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Ludwig Turek - Ein Prolet erzählt (1930)
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Festungsgefangener

Vergnügt wie ein junger Spatz ging ich, nachdem drei Tage verflossen waren, nach dem Garnisonkommando. Daselbst werde ich anfangs ziemlich grob empfangen. Bald merkte man, dass bei mir eine Schraube locker saß. Auf meinen Befehl mussten die Tippmädels ihre Arbeit einstellen, angeblich störte mich das Rasseln der Tasten. Mit Kommissbrot und einer halben Fleischbüchse beruhigte man mich. Aber bald schaffte man den unbequemen Gast mit 3 Mann Bewachung in eine Polizeizelle ins Rathaus. Da, wo ich bei allen Beamten bekannt bin, erkennt man meine unsauberen Absichten. Ich gebe es auf, den Klappsmann zu markieren. Es ist zu spät, jetzt sitze ich drin.
Der Käfig im Rathaus zu Stendal war mir der unangenehmste von allen, die ich vorher und nachher sah. Der Lärm der Straße dringt deutlich herein. Wenn man nun in einer solchen Kleinstadt alles genau kennt, dann weiß man beim scharfen Trapp zweier Pferde und einem bestimmten Wagenrasseln: das sind dem Hermann Günsche seine beiden Rappen. Kommt ein Lastauto mit einer bekannten Hupe, sofort sagt man sich: das ist das Brauereiauto, da sitzt dein Freund Hans Schlichting am Steuer. Alle Menschen, die man ins Rathaus gehen hört, glaubt man am Schritt zu kennen. Die Turmuhr schlägt zwölf. Deutlich sieht man, wie die Kollegen in der einstigen Lehrbude die Winkelhaken weglegen, um zum Essen zu gehen. Manchmal ruft jemand etwas laut, sofort geht's einem durch den Kopf: ist das nicht der und der? Nein, lieber sonstwo, aber bloß nicht da brummen, wo alles doppelt und dreifach an den Verlust der Freiheit erinnert.
Wer noch nicht bei Vater Philipp war, kann vom bloßen Ablesen der Erlebnisse anderer nicht mitfühlen, wie es Menschen zumute ist, die mit ihrer glühenden, verzehrenden Liebe zur Freiheit in Gefangenschaft sitzen. Gefangenschaft ist ein dehnbarer Begriff, eine Art der Gefangenschaft bedrückt den Menschen nicht den vierten Teil von dem, wie ihn eine andere zermürbt. Wenn jemand als Kriegsgefangener mit tausend und noch mehr Kameraden zusammen zwei oder drei Jahre gefangen gehalten wird, ist das bei anständiger Behandlung ein Paradies gegen die gemeinste Art der Gefangenschaft, gegen das Isoliertsitzen. Man stelle sich vor, in einer Zelle, kahl, öde und leer, halbdunkel, muffig und im Winter oft hundekalt, Wochen und Monate allein. Allein! Wer kann das ermessen, was es überhaupt bedeutet, als Mensch mit Sprache und Gehör, mit lebendigen Augen im Kopf, in solcher Wüste des Alleinseins!
Man geht in Form einer „8" drei bis vier Stunden in seinem Käfig spazieren. Spazieren ist ein unsinniger Begriff für dieses monotone Schreiten. Wer hat nicht schon einmal im Zoo vor einem Käfig gestanden, worin ein Tiger, Löwe oder Panther unaufhaltsam hin und her rennt?! Es ist die Unruhe, es ist eine besondere Erkrankung beim Menschen wie beim Tier. Man geht auf und ab, man zählt die Schritte oder die Runden, legt sich auf die Pritsche, betrachtet die Wände. Hat man einen Bleistift und Papier, so schreibt man irgend etwas, aber ich möchte behaupten, dass nur sehr wenige Menschen imstande sind, irgendeine ernste Arbeit in solcher Lage zu vollbringen. Hinzu kommt meist noch die völlige Unwissenheit über den Stand der Dinge, wie: Termin, Freilassung, Strafmaß usw. In den allermeisten Fällen fühlt sich der Gefangene unschuldig oder zum mindesten hält er seine Straftat nicht für so groß, dass er die Gefangenschaft mit ihren Qualen als eine angemessene Sühne betrachtet. Die Kriegsjahre verschlimmerten das alles noch um ein Wesentliches durch den entsetzlichen Hunger. Was gerade in den letzten Kriegsjahren in den deutschen Gefängnissen gehungert worden ist, steht einzig da in der Geschichte aller Zeiten. Hierüber werde ich später ein Musterbeispiel anführen, die Festung Spandau.
Nachdem man mich für drei Tage in das Garnisongefängnis abgeführt hatte, holten mich zwei Mann aus Posen. Die Kameraden waren vernünftig, ich versprach ihnen, nicht auszukratzen; sie glaubten das und ließen mir auf dem Transport große Freiheiten. Durch Berlin machten wir einen Spaziergang. Zwischen Berlin und Frankfurt a. O. begegneten wir auf einer kleinen Station einem meuternden bayrischen Bataillon. „Kamerad!" riefen sie mir zu, — „ruh di a weng aus, ball hats a End mit d5 Schweinerei!" — Ich rief laut hinüber: „Es lebe der Friede, es lebe die Revolution, sie leben hoch—hoch—hoch." Wie ein Feuer ging das donnernde Hoch der meuternden Kameraden durch den Körper. Hätte ich meiner Begleitung nicht versprochen, nicht zu türmen, ich wäre zu den Bayern übergelaufen.
In Posen angekommen, bezog ich eine Zelle im Grolmann, isoliert die erste Woche. Nunmehr saß ich mit einem Trost, einer großen Zuversicht, mit der Hoffnung auf eine baldige Revolution. Das erleichterte mein schweres Los. Meine Kameraden, mit denen ich dann später gemeinsam saß, wurden angesteckt von mir. Es kam tatsächlich zu einer Stimmung, die allen Handlungen eine bestimmte rebellische Note gab. Man wartete auf die Revolution.
Am 31. August stand ich vor dem Kriegsgericht. Diese Offiziere interessierte mein Fall erst von dem Moment ab, als ich ihnen laut und deutlich sagte, dass sie ihren schweren Kopf bald woanders ausschlafen könnten, dass sie schon vor Weihnachten ihre nächsten Ferien antreten könnten, die dann die letzten wären. „Eine Revolution wird in kurzer Zeit mit eisernem Besen dieses Theater zuhauf kehren." Meine Rede hatte ich mir lange vordem bis ins kleinste zurechtgelegt. Ein meckerndes Lachen des Vorsitzenden, der im militärischen Rang höher stand als die anderen, war das Signal, meine Ausführungen von der lächerlichen Seite zu nehmen. Es war so, als ob ein Souverän gnädiglich die Satire seines Hofnarren anhört. Ich sprach gerade den Satz: „Und Kronen werden über das Pflaster rollen" — da erst besann sich der Vorsitzende, dass meine Worte staatsfeindliche Tendenz besaßen. Er forderte mich in sehr barschem Tone auf, die „Faselei" einzustellen.
Ich hatte einen Verteidiger, er beantragte wegen jugendlich-romantischer Schwärmerei und Veranlagung zu phantastischer Lebensauffassung mildernde Umstände. Diese wurden auch zugebilligt. 1 Jahr 6 Tage Festung, lautete das Urteil.
Zu 24 Mann steckte man mich nun in einen tiefen Keller des Grolmannforts. Ich weigerte mich, diesen Keller zu betreten. Kaum atmen konnte ich die ersten Minuten, so furchtbar dick war die Luft von der Ausdünstung der 24 Mann. In einen Eimer ohne Deckel wurde des Nachts die Notdurft verrichtet. Natürlich war dieser Eimer für uns alle zu klein. Wer gegen Morgen austreten wollte, stand ratlos da. Desöfteren lief der Eimer über. Es war die helle Pest in diesem Bunker.
Eines Tages kam ein Pfaffe zu uns. Er stellte sich vor als der Pfarrer Schmalz. „Schmalz kann hier bleiben, aber der Pfaffe soll gehen." — „Ach, Quatsch, Himmelreich! Wir sind jetzt schon in der Hölle." Er wurde mordsmäßig veräppelt. Ich hakte ein auf den Satz: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" — wie sich das mit den Millionen Toten auf den Schlachtfeldern des Krieges vereinbaren ließe? Ob das nicht doch alles Schwindel sei, bei dem die Kirche k. v. geworden sei?! Schmalz wälzte sich aus einer Verlegenheit in die andere. Ich glaube, es fiel ihm beim Verlassen des Bunkers ein Kanonenrohr vom Herzen.
Ein Bild davon, welch großer Energie der Mensch fähig ist, habe ich bekommen bei der Beobachtung eines Simulanten. Der erste Anblick dieses Menschen war schreckenerregend. Ein wilder Kopf, Barthaare ohne jede Pflege, von Schmutz und Speiseresten starrend und stinkend. Wäsche wechselte er überhaupt nicht. Er schlief meist am Tage, und nachts ging er gespenstig leise unter fortwährendem Murmeln zwischen den Pritschen umher. Drei Tage hielt er einmal eine Maus lebend in seinem Hemd gefangen. Er band sie in einem Knoten fest, spielte unter dramatischem Getue mit ihr, um ihr endlich mit einem Löffel den Kopf abzuhacken. Nicht alle Speisen aß er. Mit Marmelade schrieb er geheimnisvolle Zeichen an die Wand. Selbst als einmal seine Angehörigen auf Besuch dort waren, ließ er sich durch nichts beirren. Man öffnete für ihn eine Büchse mit Blutwurst, er nahm mit den Fingern etwas heraus und malte damit ein Kreuz vor den Kopf. Auch auf die eindringlichsten, mit Tränen und lautem Schluchzen fast erstickten Worte seiner Mutter antwortete er nicht. Er sprach niemals ein Wort Zu den Kameraden benahm er sich, als seien sie einfach nicht da.
Einmal kam ein hoher Militär auf Inspektion; dabei wurde ihm der Mann vorgestellt. Er bekam förmlich Angst vor der Gestalt, die wie ein tierisches Wesen mit unsagbar schmutzigem Körper sich im Käfig bewegte. Fragen fanden nicht die geringste Beachtung. Ihm graulte es vor uns, vielleicht dachte er sich, es wäre ganz natürlich, wenn wir alle auf ihn einstürzten und ihn als unseren Peiniger totschlügen. Wie mag der Mann aufgeatmet haben, als die Tür wieder von draußen zugemacht wurde. In der Zeit, die ich im Grolmannfort
war, wurde der Simulant, der bestimmt schon einen geistigen Defekt in sich trug, nicht entlassen.
Ratten und Mäuse, Läuse und Flöhe gab es mehr als Brot im Bunker. Ließ man mitten im Raume eine Essschüssel mit Speiseabfällen stehen, so dauerte es nur Minuten, und die Schüssel wimmelte voller Mäuse und Ratten. Noch schlimmer war die Läuseplage. Es war so dunkel im Raume, dass man nicht zu jeder Tageszeit lausen konnte. In den Wolldecken und in der Holzwolle, die als Bettpolster diente, war es voll von Ungeziefer. Ein Kamerad hatte am ganzen Körper Ausschlag, und wo sich Schorf bildete, saßen die Läuse dutzendweise darunter. Der Mann konnte keinen Arm bewegen ohne große Schmerzen zu erleiden. Stellenweise war der Ausschlag feucht. Ein sauberes Hemd hatte er zum letzten Male vor sieben Wochen bekommen.
Er konnte weder liegen noch stehen, stöhnte immer leise vor sich hin. Es ist eine unglaubliche Grausamkeit der verantwortlichen Stellen, solche Menschen ohne Behandlung im Lazarett in einem stinkenden dunklen Keller zu belassen. Man schüttelte sich vor Ekel, wenn er sich mit nacktem Oberkörper, weil er das Hemd, das so starr wie Leder war von geronnenem Blut und Eiter, nicht tragen konnte, in der Nähe hinsetzte. Er fühlte das offenbar und kam tagelang aus den dunkelsten Ecken des Gewölbes nicht heraus. Des Nachts wurde er von Ratten belästigt, die, angelockt durch den Geruch des Eiters, ihren Hunger zu stillen gedachten. Ich kann hier seinen Namen nicht nennen, wer es genauer wissen will, wie diesem bedauernswerten Menschen die Fleischfetzen von Hunderten von Läusen zerfressen vom Körper hingen, der frage in Leipzig-Gohlis bei den Inhabern der dortigen Waschanstalten nach.
Einen Syphiliskranken mit dem entsprechenden Geschwür am Geschlechtsteil zählten wir auch zu unserem Bestand. Es war ein Berliner. Erst nachdem er ein fürchterliches Theater anstellte, kam er zwar in ärztliche Behandlung, aber nicht aus dem Bunker. Zwei Eimer Wasser mussten für uns alle als Waschwasser genügen. Der Hunger war furchtbar. Kartoffelschalen, Mohrrübenabfälle und andere zweifelhafte Dinge wurden verzehrt. Eine haarsträubende Gemeinheit leistete sich der Verwalter des Gefängnisses; er fütterte von der Verpflegung, die er den 200 bis 250 Gefangenen vorenthielt, sechs Schweine fett. Es war eine bekannte Tatsache, dass die Schweine dickeres und fetteres Essen bekamen als wir. Unsere Mahlzeiten bestanden aus dünnen fettlosen Wassersuppen, ein Fressen, bei dem ein Schwein verhungert wäre.
Einmal waren drei Mann zum Mohrrüben-Abladen bestellt. Sie brachten in ihren Taschen etliche Rüben mit; durch einen Zufall kam es heraus, und die zwei oder drei Pfund Rüben mussten abgeliefert werden. Wie viel Zentner Rüben und Kartoffeln die Schweine dagegen fraßen, darum kümmerte sich niemand. Auch unter uns gab es Kreaturen, die besser an den Galgen passten als unter solch schwer bedrängte Menschen wie die Gefangenen und die die Notlage ihrer Kameraden noch zum Geschäftemachen ausnutzten. Ein solcher Gauner zahlte für ein Taschentuch: eine Zigarette, für Hosenträger, gut erhalten: zwei Zigaretten, für ein Hemd: zehn Zigaretten, für gute Zivilschuhe: ein Brot und zehn Zigaretten usw. Allgemein tauschte man für einen Zigarettenstummel eine Brotschnitte ein. Da ich kein leidenschaftlicher Raucher bin und beim Bärentanz (das ist die Freistunde) auf dem Hof des Forts, wo auch manchmal Zivilpersonen rauchten, öfters einen Stummel fand, tauschte ich ihn gegen Brot um. Die Kameraden bedrängten einen förmlich, überboten sich trotz Brotmangel mit zwei sogar drei Brotschnitten. Niemals nahm ich mehr als eine.
Bis aufs letzte ausgekauter Kautabak wurde getrocknet und geraucht. Die Kameraden warteten, bis das halbe Gramm Tabak, sorgsam zerschnitten, zwischen Papier gelegt und unter dem Arm oder zwischen die Beine geklemmt, trocken wurde. Wenn Streichhölzer fehlten — und sie fehlten oft —, gebrauchte man zum Feuermachen ein primitives Feuerzeug, bestehend aus einem Nagel oder einer alten Messerklinge, einem Stein und einem Stückchen Schwamm, alles in einer leeren Schuhcremebüchse verwahrt. Als ich zum Transport nach Spandau fertig war, kam ich in eine Zelle mit nur noch einem Kameraden. Auf dem Weg aus dem Fort nach dem Gefängnis* fand ich auch einen Stummel. Mein Kamerad geriet vor Freude ganz aus dem Häuschen über das unerwartete Geschenk. Er bedauerte lebhaft, dass er mir nichts zurückgeben könnte, weil er selbst nichts habe.
Nun besaß er keine Streichhölzer, aber ein solches Feuerzeug. Mittags um zwei Uhr etwa fing er an Feuer zu machen, bis nachts zwei Uhr bemühte er sich vergebens. In heller Verzweiflung darüber schnitt er die Naht des Rockfutters auf, entnahm darauf die letzten
Reste Schnupftabak, schnupfte und legte sich schlafen. Kaum war es Tag, als er wieder begann Feuer zu machen. Es gelang bis zum Bärentanz (zehn Uhr) nicht. Als er wieder in die Zelle kam, hatte er zwei Streichhölzer und ein winziges Stückchen Reibfläche. Mit zitternden Händen rauchte er den Stummel, der auf einer Stecknadel steckte, weil er zum Anfassen zu klein war.
Noch einmal zurück zum Bunker. Mit fünf Mann, meist jüngeren Leuten, hatten wir beschlossen auszubrechen. Die Veranlassung zu diesem Plan war der Besitz eines vier Zentimeter langen Stückchens Feder aus einer Taschenuhr. Ich ahnte die Unmöglichkeit dieses Planes, im Beisein von 20 Mann ausbrechen zu wollen, ohne verraten zu werden, im voraus. Trotzdem machte ich mit, aber unter der Bedingung, dass nur des Nachts gefeilt werde. Um mit einer solchen primitiven Feile, wie es ein Stückchen Taschenuhrfeder ist, in das man mit einem anderen Stückchen Uhrfeder Zacken eingehauen hatte, einen dreiviertelzölligen Eisenstab durchzufeilen, braucht man bei intensivster Arbeit eine ganze Woche. Wenn jedoch ruhige Nächte ohne Wind und Regen dazwischenliegen, wo selbst das geringe Geräusch den Wächtern auffallen könnte, dauert es noch viel länger. Wer die letzte Tour zum Morgen hin feilte, musste den sehr dünnen Feilschlitz mit gekautem Brot und Staub unkenntlich machen. Es war allgemein im Bunker bekannt, dass gefeilt wurde, nur wusste man nicht genau, wer alles daran beteiligt war. Die Gestalten, welche des Nachts oben im Fenster saßen und mit Riesengeduld ihre Feilstriche machten, waren nicht zu erkennen. Ein paar ältere Kameraden wiesen bei einer Debatte energisch darauf hin, dass es verdammte Pflicht eines jeden sei, die Schnauze darüber zu halten, wenn man selbst zu feige sei mitzumachen.
Ist ein Stab durchgefeilt, dann nimmt man ein Handtuch oder ähnliches, legt es um den durchgefeilten und einen noch ganzen Stab, wie abzuwickelnde Wolle um eine Stuhllehne, bindet die Enden straff zusammen, macht das gespannte Tuch nass, um es noch mehr zu spannen, steckt ein Schemelbein hindurch und dreht damit (wie mit dem Spannholz bei einer Säge) das Tuch zusammen. Dadurch biegt sich der durchgefeilte Stab und es entsteht eine Lücke, durch die ein normalgebauter Mensch schlüpfen kann. Es gilt die Regel: Wo der Kopf durchpasst, kommt auch der Körper durch. Nur noch wenige Millimeter waren zu feilen, höchstens noch eine Nacht, in der nächsten sollte es dann losgehen, — als drei der beteiligten Kameraden durch Verrat 5 Tage Dunkelarrest mit Kostentziehung und Versetzung in eine andere Zelle bekamen.
Waren die Verhältnisse in Posen schon lange nicht mehr menschenwürdig, so muss von der Festung Spandau gesagt werden, dass es kein Gefängnis, sondern eine riesenhafte Folterkammer war. Nachts ein Uhr wurde ich eingeliefert. — „Nimm die Knochen zusammen, du Schwein!" — Wie ein unheilvolles Echo tönte die Stimme des Wärters durch den hohen Zuchthausbau. Ich wurde mit Füßen getreten, weil ich die Hacken nicht zusammenschlug. Bei der Durchsuchung bekam ich einen Faustschlag vor die Brust. Eine Zellentür wurde geöffnet, es war die Tür der Einlieferungszelle, ein derber Fußtritt beförderte mich hinein. Grässliches Fluchen und Schimpfen erfüllte die Zelle. Man fluchte nicht ohne Grund, denn ich stolperte auf Menschenleibern herum und fand erst nach einiger Zeit den Fußboden. Die völlige Finsternis gestattete nicht, den Störenfried zu erkennen, darum legte sich die Empörung bald. Am Morgen zählte ich in der kleinen Zelle, etwa viermal vier Meter groß, 26 Mann. Jemand sagte, gestern morgen wären es 32 gewesen.
In einer Ecke stand ein entsetzlich stinkender Abortkübel. Drei, manchmal sogar vier Tage musste jeder Eingelieferte in dieser furchtbaren Lage zubringen.
Völlig erschöpft stand ich nach drei Tagen mit einer Kolonne von etwa 20 Mann in Reih und Glied — „Achtung! Richt euch! Augen rechts — Augen ge—rade—aus! Links um! Im Gleichschritt — marsch!" Wir marschierten den Korridor entlang, hinunter in einen Kellergang. Dumpf, fast völlig finster nahm uns ein unheimliches Gewölbe auf. Erst nachdem sich das Auge etwas an die Dunkelheit gewöhnt hat, kann man die zahlreichen an den Wänden aufgehängten eisernen Geräte erkennen. Zwei auffallend große und breite Kerle, die blutrünstige Reden schwingen und erklären, wie die einzelnen Ketten, Schließ-, Hand- und Fußeisen, Kreuzstangen, Zwangsjacken, Gummiknüppel und sonstigen Geräte gehandhabt werden. — „Hier wird nich jefackelt; wer hier denkt, dat det eene Kleenkinderbewahranstalt is, den drehn wa zusamm, det ihm de Scheiße aus de Oogen kommt. Alles is jenau nach Vorschrift zu machen, nich einbilden, et is hier Etappe, sonst jibts Bimse, det ihr in keen Sarj mehr passt. Wer uff Anruf nich drei Schritte vom Leibe bleibt, wird ohne weiteres übern Haufen jeknallt. Wir haben uff die schmerzlose Art schon manchen Scheißer, der jedacht hat, wir schießen mit Zündhütchen, abjerufen."
Die rohen Kerle nahmen einen von uns heraus, brachten ihn durch einen schmerzhaften Griff zu Fall und fesselten ihn mit den Geräten, dass er rot und blau wurde im Gesicht. Als die Fesseln gelöst waren, konnte sich der Mann nicht erheben. .
Das Essen? — Das Futter? — Die Jauche, die dort als Nahrung gereicht wurde, ließ am besten die Absicht erkennen, uns alle dem Hungertode preiszugeben. Wir waren nicht zu Festung verurteilt, nein, wir waren verurteilt zum Tode durch Verhungern. Das ist schlimmer als zum Tode durchs Schafott oder Erschießen oder zum Tode durch den Strang. In der Zeit zwischen Urteilsverkündung und Urteilsvollstreckung mussten hier täglich zehn Stunden schwerste Arbeit geleistet werden. Kohlrüben, Weißkohl und Mohrrüben gab's hier immer abwechselnd. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass es wirklich Kohlrüben, Weißkohl oder Mohrrüben waren, die man uns in die Näpfe füllte. Wer z. B. in ein Zimmer tritt, in dem jemand eine Havanna geraucht hat, kann nicht behaupten, dass er selbst die Havanna geraucht habe. Ein Weißkohlgericht bestand aus einem Napf schmutzigen warmen Wassers. Man hatte Glück, wenn man darin ein halbes Weißkohlblatt halbroh vorfand. Fettaugen dagegen niemals. Raupenhäute und Sand gab's darin oft.
Morgens um fünf Uhr wurde geweckt. Auf dem Hof, der mit einer verzweifelt hohen Mauer umgeben war, verteilte der Wärter aus Holzkisten das Brot. Wer sich auf das Kriegsbrot von 1917 und 1918 entsinnen kann, wird sich denken können, welchen Kitt man uns als Brot gab. Abbeißen vom Brot war streng untersagt. Erst um neun Uhr durfte es verzehrt werden. Jeden Abend, halbtot geschuftet, auf total verwanzter, steinharter Holzwollpritsche stundenlang vor dem Einschlafen mit dem brennendsten Hungergefühl im Leibe kämpfend, waren wir angesichts des sicheren Hungertodes dem Wahnsinn nahe. Nur niederträchtige Schurken, vertierte Sadisten, auserlesenste Schufte können einem verhungerten Menschen ein Stück Brot in die Hände geben und ihm verbieten, davon zu essen. Wie weit der furchtbare, langandauernde Hunger die Menschen herunterbringt, wie er den Geist zermürbt und auch den geringsten Widerstand gegen die Peiniger unmöglich macht, will ich an folgendem Beispiel zeigen:
Eines Morgens beliebte es einem inspizierenden Oberfolterer, eine Viertelstunde nach Brotausgabe nachzuforschen, wer trotz des strengen Verbots schon von seiner Brotration abgebissen hatte. Von etwa dreihundert Mann hatten vielleicht hundert abgebissen und zehn bis zwanzig die Tagesration bereits ganz verzehrt. Diesen schlug er mit der Faust ins Gesicht, den anderen nahm er den Rest des Brotes weg und zertrampelte es mit den Füßen im Dreck. — „Scheiße kriegt ihr morgen zu fressen, ihr Hunde! Ich mache euch unglücklich, ihr Gesindel!" — Nach solchen Worten konnte der Held in schönster Gesundheit seinen Schmerbauch vom Platze tragen, ohne dass jemand den Mut gehabt hätte, die kurzen Karabinerläufe der Wärter einen Augenblick zu vergessen und dem Lumpen an die Kehle zu springen. Vollständig apathisch sahen die Kameraden diesem Schurken zu, für den es in der Welt der Lebewesen kein Ebenbild gibt, das zu einer gleichen verruchten Tat fähig wäre. Und trotzdem, die Ordnung dieser Zeit besagte: „Ein solcher Mann muss ausgezeichnet werden", deshalb besaß er etliche Orden, auf die er nicht wenig stolz war. Hundert Menschen mit entsetzlich hohlen Augen, als liege nur noch die Haut auf dem Totenschädel, so gespenstig mager, so durchsichtig scharf zeichnet sich das Skelett ab, schlägt so ein feister „Ohnesorgen" das Stückchen Brot aus der Hand.
Der Hungertod holte sich seine Opfer überreichlich. Bei der Arbeit umfallen, zwei, höchstens drei Tage ins Lazarett (die Wärter nannten es bezeichnenderweise „Leichenschauhaus" und drohten bei Schwächeanfällen damit!), dann hinaus in die „ewige" Freiheit, — das war der Weg unzähliger Gefangener. — Aus den Ketten in den Sarg. — Festimgsgefangener in Spandau hieß Festungsverhungernder sein.
Ein Kamerad, im Zivilberuf Rechtsanwalt, beschritt wegen der schlechten Ernährung den Beschwerdeweg. Das ging folgendermaßen vonstatten: An einem Sonntagmorgen suchte er bei dem Korporalschaftsführer mündlich um Aushändigung von Schreibmaterial nach. Laut Satzung bekam er es am nächsten Sonntag und reichte die Beschwerde ein. Nach zwei Wochen kamen drei Wärter, erklärten, dass seine Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen sei, schlugen ihn zu Boden, fesselten ihm mit einer langen Kette Arme und Beine, schleppten ihn hinunter in den Keller und schlugen solange mit Knüppeln auf ihn ein, bis er bewusstlos liegen blieb. Nach fünf Tagen kam der Kamerad wieder in die Korporalschaft zurück; auf die leisen
Fragen unsererseits (das Sprechen war untersagt) gab er keine Antwort. Wir hatten den Eindruck, dass er geistesgestört sei. Erst nach etlichen Tagen erholte er sich soweit, dass er erzählen konnte, wie fürchterlich man ihn geschlagen hatte. Blutunterlaufene Stellen am ganzen Körper dokumentierten zur Genüge die Brutalität der Henkersknechte, die so gewissenlos waren, einen Menschen, der vollständig im Recht war, halbtot zu schlagen.
Ein besonderes Kapitel bildete die Behandlung, die uns durch unseren Kalfaktor zuteil wurde. Dieser Mensch, selbst Gefangener, selbst dazu verurteilt, in den Mauern der Festung seine Jahre zu verbringen, leistete sich Dinge, die ein Außenstehender nicht für möglich hält. Ich würde nachstehende Sätze Tür maßlos übertrieben halten, hätte ich nicht bitter alles am eigenen Leibe verspüren müssen. Wir waren 42 Mann in unserer Korporalschaft. Alle Aufsicht über Ordnung, Reinlichkeit, Essenausgabe usw. oblag dem Kalfaktor. Wenn wir des Abends aus der Geschoßfabrik in die Stube traten, teilte er das „Abendbrot" aus, eine völlig wertlose Wassersuppe, deren Nährwert bestimmt nicht dazu gereicht hätte, eine Maus zu ernähren. Hierbei ließ er sich von drei Mann bedienen. Der erste streifte ihm einen blendendweißen Armschützer auf den linken Arm, desgleichen der zweite auf den rechten Arm. Der dritte reichte ihm mit hündisch-untertäniger Gebärde die Schöpfkelle zu. Das Ganze eine widerliche Szene, die mir in der ersten Zeit einmal zu einer abfälligen Bemerkung Veranlassung gab, wofür mir der Kalfaktor mit der Schöpfkelle einen Schlag vor den Bauch versetzte und mir keine Suppe gab. Stand er nun so mit den weißen Armschützern und der Schöpfkelle in der Hand da — er trug sie mit der Geste eines Feldmarschalles —, dann kommandierte er brüllend: — „Korporalschaft formiert! — Richt' euch!" Klappte das nicht nach seinem Wunsche, ließ er alles noch einmal wiederholen. „Rührt euch! Stillgestanden! — Augen rechts! Augen gerade—aus! Die Augen links! Augen gerade—aus. Rührt euch! Stillgestanden! Rechts um!" — Die Spitze stand am Essenkübel. Der erste Mann trat einen Schritt links aus dem Glied, nahm den Essnapf mit beiden Händen vor die Brust, hatte auf Befehl die Augen geradeaus zu richten, eine langsame Kehrtwendung zu machen und im Gleichschritt auf seinen Platz zu gehen. Wer sich erlaubte, diesen Unsinn nicht ganz exakt auszuführen, wurde mit Kostentziehung bestraft.
Trotzdem 42 Mann in dem Raum waren, war vom Kalfaktor jede Unterhaltung untersagt. In der Zelle ging es um die Ecke. In dieser Ecke hauste der Kalfaktor. Das ermöglichte am anderen Ende eine kurze Unterhaltung im Flüsterton.
Noch auf eine andere Art lieferte Spandau den Beweis, dass es die Geburtsstätte allergemeinster Schikane war: das war die geradezu freche Durchsuchung der Gefangenen, wenn sie des Abends die Festung betraten. Nichts durfte in den Bau mitgenommen werden. Der kleinste Fetzen Papier, ob bedruckt oder nicht, und wenn er nur die Größe eines Straßenbahnbilletts hatte, rief Schimpfkanonaden hervor. Was in anderen Gefängnissen immer noch möglich war, z. B. von Zeit zu Zeit mal einen Zigarettenstummel und ein winziges Stückchen Reibfläche, Feuerzeuge, Streichhölzer, Priem, Schnupftabak usw. hineinzuschmuggeln (von Spielkarten, primitiven Dame -und Mühlespielen gar nicht zu reden), das war in Spandau einfach ausgeschlossen. Die Meute, die uns jeden Abend überfiel, um jeden Tuchzipfel einer raffinierten Untersuchung teilhaftig werden zu lassen, heulte zetermordio schon dann, wenn sie in dem Müll eines Jackenzipfels zwischen Futter und Tuch nur die Spuren von Schnupftabak entdeckte. Übertretungen auf diesem Gebiet wurden mit Kostentziehung und Dunkelarrest bestraft.
Auch das Spitzelwesen trieb besondere Blüten in Spandau. Ein Gefangener, dessen Arme und Beine infolge vieler schlecht geheilter Brüche fast gebrauchsunfähig waren, machte sich auf Krücken an die Kameraden heran, erzählte, wie er auf Arbeitskommando in Bitterfeld verunglückt sei, und schimpfte auf den Staat, auf die Offiziere, die Festungsverwaltung, den Kaiser und auf alles, was sonst noch ein Gefangener in sein Herz geschlossen hat. In der Tat hatte der Mann Grund genug zum Schimpfen, denn einen arbarmungswürdigeren Eindruck gibt es wohl kaum, als wenn ein Mensch in Sträflingskleidung mit Krücken, auf einem Auge fast erblindet, in dem unheimlich kalten Gemäuer eines Festungsgefängnisses zwischen Eisengittern, Schlössern und Riegeln einherkriecht. Aber dass dieses Individuum seinen elenden Zustand, den er doch der Gesellschaft, die ihn in diesem Käfig festhält, verdankt, noch dazu herleiht, als Spitzel seinem Kameraden einen Strick zu drehen, wenn er sich in voreiliger Entrüstung ein voreiliges Wort erlaubt, das legt jedenfalls ein tief betrübliches Zeugnis ab von der Geistesverfassung, in der sich solch ein trauriger Geselle befinden muss. Sobald eine Korporalschaft Zuwachs bekommen hatte, humpelte der Krüppel unauffällig herbei. Die Kalfaktoren ließen ihn und sein Opfer reden, trotz Sprechverbot. Alle Kameraden, die länger im Bau waren, wussten Bescheid. Nicht immer gelang es jedoch, die Neuen rechtzeitig zu warnen, und allzu oft ging dem Krüppel ein Ahnungsloser auf den Leim.
In der Geschoßfabrik, bei der Arbeit, wurden je vier Mann von einem Posten mit scharfgeladenem Gewehr bewacht. Schlacke karren, Transportarbeiten, Reinigung von großen Maschinenteilen und vieles andere war unsere Beschäftigung. Wie ein Geräderter schleppte man sich nach den 10 Stunden wieder zurück nach der Festung, wieder unter der Drohung des geladenen Gewehrs.
Hat sonst der Prolet bei der schweren Fron in Fabriken, Schächten und auf sonstigen Ausbeutungsstätten des Kapitalismus einen kleinen Trost: die Hoffnung auf die Feierabendstunde, so war uns Gefangenen auch hiervon nichts geblieben. Uns erwartete nach Feierabend eine Anzahl Menschen, die den Beruf hatten, keine Menschen zu sein, sondern wie böse Dämonen mit unzähligen Nichtigkeiten uns dieses elende Leben noch elender zu gestalten, uns bis an die Grenze zu bringen, wo der Tod dem Elend die Ablösung bietet. Die Verzweiflung packte manchen Gequälten so fest, dass er für Minuten sein bisschen Haut und Knochen in irgendeine Ecke warf und dort wie ein abgeschundenes, stumpfsinniges Pferd liegen blieb, bis — die Wärter kamen und mit Überführung in das Festungslazarett drohten. Diese Drohung genügte meist, um noch einmal, wenigstens dieses eine Mal noch sich mit der allerletzten Kraft aufzuraffen.
Mich hielt eine geheimnisvolle Kraft aufrecht. In diesen Tagen ist es mir klar geworden, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt. Die Hoffnung auf die Revolution, die ich so nah wähnte, war mir eine gewaltige Stütze. Da ich nun schon seit Monaten den entsetzlichen Hunger in den Gefängnissen zu überdauern hatte, war auch mein Körper vollständig ausgesogen. Die kurze Zeit in Spandau hatte mir den Rest gegeben. Ich vermochte abends kaum noch die eiserne Treppe hinaufzuklettern. Der Geschlechtstrieb war ganz erloschen. Während ich in Posen von Zeit zu Zeit noch Pollutionen hatte, kam es hier überhaupt zu keinerlei Erregung mehr, obgleich ich mich manchmal an schön verlebte Stunden zurückerinnerte; — es waren Erinnerungen, wie sie vielleicht ein Sterbender haben mag. Und doch brach ich nicht zusammen.
Die Revolution, sie musste doch nun kommen. Ich rechnete, grübelte, erwog dieses und jenes. Oft ballte ich auf meiner Pritsche die Fäuste; bei mir paarte sich in solchen Momenten der Hunger noch mit dem Geist der Rebellion. Verflucht und verdammt, tausendmal Tod und Verderben über euch Kanaillen, wenn erst der Tag kommt...!!! Er kam. Schneller als ich zu glauben wagte. Am
7. November wurden wir, nachdem das Brot auf dem Festungshof verteilt war, nicht wie sonst zum Abmarsch in die Geschoßfabrik formiert, sondern in die Arbeitsräume des Festungsbereiches geführt, wo an Matten und Tüten gearbeitet wurde. Da nicht für alle Arbeit vorhanden war, saß ein Teil der Kameraden müßig da. Am
8. November dasselbe Spiel. Ich hatte nun Augen und Ohren weit offen. Ein überhitzter Kessel, der jeden Moment auseinander fliegen will! Den ganzen Tag hielt ich im Ärmel versteckt ein kurzes knöchernes Falzbein, bereit, es beim ersten Signal dem Wärter in den Hals zu jagen. Doch nichts ereignete sich. Am 9. November vormittags etwa um neun Uhr verschwanden die Wärter plötzlich. Fast niemand außer mir hatte es beobachtet. Die Schlüssel tauchten allmählich bei einigen Kalfaktoren auf, wie ich festzustellen vermochte. Gegen Mittag riss ich zum Erstaunen des ganzen Saales ein gedrucktes Schild herunter mit der Aufschrift: „Das Verzehren von Tütenkleister ist verboten. Zuwiderhandlungen werden bestraft!" — Mit den Worten: „Schluss jetzt mit der Schinderei hier", vermochte ich den Kameraden nur ein weiteres, größeres Erstaunen zu entlocken. Man wartete nun offensichtlich darauf, dass die Wärter kommen müssten, mich mit Gummiknüppeln zusammenzuhauen, und jeder war sich schon darüber klar, dass ich niemals wieder auftauchen würde, nachdem ich mir das erlaubt hatte. Die Kalfaktoren zogen mit uns ab in unsere Korporalschaftsräume. Anstatt uns Essen zu besorgen, machte sich unser Kalfaktor ebenfalls dünn.
Nun saßen wir 42 Mann in unserer Zelle fest verriegelt und verrammelt. Aber noch fester verriegelt und verrammelt als Fenster und Türen waren die Schädel meiner Kameraden, die nicht meinen Worten von der Revolution glauben wollten. Auch in ihnen gärte es gewaltig. Jeder sah doch einen Hoffnungsstrahl, aus diesem Elend herauszukommen. Nur an Revolution glaubte niemand.

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