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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Der zweite Verrat.

Von Hand zu Hand wanderte an einem Morgen die abgerissene Hälfte des bürgerlichen Anzeigers. Hier stand unter der Rubrik „Aus Wirtschaft und Handel" in kleinster Schrift folgende Notiz:
In der Metallindustrie, Gruppe Landbetriebe, ist zwischen dem Arbeitgeberverband und dem Metallarbeiterverband ein Abkommen geschlossen worden, dass der gegenwärtige Lohn- und Arbeitstarif als bis auf weiteres verlängert gilt.
Die Arbeiter waren vor Erstaunen über die Unverfrorenheit der reformistischen Gewerkschaftsinstanzen derart sprachlos, dass sie wortlos auf diese kleine Notiz starrten. Das Stück Zeitung kursierte durch den ganzen Betrieb. Fast keiner von denen, die es lasen, sagte etwas, höchstens, dass einige
Flüche gebrummt wurden. Die maßlose Wut verschnürte jedem Arbeiter den Hals. Die ärgsten Pessimisten hatten mit zwei oder drei Pfennig Lohnerhöhung gerechnet, aber nichts hatte keiner erwartet.
„Das sind wirklich realisierbare Forderungen!" wandte sich Melmster an Olbracht. „Und was sagst du dazu?"
Olbracht zuckte mit den Schultern, als wollte er etwas Lästiges abschütteln.
„Wie steht es denn mit deinen acht bis zehn Pfennig Lohnerhöhung?"
Olbracht grinste, aber er erwiderte nichts.
Um die Mittagszeit war Lärm an der Anreißplatte. Mehrere Arbeiter drangen auf Kühne ein. Er sollte erklären, ob diese Notiz in der Zeitung wahr sei. Der Betriebsratsobmann wehrte ab, schwieg und arbeitete weiter. Der Hobler Hans gab aber auf die Fragen der Kollegen Antwort, und jede Antwort war eine Ohrfeige für Kühne, für die Gewerkschaftsbürokratie und die Reformisten.
Kühne hantierte mit vor Wut und Ohnmacht zitternden Händen an seinem Gussgehäuse herum.
Unter wilden Verwünschungen und Flüchen verließen schließlich die aufgebrachten Arbeiter diesen feigen Herkules.
„Das wird dir heimgezahlt!" zischte er drohend zum Hobler hinüber.
Die Erregung im Betrieb nahm ständig zu. Besonders bei den Drehern gärte es. In der Mittagspause setzten sich einige zusammen und beschlossen, eine Branchenversammlung zu erzwingen und zwischentarifliche Lohnforderungen zu stellen.
„Wir müssen selbst für uns eintreten, die Verbandsbonzen paktieren mit den Unternehmern!" war die allgemeine Auffassung.
Es waren überwiegend parteilose Arbeiter, sogar einige mit dem Mitgliedsbuch der SPD stimmten zu. Gemeinsam traten sie an den Gewerkschaftsdelegierten der Dreherei, Endrusch, heran und forderten von ihm die sofortige Einberufung einer Branchenversammlung aller freigewerkschaftlich organisierten Dreher. Endrusch wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte, er hätte sich zu gern Rat und Order vom Arbeiterrat geholt, aber dazu ließen ihm die Kollegen keine Zeit. Er zögerte.
„Falls es dir an Courage mangelt, berufen wir sie selber ein!"
„Ich bin natürlich einverstanden!" „Na also, auf was wartest du noch?"
„Willst du erst die Firma um Erlaubnis fragen?" rief einer. „Aber wo denn?"
„Bei Hornings! - Bei Hornings!" riefen mehrere durcheinander.
„Gleich nach Feierabend?"
„Ja!"
„Na gut!"
Der Delegierte Endrusch ging nun bei den Drehern herum und teilte jedem mit, dass nach Arbeitsschluss bei Horning Branchenversammlung sei.


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