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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Die Zelle wächst.

Der Hobler Hans trug seit einiger Zeit ein merkwürdiges Wesen zur Schau. Er verhielt sich zurückhaltend und äußerst schweigsam. Auch einige Funktionärssitzungen der Partei hatte er geschwänzt, was in der letzten Zeit nicht vorgekommen war. Sogar den letzten „Greifer" hatten Fritz und Melmster allein zusammengebaut. Hans war schon nach einer Stunde fortgegangen, und die Dora Timm war auch nicht gekommen. Bis hart gegen Mitternacht hatten Melmster und der brave Jungkommunist Fritz abwechselnd mit zwei Fingern die Wachsbogen vollgetippt. Auch im Betrieb wich Hans den Genossen aus. In der Mittagspause stellte ihn Melmster.
„Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Du hockst hier wie ein nasser Sack und redst kein Wort. Was ist mit dir?"
„Wir hatten Angst, du würdst dich nicht beherrschen können!"
Hm! Hm! Wir! dachte Melmster und sagte: „Unsinn, das kann doch nicht der Grund deines Verhaltens sein. Übrigens seht ihr ja, dass ich mich beherrsche!"
„Knapp war's man!" lachte der Hobler.
„Versetz dich in meine Lage! - Aber dein Gesicht gefällt mir nicht."
„Ich versteh nicht, was du hast, ich fühl mich sauwohl!"
Die exzentrischen Schwundräder, die Melmster zu bearbeiten hatte, waren die gefürchtetste Dreherarbeit. Das Ausrichten in der Planscheibe mit Gegengewichten nach genauen Berechnungen nahm die meiste Zeit in Anspruch und kostete Nerven, denn einige Fehlschläge, und man war mit der nach Tabellen, Stoppuhr und Spindelumdrehungen errechneten Zeit uneinholbar versackt.
Melmster hatte Pech. Schon einige Male war das Schwungrad unausgeglichen geblieben, und die Bohrung wurde infolgedessen elliptisch. Er rackerte an der Planscheibe herum, berechnete, experimentierte, und alles kostete Zeit - Zeit, die nicht einkalkuliert war, denn die Berechnungstabelle kennt nur glatte Arbeitsgänge.
Der Rotkopf beobachtete sinnend die Anstrengung Melmsters, der sich in Schweiß arbeitete. „Weißt du, Alfred."
Melmster dachte, er wolle ihm Ratschläge geben, und hörte hin.
„Ich will in die Partei eintreten!" „Richtig, Kurt! Und der Fußball?" „Ich bin schon aus ,Concordia' ausgetreten!" „Das ist anständig! - Sieh doch mal dies Aas! Ich kriege ihn nicht hin!"
„Ich will aber in ,Barmbeck dreiundneunzig' eintreten, da wird ein guter Arbeiter-Fußball gespielt."
„Gib mir mal noch einen halbzölligen Schlüssel! - So! -Halt hier fest! - Noch mal! - Und wenn das Luder jetzt noch schlägt...!"
Es lief. Der Stahl setzte an.
„Das ist fabelhaft, Kurt. Dann sind wir ja Genossen!" -Melmster atmete erleichtert auf, als es auf vier Uhr ging. Das war ein verfluchter Tag gewesen. Er war wie in Schweiß gebadet und hatte doch nichts beschickt.
„Hast du noch etwas Öl?" rief Olbracht. Melmster reichte ihm seine Kanne. Merkwürdig, die Wut auf dieses Subjekt war vorerst verraucht. Doch die Abrechnung war nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.
Olbracht erzählt ihm, dass die Firma demnächst ihre Rationalisierungsmaßnahmen durchzuführen gedenke. Stähle und verstellbare Kopfhalter sowie mehrstählige Vorrichtungen seien schon eingetroffen.
„Was gedenkt ihr dagegen zu unternehmen?" fragte er zum Schluss.
„Du fragst mich, als ob ich der Generalissimus der Opposition wäre!"
„Na, ihr werdet doch vorgearbeitet haben?" „Wie darauf reagiert wird, weiß ich nicht, das ist ja auch Sache der Kollegen selbst!" wich Melmster aus.
Vier neue Parteimitglieder hatten die letzten vierzehn Tage gebracht. Zwei Schlosser aus der Montage, einen Arbeitsmann und den Dreher Kurt Menzel. Der „Rote Greifer" hatte richtig gegriffen, und alle Genossen und darüber hinaus fast die gesamte Belegschaft waren von dieser mutigen Betriebszeitung begeistert. Selbst einige von den Genossen wollten in der Zellenversammlung wissen, wer den „Greifer" schreibe. Der Hobler Hans sagte darauf nur, dass es besser sei, es wüssten dies so wenige wie nur möglich.
Auf der Tagesordnung dieser Zellenversammlung stand ein Referat über die Taktik der Opposition bei den bevorstehenden Betriebsrätewahlen. Da aber, wie gewöhnlich, der Referent der Bezirksleitung nicht kam, wurde über dies Thema unter den Genossen diskutiert.
Viele waren der Meinung, dass die Opposition in der freigewerkschaftlichen Belegschaftsversammlung die Mehrheit bekommen würde und dann gleichzeitig den gesamten Arbeiterrat in Händen hätte.
Ein Genosse machte darauf aufmerksam, dass die Betriebsleitung im Interesse des jetzigen, ihr sehr angenehmen Arbeiterrats kurz vor der Wahl Massenentlassungen oppositioneller Arbeiter vornehmen werde, um so dem jetzigen Arbeiterrat eine abermalige Mehrheit zu sichern.
Melmster forderte die unsichtbare „Greifer"-Redaktion auf, bereits in der nächsten Nummer zu den Betriebsratswahlen Stellung zu nehmen, und machte die Zellenleitung darauf aufmerksam, alle Termine genauestens zu beachten und einzuhalten.
Zum Schluss wurde noch auf Vorschlag des Hoblers aus jeder Halle ein Literaturobmann bestimmt. Der Vertrieb der „Arbeiter-Illustrierten" sowie sämtlicher Parteibroschüren sollte jetzt systematisch im Betrieb organisiert werden. Jeder Genosse und darüber hinaus alle Leser sollten künftig im
Betrieb die Zeitung abonnieren und neue Leser werben. Auf diese Weise sollte diese einzige proletarische Bilderzeitung noch mehr unter die Arbeiterschaft kommen, und gleichzeitig blieben der Zelle wöchentlich einige Groschen zur Finanzierung des „Roten Greifers".
Es sollten vorerst achtzig Exemplare wöchentlich bestellt werden.
Am Schluss der Zellenversammlung fragte Melmster den Hobler nach Dora Timm. „Was soll ich dir da antworten?"
„Ich meine nur so", log Melmster, „ich habe euch gesehen!"
„Ist das wahr?" Hans war ganz erschrocken. „Wir haben immer Angst, dass uns mal einer vom Betrieb begegnet!"
„Na, beruhige dich, es stimmt nicht."
„Doch woher weißt du... ? Wie kommst du darauf... ?"
„Es muss doch eine Erklärung für dein jetziges Verhalten geben!"
Hans wurde rot und verlegen wie ein Backfisch.


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