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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Betriebsversammlung.

In dem großen Klublokal von Horning mochten bereits gut hundert Arbeiter versammelt sein. Teilweise kamen sie direkt vom Schraubstock und Schmiedefeuer. Die Gesichter der meisten waren schwarz vom Schweiß und Dreck der Tagesarbeit. Einige jedoch kamen auch strahlend vor Sauberkeit, mit weißer Wäsche und
einer Aktentasche unterm Arm. Das waren nicht etwa Angestellte, sondern jüngere ledige Arbeiter, die sich trotz aller Umstände gleich in der Fabrik gründlich säuberten und umzogen.
Am Vorstandstisch saßen Kühne, Schmachel und ein Dritter. Sie flüsterten sich gegenseitig die letzten Verhaltungsmaßregeln zu. Nervös blätterten sie in den vor ihnen liegenden Papieren. Im Raum selbst wurde es immer unruhiger. „Anfangen! - Anfangen!"
Schmachel, der die Versammlung leiten wollte, winkte ab. Melmster sah sich um. Immer neue Arbeiter kamen hinzu. Die Hälfte der Belegschaft mochte vertreten sein. Er sah alte und junge, sympathische und kampflustige, indifferente und apathische Gesichter. Auch einige Jugendbewegler in ihrem Manchesteranzug und farbigen Kragen waren darunter.
„Das ist der ,Scharfe' dort mit der Aktentasche, und dort der Hagere, das ist der ,Gottsucher'", raunte ihm Drohn zu. Das Versammlungslokal war nun fast überfüllt, als der Betriebsrat Schmachel die Versammlung eröffnete und kurz den Anlass der heutigen Zusammenkunft darlegte.
Die Betriebsleitung war an den Arbeiterrat herangetreten und hatte zu folgenden Forderungen seine Zustimmung verlangt: Um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, müsse rationalisiert werden, habe die Betriebsleitung erklärt. Man habe sich aus dem Ausland den besten Schnelldrehstahl besorgt und gedenke mit einem Instrukteur die Dreharbeiten zu schematisieren. Jeder einzelne Dreher solle künftig nur seine Spezialarbeiten anfertigen, seine Bank ganz auf dies eine Arbeitsstück einrichten und sein dazugehöriges Werkzeug erhalten. Er müsse natürlich bei dieser rationelleren Arbeitsweise auch entsprechend schneller fertig werden. An einigen Artikeln solle mit doppelten Stahlhaltern und mehreren Stählen gearbeitet werden.
In der Montagehalle müsse die ganze Arbeit reorganisiert werden. Die einzelnen Kolonnen sollten nicht mehr wie bisher an ganzen Kränen beziehungsweise Schälmaschinen arbeiten, sondern nur ihre jeweiligen Einzelteile montieren, die dann von anderen Kolonnen zusammengebaut würden. Die jetzige Arbeitsweise sei für die Firma nicht mehr tragbar. Sämtliche Arbeit müsse in erheblich kürzerer Zeit fertig gestellt werden.
In der Tischlerei solle es ähnlich gemacht werden.
Weiter fordere die Betriebsleitung, um Zeit zur Reorganisation zu gewinnen, bis auf weiteres täglich zwei Überstunden von den Drehern.
„Der Arbeiterrat", erklärte Schmachel, „konnte bei solchen schwerwiegenden Entscheidungen ohne Befragen der Belegschaft natürlich nicht verhandeln und hat darum diese Belegschaftsversammlung einberufen. Nun ist heute morgen so ein Wischblatt verteilt worden!" Er schwenkte einen „Roten Greifer" in der Luft.
„Hohoo-o! Hoho!" tönte es aus der Versammlung.
„Jawohl, Wisch- und Lügenblatt!" schrie jetzt Schmachel, und die Schläfen wurden ihm rot. „Mag der Satan wissen, von wem die Moskowiter die Tagesordnung der heutigen Versammlung bekommen haben. Vielleicht vom Betriebsleiter Jacobi!"
„Also gibst du zu, dass der eher von der Versammlung wusste als wir!" riefen einige. Andere lachten.
„Ich gebe gar nichts zu!" schrie Schmachel wieder. „Ich erteile jetzt das Wort zur Diskussion über die Forderungen der Firma!" Er beruhigte sich allmählich wieder. „Wer will das Wort?"
„Hier!" - Hinten im Raum erhob sich ein Arbeiter. „Kollegen, wir haben gehört, was die Firma alles plant, damit sie ihre Profite erhöhen kann, aber sosehr ich auch die Ohren spitzte, ich habe kein einziges Wort von einer Lohnerhöhung gehört. Dabei können wir täglich in der Zeitung lesen, wie der Index steigt. Wenn die Firma amerikanische Arbeitsmethoden einführen will, soll sie uns auch amerikanische Löhne zahlen. Auch wundere ich mich, dass der Arbeiterrat selbst anscheinend keine Meinung hat, sonst hätte er uns doch vielleicht gesagt, wie er zu den Forderungen der Firma steht!" Der Hobler Hans meldete sich zu Wort.
„Kollegen, mein Vorredner hat durchaus recht. Bis Oktober sind wir nach Auffassung der Firma und unserer Gewerkschaftsinstanzen an den Tarif gebunden. Inzwischen aber ist die Lebenshaltung enorm gestiegen und steigt unaufhörlich weiter. Die Firma aber benutzt diese Zeit, um aus einer Betriebsrationalisierung bei gleichen niedrigen Löhnen erhöhte Profite herauszuschinden.
Diese Maßnahme liegt ganz in der Linie der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse. Nachdem sich neunzehnhundertachtzehn aus dem Zusammenbruch des imperialistischen Weltgemetzels der deutsche Kapitalismus gerettet hat - ich will hier gar nicht zum abermalsten Male erwähnen, durch wessen Hilfe..."
„Noske! - Ebert! - Scheidemann!" rief es aus der Versammlung.
„Also, nachdem die deutsche Bourgeoisie und ihr kapitalistisches Herrschaftssystem vor der proletarischen Revolution und dem Sozialismus gerettet wurde und durch das Inflationsverbrechen wirtschaftlich gesundete, geht sie unermüdlich an die Rationalisierung ihrer Wirtschaft. Jede technische Erfindung beschleunigt diesen Prozess. Diese Entwicklung, die zum Wohle der ganzen Menschheit beitragen könnte, wird durch den Kapitalismus zum Fluch für die werktätigen Schichten. Die Aktionäre scheffeln den Profit, der Arbeiter aber hat keine Vorteile, sondern noch alle Mehrlasten der verschärften Ausbeutung zu tragen, und Tausende und aber Tausende von Arbeitern werden durch diese Rationalisierung, die auf Profitinteressen aufgebaut ist, für immer aufs Straßenpflaster fliegen.
Wir können auf das Verlangen der Firma nur so antworten: Wie steht es mit einer zwischentariflichen Lohnerhöhung? Wie steht es mit dem freien Sonnabendnachmittag, also der Fünfundvierzigstundenwoche? Wir müssen ganz klar und deutlich sagen, dass wir an den Maßnahmen, wie sie die Firma plant, völlig uninteressiert sind, aber wir müssen den Arbeiterrat beauftragen, unsererseits Forderungen an die
Firma zu stellen, und aus diesem Grunde bitte ich euch, folgendem Antrag der Opposition zuzustimmen:
Die Belegschaft lehnt die Vorschläge der Firma ab. Sie verlangt aber von der Firma eine Entscheidung über die Forderungen der Belegschaft. Diese lauten: zwanzig Prozent Lohnerhöhung auf den Effektivlohn und Fünfundvierzigstundenwoche. Kollegen, die Firma verlangt von uns Opfer und Mehrleistungen. Ich denke, wir sind längst an der Reihe, der Firma Forderungen zu stellen." „Sehr richtig!" riefen einige.
„Ich bitte euch darum, diesem Antrag der Opposition zuzustimmen!"
„Sehr richtig!" riefen einige. Der Betriebsratsobmann Kühne hatte sich zu Wort gemeldet.
„Ich bin zwar kein Schönredner wie unser kommunistischer Kollege, aber ich fühle mich doch veranlasst, zu seinen Ausführungen einiges zu sagen!" flötete er. „Wir müssen die Dinge so betrachten, wie sie sind, und nicht, wie wir sie gerne sähen. Wir müssen uns doch darüber klar sein, dass die Firma ihren Betrieb rationalisiert, gleichgültig, ob wir ,ja' oder ,nein' dazu sagen!"
„Na, was soll dann dies ganze Affentheater?" rief der Schmied Hennings, und alles lachte.
„Was das hier soll, wird gefragt, nun, wir können der Firma bei dieser Gelegenheit unsern guten Willen zeigen und sie so durch unser Verhalten entwaffnen und zu einigen Zugeständnissen zwingen."
Aus der Versammlung kamen stürmische Zwischenrufe.
„Mit Gewalt erobern wir gar nichts, überhaupt will ich unsern moskauisch orientierten Freunden nur folgendes sagen: In keinem Lande der Erde wird in solchem Tempo rationalisiert wie in der Sowjetunion. Der so genannte Fünfjahrplan ist ein einziges riesenhaftes Rationalisierungsprogramm!"
„Das ist aber der sozialistische Aufbau!" wurde gerufen.
„Das wird so gesagt, ja, aber Prämien auf Meistarbeit werden verteilt, wer sein Quantum nicht leistet, fliegt auf die Straße, und wer besonders rackert, bekommt den Orden der Roten Fahne!"
„Schwindler - Antibolschewistenhetzer!" schrie es aus der Versammlung. Der Versammlungsleiter Schmachel klingelte wie besessen.
„Ich erzählte dies nur", rief Kühne, und seine Stimme überschlug sich, „damit ihr seht, bei wem unsere Unternehmer in die Schule gehen. Richtet euch bei eurer Entscheidung danach."
Die Stimmung in der Versammlung war nach wie vor erregt. Einige redeten wild aufeinander ein. Schimpfworte flogen hin und her. Andere brüllten: „Ruhe!"
Schmachel klingelte und klingelte und erteilte schließlich dem Kollegen Ahrnfeld das Wort. „Der ,Gottsucher'!" flüsterte Drohn.
„Du musst auf den Unterschied der Rationalisierung hier und drüben eingehen!" flüsterte Melmster zurück.
„Arbeitskollegen", begann der „Gottsucher", „wir streiten uns hier wieder, und der Unternehmer reibt sich die Hände!"
„So ist es immer!" rief einer.
„Der schlimmste Feind der Arbeiter ist immer der Arbeiter selbst", fuhr er fort. „Wir müssen nicht in jedem Kollegen, der anderer Meinung ist als wir selbst, einen Verbrecher sehen, sondern in jeder Rede, in jeder Ansicht das Körnchen Wahrheit suchen."
„Der sucht schon wieder den lieben Gott!" rief ein Witzbold. Fast alles lachte.
„Nenn es, wie du willst!" Der blasse Gottsucher ließ sich gar nicht irritieren. „Ob Gott oder Wahrheit, aber jeder einzelne hat recht und unrecht!"
Wat'n Quatsch! dachte Melmster.
„Ich habe beispielsweise nicht gehört, dass der Arbeiterrat sich freudig für die Vorschläge der Firma einsetzt. Wozu also das Gehässige? Auf die Zustände in Russland und den Gesinnungsterror dort will ich gar nicht eingehen. Ich kann mir
wirklich nicht denken, dass ein Kulturmensch das gutheißen und verteidigen kann!" „Wo ist denn darin nun das Körnlein Wahrheit?" wurde gerufen.
Der „Gottsucher" hörte nichts mehr.
Der Schlosser Drohn meldete sich hartnäckig zu Wort, aber Schmachel erteilte es dem Vertreter des Metallarbeiterverbandes, dem Kollegen Höhne. Ein bartloser, hagerer Mann, der dritte am Vorstandstisch, erhob sich.
„Kollegen", er hatte ein volles, metallenes Organ, „ich will euch in eurer Entscheidung nicht vorgreifen, jedoch erlaubt mir, dass ich euch auf folgendes hinweise: Was ihr jetzt in eurem Werk erlebt, ist bereits im ganzen Reich praktisch verwirklicht worden. Nach dem zusammengebrochenen und verlorenen Krieg hat naturgemäß das deutsche Volk durch die ungeheuren Reparationsleistungen an die Siegerstaaten besonders schwer am Wiederaufbau seiner Wirtschaft zu leiden."
„Wessen Wirtschaft?" rief einer. Der Redner reagierte nicht darauf.
„Dazu kommt, dass tatsächlich die Konkurrenz des Auslandes auf dem Weltmarkt die deutsche Industrie zu größter Intensität antreibt. Nicht der einzelne Unternehmer ist schuld und führt diese Maßnahmen aus Arbeiterfeindlichkeit durch, sondern auch er wird getrieben durch die Gesetze der allgemeinen ökonomischen Entwicklung. Natürlich versucht er, alle Schwierigkeiten auf die Arbeiter abzuwälzen, und leider, ich sage leider, denn daran ist die Uneinigkeit der Arbeiterschaft nicht schuldlos, noch zu oft mit Erfolg!"
„Sehr richtig!" betonte mit Nachdruck der „Scharfe".
„Kein Mensch verkennt die Missstände und Ungerechtigkeiten, die heute noch in unserer Republik vorherrschen, aber, Kollegen, bedenkt einmal, was käme, wenn die sozialistische Arbeiterschaft diese Republik fallenließe?"
„Ein Sowjetdeutschland!"
„Nein, aber ein Hugenberg-Hitler-Deutschland!"
„Traurig genug!" rief es ihm entgegen.
„Wer an diesem Zustand die Schuld trägt, will ich hier lieber nicht erörtern, das Resultat könnte für manchen der Schreier hier verflucht schlecht ausfallen! Tatsachenmenschen müssen wir sein und die Dinge sehen, wie sie sind. Aussprechen, was ist, sagte Lassalle, und da müssen wir heute zu dem bitteren Entschluss kommen und die Rationalisierungsvorschläge der Firma prüfen und dabei das Beste für die Arbeiterschaft herauszuschlagen versuchen. Ich ersuche euch also, den Antrag der Opposition abzulehnen und dem Arbeiterrat alle Vollmachten zu weiteren Verhandlungen zu übertragen!"
„Wie ein Unternehmeragent!" rief einer. Schmachel führte die Klingel und erwiderte auf den Zwischenruf: „Ich glaube eher, dass dieses hier" - und er schwenkte wieder den „Roten Greifer" - „von der Firma subventioniert wird!"
„Bravo!" riefen einige, und unter den Rufern erkannte Melmster Bleckmann und Olbracht.
„Idioten!" schallte es aus der anderen Ecke der Versammlung.
Drohn meldete sich wieder zu Wort. Schmachel winkte kurz ab. „Kollegen", rief er, „ich denke, wir wollen zum Schluss kommen. Wünscht die Versammlung noch, nachdem der Vertreter der Gewerkschaften gesprochen hat, dass über den Antrag der so genannten Opposition abgestimmt wird?" „Natürlich!-Ja!-Ja!" „Dann ersuche ich die, die..." „Noch einmal vorlesen!" riefen etliche. Schmachel, der eine Mehrheit für den Arbeiterrat ungefährdet sah, las den Antrag noch einmal vor. Dann ließ er abstimmen. Etwa die Hälfte war dafür, nicht ganz soviel dagegen, der Rest enthielt sich der Stimme.
Schmachel erklärte fest und kühn: „Mit Mehrheit abgelehnt!"
Ein Sturm des Widerspruchs erfolgte. „Schiebung! -Schwindler!" wurde gerufen.
Schmachel musste die Abstimmung wiederholen und auszählen lassen, und da er ja genau wusste, wie die erste Ab-
Stimmung ausgefallen war, appellierte er an die Stimmenthalter und hielt ihnen vor, dass ihr Verhalten feige sei. Für den Antrag wurden 84, dagegen 69 Stimmen gezählt.
Vierunddreißig Kollegen hatten sich nach wie vor der Stimme enthalten. Am Vorstandstisch sah man sich entsetzt an, und nun machte Schmachel eine Riesendummheit. Er war feuerrot im Gesicht vor Verlegenheit und Wut und schrie in die Versammlung:
„Ihr könnt beschließen, was ihr wollt, der Arbeiterrat weiß, was er zu tun hat, und hat sich bereits der Firma gegenüber festgelegt!"
Ein unbeschreiblicher Spektakel brach los. Es nutzte nichts, dass der Verbandsvertreter beschwörend die Hände hob, und als der Schlosser Drohn zum Vorstandstisch eilte und ultimativ das Wort verlangte, schloss Schmachel, der jetzt kreidebleich geworden war, unter größtem Tumult kurzerhand die Versammlung.


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