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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Streik.

Am andern Tag erklärte der Ex-Betriebsratsobmann Kühne, dass die sozialdemokratischen Kollegen eine eigene freigewerkschaftliche Liste zur Betriebsratswahl einreichen würden, denn die Kandidaten auf der Oppositionsliste würden sämtlich aus der Gewerkschaft ausgeschlossen.
Dieses unüberlegte Geständnis rief unter den organisierten Arbeitern einen Sturm der Entrüstung hervor.
„Ihr werdet nicht einmal eure zweiundvierzig Stimmen aus der Versammlung zusammenbekommen!"
„Nein!" rief ein anderer, „außer den Mitgliedern des Arbeiterrats wird sich keiner zu derartigen Lumpereien hergeben!"
„Sind wir eigentlich Kulis für euch!" schrie einer.
„Ausschließen - ausschließen wollt ihr. Die oppositionellen Kollegen sind in einer rechtmäßigen Versammlung rechtmäßig gewählt. Ihr könnt sie nicht ausschließen!"
„Das werdet ihr ja sehen!" entgegnete Kühne höhnisch.
Am selben Tag noch reichte der alte Arbeiterrat eine eigene Liste zur Arbeiterratswahl ein. Sämtliche Mitglieder des alten Arbeiterrats waren auch die Kandidaten für den neuen. Das Kennwort dieser Liste hieß: freigewerkschaftlich.
Aber zur Betriebsratswahl sollte es gar nicht kommen, denn inzwischen trat die Betriebsleitung in Aktion.
Die Wahl der oppositionellen Arbeiterratsliste beantwortete sie mit der Entlassung des Hoblers. Er habe Geschäftsgeheimnisse der Firma preisgegeben und sich geweigert, seine Zuträger aus dem technischen oder kaufmännischen Personal anzugeben, hieß es in der Begründung.
Die ultimativen Lohnforderungen der Dreher wurden mit der Entlassung Melmsters beantwortet. Hier wurde als Grund lakonisch-höhnisch „Arbeitsmangel" angegeben.
„Ich sagte es Ihnen gleich!" war Meister Westmanns letztes Wort.
Melmster lachte.
Der Rotkopf war erschrocken. „Das ist unmöglich - es gibt doch ein Betriebsrätegesetz!"
„Der sozialdemokratische Arbeiterrat und der Wahlausschuss werden keinen Finger für uns krümmen!" erwiderte Melmster.
„Aber Arbeitsmangel? Das ist doch Quatsch! Dass das an den Haaren herbeigezogen ist, sieht doch jeder."
„Natürlich! Aber das Betriebsrätegesetz, schon mies genug, wird ein Fetzen Papier, wenn die Frage Macht gegen Macht steht!"
„Aber wir werden doch nicht...?" „Natürlich nicht!"
Der Schlosser Drohn veranlasste sofort, dass die neugewählten oppositionellen Vertrauensleute eine Sitzung anberaumten. Sie fand im Frühstücksraum statt. Die Sitzung war kurz. Es wurde beschlossen, Zurücknahme der Entlassungen und Bewilligung der Forderungen der Dreher zu verlangen. Der Firma wurde eine Frist bis zwölf Uhr gelassen. Im Fall der Ablehnung dieser Forderungen wollten die Vertrauensleute die Belegschaft auffordern, in den Streik zu treten. In der Mittagspause sollte eine Betriebsversammlung auf dem Fabrikhof einberufen werden.
Die Betriebsleitung wollte die Opposition zerschlagen, bevor sie sich im Betrieb fest verankern konnte. Ihr Vorgehen war eine bewusste Provokation. Die Opposition, die nun die Mehrheit der Belegschaft hinter sich hatte, musste wiederum mit aller Klarheit und Schärfe den Anschlag der Betriebsleitung abschlagen, selbst angesichts der nicht zu leugnenden großen Schwierigkeiten.
Die gestürzten Alleinherrscher, die Kühne und Schmachel und Fahs, sagten kein Wort. Zwar schlug ihnen das Herz bis zum Halse vor freudiger Aufregung und Genugtuung, aber sie taten so, als ginge sie das alles nichts mehr an, was sich im Betrieb ereignete.
Der Betrieb selbst war wie in Auflösung begriffen. Alles lief durcheinander. Überall standen Gruppen und diskutierten. Die Latrine war gedrängt voll. Gearbeitet wurde fast gar nicht.
Der Hobler, Drohn und Melmster waren unermüdlich. An den Drehbänken und Schmiedefeuern, an den Feilbänken und bei den Montageschlossern wurde die proletarische Einheitsfront gegen die Unternehmerfrechheit geschmiedet. Einen neuen wichtigen Bundes- und Kampfgenossen hatte die Opposition erhalten. Der „Gottsucher" arbeitete im Sinne der einheitlichen Kampfesfront mit verbissener Zähigkeit unter den Tischlern. Diese wollten sich neutralisieren, denn der Holzarbeiterverband hatte einen Tarif mit zehn Prozent Lohnzuschlag abgeschlossen, und nun behaupteten sie, der Kampf im Betrieb sei eine alleinige Angelegenheit der Metallarbeiter. Wenn die Tischler im Betrieb blieben, war die einheitliche Front gesprengt.
Der „Scharfe", der bei ähnlichen Anlässen immer vornweg war, stand abseits und verhielt sich völlig passiv.
Der Hobler trat dicht zu ihm heran und flüsterte ihm unter vier Augen etwas zu. Der „Scharfe" wurde über und über rot und erklärte, unter diesen Umständen seine Entlassung fordern zu wollen.
Mit den Worten: „Ich habe immer gewusst, dass du ein Feigling bist!" verließ ihn der Hobler.
Kaum hatte die Fabriksirene Mittag angezeigt, strömten aus den Hallen die Arbeiter auf den Fabrikhof. So von der Arbeit weg, mit den vor Schweiß und Dreck schmutzigen Gesichtern, standen sie, das Mittagsbrot in den Händen, Kopf an Kopf vor dem Maschinenhaus, wo der Dreher Dresen auf eine Abfalltonne geklettert war und redete. Ein feiner Regen fiel, und rundherum starrten die grauen, rußigen und schmierigen Fabrikwände auf den Hof.
Der alte Dreher stellte die anwesenden Arbeiter vor die Entscheidung: Unterwerfung unter das Unternehmerdiktat oder Streik.
Aus den Bürofenstern guckten interessiert die Angestellten und Büromädel. Sogar der humpelnde Pförtner blickte erwartungsvoll um die Ecke. Der Regen wurde stärker.
Als der Alte mit seiner Rede zu Ende war und von der
Tonne stieg, war kein Laut zu vernehmen. Bei der Abstimmung aber stimmten fast alle für Streik.
Langsam kehrten die Arbeiter in die Hallen zurück und ordneten alles zum Verlassen der Fabrik. Mit Tränen vor Wut in den Augen stürzte der „Gottsucher" in den Umkleideraum. Die Tischler arbeiteten.


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