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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Die Zelle.

Zirka acht Genossen saßen schon im Vereinszimmer der Eckwirtschaft beisammen, als Melmster und Hans eintraten.
„Mensch, Hans, dir hab'n se wohl ins Gehirn gespuckt!" rief ein großer Arbeiter mit klobigem Knochenbau, ungewaschen und mit freier, behaarter Brust, „heut ist doch Kundgebung bei Sagebiel!", und seine gelben Zähne glänzten, „man kann sich ja kaum den Schiet abwaschen!"
„Hätten wir nicht warten können bis zum festen Tag? Ich wollte heute gerade meine zehn Mann kassieren", rief ein anderer.
Nach Melmster kamen noch einige. Unter ihnen interessierte Melmster ein junger Bursche mit flachsblonden Haaren. „Hallo, Fritz!"
„Bist du bi uns anfungen?" kam der Junge fragend auf Melmster zu. Sie setzten sich zusammen. Fritz Baldow, der Tischlerlehrling, schien sich höllisch zu freuen. Sie kannten sich durch den Bruder des Lehrlings, der ein unermüdlicher Funktionär der Partei war.
Der Wirt kam, stellte einige Glas Bier auf den Tisch und nahm Bestellungen entgegen.
Als sich noch einige zwischen den Fahrrädern, die an der
Tür standen, durchklemmten, war das kleine Zimmer fast überfüllt.
„Warum kommt Rudioff nicht?" fragte Hans, der am Ende des Tisches Platz genommen hatte. Keiner wusste eine Antwort. „Voriges Mal war er auch nicht hier, notier es mal, Karl!" „Kulmbacher und Erwing fehlen auch noch!" rief einer. „Das faule Volk kommt nicht", erwiderte ein anderer. Dann schlug Hans Wend mit seinem Schlüssel an das Bierglas.
„Genossen, ich eröffne unsere außer der Reihe einberufene Zellensitzung. Die Angelegenheit ist unaufschiebbar, aber wir erledigen sie schnell. An einem Tag in der nächsten Woche ist Betriebsversammlung. Der Arbeiterrat ist schon mächtig aktiv, heimlich natürlich. Alle sicheren Leute werden verständigt. Es soll über Überstunden in der Dreherei und Neukalkulierung der Akkordpreise verhandelt werden."
„Das heißt Reduzierung des Akkordlohnes!" rief einer dazwischen.
„Selbstverständlich", fuhr Hans fort, „und wir müssen geschlossen und planmäßig auftreten. Bei der letzten Besprechung des Arbeiterrats mit Jacobi und Fritsche haben Kühne und Schmachel schon so gut wie zugestimmt. Die Belegschaft soll nur noch amen sagen. Wir müssen nun ein, zwei Redner bestimmen und eine Resolution ausarbeiten und alle Sympathisierenden in die Versammlung bringen. Wer will das Wort dazu?"
„Hier!" rief der Ungewaschene, der Schmied Hennings, wie Fritz erklärte. „Genossen, die Brüder wollen uns übers Maul fahren. Gut, dass wir heute beisammen sind und schon wissen, was gespielt wird. Ich schlage vor, Hans und Drohn reden!"
Es waren gut zwanzig Arbeiter in dem kleinen Raum, durchschnittlich, wie Melmster feststellte, im Alter von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahren. Große und kleine, schmächtige und breite. Ihren Beruf konnte man schon an der Kleidung erkennen.
„Hans, gib mir mal das Wort!" Ein älterer Kollege - die winzigen Holzfasern am Rock verrieten den Tischler - räusperte sich und sagte: „Wir haben zwanzig bis dreißig Pfennig weniger Lohn als die Tischler in anderen Betrieben. - Beim Abschluss des jetzigen Tarifs sind wir um unsere Forderungen betrogen worden! - Kaum eine Lohnerhöhung. - Keinen freien Sonnabendnachmittag. - Jetzt ist die Gelegenheit selten günstig. - Wir müssen der Firma unsere Forderungen unterbreiten und diese Forderungen bis zum Ende durchkämpfen! Zuerst müssen wir eine Resolution einreichen, wo alles drinsteht, aber kurz muss sie sein, kurz - ganz kurz." Er suchte schwer nach den passenden Worten.
„Wenn ich recht verstanden habe, sind wir einer Meinung", erklärte nun wieder Hans. „Der Zellenvorstand wird sich auf seine vier Buchstaben setzen und eine Resolution ausarbeiten sowie Redner bestimmen. Alle Sympathisierenden müssen mobilisiert werden. Und jetzt hat unser neuer Genosse Melmster das Wort."
Dichter Tabaksqualm war in dem kleinen Zimmer. Der Tischler Hackbarth tat einen tiefen Schluck und wischte sich den Bierschaum vom Bart. Jeder wartete, was der „Neue" sagen würde.
„Genossen, ich bin zwei Tage im Betrieb, ich will euch kurz mitteilen, was mir aufgefallen ist. Dreihundert Arbeiter und dreißig Genossen und ein derartiges verdrecktes, ekelhaftes Scheißhaus, dass man sich die Pest holen kann, kein anständiger Frühstücksraum, keine Spinde und nicht genügend Waschbecken im Umkleideraum; täglich um vier Uhr ein Nurmi-Wettrennen, weil nur eine Kontrolluhr vorhanden ist. Das alles ist ein Skandal ohnegleichen. Aber, Genossen, wir sind mitschuldig daran, wenn wir nicht gegen derartige Missstände kämpfen.
Dieser Betriebsrat krümmt doch keinen Finger, der fühlt sich in seinem Amte für das Wohl und Wehe der Betriebsleitung und die Ruhe und Ordnung der kapitalistischen Ausbeutung im Werk verantwortlich. Diese Puppen der reformistischen Bonzen vom ADGB werden niemals Missstände entdecken.
Wie können wir aber am besten derartige Missstände anprangern und eine Bewegung im Betrieb entfesseln, damit sie beseitigt werden?
Genossen, es freute mich als Neuling in eurem Kreise ungemein, als der Genosse Hans mir mitteilte, dass demnächst eine Betriebszeitung erscheinen wird." Hans sah ihn furchtbar blöde an, aber Melmster fuhr fort: „Seht, das ist die richtige Waffe, eine schonungslose Kritik unter den Kollegen im Betrieb zu entfesseln. Aber ihr müsst alle mitarbeiten, Schweinereien rücksichtslos anzuprangern, die Meinungen der Kollegen festhalten, berichten, was gegenwärtig interessiert und diskutiert wird. Und noch eins - ich bin im Betrieb noch nicht richtig warm, ich werde mich dabei noch etwas im Hintergrund halten.
Aber gearbeitet wird schon ab heute, und jeder Genosse, der ein wirklicher Kommunist sein will, muss mitmachen."
Keiner sagte was, jeder aber wunderte sich, denn von einer Betriebszeitung war wohl früher mal flüchtig, aber dann nie wieder gesprochen worden.
Am Schluss der Zellensitzung trat Hans zu Melmster. „Du willst eine Betriebszeitung machen?" „Ich nicht - wir!"
„Schön, und wen gedenkst du offiziell zu beauftragen?" „Unter uns gesagt, Fritz Baldow."
„Der Junge, der Lehrling?" Hans hob abwehrend die Hände.
„Der ist gut, Hans, glaub es mir."


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