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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Von Kapitalisten, Bonzen und Schlichtern.

Die Gastwirtschaft Horning war Streiklokal. In einem kleinen Klubzimmer tagte die Streikleitung in Permanenz. Hier wurden Streikposten und Kuriere bestimmt, Kontrollisten der streikenden Arbeiter geschrieben, hier wurden Meldungen entgegengenommen und Ordern erteilt.
In der Gastwirtschaft selbst und an der Theke saßen die Arbeiter. Einige lasen, andere knobelten, und ganz hinten in der Ecke spielten zwei Schach. Dabei schwirrten ununterbrochen Reden durch die Luft, denn es wurde oft überlaut diskutiert.
Etwas nach zehn Uhr war eine Versammlung gewesen, in der Drohn über die Organisation des Streiks und die ersten Maßnahmen der Streikleitung referiert hatte. Die Arbeiter waren zuversichtlich, keiner rechnete mit einem langen Anhalten des Ausstandes.
Die bekannten Sozialdemokraten im Betrieb, wie Kühne, Schmachel, Bleckmann oder Scharff, hatten sich nicht bei der Streikleitung gemeldet. Doch außer den Tischlern arbeitete keiner im Werk.
An der Tür des Klubzimmers, in dem die Streikleitung arbeitete, war eine „Streikzeitung" befestigt. Es war ein schwarzes Brett, auf dem allerlei Neuigkeiten und Meldungen über die Streiklage angeheftet wurden.
Der Hobler kam aus dem Zimmer und nahm die schwarze Tafel vom Nagel.
„Hallo, Hans! Trink einen mit!" rief ein junger Arbeiter von der Theke und schwenkte ihm ein halbvolles Bierglas zu.
„Nee, lot man!" winkte der Hobler ab und verschwand wieder hinter der Tür. -
„Hohoooo! - Halloooo!" brüllten einige im Chorus an der Theke.
„Was ist denn los?"
„Der Blechklopper behauptet, wir erreichen nichts!"
„Tun wir auch nicht!" kreischte ein kleiner, spindeldürrer Mann, dem die spitzen Backenknochen aus dem Gesicht stachen.
„Tun wir auch nicht!" wiederholte er und fuchtelte mit den Armen in der Luft umher.
„Aber warum denn nicht, Vadder Brahle?" fragte ruhig ein selbstbewusst lächelnder Schlosser.
„Das einzige, was wir uns holen werden, sind Beulen!"
„Du willst wohl miesmachen!" herrschte ihn grob der hagere Schmied an.
„Wir stehen doch ganz allein, und die andern sind mächtig!" sprudelte der Blechschmied los, seine Worte überrannten sich, der Speichel spritzte ihm aus dem Mund.
„Wer, die andern?"
„Alle! Alle! Kapitalisten und Polizisten und Bonzen und Schlichter und Miesmacher und... !" „Da gehörst du ja auch zu!"
„Ich? Ich?" kreischte der Kleine und hob seine Arme. „Du Lümmel!"
„Ruhe! Ruhe! Keine Prügeleien!" rief der Schmied. „Beruhige dich, Vadder Brahle!"
„So unrecht hat er gar nicht!" meinte einer, der nahe an der Theke saß und den Würfelspielern zusah. „Man darf aber keine Mutlosigkeit predigen!" Der Hobler hängte das Schwarze Brett wieder an. Einige Zeitungsausschnitte waren neu angeklebt.
Mehrere Arbeiter gingen hin, um zu lesen. Ein schmalbrüstiger Arbeitsbursche las auf Wunsch laut vor: „Zu dem Lohnabkommen in der norddeutschen Metallindustrie schreibt die bürgerliche Presse: Gewerkschaftliche Tapferkeit. - Ein beachtenswerter gewerkschaftlicher Vorgang ist der auf einer Versammlung vom Deutschen Metallarbeiterverband gefasste Beschluss, die Kündigung des Lohntarifs in der Eisenindustrie Nordwestdeutschlands zu unterlassen. Ein solcher Beschluss, trotz Verlangens der radikalen Mitgliedschaft nach Lohnerhöhung, bedeutet den Sieg des Standpunktes, dass nur Preisabbau die Industrie von dem schweren Druck befreien kann. Der Beschluss zeugt von Einsicht und entschlossener Tapferkeit besonnener Gewerkschafter. Das Börsenblatt der Industrie, das ,Berliner Tageblatt': Die Ortsverwaltung des Metallarbeiterverbandes empfahl im Einverständnis mit den Arbeitgebern, in Anbetracht der augenblicklichen Wirtschaftslage in Norddeutschland von einer Kündigung des Tarifs abzusehen." „Die Unternehmer sind also mit den reformistischen Gewerkschaftsbonzen sehr zufrieden." „Die ja - aber wir absolut nicht!" schrie der Schmied heiser. „Diese Bande steckt ja mit den Unternehmern unter einer Decke!"
„Wir haben sie gemästet!" stöhnte ein weißhaariger Arbeiter.
„Aber sie wollen die Preise senken?"
„Was? - Haha! - Alles Schwindel!" schrie es nun durcheinander.
„Alles Lug und Trug! - Spitzbübereien! - Wer glaubt denn daran?"
Melmster trat ein, grüßte und ging sofort in das kleine Klubzimmer.
Hier saßen an einem länglichen Tisch der Hobler Hans, Drohn und ein ihm unbekannter Kollege. Der „Gottsucher" war auch da. Er saß am Fenster und schrieb Listen.
„Die da oben verwerfen unsern Streik und erklären ihn für wild!"
„Diese Schurken!" rief der „Gottsucher".
„Das war vorauszusehen!" meinte kühl der Hobler.
„Wisst ihr, wer im Gewerkschaftsbüro war?"
„Und?"
„Olbracht und Kühne."
„Und was taten sie, als sie dich sahen?"
„Olbracht grinste!"
„Und?"
„Dann gingen beide in einen Nebenraum, an dessen Tür ,Privat' stand!" „Was soll man dazu sagen!"
„Die Gewerkschaften unterstützen uns also nicht?"
„Unterstützen?" lachte Melmster. „Sie werden alles versuchen, um unsern Kampf schnellstens zu liquidieren."
„Und was beginnen wir nun?" fragte der „Gottsucher".
„Wir kämpfen weiter - ohne Gewerkschaften!"
„Und gegen die Gewerkschaften!"
„Die Internationale Arbeiterhilfe muss helfen!" Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Kollege Ahrnfeld, die Tischler verlassen die Fabrik!"
„Hallo!" rief der „Gottsucher" und schoss hoch. „Da muss ich laufen!"
„Komm sofort wieder!" rief ihm der Hobler nach.
„Sie werden alle Minen gegen uns loslassen!"
„Dora erzählt, die Firma ist ungeheuer im Druck. Riesige Konventionalstrafen drohen. Der Schaden ist unermesslich, und jeder Tag vergrößert ihn. Die Firma kann das nicht lange aushalten, sie muss kapitulieren!"
„Die Gewerkschaften aber wollen, dass nicht die Firma, sondern wir kapitulieren müssen!" entgegnete Melmster.
„Du übertreibst!" warf Drohn dazwischen.
„Aber nein! Gewinnen wir, ist das ein Schlag gegen die Reformisten und eine Stärkung unserer Opposition - und das wollen sie auf alle Fälle vermeiden!"
„Und du meinst, dass sie lieber den Unternehmer als uns triumphieren lassen?"
„Aber selbstverständlich, Drohn! Mit ihrer Wirtschaftsdemokratie, überhaupt mit dem heutigen Wirtschaftssystem leben und sterben sie!"
„Wie viele haben sich registriert?" - „Zweihundertvierundachtzig!"
„Dann fehlen... ?"
„Zirka fünfunddreißig!"
„Das Verhältnis ist nicht übel!" Der „Gottsucher" riss die Tür auf und stürzte herein.
„Aussperrung!" keuchte er.
„Was?" riefen alle wie aus einem Munde.
„Die gesamte Belegschaft ist ausgesperrt! Die Tischler mussten die Fabrik verlassen!"
„Na, was sagt ihr nun?" wandte sich Drohn an Melmster und den Hobler.
Was mag dahinterstecken? fragte sich Melmster.


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