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Ludwig Turek - Ein Prolet erzählt (1930)
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Standrechtlich zum Tode durch Erschießen verurteilt

Mariampol kommt in Sicht. Ehemals Garnisonstadt, bietet sie dem Wüstenwanderer in Litauen eine angenehme Abwechslung. Eine solche Abwechslung brachte Mariampol auch uns, aber die war dermaßen gepfeffert, dass wir beinahe das Leben eingebüßt hätten. Die Letzten von uns hatten die Kommandantur noch nicht betreten, da flogen ihnen die Ersten schon wieder entgegen. Was das nur die schlechte Laune des Räuberhauptmannes? Nein! Es war das durchaus würdige Vorspiel zu dem, was nun folgte. Bei uns begann ein stummes Rätselraten. Man stieß uns zum Hause hinaus auf einen Platz, wo wir an einem Holzzaun Aufstellung nehmen mussten. Viel Soldaten waren anwesend, warum musterte man uns so gründlich? Mit welch seltsamen Gebärden führten die Leute ringsherum ihre Gespräche? Weshalb betet die alte Frau mit Tränen in den Augen, die sie flehend auf uns gerichtet hat? Was sagte der Jude, der eben vorüberging, dessen Deutsch ich nicht recht verstand?— „Gott der Gerechte, lass sie leben, diese ehrliche Leit'!" In Mariampol schien es nur sechs Mann zu geben, die noch nicht wussten, dass sechs Menschen standrechtlich erschossen werden sollten. Und diese sechs Ahnungslosen waren wir. Unendlich langsam zuerst, dann gewaltig wachsend, wie eine donnernde Lawine kam das Gefühl über uns: Erschießen!? — Mich — Dich — Uns— Uns alle! Gleich? Heute? Noch in dieser Stunde sterben?! Das kam alles zu schnell. Gelähmt, mit bleichen Gesichtern sahen wir uns an. Ich machte an mir die Entdeckung, dass sich, noch ehe ich die Dinge verstandesmäßig begriffen hatte, alles Blut zum Herzen drängte. Das Gefühl« der Schwäche in den Beinen und der Blutleere im Kopf machte mich erschrecken. Sekunden war es mir, als müsse ich umfallen und dann kam erst das Bewusstsein: „Du wirst erschossen!" — Der Körper reagierte vor dem Geist auf diese Gefahr, eine Tatsache, die ich schon öfter an mir festgestellt habe, jedoch nie so deutlich. Wahrscheinlich spielte hierbei eine Rolle, dass wir die uns drohende Gefahr nicht durch direkte sprachliche Mitteilung, sondern rein mit dem Gefühl erfasst hatten. Mit dem klaren Bewusstsein — „Du wirst jetzt erschossen!" — wich die Schwäche aus den Beinen und das Blut kehrte in den Kopf zurück. Ganz fest biss ich die Zähne aufeinander, absichtlich fest. Ich wollte nicht wimmern und jammern. Sechs Soldaten standen Gewehr bei Fuß in sechs Meter Abstand vor uns. Der Häuptling der Bande kam hinzu, ein finsterer, noch junger Geselle. Ein Dolmetscher übersetzte uns, dass wir wegen Pferdediebstahl, Brandstiftung, Vergewaltigung von Frauen und anderen Räubereien zum Tode verurteilt seien und dass das Urteil jetzt sofort vollstreckt würde. Ich stand am linken Flügel von uns sechs Mann, mein Freund Bäsel stand neben mir. Das Bild, das wir der versammelten Menge boten, war ein jämmerliches. Einer saß auf den Knien und schrie laut um Gnade. Der lange Maurer, der vorher nur in wegwerfender Weise von Frau und Kind gesprochen hatte, flehte jetzt um Frau und Kindes willen um sein Leben. Der Stettiner hatte nicht die Fassung verloren, sprach jedoch auch von seiner Unschuld. Dabei konnte außer dem Dolmetsch und einigen Juden kein Mensch aus der Menge seine Worte verstehen. Die Masse hinter den Soldaten geriet in Bewegung. Judenfrauen kamen herbeigekrochen, auf Händen und Füßen, und bettelten bei dem Häuptling um unser Leben. Er stieß sie mit dem Fuß beiseite. In meinen Kinnbacken schmerzte es. Meine ganze Kraft verwandte ich darauf, die Zähne zusammenzubeißen. Nur keinen Laut, nur kein Wort herauslassen. Nur nicht den weißen Schurken anbetteln. Als wollte ich die Kraft von den vierzig oder fünfzig Lebensjahren, die jetzt verlorengingen, die ich vielleicht noch leben konnte, auf diese eine Anstrengung konzentrieren, so fest presste ich die Zähne aufeinander. Das Ende war da; warum noch solches Theater machen. Aber es ist entsetzlich schwer, nicht solches Theater zu machen. Man braucht dazu den glühenden Hass gegen seine Peiniger, Hass dem Gegner, Liebe zur eigenen Sache, beide zu groß für die Versuchung der Untreue. Ich fühle, wie die mit winselnden Angstgesichtern um Gnade Bettelnden sich selber morden. Indem sie für ihren Körper das Leben erflehen, führen sie mit jedem Wort, mit jeder Gebärde einen tödlichen Streich gegen ihre Seele, gegen ihr Selbstbewusstsein, ohne das der Mensch weniger ist als ein verprügelter Hund. Der Häuptling steht da, in seinem Gesicht spielt ein höhnisches Lächeln. Ich verstehe seine litauische Sprache nicht, und doch weiß ich genau, was er redet. Die Achse seiner Rede ist: „Kriechendes Gesindel, wo ich Oberhaupt von Mariampol vor euch hintrete, wird euch die blasse Angst packen, aber euer Jammern und Heulen ist nur Belustigung für mich!" Der Russe, der am rechten Flügel von uns sechs steht, schweigt. Seine Augen sind starr auf den Häuptling gerichtet. Erst jetzt, wo die anderen mit ihrem Geflenn um etwa einen Meter aus dem Glied nach vorn gerutscht sind, sehe ich ihn. Jetzt richtet der Henker seine Worte in Russisch an den Russen. Er fragt erregt mit erhobenem Säbel mehrmals. Vergebens wartet er auf Antwort. Der Bolschewik steht unbeweglich. Diese eiserne Starre ist eine scharfe Waffe. Jede Drohung des Weißen prallt ab an der Unerschütterlichkeit des Roten und fällt verletzend auf den Häuptling zurück. Die Menge ist begeistert über die Standhaftigkeit des Bolschewiken. Rufe werden laut. Die Soldaten werden aufmerksam. Eine ungeheure Spannung liegt über der Szene. Der Häuptling gibt kurze Kommandos. Die sechs Gewehre gehen hoch. Die Jammernden heulen auf. In meine Kinnbacken bohrt sich ein stechender Schmerz. Der Häuptling hebt zum Feuerkommando den Degen. Ein schwerer Stein saust durch die Luft; beinah den Häuptling treffend, klatscht er zu Boden. Fauchend, wie ein wildes Tier, stürzt sich der Häuptling auf die Menge. Frauen flüchten schreiend beiseite. Doch die Männer stehen schweigend wie vorher der Bolschewik. Maßlos wütend, immer noch mit gezogener Plempe, kehrt er zu uns zurück, lässt uns abführen. Auf dem Dachboden des Kommandanturgebäudes sitzt verstört ein Häuflein Menschen. Die Todesangst, die eben ihren Körper durchbebte, zittert noch leise in ihnen nach. In einer Ecke des Dachbodens liegen Äpfel. Ich suche mir die größten und besten heraus und esse. Die vier Posten mit Gewehr im Arm sehen mit fragenden Blicken zu. Nochmals suche ich vier gute Äpfel heraus und gebe jedem Posten einen. Sie danken mit der Hand an der Mütze. Der Russe fragt nach Zigaretten. Bereitwilligst wird ihm vom Posten eine gedreht. Noch ist unser Leben nicht gesichert. Nach fast einer Stunde holt man uns vom Boden herunter. Auf drei Wagen sitzen viele Soldaten. Ein Jude übersetzt uns, dass wir nach dem zwanzig Kilometer entfernten Wilkawiski transportiert werden, dass wir jedoch laufen müssten. „Was wird dort?" Er weiß es nicht. Diese Frage beschäftigt uns alle. An jedem Baum hängt diese Frage. Die kleinen weißen Wolken hoch oben am Himmel segeln mit dieser Frage. Was wird heute abend, wenn die Sonne ihre goldenen Strahlen hinter dem Horizont versenkt? Noch einmal die Zähne zusammenbeißen? Schön liegt dort in der Ferne ein Wald. Unter den vielen tausend Wipfeln möchte ich einsam wandern, fern von allen Menschen, weit bis hinter die fernste Bläue. Die Soldaten machen sich einen Spaß. Wir müssen vor dem Wagen mit den Pferden einen Dauerlauf aufnehmen. Durch den Hunger entkräftet, ist es eine Quälerei. Unter den Soldaten entsteht ein Streit. Die Vernunft siegt, wir können wieder langsam gehen. Als wir in Wilkawiski eintreffen, ist es fast dunkel. Zu unserem Erstaunen werden nur die Posten gewechselt, und ohne Verpflegung geht's durch den Ort. Die" neue Bewachung ist von der schlimmsten Sorte. Mit unzweideutigen Gebärden lassen sie uns immer wieder merken, dass es uns noch schlimmer ergehen wird. Nun ist völlige Dunkelheit eingetreten. Das macht die ganze Sache nur um so schauerlicher. Unendlich ist der Weg. Ferne Lichter lassen eine Hoffnung aufkommen. Wir sechs Mann marschieren ungefähr sechs Meter vor der zahlreichen Bewachung. Eine Salve von hinten würde uns alle ins angeblich „bessere Jenseits" befördern. Jedes Knacken an den Gewehren löst bei uns einen leisen Schrecken aus. Die Lichter rücken langsam näher, wie eine rettende Insel, der ein Boot Schiffbrüchiger zutreibt. Auf der Insel aber sind wilde Menschen und Tiere. Wir haben die Lichter erreicht. Es sind zwei Petroleumlampen auf dem Tisch des Kommandanten in einem ehemaligen deutschen Barackenlager, bestehend aus drei Baracken. Draußen vor den Fenstern müssen wir warten. Drei Soldaten treten in das Zimmer und machen Meldung von dem Transport. Die ersten paar Sätze des Meldenden quittiert der Gewaltige zu meiner allergrößten Verwunderung mit den laut geschimpften Worten: „Klai mi ann Mors, du ole Pärkopp!" Alsdann gibt er auf litauisch etliche Anordnungen, dann steht er auf und tritt zu uns heraus. Mit litauischen Kraftausdrücken bepflastert er uns. Als er eine kleine Kunstpause macht, rufe ich laut: „Ick vostoa keen Wort, Mann, in Hamborch hest du nich son Mulsoloat moakt!" - Er darauf, erstaunt, aber anlehnend: „Hol din Mul und tell din Geld." - Nachdem man uns in einen kahlen Barackenraum gesperrt hatte und wir nun wieder der Dinge harrten, die da kommen sollten, verlangte man zwei Mann zum Stroh holen.
Dabei spricht mich der Häuptling an und fragt mich auf Plattdeutsch, was ich für ein Landsmann wäre? „Hamborger!" — „Hamborger?" — „Jau!" — „Wat moakst du hier bi uns?" — „Dat kannst du mi woll beter sägn! Wenn dat na mi geit, bin ick hüt nacht all upp de Schossee na Hus." — „So schnell geit dat nich! — Erst givt dat noch ene Portion blaue Bohnen, soveel, dat ji vor immer satt ward!" — „Sa—u, denn wist du din Landsmann, son oln ehrlichen Hamborcher Jung, asick bin, öbern Huben scheeten?" — „Tscha! Befehl is Befehl!" — „Na wegen mi, — doch een Gefalln kannst du mi noch daun, schriev an min Vatting in Barmbeck een Breef, dat du mi hier avmurkst hest, süss weet de arme Kerl nich, dat he na sin Söhn nich mehr utkieken brück! — Dat is min Ernst! Giw mi een Stück Papier un een Bleistift, ick schriw di de Adreß upp." — „Verdammi, verdammi, kumm mit mi —" In seinem Zimmer erzählte er mir, wie er bei den Litauern zu Amt und Würden gelangt war. Er machte mir den Vorschlag, dass er mich bei der Erschießung verschonen will, während er leider die anderen nicht retten kann. Es gelingt mir jedoch, ihn umzustimmen. Nachdem er uns mit großen Portionen Fleischkonserven und Brot gefüttert hat, bekommen wir einen Militärfahrschein nach Kowno, der Hauptstadt Litauens. Noch'in der Nacht geht's ab zur entfernten Bahnstation. — „Wat een richtiger Hamborger Jung is, mutt Glück hem, — frohe Fahrt in die Heimat!" „Dat Glück, wat de en noch nich het, mutt em die anner verschaffen, loat di dat gaut gon hier!" Dieser in litauischen Diensten stehende Deutsche war ein Offizier der ehemals im Baltikum operierenden Roßbachtruppe.
Hoffnungsfroh stiefelte unsere Kolonne durch die nächtliche Landschaft, dem Morgen entgegen. Wie herrlich steigt die blutigrote Sonne aus ihren goldenen Kissen. Dieser Sonnenaufgang ist unvergesslich, da wir gestern abend beim Scheiden der Sonne nicht glaubten, sie wieder zu sehen. Ein elender Bahnhof taucht vor uns aus der Öde auf. Nach einstündigem Warten schleicht der holzgeheizte Zug heran. In dieser Stunde habe ich keine Langeweile verspürt, denn gleichzeitig mit uns wartete noch eine seltene Uniform. Ein ehemaliger hoher Zarengeneral mit Orden, Schnüren, Silber und Gold beladen bis zum Umfallen. Seine schnapsseligen Augen waren wegen der riesigen noch schnapsseligeren Nase, die feurigrot erglänzte, kaum sichtbar. Seine Forschheit gab sich nach außen hin in einem ungeheuren Schnauzbart kund. So ging er nun, als wolle er von hier aus den Siegeszug über die Welt des Bolschewismus antreten. Die wenigen Menschen, die den Bahnhof bevölkerten, erstarben fast vor Ehrerbietung vor dieser Panoptikumfigur. „Wehe dir, Sowjetrussland, wenn sich dieser Heldenschnauzbart deiner Grenze nähert!"
Die Eisenbahn fuhr unter der Regie der Litauer fabelhaft. Trotz der kurzen Entfernung langten wir erst gegen Abend in Kowno an. Beim Großen Generalstab mussten wir uns ein scharfes Kreuzverhör gefallen lassen. Das begann, um die Schärfe darzustellen, so: „Was sagen Sie zu unseren Damen (Tippmädels) hier? DiesÄFigurr, derr Busen, diesÄ.Gesicht, diese Eiglein! Haben Sie auch bei Ihnen in Deitschland solche Schene?" Mit der Hand die besungenen Stellen streichelnd, verdrehte der Mann mit der Ia amerikanischen Uniform die Augen in so liebenswürdiger Weise, dass es uns ganz wohl dabei wurde. Sehr viel sehr schöne Mädels wurden dort beschäftigt. Jedes einzelne ein Sonnenstrahl für sich. Nach einem weniger dringlichen kurzen Interview führte man uns ins Zentralgefängnis.
Das ist wohl das einzige richtige Gefängnis in ganz Litauen. Es stammt noch aus der Zarenzeit. Durch dunkele Gänge, die gespenstig durch Petroleumfunzeln beleuchtet waren, gelangten wir in eine entsetzlich stinkende Zelle. Noch ehe die Tür geöffnet war, ließ sich ein leises Wehklagen vernehmen. Kaum war der Wärter in die Zelle getreten, als sich ein etwa fünfzehn- bis sechzehnjähriger Jude über ihn stürzte und in kurzen Stichworten seine Leidensgeschichte hervorstieß. Jedes vierte Wort war der Name Sara. Er sprach zum Wärter litauisch, doch dieser war noch nicht fertig mit dem Schließen, als der Jude die ganze Geschichte in Deutsch vortrug. Der Refrain hieß: „Oh, mein Weib, die Sara! Oh, mein Pferdche, die Reni! Oh, oh, oh, mein Geschäft, mein Geschäft!" Sein Geschäft war Droschkenkutscher. Das Verbrechen, das ihn in dieses Haus gebracht hatte, war die Beteiligung an einer Zuckerschiebung. Seine Droschke war unter der süßen Last zusammengebrochen und hatte dabei die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter auf sich gelenkt. Seine Sara saß nun als Strohwitwe mit ihren fünfzehn Lenzen auf dem trocknen Sein Pferdchen, die Reni, fraß nun jeden Tag, ohne etwas zu verdienen. Seine Sara, sein Pferdche, sein Geschäft, diesen Satz sang er fast die ganze Nacht. Der Leidenskelch dieser Zelle bot sich uns dar in Gestalt einer großen Tonne, fast bis an den Rand gefüllt mit Kot. Die Luft der sonst geräumigen Zelle war dick von den Ausdünstungen der Tonne. Obgleich sich einige von uns erboten, diese riesenhafte Stinkbombe zu entleeren und zu säubern, blieb es beim alten, weil, wie die Wärter uns vom Juden übersetzen ließen, das Fass noch nicht voll war. Der Gefängnisverwaltung kann man gegenüber anderen ähnlichen Institutionen nicht die Anerkennung versagen, dass sie sich wenigstens halbwegs um eine annehmbare Verpflegung verdient machte. Es gab genügend Brot und zu Mittag eine gute Portion warmes Essen. Interessant ist die Tatsache, dass die deutsche Polizei deutsche Spitzel in dem Kownoer Gefängnis hatte, um deutsche Gefangene zu bespitzeln. Einem solchen Individuum ist der Stettiner, der angeblich als Kriegsgefangener nach Deutschland zurückkehrte, zum Opfer gefallen. Mit Zigarettenstummeln und Kautabak umgarnte der Kerl seine Opfer, erzählte von sich selbst die schwierigsten Dinge, und die Dummen, die ja nie alle werden, drängten sich ihm förmlich auf mit ihren großen und kleinen Geheimnissen. Hatte er erfahren, was er wissen wollte, dann erstattete er Bericht an die Polizeistelle des deutsch-litauischen Grenzüberganges Eydtkuhnen. Bei einem Verhör im Quarantänelager Eydtkuhnen wurde mir vom Polizeimann eine Photographie gezeigt mit der Frage, ob ich den Mann kenne. Ich erkannte den Kerl aus Kowno wieder. Man wollte sicher prüfen, ob die Maske des Spitzels echt wirke. Die Tage gingen dahin. Zwischen Essen und Schlafen gab es keine besonderen Dinge, die einen Gefangenen beschäftigen konnten, als das immerwährende Abwägen der unvorhergesehenen Möglichkeiten. Abwarten! Die große Kunst, die einzig brauchbare im Leben eines Gefangenen. Ruhig abwarten, auf diese beiden Worte legt der Gefangene die größte Betonung, wenn er noch die Nerven dazu hat. Nicht sehr lange fütterte man uns gratis in Kowno. Nach einer Woche kam urplötzlich die Transportanmeldung nach Wirballen. Wirballen ist ein Ort in Litauen, gegenüber dem deutschen Eydtkuhnen. Die drei, der Erfurter, der Stettiner und der Ostpreuße, freuten sich kindisch auf die Rückkehr nach Deutschland. Bäsel und mir kam diese Entscheidung keineswegs recht. Was sollten wir in Deutschland? Unser Ziel war Sowjetrussland! Einen Gaunerstreich leisteten sich die Beamten des Zentralgefängnisses noch, ehe sie uns schwimmen ließen. Sie erklärten, dass unsere abgegebenen Sachen, wie Zigarettenetui, Bürsten, Geld usw., leider nicht zur Stunde zurückerstattet werden könnten, da der Herr, der das verwalte, gerade in die Ferien gegangen sei. Obwohl sie überzeugt waren, wie wenig dieser Schwindel von uns geglaubt wurde, spielten sie die Bedauernden, stellten einen Zettel aus, der so groß war wie vier Briefmarken zusammen, und ließen sagen, auf Grund dieses Papieres könnten wir jederzeit die zurückbehaltenen Dinge anfordern.

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