| DREIZEHNTES KAPITEL1Die Carreteros waren früh auf. Wie immer. Es gab reichlich Arbeit.  Die Carretas waren noch nicht so gut in Ordnung, wie sie sein mussten,  um die nächsten Wochen ohne Brüche durchzukommen. Die Burschen  bereiteten ihr Frühstück.Einige hatten einen verteufelt schweren  Kopf von dem schlechten und verfälschten Tequila, den sie getrunken  hatten, weil ihr Geld nicht reichte, um sich am besseren Comiteco, zu  betrinken.
 Andres war verantwortlich für den guten Zustand der Kolonne. Aber er  sah, dass heute nicht viel getan werden würde im Ausbessern der  Carretas. Die Burschen waren im Festdusel. Sie würden am frühen  Nachmittag schon wieder anfangen zu trinken. Eine andere Unterhaltung  und Zerstreuung kannten sie nicht, und hätten sie solche gekannt, so  waren sie hier nicht zu finden.
 Die unbrauchbarsten der Burschen, diejenigen, die infolge des  Nachrausches wie nasse Scheuerlappen waren, schickte er hinaus auf die  Prärie, um nach den Ochsen zu sehen, dass sie sich nicht zu weit  verstreuten und keine Wunden hatten von den Beißfliegen. Das war  leichte Arbeit, und die Jungen würden das ja wohl tun können.
 Er selbst beschloss, mit einigen anderen Burschen in jenen Tannenwald  in der Nähe von El Puente zu gehen und dort Reservedeichseln und  Jochbalken zu zimmern.
 Als das Frühstück fertig war, ging Andres zu seiner Carreta, um zu  sehen, was das Mädchen tat. Sie war schon lange wach, saß auf einer  Kiste in der Carreta und kämmte ihr Haar durch.
 »Buenos dias, kleines Mädchen, guten Morgen! Wie hast du geschlafen?« fragte er  lachend.
 Sie sagte fröhlich: »Ich habe ganz vortrefflich geschlafen. Wie seit  Monaten nicht. Ich wünsche dir einen recht schönen Tag, Binash Yutsil.«
 »Du wirst nun Hunger haben«, sagte er. »Wir haben nicht viel Gutes zum  Frühstück. Schwarze Bohnen, Tortillas, Chili und Kaffee.«
 »Das ist ja ein Mahl für einen Reichen«, sagte sie. »Ich habe schon tüchtig  Hunger.«
 Sie kletterte von der Carreta herunter. Dann zupfte sie ihren  durchlöcherten Rock zurecht, strich den Jorongo glatt über die Brust  und kam schüchtern näher zu dem Feuer, wo die Burschen schon begonnen  hatten, ihre Bohnen mit den Tortillas aufzuschaufeln und ihren  hungrigen Magen zu füllen.
 Sie sahen alle auf, als das Mädchen näher kam, aber ohne neugierige  Blicke auf sie zu richten oder sie unverschämt anzuglotzen. Da Andres  sie aus seiner Carreta herausgebracht hatte, wussten sie ja schon, zu  wem sie gehörte.
 »Mi mujer«, sagte Andres kurz und sehr sachlich, »meine Frau. Sie geht jetzt  mit uns.«
 Mit diesem Wort war nicht nur die Vorstellung des Mädchens beendet,  sondern war gleichzeitig die Ehegemeinschaft abgeschlossen worden, die  von den Kameraden Andres wie von allen Carreteros nun ebenso  respektiert wurde, als wäre das in einer Kirche abgemacht worden. Wenn  das Mädchen selbst keinen Anlass gab, so war sie für die Carreteros von  nun an genauso unberührbar und außerhalb ihrer Wünsche wie die Frau des  Patrons. Die Carreteros, diese hier wie alle übrigen auf den Wegen,  waren auch viel zu klug, um dumme Dinge zu versuchen. Das kostete das  Leben. Jeder wusste es. Wenn nicht im offenen Kampf, dann nachts  irgendwo im Busch, wenn die Ochsen gesucht wurden. Jeder hat seinen  Machete in der Hand, um das Gebüsch offenzuschlagen. Und der Machete  rutscht viel schneller in den Rücken des Schuldigen, ehe er auch nur  weiß, was geschieht. Der Schuldige wird eingegraben.
 Die Carreteros haben ihre eigene Moral und ihre eigene Ehre. Es ist dem  Getöteten recht geschehen.
 Warum ließ er die Frau nicht in Ruhe. Er ist gewarnt worden in guter  Zeit. Und das Mädchen wollte ihn gar nicht. Das Urteil aller  Carreteros, die hier den Vorgang kannten, ist kurz und klar. Da ist  nichts verschwommen. Keine langen Verhandlungen und überflüssigen  Worte. Dem Patron wird erzählt, dass der Verurteilte im Dschungel beim  Suchen der Ochsen umgekommen ist. Und kommt es wirklich heraus,  vielleicht durch das Geschwätz eines betrunkenen Carreteros, dann kann  es geschehen, dass der, der das Urteil vollzog, vielleicht die Schulden  des Getöteten auf sein Konto zu übernehmen hat. Kein Richter kümmert  sich darum. Wenn sich der Richter um die Privatangelegenheiten der  Carreteros kümmern wollte, dann hätte der Staat nur unnötige Ausgaben  in Dingen, die, da sie einmal geschehen sind, sich nun nicht mehr  ändern lassen. Und wollte sich der Richter um die Privatrechte der  Carreteros scheren, dann hätten die Frachtunternehmer bald keinen  einzigen brauchbaren Carretero mehr.
 Zudem hat der Richter andere Dinge zu tun, an denen er verdienen kann.  An den Carreteros kann er nicht einen Cent machen. Wozu dann die Mühen  und wozu das Anhäufen von Akten, die verstauben, die nie jemand liest  und deren Schreiben und Ordnen nur Zeit und Kräfte verschwendet!
   2Die Carreteros sagten gleichgültig: »Como estas, Chica; wie geht es dir,  Kleine?« Dabei hörten sie nicht einmal auf zu kauen.Es war weder etwas Wichtiges, noch war es etwas Neues, dass einer aus  der Kolonne irgendwo eine Frau auflas und mit sich nahm.
 Das kam bald hier, bald dort auf einem Marsche vor.
 Zuweilen blieb die Frau nur gerade einen Marsch lang in der Kolonne.  Dann gefiel es ihr nicht, und sie suchte sich einen Dienst in  irgendeinem Ort, den sie antrafen, oder sie fand einen sesshaften  Landarbeiter, dessen Lebensweise ihr mehr zusagte oder dessen Charakter  ihr besser gefiel. Dann war die Ehe wieder aufgelöst. Ohne Tränen und  ohne Sentimentalität.
 Das harte und raue Leben der Carreteros lässt weder Herzen noch Seelen  verweichlichen. Das Leben wird angepackt, wie sie es finden. Romane und  Filme und Gedichte von tränenschluckenden Poeten, die ihre natürliche  Robustheit verderben könnten, kennen sie nicht. Es sind die verlogenen  Romane und die geschwindelten Poeme, die den Menschen Empfindungen  einblasen, die sie in Wahrheit gar nicht haben und niemals unbefangen  fühlen.
 Die Burschen rückten ein wenig zusammen, um dem Mädchen Platz zu geben,  damit sie dicht am Feuer sitzen mochte. Es war noch sehr früh. Die  Sonne war eben zaghaft am Aufgehen. Ein dicker nasser Nebel lag über  die Prärie gebreitet, und es war ganz empfindlich kalt.
 Andres hockte sich neben das Mädchen und reichte ihr ein irdenes  Schüsselchen mit heißen Bohnen hin, die in ihrer wässrigen Tunke lagen  ohne Fett und ohne Fleisch. Er legte die Tortillas auf das nackte  Feuer, um sie zu wärmen. Er wandte sie hin und her im Feuer, und als  sie ihm heiß genug erschienen, gab er sie dem Mädchen.
 Sie löffelte mit abgebrochenen Stückchen der Tortillas die Bohnen auf. Löffel  gab es nicht.
 Er legte einige Chilis, grüne Pfefferschoten, auf eine Tortilla und  reichte sie ihr zu. Sie biss kleine Stücke von den Schoten ab, um die  nüchternen schwarzen Bohnen zu würzen. Dann goss er ihr heißen Kaffee  in sein irdenes Krügchen und schob ihr das Krügchen hin. Er selbst  trank seinen Kaffee aus einer Fruchtschale, aus einer so genannten  Jicara.
 Alle Carreteros tranken ihren Kaffee aus einer solchen Fruchtschale,  und sie hatten ebenfalls nur Fruchtschalen für ihre Bohnenbrühe. Das  Krügchen, das das Mädchen hatte, und das irdene Schüsselchen waren die  einzigen Geschirre hier am Feuer, die ein wenig an Zivilisation  erinnerten.
 An eine hochentwickelte Zivilisation erinnerte nur der blau emaillierte  Kochtopf, in dem die Bohnen kochten. Aber dieser Topf war so zerbeult,  dass er bestenfalls nur zu einem Schutthaufen oder einer Kehrichttonne  zu gehören schien, die von der Zivilisation irgendwo ausgespuckt worden  waren. Der Blechtopf war völlig schwarz geräuchert und so zerbeult und  zerhämmert, dass man nur noch an einigen kleinen Fleckchen erkennen  konnte, dass er, vor hundert Jahren einmal, außen blau und innen weiß  emailliert gewesen war. Umgerührt wurden die Bohnen im Topf mit einem  Stück kleingespaltener Radspeiche.
   3»Iß tüchtig, Mädchen«, sagte Andres ermunternd. Sie nickte ihm zu wie ein  gehorsames Kind.»Bist schön mager, Chica«, sagte Manuel, einer der Burschen. »Dir  fehlen die Kissen an den Oberbeinen, Kleine. Mein Geschmack wärest du  nicht, das kann ich dir sagen. Ich muss Fleisch in den Händen fühlen  können, wenn ich lustig sein soll.«
 Das Mädchen nickte ihm zu. Sie verstand nicht, was er sagte, denn sie  wusste nur wenig Spanisch, und sie glaubte, er habe etwas Ähnliches zu  ihr gesagt wie Andres.
 »Sie versteht kein Spanisch«, sagte Andres. »Und überhaupt lasst das Necken  sein.«
 »Nun mach dir doch keinen Fleck ins Hemd, Andresillo«, sagte Manuel  lachend. »Dann ist es ja besser, wenn sie kein Spanisch weiß, dann  brauchen wir uns ja keine Lippen zu verrenken. Aber, Hombre, das musst  du doch selber sagen, was hast du denn an diesem dünnen Stängchen? Wenn  du da einmal richtig aufsitzt, Hombre, die geht dir doch gleich aus den  Angeln. Die bleibt ja nicht beieinander, du kommst ja gleich hinten  wieder heraus.«
 Die Burschen lachten darauf.
 Es kam ihnen nicht in den Sinn, zotig zu werden. Ihnen war es so  natürlich, darüber zu sprechen, als wenn sie über den Zustand ihrer  Carretas gesprochen hätten. Für sie gab es hier weder dunkle  Geheimnisse noch unterdrückte Sinnlichkeit. Sie waren nicht unter  kirchlichem Einfluss erzogen worden.
 Niemand hatte sie gelehrt, dass man natürliche Vorgänge verheucheln  müsste und dass selbstverständliche Handlungen Sünde seien.
 Freilich münzten sie ihre Worte nicht. Sie sprachen aus, was sie dachten und  wie sie es empfanden.
 Und wenn nach dem Geschmack des einen das Mädchen nicht genügend  Fleisch an sich hatte, so konnte er keine Zuneigung für ein Mädchen  fühlen, wie immer sie auch sonst beschaffen sein mochte.
 Das war klar, einfach und sachlich. Psychosexuale Probleme waren ihnen  fremd. Darum wurden sie im Leben auch nicht unnützerweise belästigt.  Mann ist Mann, und Frau ist Frau, und wenn die beiden zusammenkommen,  so wissen sie, was sie voneinander wollen. Damit war ihre  Sexualphilosophie erschöpft.
 Und sie fühlten sich sehr wohl dabei und kamen immer zurecht mit sich.
 Andres wusste natürlich recht wohl, was gemeint war und wovon  gesprochen wurde. Irgendeine persönliche Erfahrung hatte er freilich  bisher auf diesem Gebiete nicht erlebt. Und ob er hoffte, dass es nun  mit diesem Mädchen zu einer Erfahrung kommen würde, das wusste er  selbst nicht. Eine bestimmte Hoffnung hatte er ebenso wenig wie einen  klaren Wunsch. Er fühlte bis jetzt gegenüber dem Mädchen nur eine tiefe  Kameradschaft und eine heiße Hilfsbereitschaft. Aber er fühlte auch,  dass diese Zuneigung zu dem Mädchen anderer Natur war als zu seiner  Mutter oder zu einer seiner Schwestern.
 Wenn er überhaupt einen bestimmten Wunsch hatte, so war es der, dass es  zwischen ihm und ihr immer so bleiben möge, wie es letzte Nacht gewesen  und jetzt am Morgen war. Er fühlte, dass er mit einem solchen Zustand  durchaus zufrieden sein würde. Nicht mit einem Gedanken dachte er  daran, zu drängen. Und als er das dachte, fühlte er sich seinen  Arbeitskameraden überlegen werdend. Sie natürlich würden das Mädchen  gleich schon auf dem Wege hergenommen haben, um sie auszukennen und um  zu wissen, ob es sich verlohnte, sie mitzunehmen und für sie zu sorgen.
 Hier war er freilich im Unrecht, wie er später zu seinem
 Erstaunen erfuhr. Da erlebte er es, dass Manuel, der jetzt so robust  tat und so gerade auf das Ziel losschlug, ganz genau so abwartend und  hoffend sich verhielt wie jetzt er selbst. Manuel fand ein Mädchen und  war zu ihr ebenso wie Andres gestern und heute. Und er sah, dass die  beiden Wochen hindurch miteinander und nebeneinander waren auf den  Märschen, ohne dass sie ernsthaft Mann und Frau geworden wären. Bis  dann endlich eine Nacht kam, wo sie einander wie rasend zufielen,  überwältigt von einem Verlangen, dem sie nicht für eine Stunde länger  widerstehen zu können glaubten.
 Das war eine gute Lehre für Andres geworden. Denn durch jenes Erlebnis  lernte er, dass er kein wirkliches Recht habe, sich seinen Kameraden  überlegen zu fühlen, dass er keineswegs Empfindungen habe, die nur er  allein haben könnte und von denen seine Mitproleten ausgeschlossen  seien. Er lernte dabei, dass es wohl nur auf Umstände ankomme, dass  jeder beliebige andere Mensch Empfindungen haben und entwickeln könne,  von denen er bis dahin geglaubt hatte, dass nur er eine auserwählte  Person sei, die edel und gut denken und fühlen könne.
   4Die Burschen, um so mehr, als sie ja nun wussten, dass das Mädchen  nicht verstand, was geredet wurde, ließen sich aber die Gelegenheit  nicht so leicht entgehen, Andres ausdauernd hochzunehmen und sich auf  seine Kosten zu unterhalten.Nichts war böse gemeint, aber es ging  deutlich zu. Hätte das Mädchen nicht dabeigesessen, so wären die  begleitenden Gesten noch viel deutlicher gewesen als die Worte.
 »Du hast sie doch nicht etwa in der Nacht trockenlaufen lassen?« fragte José  laut lachend.
 »Natürlich nicht«, sagte Andres. »Was denkst du dir denn von mir?«
 »Und seid ihr gut herausgekommen?« fragte Esteban. Andres lachte mit  überlegener Grimasse.
 »Wie viele Male?« fragte Hilario.
 »Hört einmal her, ihr grünen Hühnchen«, sagte Andres, seine Augen  zukneifend. »Wenn ich Kisten auflade, dann zähle ich, und wenn mir in  der Cantina das Geld auf meinen Peso herausgegeben wird, dann zähle  ich. Aber in manchen Dingen zähle ich nicht. Versteht ihr, Hombres?«
 »Das ist reichlich«, warf Manuel kurz ein. »Wenn man sich verzählen kann, dann  ist es dick und reichlich.«
 Er schüttete den Kaffeesatz aus seiner Fruchtschale in das Feuer, stand auf,  reckte sich und sagte dann:
 »Gehen wir nun, die Deichseln ausschneiden. Ich will nachmittags wieder  auf die Plaza gehen. Vielleicht habe ich Glück und komme diese Nacht  auch verheiratet an. Aber mehr Fleisch muss sie haben, das sage ich  euch.«
 Sie standen nun alle nach und nach auf. Zwei der Burschen, die Andres  ihres schweren Kopfes wegen dazu bestimmt hatte, gingen hinaus auf die  Prärie, um nach den Ochsen zu sehen, und die übrigen hingen ihren  Machete um und machten sich bereit, in den Tannenwald zu gehen.
 Das Mädchen spülte ihr Krügchen und ihr Schüsselchen mit dem Wasser,  das sich in einer verbeulten Gasolinbüchse befand, und trug die  Geschirre zu der Carreta, in der sie geschlafen hatte.
 Andres folgte ihr.
 Als sie an der Carreta standen, nahm er drei kupferne  Fünf-Centavos-Stücke aus seiner Hosentasche, gab ihr die in die Hand  und sagte: »Tujorn Ants, meine schöne Frau, du gehst jetzt hinüber zur  Stadt und kaufst dir einige Nähnadeln, schwarzes Garn und ein kleines  Stückchen Seife. Dann kommst du hier zurück und nähst alle die Löcher  an deinem Rock schön zu.«
 »Das werde ich tun«, sagte das Mädchen. »Das will ich gern tun, weil du das  sagst.«
 »Und dann«, sprach Andres weiter, »gehst du hinunter zu dem Flüsschen,  sieh hin, da unten ist es, und da wäschst du dir deine Füße recht  sauber und deine Beine und dein Gesicht. Und wenn du das getan hast,  kommst du hier zurück und kämmst dir dein Haar so lange, bis es ganz  glänzend ist.«
 Sie lachte ihn an und sagte: »Das will ich alles tun, wie du das sagst.«
 »Wenn dich jemand fragt, wohin du gehörst, dann sagst du, dass du zu  den Carretas des Don Laureano gehörst und dass einer der Carreteros  dein Marido ist, dein Mann. Dann tut dir niemand etwas zuleide, und die  Polizei steckt dich nicht in die Carcel, weil sie glaubt, dass du  keinen Herrn hast und entlaufen bist. Und wenn man dich fragt, wo dein  Na ist, dein Haus, und wo du bist tocvil, geboren, dann sagst du  Chiapa. Verstehst du das alles, kleines Mädchen?«
 »Ja, ich verstehe das alles«, antwortete sie, »und ich werde alles so sagen und  so tun, wie du mir befiehlst.«
 »Hier bei den Carretas bleibt Vicente, der junge, zur Bewachung.«  Andres war bereits halb im Gehen, um seinen Kameraden, die schon ein  Stück voraus waren, zu folgen. »Wenn Vicente Wasser holen geht, bleibst  du bei den Carretas zur Bewachung. Es tut dir hier niemand etwas,  brauchst keine Furcht zu haben, kleines Mädchen. Ich muss nun gehen;  wir haben tüchtig zu arbeiten.«
   5Andres wusste recht wohl, warum er dem Mädchen alle diese sonderbaren  Ratschläge gab.Das Mädchen war keine Sklavin. Niemand hatte ein körperliches Recht an  ihr. Sie war eine freie mexikanische Bürgerin. Aber wenn sie in der  Stadt allein angetroffen wurde und keine gute glaubhafte Erzählung  bereit hatte, so nahm sie der Polizist mit zum Stadthaus, weil er  hoffte, er könne sich eine Belohnung von einem Peso verdienen von dem  Herrn, dessen Dienst sie entlaufen war und bei dem sie gewiss Schulden  hatte. Denn es gab nicht einen Indianer und nicht eine Indianerin,  sofern sie nicht einer unabhängigen Kommune angehörten, die nicht  Schulden bei einem Herrn hatten. Und gehörte sie zu keinem Herrn, so  wurde das Mädchen erst recht in Haft genommen. Irgendeine Beschuldigung  fand sich immer. Sie wurde angeschuldigt, betrunken zu sein, oder sie  habe von einem Tische eines Händlers einen Knopf gestohlen, oder sie  vagabundiere und habe kein Haus und keinen Ort. Dann kam der  Bürgermeister oder der Polizeichef oder der Steuereinnehmer oder der  politische Distriktchef oder der Chef der Migracion zu einem billigen  Dienstmädchen. Sie bekam einen Peso den Monat als Lohn, denn sie war ja  keine Sklavin; sie wurde geprügelt von der übellaunigen Herrin und  ihren verärgerten Töchtern, und wenn der Herr des Hauses oder einer der  Söhne Gefallen an ihr fand, so verschaffte er ihr ein Kind, ob sie es  wollte oder nicht, denn sie hatte zu gehorchen und zu tun, was ihr  befohlen wurde, ganz gleich, was es war, auch sich niederzulegen und  die Beine aufzumachen. Hatte sie aber einen Marido, einen Mann, der  nach ihr sah, dann ließ es der Polizist wohl bleiben, sie mitzunehmen.
 Die Carreteros hatten zwar auch nicht mehr Rechte als ein indianisches  Mädchen, aber der Polizist oder der Bürgermeister mussten sicher einmal  zu einer andern Stadt reiten, und da konnte es sich leicht treffen -  und es traf sich mit Sicherheit -, dass Carreteros auf dem Wege waren.  Und mit untrüglicher Sicherheit war unter ihnen der Carretero, dem sein  Mädchen durch jene Autorität abhanden gekommen war. Die Autorität kam  nie wieder zurück, niemand wusste, wo er war, niemand fand den  Erdhaufen, unter dem sein Fleisch faulte, und ein Dutzend Richter  bekamen weder durch Belohnungen noch durch Verhaftungen und Folterungen  heraus, wer es getan hatte. Und weil alle Autoritäten, vom Jefe  Politico bis herunter zum barfüßigen Polizisten, das alles gut und aus  reicher Erfahrung wussten, darum war die Frau eines Carreteros  unantastbar wie der Häuptling einer unabhängigen indianischen Kommune,  wenn er seinen Stab in der Hand trug.
 Die Carreteros hatten weder Syndikate noch Gewerkschaften. Aber sie  waren respektiert im Staate. Sie kannten nur Selbsthilfe! Die wandten  sie brutal an, brutal und mit einer Sicherheit, gegen die es kein  Entrinnen gab.
 Sie hatten erbärmliche Löhne, elendes Essen, eine unbarmherzig harte und  körperzerstörende Arbeit.
 Das nahmen sie hin, als wäre es das unvermeidliche Schicksal, in das  sie hineingeboren wurden. Dagegen nahmen sie viele Dinge nicht hin. Sie  wurden regiert, beherrscht und ausgebeutet bis zum letzten  Blutstropfen, der in ihnen war. Jedoch sie konnten nur dadurch regiert  und erfolgreich ausgebeutet werden, dass die Regierer und Ausbeuter  ganz genau wussten, was sie tun durften und was nicht. Und der  Frachtunternehmer, der das am besten wusste, hatte die besten  Carreteros und verdiente das meiste Geld an ihnen. Wie so zahlreiche  proletarische Schichten in Mexiko, in Peru, in Bolivia, in Venezuela,  pfeifen die Carreteros darauf, ob sie erschossen oder gehenkt werden.  Darum stehen sie außerhalb des Gesetzes, besonders außerhalb aller  jener Gesetze, die sie nach ihrer Rechtsauffassung nicht anerkennen.
   6Am frühen Nachmittag kamen die Burschen wieder zurück zum Lager. Sie  wollten am nächsten Tage die ausgehackten Deichseln und Balken von den  Ochsen heranschleifen lassen.Die beiden, die nach den Ochsen hatten sehen sollen, waren noch nicht  zurückgekommen.
 »Die haben sich draußen irgendwo hingelegt«, sagte Andres, »und da  schlafen sie immer noch. Sie werden schon nicht verloren gehen.«
 Das Mädchen zeigte Andres stolz den geflickten Rock. Er war so  ungeschickt geflickt worden, wie das nur überhaupt möglich war. Aber  sie offenbarte, dass sie wenigstens den guten Willen gehabt hatte.
 Auf jeden Fall sah der Rock nun ein wenig besser aus als vorher. Ein  wenig. Um die Arbeit gut zu machen, wären Flicken notwendig gewesen,  die das Mädchen nicht hatte. Aber Andres versprach, dass er zusehen  werde, einige Fetzen zu bekommen.
 Ihr Füße und Beine waren frisch gewaschen, auch Hände und Gesicht. Das  Schönste jedoch war ihr Haar. Durch das stundenlange sorgfältige Kämmen  hatte der verfilzte Wust, den sie auf dem Kopfe gehabt hatte, sich in  langes, glänzendes, tiefschwarzes Gewoge verwandelt, so reich und voll,  dass sie ihren ganzen Oberkörper darin einwickeln konnte.
 Andres sah sie nun zum ersten Male bei hellem Licht. Denn am Morgen,  als er fortging, war es so nebelig, so trübe und nass gewesen, dass er  keinen richtigen Eindruck von ihr hatte gewinnen können.
 Und was vielleicht zu sehen gewesen wäre, war teils verhüllt von dem  Jorongo, den sie der heftigen Kühle wegen so umgelegt hatte, dass nur  gerade die Augen, die Nase und der Mund frei blieben, und teils war  alles von Schmutz und Staub und erdigen
 Krusten bedeckt, dass nur schwer zu erraten war, was darunter sein möchte.
 Und Andres sah zu seiner großen Verwunderung und nicht weniger großen  Genugtuung, dass sie ein hübsches Mädchen war mit ihren kräftigen  weißen Zähnen, ihren regelmäßigen Gesichtszügen, ihren glänzenden  schwarzen Augen, ihrer kurzen geraden Nase, ihrem runden Kinn und ihrer  matten Haut von dunkler Bronze.
 Sie lachte ihn an und sagte: »Habe ich nun alles so getan, wie du befohlen  hast?«
 »Ja, kleines Mädchen, das hast du«, sagte er, sie an beiden Armen fassend.
 »Und bist du zufrieden mit mir?« fragte sie, sich näher an ihn bewegend. »Das  bin ich«, antwortete er.
 Er drehte sie um und betrachtete sie von allen Seiten. Da war nichts  weiter als ein barfüßiges Menschenkind in einem halben Hemd und einem  zerfallenden Wollrock. Das war alles. Nur das halbe, ein wenig  bestickte Hemd, der alte schwarze kurze Wollrock und der kurze Jorongo  waren alles, was sie mehr hatte als ein Tier des Dschungels. Und es  schien ganz so, als brauchte sie nicht mehr, um glücklich in der Welt  sein zu können. Denn sie zeigte ihm unbefangen, wie froh sie in seiner  Nähe war.
 »Später, nach dem Essen«, sagte er, »da gehen wir wieder hinaus auf die  Prärie, du und ich, und setzen uns hin und erzählen uns etwas Schönes.«
 »Das wollen wir gewiss tun«, sagte sie zustimmend. »Etwas Schönes erzählen. Du  weißt soviel Schönes.
 Alles, was du sagst, Binash Yutsil, ist schön. Ich könnte immer nur hören, wenn  du redest. jedes Wort ist so klug.«
 Es wurde ihm seltsam zumute, als sie das sagte. Nie hatte jemand zu ihm  gesagt, dass seine Worte klug seien und dass alles, was er erzähle,  schön sei. Aber weil sie es sagte, darum tat es ihm wohler, als ob es  seine Mutter oder sonst irgendwer gesagt hätte.
 »Ich will dir immer nur Schönes sagen, kleines Mädchen«, sagte er leise.
 »Dann bin ich für immer froh«, erwiderte sie.
   7Der Junge hatte die Bohnen frühzeitig an das Feuer gesetzt, und sie waren  jetzt schon beinahe weich.Die Männer wuschen sich die Hände, stellten den Kaffee an das Feuer und  warfen sich dann müde auf den Erdboden, um sich mit Schlafen die Zeit  zu vertreiben, bis das Essen fertig sein würde.
 Nun kamen auch die beiden Burschen heran, die am Morgen ausgeschickt  worden waren, die Ochsen zu suchen. Sie hatten die Ochsen nicht  gefunden, wie sie Andres erklärten.
 »Natürlich nicht«, sagte Andres. »Habt ja die Augen jetzt noch voll Tran.  Geschlafen habt ihr unten am Bach.«
 »Hast du uns zu befehlen, Pollito, du Küken?« fragte einer der beiden  ärgerlich.
 »Ich habe euch nichts zu befehlen, das wisst ihr. Und ich will euch  auch nicht befehlen. Aber wenn wir hinter den Ochsen drei Tage  herlaufen müssen und die Carretas nicht fahrbereit sind, wenn die  Comerciantes, die Händler, abreisen wollen, dann habe ich den Skandal  mit dem Patron. Und ihr steht da und grinst euch eins.« Manuel, der  lang auf dem Boden lag vor Müdigkeit, richtete sich auf und sagte zu  den beiden: »Andres hat recht. Er kriegt es auf den Kopf vom Viejo, vom  Alten, wenn wir nicht in Zeit fahren. Und das ist dann eure Schuld. Ihr  solltet euch was schämen, ihr Sinvergûenzas, Paranderos, Leperos,  Cabrones, Hijos de puta.«
 Es hagelte nur so von bestialischen Schimpfworten, die er ihnen ins  Gesicht heulte. Er regte sich dabei immer mehr auf. Zuletzt sprang er  auf und ging halbgeduckt auf die beiden zu. Er ballte die Fäuste und  schrie sie an: »Was schämen solltet ihr euch, ihr Mistdreck, infamer.  Fort mit euch und die Ochsen gesucht, oder ich schlage euch zu  Krümeln.« Die beiden
 Faulenzer wussten, dass es nicht gut tat, sich mit Manuel ernsthaft zu  verfeinden. Er schlug böse zu, wo es ihm dienlich erschien. Sie wandten  sich, um wieder auf die Prärie hinauszugehen.
 Aber Andres sagte: »Bleibt besser hier und schlaft euch aus. Wir gehen  morgen früh alle hinaus, die Ochsen zu suchen. Wir brauchen sie zum  Heranschleifen der Deichseln und Balken, und wir müssen ihnen morgen  auch Mais füttern. Oye, Vicente, sind die Frijoles weich? Bueno. Bringe  die Tortillas heran. Dann können wir nun essen.«
 Nachdem sie gegessen und dann ein wenig geschlafen hatten, wuschen sich  die Burschen und machten sich davon, um in die Stadt zu gehen. Es  krachten schon wieder die Feuerwerke.
 Hunderttausende, um nicht zu sagen Millionen, von Angehörigen der  proletarischen Klasse in Mexiko haben weder ein ganzes Hemd noch eine  ganze Hose, von Schuhen nicht zu reden. Aber sie haben immer Geld, um  bei den zahlreichen Heiligenfesten der Kirche in großen Mengen  Feuerwerkskörper zu kaufen und so das Geld, das sie für die  notwendigsten Bedürfnisse des Lebens so bitter benötigen, in die Luft  zu jagen. Zu Ehren der Kirche, die ihnen niemals den Rat gibt, das Geld  besser zu verwenden, sowenig wie ihnen dieselbe Kirche jemals den Rat  gibt, den letzten Peso, den eine proletarische Familie hat, nicht für  Kerzen auszugeben, um die Heiligen in der Kirche zu beleuchten. In  ihrem Hause haben diese Millionen von Proletariern nur Kienspäne zum  Leuchten. Aber es sind in diesem Lande, wo die Macht der katholischen  Kirche so unheilvoll waltet, gerade jene Millionen von Proleten, die  nur Kienspäne als Beleuchtung in ihren Hütten haben, von denen die  meisten Kerzen und die größten Mengen von Feuerwerken kommen, an denen  sich die Heiligen erbauen. Die Heiligen bleiben auch dann Heilige, wenn  sie keine Kerzen und keine Raketen haben. Sie können diese Dinge gut  verschmerzen, denn sie sind lange tot. Der lebende Prolet braucht ein  Hemd und eine Hose hundertmal nötiger als der Heilige eine Kerze oder  einen
 Feuerkracker. Aber die Kirche nimmt und nimmt und nimmt, und sie schert  sich den Teufel darum, ob es dem, dem sie einredet, dass er geben und  opfern muss, um dereinst in den Himmel zu kommen, am Notwendigsten zum  Leben fehlt. Was kümmert sich die Kirche darum, dass es Arme gibt und  dass durch ihre Lehren und durch ihr Versprechen auf die ewigen Freuden  im Paradies, das niemand je gesehen hat und von dem niemand weiß, wo es  ist, die Armut unter Millionen von Proleten vergrößert wird und wie  eine unheilbare Krankheit sich ausbreitet!
 Je mehr Arme und Hungernde in der Welt, um so größer der Gewinn all  derer, die es verstehen, die Armen zu gebrauchen, um sich an ihrer  Arbeit zu bereichern. Ein hungriger Magen und ein zerfetztes Hemd  machen den willigsten Proleten, der nicht zuckt und nicht muckt; denn  sein Magen schreit, und seine Haut verlangt nach schützender Wärme.  Wenn nur sie, die Kirche, reich wird und reich bleibt und mit ihr alle  diejenigen, die kommandieren: Erhaltet dem Proletariat die Religion,  denn sie ist unser größter Schutz. Was er hier auf Erden haben kann,  das sieht der Prolet, dessen Augen nicht verschmiert sind. Aber was er  dereinst im Paradies haben kann, das sieht er nicht und weiß er nicht.  Es kann dem Proletengeschehen, dass, wenn es wirklich ein Paradies gibt  und er nach des Lebens Mühen wirklich dort anlangt, dass dann dort  dieselben an der Schüssel sitzen, die auch hier die Sahne vom Leben  schöpften. Denn diese Leute sind handfester Natur, und sie greifen zu,  wo zu nehmen ist, im Himmel oder auf Erden. Sie kommen schon nicht zu  kurz. Und wenn das Nadelöhr, durch das ein Kamel gehen soll, zu eng  ist, so machen sie es eben weiter, und der Schaden ist kuriert. Nur was  du wirklich hast, Prolet, das ist dein, und daran kannst du dich laben.  Der Spatz in der Hand ist mehr wert für dich als zwei fette Truthähne  im Busch. Und wenn du hier auf Erden gut gelernt hast, zuzufassen und  dir zu nehmen, was dir gebührt, so hast du Übung, wenn du oben  ankommst. Zünde die Kerzen in deinem Hause an und freue dich an ihnen,  wenn du Geld für Kerzen ausgeben willst, Prolet. Glaube es denen, die  irdische Erfahrung haben, Prolet: Wenn du der Kirche deine Centavos,  deine Andacht und deinen Glauben an ihre Autorität verweigerst, dann  müssen die gesalbten Gottesdiener wie du in die Minen einfahren und  Kohlen schaufeln, und wenn sie neben dir stehen und mit dir gefährliche  Stollen bauen, dann lernst du rasch erfahren, was sie in Wahrheit wert  sind, wenn sie keinen Talar und keinen Goldbrokatmantel mehr auf ihren  Schultern tragen. Und wenn sie mit dir dann am nassen Boden hocken und  wie du den elenden Fraß aus Blechpötten löffeln, dreckig und  verschweißt wie du, und wie du ewig im Unterbewusstsein die Erwartung  vor schlagenden Wettern, Wasserdurchbrüchen und Gesteinseinbruch mit  sich schleppen, dann lasse dir von ihnen die Geschichte vom Paradies  erzählen. Sie erzählen sie dir dann in anderer Weise, und sie sind  hundertmal rascher und bessere Revolutionäre, als du in deinem ganzen  Leben werden wirst, wenn du auf die ewigen Freuden des Paradieses  wartest, anstatt dir hier zu nehmen, was dein ist und dir durch deine  Arbeit gehört.
 Von Andres konnte nicht erwartet werden, dass ihm solche Gedanken  kamen, als er das Krachen der Feuerwerke zu Ehren des heiligen  Caralampio hörte. Er kannte kein Paradies im jenseits. Niemand hatte zu  ihm davon gesprochen. Aber er kannte auch kein Paradies auf Erden. Er  wusste, wie die reichen Finqueros lebten, er wusste, wie wohlhabende  Kaufleute und wie erfolgreiche Frachtunternehmer lebten. Jedoch dass er  an deren Wohlergehen hätte Anteil nehmen können oder dass er gar ein  Recht darauf gehabt hätte, einen größeren Anteil an den Gütern der Erde  für sich zu verlangen, das kam ihm nicht in den Sinn.
 Er, wie alle übrigen Carreteros, war so tief in seiner Stellung als  lebender Mensch auf dieser Erde, dass es für ihn schon Paradies  bedeutet hätte, wenn er fünfundzwanzig Centavos den Tag mehr an Lohn  gehabt hätte, wenn er Fleisch in seinem
 Essen gefunden hätte, wenn seine Schulden bei seinem Herrn nicht immer  viel höher gewesen wären, als was er mit seiner Arbeit und bei seinem  Lohn verdienen konnte, um diese Schulden zu verringern oder gar  auszulöschen.
 Alles, was er wirklich besaß hier auf Erden und woran er sich erfreuen  konnte, wenn er Zeit dazu fand, war das nackte Leben, das er hatte. Und  das war in der Tat viel. Er erinnerte sich, dass eines Tages, als er  noch auf der heimatlichen Finca war, ein Peon Widerworte gegen den  Finquero gab in einem Streit um den Preis eines Schweines, das der Peon  aufgezüchtet hatte. Ein Händler hatte dem Peon acht Pesos für das  Schwein geboten. Aber der Finquero bot dem Peon nur fünf Pesos für das  Schwein. Und als Peon hatte er die Pflicht, das Schwein dem Patron für  fünf Pesos zu verkaufen, weil der Patron das Vorkaufsrecht an den  Tieren hatte, die auf seinem Eigentum groß geworden waren, ganz gleich,  wer sie gezüchtet und gefüttert hatte mit dem Mais, den der Peon auf  seinem Stückchen Land mit seinen Händen erarbeitet hatte. Als der  Streit dem Gachupin zu weit ging, wurde erwütend und schlug dem Peon  mit dem Machete einen Hieb über den Kopf. Der Peon brach blutend  zusammen und wimmerte am Boden liegend: »Gnade, Patroncito, Gnade,  töten Sie mich nicht, Patroncito.« Der Patron stieß ihn mit dem Fuße in  die Rippen und sagte: »Sei froh, du dreckiger Hund von einem Indio,  dass du noch das Leben hast. Was willst du denn mehr?«
 Andres hatte das Leben. Was wollte er mehr! Aber die Kirche, diese  große Seelenretterin, lehrte weder ihn noch andere Indianer, die in  Abhängigkeit lebten, was zu lehren die erste Pflicht von Seelenrettern  und Erlösern sein sollte: Mache das Beste und Vorteilhafteste aus  deinem Leben, und wenn dir dann noch Zeit dazu übrig bleibt, kümmere  dich um die übrigen Dinge.
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