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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Das Werk.

Jetzt war es fünfzehn Minuten vor sieben. Das grüne Bäckerauto fuhr wie jeden Morgen um diese Zeit hier vorbei. Die drei Arbeitermädel von der Gummifabrik kamen dort um die Ecke. Wie jeden Morgen um diese Zeit humpelte der Alte mit den schlohweißen Haaren und dem merkwürdig langen Kinn über die Kanalbrücke. Dann rasselte auch schon drüben wie jeden Morgen um diese Zeit, fünfzehn Minuten vor sieben, der Schlüssel des Pförtners im Schloss der schweren Eisentür, und die Arbeiter, die bereits vor dem Fabrikgebäude standen oder am Geländer des Kanals lehnten, schritten langsam in den Fabrikhof. Es war ein diesiger, nasskalter Februarmorgen. Mit hochgeklappten Kragen, die Hände tief in den Taschen, schritten die Arbeiter mit unwirschen, verschlafenen Gesichtern dahin.
Je mehr die Uhr auf sieben ging, desto lebhafter wurde der Zustrom. Der Pförtner, ein kleiner, verhungert aussehender Kriegsbeschädigter, stand am Eingang und murmelte ununterbrochen: „'n Morgen, 'n Morgen!"
Da heulte die Fabriksirene kurz und schrill. Fünf Minuten vor sieben. Auch von den anderen Fabriken pfiff, heulte, schrie es. Die Arbeiter auf den Straßen beschleunigten ihre Schritte. Einige junge Weiber liefen lautlos über die Kanalbrücke, sie mussten zur Gummifabrik, die noch ein ganzes Stück entfernt lag.
Im Fabrikeingang bei Negel & Kopp staute es sich jetzt. Arbeiter mit Fahrrädern hatten Mühe, sich durch das Tor zu zwängen. Gesprochen wurde fast gar nicht. Keiner hatte Lust, den Mund auf zutun, nur der Alte mit dem lahmen Bein murmelte immer wieder: „'n Morgen! 'n Morgen!"
Diejenigen, die sich schon umgezogen hatten, gingen über den Fabrikhof in ihre Werkstattabteilung. Einige schüttelten sich, als sie die nasskalten, dreckigen und öligen blauen Kittel am Leibe hatten und in die kalte, feuchte Luft kamen.
In dem Umkleideraum, gleich links am Eingang, war es jetzt übervoll. Jeder trachtete so schnell wie möglich in seine „Plünnen" zu kommen. Außer einer Schar Lehrlinge, die hinten in der Ecke rumorten, stieg jeder stumm in seine Arbeitshosen, knöpfte den Kittel zu und ging hinaus. An der Zentralheizung standen die Arbeitsleute, alte verhutzelte Gestalten, die klappernd vor Kälte ihre Glieder aufzuwärmen suchten.
Ein Pfiff, lang, abscheulich grell. Sieben Uhr. Und dann eine Schreierei in den Lüften in allen Tonarten. Fast gleichzeitig wurden die großen Elektromotoren angestellt, und die Vorgelege von Hunderten von Maschinen ratterten durch die Räume. An einigen großen Hobelmaschinen, die mitten im Span abgestellt worden waren, quälte sich kreischend und ächzend der Stahl durch das Eisen.
Bevor Geliert, der lahme Pförtner, das Tor schloss, sah er immer noch einmal nach Nachzüglern aus. Er kannte sie schon, die immer auf die letzte Minute oder gar zu spät kamen. Er wollte gerade seinen Kopf wieder zurückziehen und schließen, als er den langen Erwin drüben um die Ecke rennen sah. Ganz außer Atem kam er an. „Immer dieselben!"
„Sing nicht, Alter!" rief der Lange und setzte über den Hof. Stempelte man nämlich an der Kontrolluhr fünf Minuten nach sieben Uhr, dann wurden dreißig Minuten abgezogen.
Die Maschinenfabrik Negel & Kopp stellte Kräne, Schäl-, Schneide- und landwirtschaftliche Maschinen her. Drei riesige Werkzeughallen bildeten die Fabrik. Gleich links am Eingang, anschließend an den Umkleideraum, war die Halle der Tischlerei. Bedeutend größer und höher zog sich in der Mitte des ganzen Fabrikkomplexes die Montagehalle hin. Ganz rechts, direkt am Kanal, stand die Maschinenhalle und daran anschließend die technische Werkstatt und das Büro. Insgesamt waren etwa dreihundert Arbeiter und fünfzig Angestellte der technischen und kaufmännischen Abteilung in der Fabrik beschäftigt.
In der Tischlerei war es verhältnismäßig sauber. Einige Kreis- und Horizontalsägen kreischten grell und drangen erstaunlich schnell ins helle Holz. Große Bretter wurden an einer Maschine gehobelt, dass die Späne als lockige Holzwolle umherwirbelten. Sämtliche früheren umständlichen Handgriffe wurden in verblüffender Schnelligkeit maschinell erledigt. Drei halbfertige Krangehäuse standen in der Halle. Rechts in der Ecke war eines fertig und wurde von Lehrlingen gestrichen. Dazwischen lagen Holzstapel und kleinere Einzelteile. Es wurde gehämmert, gemessen, gerufen, und ununterbrochen kreischten die Sägen.
In der Montagehalle sah es bedeutend finsterer und schmutziger aus. Mitten durch die Halle liefen Schienen, auf denen halbfertige Kräne standen. Unter der Hallendecke hingen Laufkräne, die schwere Eisenteile transportierten. An den Seiten, vor den verschmutzten Fenstern, standen die Werkzeugtische, und in einer angebauten Vertiefung brannten mehrere Schmiedefeuer, wo die Schweißer arbeiteten. Hier war ein Höllenlärm, ein Tosen und Gedröhne. Das durcheinander tönende tiefe und helle Eisenschlagen, der Gleichklang des Schmiedens, das Zischen und Fauchen der Schweißapparate, das Sausen und Schlurren der großen Schleifsteine, das gegenseitige Anbrüllen der Arbeiter, die sich nur so in diesem Lärm verständlich machen konnten, war die so oft angedichtete Sinfonie der Arbeit, in der die Arbeiter von morgens bis abends ihr ganzes Leben lang schufteten und lebten.
Der Laufkran fuhr einen riesigen Greifer über die Köpfe der Arbeitenden hinweg. Schmächtige, kaum der Schule entwachsene Jungen turnten zwischen den Eisenteilen umher und reichten den Gesellen Werkzeugteile zu. Dort stand ein hünenhafter Arbeiter und wischte sich von der verschmutzten, öligen Hand Blut. An den Werkzeugbänken wurde gehämmert und gefeilt. Überall lagen die blauen Zeichnungen. Es arbeiteten immer mehrere Arbeiter in einer Kolonne zusammen, die ihr bestimmtes Arbeitspensum schaffen musste. Es waren zum größten Teil eingearbeitete Facharbeiter, die ohne viel Reden ihre Arbeit machten. Zum Umsehen war dabei allerdings auch keine Zeit.
In der Maschinenhalle standen die Dreh-, Hobel- und Bohrbänke. Eine lange Reihe Drehbänke stand an der Fensterfront. Inmitten der Halle waren riesige Karussell- und
Plandrehbänke in den Boden gemauert. Am andern Ende standen die Hobelbänke und Bohrmaschinen. Geteilt wurde die Halle durch eine Glasbude, von der aus die Meister den Arbeitsgang kontrollieren konnten.
In Reih und Glied hintereinander, so, wie die Bänke standen, arbeiteten natürlich auch die Dreher. Die verschiedenartigsten Artikel wurden hergestellt. Von der kleinsten Schraube, dem einfachsten Bolzen bis zu den kompliziertesten Kugellagergehäusen und Trapezgewindespindeln lagen sie auf den Arbeitstischen bei den Drehbänken. Es wurden nur solche Artikel in Arbeit genommen, die sich zur Massenfabrikation eigneten und dann nach Zahl und Arbeitsvorgang geordnet gestapelt wurden.
An den Riesen- und Karusselldrehbänken schleppten wieder Laufkräne das oft zentnerschwere Arbeitsstück heran, das dann mit ganzer Kraft und genauer Berechnung an der Drehscheibe der Bank gefertigt wurde.
Die kleinen Bänke liefen in rasendem Tempo. Erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit der für das Material zurechtgeschliffene Stahl das Eisen herunterschälte. Ein pfeifendes Sausen begleitete den Vorgang.
Die großen Bänke liefen langsam und stöhnten, dröhnten und ächzten. Der Stahl quälte sich gewaltsam in den spröden Guss, dass die ganze Drehbank zitterte.
Etwas abseits standen die Bohr- und Hobelmaschinen. Bei dauernder starker Kühlung mit so genanntem Seifenwasser (Ölwasser) fraß sich unter Quietschen und Kreischen der Bohrer ins Material. Die kleinsten und größten Bohrungen wurden in einmaligem Vorgang fertig gestellt.
Neben dieser Abteilung war die Werkzeugmacherei, in der das Werkzeug instand gehalten und ausgeliehen wurde. -
Da heulte wieder die abscheuliche Fabriksirene. Es war fünfzehn Minuten vor neun Uhr. Frühstück. Um neun Uhr wird sie abermals heulen, dann ist Frühstück vorbei. Von zwölf bis zwölf Uhr fünfundvierzig ist Mittag und um vier Uhr Feierabend, dann ist ein Arbeitstag vorüber. Die Woche hat sechs, das Jahr über dreihundert solcher Arbeitstage.


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