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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Lakaien des Kapitals.

Die Wirkung im Betrieb war verblüffend. An dem Tag, an dem die Firma in der Montage zehn Schlosser entließ, wurde der „Rote Greifer" verteilt, in dem zu den Entlassungen Stellung genommen wurde. Das Argument der Betriebsleitung, die Entlassungen in der Schlosserei seien durch die abgelehnte Überstundenarbeit der Dreher notwendig geworden, wurde zerpflückt und als bewusstes Irreführungsmanöver, um die Branchen gegeneinander auszuspielen, entlarvt.
„Das sind Mordskerle", sagten die einen, „so prompt auf die neusten Ereignisse zu reagieren."
„Dahinter steckt die Betriebsleitung", behaupteten die Reformisten, „denn anders ist das nicht zu erklären."
Die Entlassungen und die noch folgenden schilderte der „Greifer" als eine Hilfe der Firma für den unternehmerhörigen Betriebsrat.
„Auf diese Weise soll die Belegschaft von den unruhigen Elementen befreit und den Reformisten die Möglichkeit zu einer Mehrheit in der so reduzierten Belegschaft gegeben werden!" hieß es im „Greifer". „Dieser Arbeiterrat erspart nämlich der Firma ein Dutzend Vorarbeiter und Aufseher. Keiner könnte besser im Betrieb die Belange der Firma vertreten
als der jetzige Arbeiterrat. Keiner könnte tatkräftiger für die Ruhe und Ordnung der Ausbeutung in diesem Betrieb sorgen als er. Er hat der Firma unschätzbare Dienste geleistet. Welcher Kollege kennt einen Fall, wo sich der Arbeiterrat entschlossen für die Forderungen der Belegschaft eingesetzt und sie der Firma gegenüber durchgesetzt hat? Es gibt in dem ganzen Jahr seiner Tätigkeit keinen einzigen derartigen Fall. - Und die politische Rolle, die dieser sozialdemokratische Arbeiterrat in unserem Betrieb spielt, ist im kleinen die Rolle, die die SPD-Führung in der großen Politik innerhalb der kapitalistischen Republik spielt. - Wenn ihr diese Leute wieder zu Arbeiterräten macht", schloss der Artikel, „wählt ihr nicht euch, sondern der Firma Vertrauensleute im Betrieb. Darum gilt es bei der kommenden Wahl, trotz Hand-in-Hand-Arbeitens der Reformisten und der Betriebsleitung, trotz Hinauswurfs oppositioneller Arbeiter revolutionäre Arbeiterräte und rote Vertrauensleute zu wählen. Schluss mit der Begünstigungs- und Korruptionswirtschaft!"
„Die haben sich ja wieder ein Ding abgekniffen!" Olbracht grinste.
„Das liegt klar auf der Hand, dass hinter dieser Sache die Firma steht!" ergänzte Bleckmann, und beide sprachen so laut, dass Melmster es hören musste.
Auch der Rotkopf hatte es gehört. Ihm schien das selbst nicht ganz geheuer zu sein, er grübelte und grübelte.
„Alfred!" wandte er sich endlich an Melmster, „erfahren auch die Mitglieder der Partei nicht, wer den ,Greifer' herstellt?"
„Einige wissen es - nicht alle!"
„Sind sie nicht einmal alle vertrauenswürdig?"
„Unter dreißig kann sich schon ein Spitzel einschleichen!"
„Wie ist es aber möglich, dass hier schon immer die neusten Ereignisse erörtert werden?"
„Einmal waren die Entlassungen vorauszusehen. Die Säuberung der Betriebe vor den Arbeiterratswahlen von revolutionären Arbeitern ist eine alte Taktik der Unternehmer. Und -kann es nicht auch möglich sein, dass wir Vertrauensleute oder gar Genossen im Büro haben?"
„Das wäre eine famose Sache!"
„Vielleicht ist es so!" So kamen durch die Stinkbomben der Reformisten die mit dem Kommunismus sympathisierenden Arbeiter immer wieder ins Schwanken, denn so, wie es dem Rotkopf ging, ging es in noch stärkerem Maße allen nur lose mit der Opposition verbundenen Arbeitern.
Die Entlassungen in der Montage verliefen nicht ohne Zwischenfall. Unter den Entlassenen war ein Gewerkschaftsfunktionär, der ging zu dem Arbeiterrat der Montage, dem Schlosser Fahs.
„Warum werden diese Entlassungen vom Arbeiterrat genehmigt?"
„Wir konnten daran nichts ändern. Es ist eine vorübergehende Stockung der Arbeit eingetreten."
„Dann verlangen wir, dass der Arbeiterrat der Firma vernünftige Maßnahmen vorschlägt. Warum wird, wenn es nur eine vorübergehende Stockung ist, keine Kurzarbeit eingeführt?"
Der Arbeiterrat Fahs hatte über diese Möglichkeit nie nachgedacht, und schließlich lag sie ja auch gar nicht im Interesse der Firma.
Er war aber ganz perplex. „Ja! Ja!" stotterte er. „Hm!"
„Ich verlange im Auftrag meiner zehn Kollegen, dass sich der Arbeiterrat mit dieser Frage sofort beschäftigt." „Ja, wenn das man geht?"
„Was seid ihr eigentlich!" brauste der Schlosser auf, „unsere Interessenvertreter oder die Lakeien der Firma?"
„So komm mir man, dann ist es aus!" brüllte der Arbeiterrat verletzt zurück.
„Soll man dir in'n Arsch kriechen? Wir verlangen, dass du unserm Wunsch nachkommst!"
„Schert euch zum Teufel!" knirschte Fahs. Darauf organisierten die zehn Schlosser einen gemeinsamen Beschwerdegang zum Betriebsratsobmann. Kühne sah sich an der Anreißplatte plötzlich von zehn Arbeitern umringt. Ihm wurde dasselbe wie dem Montage-Arbeiterrat vorgebracht: Kurzarbeit für alle, bis wieder genügend Arbeit vorhanden ist.
Kühne versuchte sie abzuwimmeln. Es gelang ihm aber nicht. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die Arbeiterratsmitglieder zu einer Besprechung zusammenzutrommeln. Es war mittlerweile zwei Uhr geworden. Kühne ging ins Kontor. Er kam sofort wieder heraus. Im Frühstücksraum wurde dann beraten. Es wurde drei Uhr. Der Arbeiterrat beriet. Die entlassenen Schlosser mussten unterdessen ihr Werkzeug abgeben und ihre Akkordverrechnungen machen. Der Arbeiterrat beriet noch immer.
Der Schlosser Drohn hatte inzwischen unter den Kollegen gearbeitet. Sein Verdienst war es, dass die Forderung der Kurzarbeit nicht nur die der zehn entlassenen Schlosser, sondern eine Forderung der ganzen Montage war. Nur einer verhielt sich in dieser Frage auffallend zurückhaltend und schweigsam - der „Scharfe". Er sagte nicht nein und nicht ja dazu.
Zwanzig Minuten vor vier Uhr kamen endlich die Arbeiterratsmitglieder von ihrer Beratung zurück, Kühne ging selbst in die Montage zu den Entlassenen und erklärte, dass die Betriebsleitung eine Rückgängigmachung der Entlassungen und eine Gesamtumstellung der Montage auf Kurzarbeit augenblicklich für undurchführbar halte und sie als Arbeiterrat nichts weiter unternehmen könnten.
„Man kann von euch nichts anderes verlangen!" erwiderte der Sprecher der Schlosser.
„Kollege!" wandte sich der Obmann an den Schlosser, „dein Verhalten gegenüber dem Kollegen und Betriebsrat Fahs war eines organisierten Arbeiters unwürdig!" Die Antwort war ein Gelächter.
Im Waschraum trat der Hobler an Melmster heran: „Der ,Scharfe' ist nicht unter den Entlassenen!" „Ich habe schon gesehen!" „Wir werden ja erfahren, warum nicht!"


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