inzwischen in der Welt zugetragen habe, ob man Geschäfte näher zum Abschluss bringen könne, und wen man treffen und mit wem man reden könne.
Don Laureano ging mit Don Leonardo. Beide wohnten in derselben Fonda.
Als sie vor das Tor traten, stand Andres dagegen die Ecke gelehnt, schwatzend mit einem andern Burschen, der gleichfalls auf seinen Herrn wartete.
Don Laureano tippte Andres auf die Schulter und sagte: »Wie heißt du denn, Hijito, mein Söhnchen?«
»Andres Ugaldo, su servidor, Senor«, antwortete der Junge.
»Also Andres«, sagte Don Laureano. »Hast du schon einmal mit Ochsen gearbeitet?«
»No, Senor«, erwiderte der Bursche.
»Das ist nicht so schwer«, sprach Don Laureano weiter. »Das wirst du bald lernen. Bist ein starker Junge und hast ein sehr kluges Gesicht. Ich glaube, du hast eine Zukunft. Das werden wir bald sehen.
Du weißt doch, dass du jetzt mein Muchacho bist.«
Andres blickte auf Don Leonardo und sagte: »Mit Ihrer sehr gütigen Erlaubnis, Patron, aber ich bin bei Don Leonardo.«
Don Laureano wandte den Kopf, sah Don Leonardo an und fragte: »Don Leonardo, haben Sie dem Jungen nichtgesagt, dass er jetzt bei mir ist?«
Bei dieser Frage erinnerte sich Don Leonardo wie im Traum, dass er den Jungen im Spiel gesetzt und verloren hatte. Als er den Revolver gesetzt und gewonnen hatte, beeilte er sich sehr, den Revolver wieder an sich zu nehmen und in seinen Gurt zu schieben, und das tat er eiliger, als das Geld zu kassieren, das er im gleichen Spiel gewonnen hatte. Im gleichen Spiel hatte er, wie er sich nun besser noch erinnerte, auch die Bank gewonnen. Und von da an dachte er immer nur an das Geld, das er verloren hatte und das er nun zurückgewinnen wollte. Aber dass er den Jungen verloren hatte, das hatte er völlig vergessen. Andernfalls hätte er, als Don Laureano gegen Mittag einmal sehr kurz war mit Geld und auch schon begann, persönliche Dinge, die er bei sich trug, an Stelle von Geld einzusetzen, von ihm verlangt, den Jungen zuerst einzusetzen, um so Don Leonardo Gelegenheit zu geben, den Jungen wieder zurückzugewinnen.
Aber das Spiel war nun aus. Don Laureano hatte keine Verpflichtung, den Jungen zurückzugeben, auch nicht gegen Zahlung von fünfundzwanzig Pesos, die für den Jungen gesetzt worden waren. In Mexiko gibt es keinen Menschenhandel, kein Mensch kann gekauft, kein Mensch kann verkauft werden.
Die Konstitution verbietet das, und die Konstitution erklärt feierlich jeden Einwohner der Republik als einen freien, unabhängigen und unantastbaren Menschen, an dem unter gewissen Voraussetzungen nur der eigene Vater, der Polizist, der Staatsanwalt und der Staat leibliche Rechte hat. Darum konnte Don Leonardo jetzt sein Versehen in keiner Weise mehr gutmachen. Er konnte nicht dem Don Laureano fünfundzwanzig oder fünfzig Pesos für den Jungen anbieten. Das wäre Menschenkauf gewesen, und Don Leonardo sowie auch Don
Laureano, beide, konnten dafür schwer mit Gefängnis bestraft werden. Sie waren beide gute und rechtgläubige Katholiken, für die es eine Sünde war, einen Christen zu verkaufen, auch wenn es ein Indianer war. Beide hätten sich aber sowohl als Caballeros wie als Mexikaner geschämt, Geld für einen Mitbürger der Republik zu bieten oder anzunehmen und die eigenen Landsleute wie Ware zu behandeln. Auf jeden Fall war es gegen die gute Sitte und gegen jeglichen Gebrauch.
Aber so kompliziert ist die Moral, und nicht nur die der Mexikaner allein, dass nichts Ungehöriges, nichts Unerlaubtes, nichts Schäbiges darin erblickt wird, wenn Herren beim Spiel das Eigentum ihrer Frauen, ihrer Kinder, ihrer Eltern einsetzen, und dass es akzeptiert wird, wenn Herren ihre Frauen, die körperliche Ehre ihrer Frau oder ihrer Tochter oder ihrer Geliebten einsetzen, wenn sie kurz mit Geld sind, um weiterspielen zu können.
In diesem Falle jedoch war die Moral sehr nüchtern. Andres war ein Peon, der zu einer Finca als immobiles Gut gehörte. Er konnte zwar der Konstitution wegen nicht verkauft werden, jedoch durfte er unter den Herren ausgewechselt werden. Der Peon wurde nicht gefragt, ob er den neuen Herrn wünsche oder nicht. Er war auch so gut erzogen, von Kirche und Latifundienbesitzern, dass er nicht mit einem Gedanken daran gedacht hätte, auch nur mit einem winzigen Worte etwas gegen seine Auswechselung einzuwenden. Das wäre Ungehorsam gewesen. Und ein Peon hatte kein Recht, ungehorsam zu sein.
Anhänglichkeit gegen seine Peones hat der Finquero weniger als gegen seine bevorzugten Pferde. Und Anhänglichkeit gegen Andres hatte Don Leonardo nicht für einen verbogenen Silberling. Sobald er nach Hause kam, verschaffte er sich einen andern Jungen von der Finca seines Schwiegervaters.
Er sagte schläfrig: »Ja, das ist richtig, Andres. Du bist jetzt Muchacho hier bei Don Laureano.«
Damit war der Vorfall für ihn abgeschlossen. Er redete mit Don Laureano da weiter, wo er unterbrochen worden war. Um Spielverluste trauert man nicht, und man weint ihnen nicht nach. Knickerig darf man nicht sein. Ein Caballero ist immer generös.

 

6

Eine Woche später war Don Leonardo wieder daheim in Joveltó. Als Begleiter hatte er einen Burschen, den er in La Concordia für die Reise gemietet hatte. Er entlohnte ihn und schickte ihn zurück.
Dona Emilia fragte nicht gleich nach Andres. Sie glaubte, dass Andres irgendeinen Auftrag habe und später kommen würde. Und wenn sich Mann und Frau nach einer Trennung von drei oder vier Wochen wieder sehen und sie sind noch nicht genügend gelangweilt in ihrer Ehe, so haben sie sich gewöhnlich andere Dinge zu sagen, die ihnen wichtiger und angenehmer erscheinen als der Verbleib eines indianischen Muchachos.
Aber als Andres nach zwei Tagen immer noch nicht kam, fragte Dona Emilia ihren Gatten: »Wo ist denn Andres? Ich habe ihn ja noch gar nicht zu Gesicht bekommen.«
Für einen Augenblick dachte Don Leonardo zu sagen: »Der Junge ist auf dem Wege verunglückt. Er ist von einem Mule geschlagen worden, und wir haben ihn begraben müssen.«
Das war es, was sich Don Leonardo auf dem Wege ausgedacht hatte. Aber als er es nun sagen wollte, fand er es dumm. So sagte er gleichgültig: »Der Junge? Ach so, der? Er hat mir drei Mules auf dem Wege verloren, und es hat uns Tage und einiges Geld gekostet, die Mules wieder einzufangen. Sie waren völlig herunter. Ich weiß nicht, was in den Burschen gefahren ist. Er ist zu nichts mehr zu gebrauchen.
Aufsässig wird er mir auch und dreist. In La Concordia ist er mir ausgerückt. Zu einigen anderen Burschen hat er gesagt, dass er nach Tapachula gehen wolle, wo er viel Geld verdienen könne. Ich bin ihm nicht nachgelaufen. Wenn er gehen will, rückt er ja doch aus. Das hat man für seine Mühe, die man sich mit ihm gegeben hat. Wir wollen deinem Vater schreiben, dass er uns einen anderen ordentlichen Jungen von der Finca schickt.«
Weil die Frau gerade jetzt die Umarmungen ihres Mannes besonders süß fand, wie das häufig als Folge einer längeren Trennung, die angenehme Gewohnheiten unterbricht, geschieht, so wollte sie nicht streiten. Das ist süßen Widersehensfeierlichkeiten hinderlich. Darum sagte sie nichts weiter darüber.
Andres wurde vergessen. Der neue Junge, der von Don Arnulfo geschickt wurde, gewöhnte sich gut ein. Und weil er, noch ganz frisch von der Finca, sehr gehorsam und sehr unterwürfig war, seinem Herrn und seiner Herrin jeden Morgen und jeden Abend demütig die Hand küsste, wie er es von der Finca her gewöhnt war, so einigten sich Dona Emilia und Don Leonardo darüber, dass der neue Junge besser, arbeitsamer, gefälliger, gehorsamer, treuer, ehrlicher und zuverlässiger sei als Andres.

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