Der Urwald braucht Kolonisten
Die verschiedenartigste Arbeit ist noch durch meine Hände geflossen. Eisenhochbauer war ich einmal, ein andermal Erdarbeiter, Postaushelfer, Bauhilfsarbeiter usw., schließlich wieder Buchdrucker. Aber das brauche ich nicht mehr zu schildern. Es ist doch immer dieselbe Geschichte! Immer dasselbe Grausen, das verzweifelte Zerren an der stählernen Kette, wobei euch die Knochen im Leibe knacken. Doch einmal muss die Kette zerspringen! Einmal werden wir eine Abrechnung fordern: wollt ihr vergelten? Könnt ihr bezahlen? Fünf Jahre, zehn Jahre, fünfzehn Jahre, zwanzig Jahre, fünfundzwanzig Jahre, jeden Tag auf Klingelzeichen, sekundengenau den Sprung in die Fron. Wie der Hund vor dem Peitschenschlag, wie das Reitpferd vor dem Sporn! Was? Du fühlst dich nicht wohl? Wie? Du bist nicht in Stimmung? Du möchtest in der Sonne bleiben? Auf grünen Wiesen schlafen? Kanaille, das ist Rebellion. Ersticke im Rauch der Schlote! Verfaule im Dreck der Straße! Vertrockne im Staub der Werkstatt! Verblöde am fließenden Band! Lass deinen Körper von Maschinen zerreißen! Hundsfott, das ist deine Pflicht!
Es ist immer dieselbe Geschichte.
Seit sechs Jahren arbeite ich nun in Leipzig als Setzer. Seit vier Jahren in der Spamerschen Buchdruckerei, von der da stehet geschrieben: und als der Herr Jesus die Spamersche Buchdruckerei zum ersten Mal sah, drehte er sich um und weinte bitterlich. Bei Spamer stinkt's — wie in den meisten Druckereien, vielleicht noch etwas mehr. Mangelhafter Sanitätsraum, zu wenig Aborte, dagegen viel Wanzen in den Garderoben, Schwaben im Kaffeekessel und Mäuse in allen Ecken. Wahrscheinlich sind aber die Direktoren in ihren Büros ungezieferfrei. Keinen Speiseraum gibt's, Spamer-Proleten futtern an bleistaubhaltigen Setzkästen, neben schmierestinkenden Maschinen, auf Treppen und Papierballen, an Leimtöpfen und Farbkübeln. Also kurz und schlicht: bei Spamer ist dicke Luft!
Aber wer sollte sich bei Spamer auch um frische Luft kümmern? Die Faktoren haben die Fähigkeit, die Augen höher zu heben als wie bei den Gehilfen die Finger sitzen, längst eingebüßt, also bis zu den Fenstern und anderen höherliegenden Dingen reicht's nicht mehr. Der Betriebsrat besteht aus lauter ollen ehrlichen Seemännern von Bord des SPD-Panzerkreuzers A. Reinschiff-machen steht ihnen nicht mehr.
Wie ich sonst jetzt lebe? Ich bin seit zwei Jahren verheiratet und es gibt noch genügend Alltagssorgen, die das Datum des Poststempels tragen. Vor einiger Zeit hat ein Hauptmieter seine Untermieter rausgeschmissen. Und nachdem diese tausend Kilometer durch den Sumpf der Wohnungsnot gewatet waren, fanden sie zwei prachtvolle leere Zimmer: der Salon: 2,90 m mal 1,75 m, die Diele: 2,35 mal 1,60 m. Letztere nur für Nachtbetrieb eingerichtet, aus diesem Grunde sind Fenster natürlich überflüssig. Ich habe keine Talente, Möbel an die Wand zu malen, in solchem Falle wendet man sich an bequeme Teilzahlungsgeschäfte, und wer für vierstellige Rechnungszahlen kein Gedächtnis hat, kann dann ganz gut leben. Meine Frau, die sonst ein geschworener Feind meines Bleistifts ist, hat durch diese Möbelgeschichte ganz plötzlich Interesse für meine Lebensgeschichte bekommen. Ich habe sie im Verdacht, dass sie die Honorarsumme der Lebensgeschichte und die Rechnungssumme der Möbelgeschichte zu bilanzieren versucht. Ich lebe mit ihr in größter Gemütlichkeit; denn sie kann fast kein Wort Deutsch, — ein Glück, dass ich Sächsisch verstehe, sonst könnten wir uns kaum verständigen. Wir sind in vielen Organisationen gemeinschaftlich organisiert, so in der Kommunistischen Partei, in der Roten Hilfe, im Verband Volksgesundheit, Freikörperkultursparte, in den graphischen Verbänden (Verband der Deutschen Buchdrucker und Verband der Graphischen Hilfsarbeiter), in der Konsumgenossenschaft und im Arbeiter-Turn- und Sportbund. Meine Frau nimmt aktiv am politischen Leben teil, — was, entgegen der Meinung vieler, die Harmonie unserer Ehe absolut nicht stört, weil sie streng auf den Prinzipien unserer sozialistischen Weltanschauung basiert: Unbedingte Gleichberechtigung in allen Fragen, weitestgehende persönliche Freiheiten. Darum: — Ihr Mühseligen und Beladenen, die Parole heißt: Durch Kampf zum Sieg! Der Urwald ist noch groß, tüchtige Kolonisten werden dringend gebraucht, und wenn ihr nun das Buch aus der Hand legt, beginnt gleich mit dem ersten Spatenstich! |
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