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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Fünfzehn Prozent Lohnerhöhung.   

Auf dem Wege zum Versammlungslokal kaufte sich Melmster die sozialdemokratische Tageszeitung. Er war neugierig, wie diese das Abkommen in der Metallindustrie bringen und kommentieren würde. In der Zeitung war nichts zu finden. Er ging Spalte für Spalte durch, las einmal, zweimal, las von hinten nach vorn, nichts zu finden. „Halt! - Hier!" rief der Rotkopf, der mitsuchte.
In der äußersten Ecke standen hier dieselben lakonischen Zeilen wie im Anzeiger, kein Wort dazu. Darunter fanden die beiden noch eine Notiz des Holzarbeiterverbandes, dass er den Tarif gekündigt und fünfzehn Prozent Lohnerhöhung gefordert habe.
Das kleine Klublokal von Horning war gedrängt voll. Schmachel, Kühne, Olbracht und Bleckmann saßen zusammen. Endrusch saß am Vorstandstisch. Tabaksqualm und lärmende Reden erfüllten den Raum. Es wurde laut diskutiert und geschimpft und gedroht.
Endrusch teilte bei der Eröffnung der Versammlung kurz mit, dass die Kollegen die Versammlung von ihm verlangt hätten, und erteilte dann dem Betriebsobmann das Wort.
„Kollegen!" piepste der, „ich muss außerordentlich bedauern, dass auf eine unkontrollierbare Meldung eines bürgerlichen Pressereptils diese Aufregung und diese überstürzte Versammlung zustande gekommen ist!"
„Irrtum!" unterbrach ihn Melmster, „auch in deiner Parteipresse steht die gleiche Meldung!" Er schwenkte die Zeitung in der Luft. Gelächter.
Kühne stierte ihn böse an.
„Es mag dahingestellt sein, ob die Meldung auf Wahrheit beruht oder nicht!"
„Haha! - Na also!" tönte es aus der Versammlung.
„Aber eins dürfen wir nicht außer acht lassen, die Dreher können für sich keine Extrawurst beanspruchen. Wenn zwischentarifliche Lohnforderungen gestellt werden, dann muss es Sache der gesamten Belegschaft sein. Der Arbeiterrat wird sein Möglichstes tun, um einheitliche Forderungen aufzustellen. Doch die Dreher dürfen nicht undiszipliniert aus der Reihe tanzen!"
„Bremser! - Schwindler!" wurde ihm zugerufen. Als erster erhielt der Dreher Dresen das Wort. Sofort waren die Anwesenden ruhig. Dresen war ein alter, ruhiger Arbeiter, der nur sehr selten sprach, dann aber aufmerksam angehört wurde.
„Wir sollen unsere Arbeiten um durchschnittlich dreißig Prozent billiger herstellen, und die Firma steckt den Mehrgewinn restlos ein, kein lumpiger Pfennig Lohnerhöhung ist dabei für uns übrig. Für das Verhalten der Gewerkschaftsführer finde ich keine Worte!"
„Korrupte Lumpen! Unternehmeragenten sind es!" rief einer.
„Wir sind die bestorganisierte und die lebenswichtigste Branche", fuhr der Alte fort, „wir müssen jetzt vorstoßen und nicht nur für uns, sondern für die Gesamtbelegschaft eine Lohnerhöhung erzwingen."
Mit Beifall und Bravorufen wurden seine Ausführungen aufgenommen.
Dann erteilte Endrusch Melmster das Wort.
„Unser alter Kollege Dresen hat recht, in einer Zeit, wo nicht nur die Lebenshaltung sich ungeheuer verteuert, sondern wo die Unternehmer auch in einem rücksichtslosen Rationalisierungsfeldzug gegen uns die Arbeitsleistungen auf Kosten unserer Knochen phantastisch steigern, bleibt der elende Lohn aus dem vorigen Jahr für unabsehbare Zeit bestehen. Mehr Arbeit - weniger Lohn heißt das, denn die Beibehaltung des alten Lohnes ist in Wirklichkeit ein Lohnabbau!"
„Sehr richtig! Sehr richtig!"
„Ist das Verhalten der heutigen Gewerkschaftsführer verwunderlich? Ich sage nein! Die reformistische Gewerkschaftsbürokratie ist bereits so eng mit dem republikanischen Staatsapparat verquickt und versippt, dass sie das wirtschaftliche Fundament dieses Staates nicht erschüttern darf, wenn sie nicht ihre eigenen Positionen erschüttern will. Darum wird jeder Lohnkampf abgewürgt, darum wird von vornherein vor dem Unternehmer kapituliert, denn sie wissen genau, jeder wirtschaftliche Kampf ist heute zugleich ein politischer, der sich gegen das System, gegen die kapitalistische Republik richtet - und das wollen sie auf alle Fälle vermeiden. Die Existenz dieser Republik steht ihnen höher als die Existenz der Arbeiterschaft. Aber die kapitalistischen Beherrscher dieser Republik rüsten zu noch gewaltigeren Schlägen. Die Arbeiterschaft soll nicht nur wirtschaftlich geschwächt und politisch geknebelt werden, die deutschen Unternehmer wollen auch in der Kriegs-Allianz der kapitalistischen Staaten gegen den Staat der Herrschaft der Arbeiter und Bauern dabeisein. Warum wird unentwegt gerüstet? Jeder behauptet doch, er wolle den Frieden. Panzerkreuzer werden gebaut, Hunderte Millionen für die Reichswehr bewilligt!"
„Zur Sache!" kreischte Kühne. „Ja, ja, zur Sache!" riefen etliche.
„Diese Dinge hängen unlösbar mit dem wirtschaftlichen Lohnabbau der Unternehmer und den politischen Unterdrückungsmaßnahmen des Staates zusammen. Auch der Vorstoß der Unternehmer der Metallindustrie ist ein Glied in der riesenhaften Kette. Wenn wir uns nicht geschlossen und entschlossen zur Wehr setzen, werden weitere Lohndrückungsmaßnahmen, weitere Beschneidungen unserer Rechte die Folgen sein. Ich stelle im Namen der Gewerkschaftsopposition folgenden Antrag:
Die versammelten freigewerkschaftlichen Dreher der Maschinenfabrik N. & K. fordern eine Erhöhung des bestehenden Lohnes um fünfzehn Prozent. Werden diese Forderungen von der Firma abgelehnt, treten die Dreher in den Streik."
Kühne und Schmachel fuhren bei dem Wort „Streik" ordentlich zusammen.
„Wir haben keine andere Wahl", schloss Melmster, „steht einmütig und geschlossen zu diesem Antrag und wählt bereits heute einen vorbereitenden Kampfausschuss!"
„Sehr richtig! - Bravo!" riefen einige, aber die Mehrzahl der Anwesenden schwieg und überlegte. Das beobachtete auch Kühne, und er erhob sich und erklärte, dass der Arbeiterrat zu derartig leichtfertig vom Zaune gebrochenen Streiks seine Zustimmung nicht geben werde.
Ein wildes Geschrei war die Antwort. Kühne stand reglos mit blutleerem Antlitz da. Seine weiteren Worte verhallten im Lärm.
Melmster sah, wie Olbracht scharf beobachtete und grinste. Diese abscheuliche Kreatur freute sich anscheinend bereits über den interessanten Bericht an die Firma. „Schluss! Schluss! Abstimmen!" wurde dauernd gerufen.
Zweiunddreißig Stimmen wurden für den Antrag gezählt, der ganze Tisch um Kühne und fünf weitere Kollegen, also neun, dagegen.
Dann wurde ein vorbereitender Kampfausschuss aus drei oppositionellen Kollegen gebildet. Dresen und der Dreher mit dem gespaltenen Nasenbein waren dabei.
Melmster jauchzte innerlich. Die Kurve ging steil an. Und übermorgen war Arbeiterratswahl.


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