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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Die acht Verächtlichen.

„Fabrikkuli", das ist der richtige Name für uns!" sagte der Schlosser Drohn. „Tag für Tag, Jahr für Jahr ist man in diesem schmutzigen und lärmenden Kessel zusammengepfercht und dreht, hämmert, montiert Dinge, zu denen man nicht die geringsten Beziehungen hat. Um einige Pfennige Akkord wird gehetzt und gerufft. Um einige Pfennige Akkord werden die notwendigsten Schutzmaßnahmen, wenn sie Zeit beanspruchen, außer acht gelassen. Viele wurden wegen so'n paar Pfennige Krüppel und Invaliden, denn von fünfunddreißig Mark Lohn kann keiner eine Familie ernähren. Schon mit einigen Mark Zulage gelingt es dem Unternehmer, Arbeiter zu korrumpieren und sie gegen die Interessen der Gesamtbelegschaft auszuspielen. Gemeinheiten und Lumpereien sind spottbillig geworden, und die Unternehmer haben in der Korrumpierung Routine bekommen!" -
Schon im Umkleideraum wurde von der Vertreibung der acht Dreher gesprochen.
Melmster verspätete sich an diesem Morgen um zwei Minuten. Als er kam, standen die Kollegen bereits an ihrem Arbeitsplatz.
„Guten Morgen!" Der Rotkopf grüßte und kniff ein Auge zu.
„Guten Morgen!"
„Guten Morgen!" Olbracht grüßte, als wäre gar nichts geschehen.
Melmsters Hände zitterten, als er seinen Schrank aufschloss, sein Essen verpackte und das Werkzeug herausholte. Als er zu arbeiten begann, sah er den Hobler Hans hinten stehen und warnend mit der Hand drohen.
Den ganzen Vormittag wurde unter den Drehern um Melmster herum kein einziges Wort geredet. Der Rotkopf war schließlich der einzige, der sich von Zeit zu Zeit umdrehte und mit Melmster über die „acht" und ihre Vertreibung sprach. Die „acht Verächtlichen" waren sie bereits in der Fabrik getauft, und von den Kollegen waren viele im Zweifel, ob sie überhaupt weiter mit ihnen reden oder sie meiden sollten.
Kurz vor Mittag ging Dora Timm in die Meisterbude. Den Rückweg ins Büro nahm sie nicht durch den Mittelgang, wie gewöhnlich, sondern an den Fenstern entlang, bei den Drehern vorbei.
Melmster sah sie kommen. Sie sähen sich an. Keine Miene verriet etwas. Olbracht, der an seinem Arbeitstisch fertige Lagerdeckel sortierte, grüßte überfreundlich. „Guten Morgen, Fräulein!" „Guten Morgen!" lachte sie. Melmster fühlte einen Druck in der Kehle. Der Rotkopf verrenkte sich den Hals. „Stramme Deern -und Beine... "
Der Stahl an Melmsters Support zitterte und krächzte. Die Arbeit ging in ihrer Eintönigkeit weiter. „Italien hat ja gegen Deutschland zwei zu null gewonnen?" „Nanu? - Seit wann verfolgst du diese Spiele?" „Ich habe an der Radiostrippe gehangen!" „Nicht wahr, dieser Caligari war fabelhaft und dieser Combi
erst", der Rotkopf brannte lichterloh, „dieser Combi, von dem kann der lange Heiner noch was lernen. Die einzige Genugtuung war der Schalker. Leinberger hat katastrophal versagt und Hofmann enttäuscht. Aber das war doch spannend, was?"
„Weißt du, Kurt, das sind die gefährlichsten Demonstrationen des Nationalismus. Dagegen sind Hugenberg und Hitler Stümper!"
„Wenn du Fußballer wärst, dächtest du gar nicht daran!"
„Oha! Ich liebe den Fußball. - Augenblick!" Melmsters Stahl war die Bohrung durch. Er spannte ein neues Schwungrad ein. Der Stahl setzte an. „Ich liebe den Fußball. Er ist so ganz der Sport unserer Zeit. Nicht Mann gegen Mann, sondern Mannschaft gegen Mannschaft, also ein kollektives Spiel. Dazu ein ausgesprochener Kampfsport. Es ist kein Wunder, dass der Fußball ein Massensport geworden ist! Aber die Bourgeoisie macht aus dem Sport nicht nur ein Geschäft, sondern auch Manifestationen des Nationalismus. Sie sangen in Frankreich die .Giovinezza' und ,Deutschland, Deutschland über alles!'."
„Aber das Verteidigungsdreieck der Italiener war trotzdem brillant!"
Mittags saß wie gewöhnlich jeder an seinem Fensterplatz und aß und las. Keiner sprach aber ein Wort. Selbst Bleckmann und Olbracht sprachen nicht miteinander. Zur größten Verwunderung Melmsters fielen auch von den anderen Kollegen keine spöttischen oder provozierenden Bemerkungen.
Später, als es auf vier Uhr ging und Melmster sich umdrehte, um ein neues Schwungrad zu packen und es in die Planscheibe zu spannen, sagte Olbracht: „Ihr braucht euch heute nicht zu bemühen, es wird nicht gearbeitet!"
„Ich würde mich an deiner Stelle genieren, noch hier zu sein!" war Melmsters Antwort.
„Mensch, Melmster!" rief Olbracht, „wir haben doch nur nach dem Willen des Arbeiterrats gehandelt, und wenn dessen Handlungen nicht richtig waren, rechnet mit ihm ab!" Melmsters Kiefer zitterten.
„Ich bin zwar Sozialdemokrat, aber keiner kann mir Unkollegialität oder Streikbruch vorwerfen!"
Melmster arbeitete wie wild. „Der Überfall gestern war doch etwas zu schimpflich. Die Grünschnäbel in der Montage sprechen von unsereinem wie von Erzhaiunken."
Melmster hatte ein Flimmern vor den Augen. Etwas würgte ihn im Halse. Die Hände krallten sich in die Supportkurbeln. - Verflucht! - Er stellte seine Bank ab und ging mit großen Schritten durch die Mitteltür über den Fabrikhof. -„Verprügeln? In Sack hau'n? In die Zeitung lancieren? Und das jetzt? Ist Quatsch", sagte der Hobler. „Wir suchen die richtigste und günstigste Zeit aus und rechnen dann gründlich mit dem Schurken ab! Also mach keine Geschichten! Denk auch an Dora!"
Melmster stand kreidebleich vor Erregung vor dem Lokus, auf dem der Hobler saß. „Hast du etwas Papier?" -
Als er wieder an den Arbeitsplatz ging, fühlte er Olbrachts Blicke. Er vermied, ihn anzusehen.
Bei der Arbeit aber hatte er immer das Gefühl, als hocke ihm eine Bestie im Genick und kralle sich in ihm fest.
Der Rotkopf war beneidenswert. Der sang einen Schlager nach dem andern. -
Der Dreher mit dem gespaltenen Nasenbein kam. Er war ein gedrungener, knochiger Mensch mit einem zerrissenen Gesicht und kleinen Boxeraugen. „Habt ihr euch in den Haaren gehabt?" „Dieser Olbracht versuchte, sich zu entschuldigen und alle Schuld auf Schmachel zu schieben!"
„Der riskiert bei uns keinen Pieps, und keiner spricht mit ihm. Man müsste diesen Schweinehund bei Kopf und Arsch packen und in den Kanal schmeißen!"
Er ging um die Drehbank herum weiter. „Was nicht ist, kann noch werden!" rief er noch. -
Zehn Minuten vor vier Uhr überraschte Meister Westmann den Rotkopf beim Waschen der Hände in Öl. Plötzlich trat
er hinter Wiesenbachs Bank hervor. Er schimpfte pflichtgemäß, trotzdem er genau wusste, dass es jeder tat. Der Rotkopf begann von neuem zu arbeiten.
Der „Alte" sah dann zu Melmster. Nach einer Weile trat er dicht an ihn heran.
„Melmster!" flüsterte er, „nehmen Sie sich in acht vor Denunzianten!"
„Ich danke Ihnen!" lächelte er, „aber man hat mich bereits orientiert."
Meister Westmann stutzte und schob sprachlos ab.


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