Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
http://nemesis.marxists.org

Der „Gottsucher" sucht Anhänger.  

Am andern Tag hatte Melmster an seiner Bank einen seltsamen Besuch. Der „Gottsucher" kam, und die ganze Nachbarschaft beobachtete erstaunt und interessiert dieses Ereignis.
„Ich komm zu dir, Kollege, um mit dir bekannt zu werden!" Und dabei lachte er Melmster mit seinem kinderhaft schmalen Gesicht freundlich an. Er trug einen sauberen gestreiften Kittel und eine kleine lederne Schürze. „Und fragen wollte ich, ob ich dich heute auf dem Nachhauseweg begleiten kann?"
Nun musste Melmster lächeln. Er hatte das Gefühl, als spräche ein Mädchen mit ihm. Glasklare, treuherzige Augen hatte der Mensch und eine rührende Schüchternheit.
„Natürlich habe ich nichts dagegen! Nur kann ich mir den Zweck nicht erklären!"
„Du wirst doch Mitglied einer Jugendorganisation, nicht wahr? Und du bist doch Kommunist? - Eben aus diesen Gründen möchte ich mit dir reden."
„Also gut!"
„Schönen Dank!" Er nickte leicht mit dem Kopf und ging dann um die Drehbank herum sofort aus der Halle hinaus. Melmster lächelte in sich hinein und merkte, wie Olbracht vor Neugier zappelte. Er hätte zu gern erfahren, was der „Gottsucher" gewollt hatte, aber er traute sich doch nicht zu fragen.
Wiesenbach aber streckte sein verschmiertes Gesicht vor. „Wull he di bekehren?"
„De süht nich so schietig ut wi du!" rief ihm der Rotkopf zu. -
Am Vormittag besichtigte eine Kommission die Fabrik. Es mochten zwölf Herren sein, die, vom Betriebsleiter geführt, auch durch die Dreherei kamen. Um Bleckmanns Bank versammelten sie sich. Dieser hatte wieder Riesentrommeln in Arbeit, in die er unter Mordsspektakel des Stahles armbreite Trossennuten drehte. Bleckmann hüpfte hin und her und fühlte sich außerordentlich wichtig. Kollege Wiesenbach wurde von dem nachbarlichen Ereignis so mitgenommen, dass er sich krampfhaft mit einer Handvoll Twist das Gesicht säuberte. Aber die Kommission ging weiter, ohne Wiesenbach und seine Arbeit zu beachten. Er sah ordentlich beleidigt aus.
„Das sind die Aasgeier der Rationalisierung!" rief Olbracht Melmster zu.
Die Mitglieder des Arbeiterrats waren nach den letzten Vorfällen auffallend schweigsam geworden. Schmachel pütscherte von morgens bis abends an seiner plumpen Koppbank herum. Er wurde von den Kollegen der Dreherei wie ein an den Pocken Erkrankter gemieden. Kühne, der gern im Betrieb herumstolzierte und der sich sonst seines Wertes übervoll bewusst war, kam gar nicht mehr von der Anreißplatte weg und war so bescheiden geworden. Und die Betriebsleitung, die so brennend nötig Überstunden brauchte, um vorauszuarbeiten, damit kurz vor den neuen Tarifverhandlungen Flaute vorgeschützt werden konnte, und die auch sonst auf alle Fälle vorbereitet war, verlor gegenüber den widerspenstigen Drehern kein Wort. Und das war gerade das Unheildrohende.
Es lag etwas in der Luft, das sich auch bald entladen sollte.
Als sich Melmster nach vier Uhr angezogen und gewaschen hatte, sah er sich nach dem „Gottsucher" um, aber er konnte ihn nicht finden. Er hat es vergessen, dachte er. Doch als er aus der Fabrik herauskam und seinen Weg zur nächsten Hochbahnstation nehmen wollte, ging der „Gottsucher" plötzlich neben ihm.
„Hallo, ich dachte schon, du hättest es verschwitzt!"
„O nein! Du gehst zur Hochbahn?" Melmster nickte.
„Vielleicht werden wir bis dahin ins reine kommen!" Was der bloß will, grübelte Melmster.
„Kollege Melmster, du bist vielleicht schon durch die Kollegen über mich orientiert. Es ist natürlich gar nicht so, wie es die meisten kolportieren. Ich bin nicht religiös, zumindest nicht im kirchlichen Sinne, sondern bei meinen Anschauungen eher so etwas wie Anarchist, und ich bemühe mich ernsthaft, an der Lösung des sozialen Problems mitzuarbeiten. Wenn man nun im Betrieb, wie bei uns, sich umsieht, beobachtet man zwei Generationen, die sich schroff gegenüberstehen, die Alten und die Jungen. Die Alten sind hoffnungslos und für den Kampf der Arbeiter verloren, sie sind innerlich ungläubig geworden und so gescheitert. Die Jungen, wir also, sind der einzige Faktor, der der Bewegung neuen Antrieb, neue Gläubigkeit und neue Kraft geben kann. Ich plane nun eine
Zusammenfassung dieser Jungen, vorerst im Betrieb, und natürlich auch vorerst nur bestimmter, etwa solcher, die aus der Jugendbewegung kommen, und dich möchte ich für meinen Plan gewinnen. Wie ist deine Meinung?"
Melmster war ein ganzes Stück größer als der Tischler, und dieser blickte ihn von unten fragend an.
„Drei Fragen!" entgegnete Melmster. „Wie stehst du zur Theorie des Klassenkampfes? - Wie stehst du zur Diktatur des Proletariats? - Wie stehst du zur Kommunistischen Partei?"
„Soll dieses Ultimatum eine Antwort auf meinen Vorschlag sein?"
„Es gibt bestimmte Voraussetzungen, unter denen sich nur in einem solchen Falle Diskussionen lohnen!"
Der blasse Mensch mit den träumerischen Augen dachte nach.
„So will ich dir deine Fragen sofort beantworten. Erstens bin ich kein Marxist. Zweitens bin ich kein Mitglied der Kommunistischen Partei, noch sympathisiere ich mit ihr. Und nun?"
„Wissen wir, woran wir sind!" lächelte Melmster. „Ich bin Marxist und infolgedessen auch Kommunist!" „Und mein Vorschlag?"
„Ist völlig undiskutabel! - Die Frage des Klassenkampfes und der revolutionäre Kampf der Arbeiter ist keine besondere Frage von Generationen. Dass die Generation vor uns den Kampf in anderen Formen führte, ist nur zurückzuführen auf die damaligen ökonomischen Zustände und den entsprechenden Reifegrad der Arbeiterschaft und umgekehrt. Die heutigen Formen und Methoden des Klassenkampfes entsprechen den heutigen Wirtschaftsverhältnissen und dem gegenwärtigen Entwicklungsstadium der Arbeiterschaft und sind nicht das Ergebnis einer besonders berufenen Generation!"
„Aber bedenke...!"
„Dass die Alten, wie du sagst, versagen, ist die historische Schuld der SPD-Führung, die dies mit ihrer ideologisch lähmenden und praktisch konterrevolutionären Politik heraufbeschwor."
„Ihr schreibt im ,Roten Greifer' von den Missständen im Betrieb und von der miserablen Entlohnung, und wenn Arbeitskollegen kommen, um euch in diesem Kampf zu unterstützen, dann weist ihr sie ab. Ich wollte nicht mit dir politisieren, sondern dir nur Vorschläge unterbreiten, wie man gegen diese Missstände kämpfen kann!"
„Dann schließ dich der Opposition an!"
„Ich wollte aber gerade durch deine Mitwirkung die Jungen im Betrieb dafür interessieren und gewinnen!"
„Recht schön und gut, Ahrnfeld, aber man muss sich dann doch einigen, auf welcher Grundlage."
Der „Gottsucher" reagierte aber nicht auf diese Frage, er sprach nachdenklich, fast bedauernd und wie zu sich selbst: „Das ist nicht gut, dass wir es ohne dich und Wend machen müssen!"
„Hat denn der Hobler auch schon abgelehnt?"
„Ich hab noch nicht mit ihm gesprochen, aber Scharff und Ermisch, die Schlosser, und der Platzarbeiter Franke und mein Kollege Gerhard sind bereit. Wir kommen am Sonnabend bei Scharff zusammen!"
So weit hatte der Tischler schon vorgearbeitet. Melmster überlegte. Eine verrückte Idee dieser Leutchen! - Man müsste doch sehen, was da vorgeht.
Und zur größten Freude des „Gottsuchers" erklärte Melmster, er würde kommen.


Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur