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Georges Navel - Werktage (1945)
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ADRIEN

Mein Bruder Adrien, unser Ältester, war fünfundzwanzig Jahre älter als ich. Zur Zeit meiner Geburt war er schon verheiratet. In Maidieres hatte ich ihn immer sonntags gesehen, wenn er meine Eltern besuchte.
Er kam von Bozeville, einer kleinen Arbeitersiedlung mit einförmigen Backsteinhäusern. Er brauchte nur über ein paar Felder zu gehen, und schon war er bei uns. Er kam immer mit seinen beiden Töchtern an, die eine an der Hand, die andere auf dem Rücken. Er war
Familienvater, soweit ich zurückdenken kann. Seine große Tochter war so alt wie ich. Meine Mutter nannte ihn „unser Dicker".
Im Kriege von 1914 hatte ich ihn nur noch auf Bildern gesehen, vor einem Unterstand, neben einer Gulaschkanone, mitten unter bärtigen Reservisten. Er sah nicht gerade unglücklich aus. Nach dem Kriege war er an seinen Arbeitsplatz im Werk von Pont-à-Mousson zurückgekehrt. Wir hatten noch nie zusammen gelebt. Zehn Jahre lang hatte ich ihn fast nicht gesehen.
Mit leicht ergrauten Schnurrbartspitzen sah ich ihn wieder, den „Vater Friedlich" von damals. Die Nichten und Neffen waren um einen Meter und mehr aufgeschossen. Ich fragte mich, ob Adrien mich noch für seinen Bruder halten könnte, da ich mich mehr verändert hatte als er.
Ich war bei ihm, er lächelte mir zu, als wenn er mich gestern Abend erst verlassen hätte. Ich war bei ihm, war zu Hause, dumpf eingewiegt von der alten Zeit, von einem Tonfall, vertrauten Redewendungen, Erinnerungen an Maidieres, als hätte ich nie aufgehört, das Ticken der gleichen Uhr zu vernehmen.
Wie friedlich war doch das Leben bei Adrien! Ich blieb einige Monate bei ihm, ich hätte immer dableiben können.
Ich war in das Werk eingetreten, in dem mein Vater mehr als vierzig, Adrien schon mehr als dreißig Jahre und alle meine Brüder auch einige Jahre gearbeitet hatten. Auch zwei von Adriens Söhnen waren dort beschäftigt.
Ich arbeitete in der Reparaturwerkstatt als Mechaniker. Es war eine gute Stelle. Das Werk zahlte aber schlecht. Ich verdiente weniger als die Hälfte des in Lyon und Paris geltenden Tarifes, doch ebensoviel wie Adrien als Hilfsarbeiter und Vater von fünf Kindern. Wenn ich meiner Schwägerin das sehr bescheidene Kostgeld gezahlt hatte, blieb mir nur ein bisschen Taschengeld. Eine Dusche, einmal Haarschneiden, ein Buch, und weg war mein Vermögen.
Unsere Arbeit war schmutzig, nicht mühsam, ungebunden. In Gruppen zu dritt montierten wir in der einen oder anderen Halle eine Maschine ab und gingen, mit einem Flaschenzug und einer Werkzeugtasche beladen, durch das ganze Werk. Da die Hallen sehr weit auseinander lagen, waren wir oft im Freien, in einem Gelände, das einem Rangierbahnhof ähnlich sah. Ich schaute nicht, wohin ich meine Füße setzte, sondern blickte nach den Hügeln und ihren Kämmen, wo der Wald beginnt, und beobachtete, wie die Wolken zerflossen. In unserer Gegend ist der Himmel sehr wechselnd. Wie alle Gießereiarbeiter waren wir von Kopf bis Fuß verdreckt.
Dann und wann besuchte ich Adrien, wenn ich in seine Nähe kam. In seiner Ecke war es nicht warm, wenn der Nordwind blies und an den Blechen seines Schuppens rüttelte. Sein Schnurrbart schaute aus dem Schal hervor, in den er seine Ohren hüllte. Strickwesten und ein Sweater blähten seine Jacke auf. Das brauchte er schon, um es in dieser Zugluft auszuhalten. Wirbelwind jagte den Staub auf. Man bekam die Augen voll davon. Er legte ein Stück auf die Platte seiner Bohrmaschine, setzte sie in Gang und ließ sie laufen. Die Augenlider zur Abwehr der Staubwolken zusammengekniffen, im Rücken die Glut eines Schmelzofens, schwatzten wir. Ich stellte meine Werkzeugtasche ab. Er bot mir seinen Tabaksbeutel an, der sich in der Tasche schwarz- und blankgescheuert hatte. Dann zog er ein Luntenfeuerzeug hervor und sah belustigt zu, wie ich mir eine Zigarette drehte. Mir fehlte die Übung, das merkte man. Ich wunderte mich selbst, dass auch ich mir nun, allzu früh, diese Mannessitte angeeignet hatte. Gestern war ich noch der Kleine und hatte meinem Vater die Suppe gebracht, heute überragte ich Adrien um einen Kopf. Ich war mit einem Schlage groß geworden und stand in der Fabrik, enttäuscht darüber, dass ich schon in der harten und illusionslosen Welt der Erwachsenen gelandet war. Ich wusste jetzt, dass man nur dazu auf der Erde ist, sein Brot zu verdienen, dass das Leben dieser Erwartung des Wunders nicht entspricht, die den Kindern Sehnsucht danach gibt, schnell groß zu werden. Ich rauchte das herbe Rauschgift, die Zigarette aus schwarzem Tabak, und dachte, dass auch ich dabei die Resignation der Kollegen, das Lächeln und die Ruhe Adriens finden würde.
Er war ein anständiger Kerl. Jeder musste ihn gern haben. Uns verband die Mutter, sie fand ich bei ihm wieder. Ich mochte seine Stimme gern, seine gedehnte Sprechweise, seine stillvergnügte gute Laune, all das, was seinen Kollegen, einen Polen, sagen ließ: Adrien, das ist ein guter Kumpel." Das war er, in einem Dasein, in dem die guten Kumpel nicht viel Gutes und die großen Bösewichter auch nicht viel Böses anrichten, in einem Dasein, in dem sich die Menschen nicht wegen der einander geleisteten Dienste lieben, sondern wegen ihres Charakters oder aus Zuneigung und Wohlwollen, die sie einander bezeugen, oder aus tiefster innerer Verwandtschaft, aus unmittelbarer Gemeinsamkeit ihrer Träumereien, oder wegen ihres tagtäglichen Mutes dem Leben gegenüber. Vergangenes, nicht einmal zusammen Erlebtes verband uns doch. Die Macht des gemeinsamen Blutes überraschte mich. Jedes Mal, wenn ich ihn verließ, hatten mich die wenigen zusammen verbrachten Minuten wieder aufgeheitert.
Eines Tages ließ Adrien seine Bohrmaschine stehen und führte mich zur neuesten Sehenswürdigkeit des Werkes, einer amerikanischen Maschine. Sie ersetzte die Hände von fünfzig Mann. Sie goss dicke Wasser- und Gasrohre, wie man sie geteert in den Kanalisationsgräben der Städte sieht. Es war eine große Anlage. Ein Kran verteilte, soweit er reichte, aus einem mächtigen Kübel das flüssige Eisen in die aufrechtstehenden Formen. Von seinem Höllenplatz aus im Staub des Sandgebläses, in der Hitze, leitete ein Mann in der Mitte der Anlage den Arbeitsvorgang.
Adrien hatte mir gesagt:
„Siehst du, bald braucht das Werk unsere Hände nicht mehr. Das ist der Fortschritt."
Ein Wort, das er nicht mochte. Dieser „Fortschritt" hatte den Fluss vergiftet, in den sich die schmutzigen Abwässer der Fabrik ergossen, und alle Fische darin waren krepiert. Streng ging er mit dem Fortschritt ins Gericht.
Auf dem Hügel bei Mousson stand eine alte, ganz verfallene Ritterburg, ein Schloss aus der Zeit der Adligen, wie man dort sagt. Wenn ich mich umdrehte, sah ich es von der Fabrik aus und fragte mich manchmal, ob es uns in jenen Zeiten nicht besser gegangen wäre. Für ein Paar Schnürschuhe an den Füßen, einen Überzieher, einige Hemden, ein Paar bessere Sonntagsschuhe, um ein Unterkommen zu haben und Kohlsuppe mit Speck oder Linsen essen, ein wenig Wein trinken zu können und auch noch Kinder großzuziehen, die das gleiche Leben führen würden: dafür schufteten die Männer des Feuers, der Hochöfen, die schwarzen Teufel, die Former und Gießer zum Nutzen der Schlotbarone, unserer neuen Herren, härter als die Leibeigenen der Vergangenheit. Der Lebensmut eines ganzen Sklavengeschlechtes, von dem ich ein Glied war, endete in diesem Fabrikdasein, alles Blut der Familie war Fabrikblut, und Adriens Kinder setzten in der Fabrik das Leben ihres Vaters und ihres Großvaters fort. Nie wollte ich den Mut aufbringen, Blut für die Fabrik zu zeugen, dachte ich, als ich im Freien bei grimmiger Kälte eine Maschine demontierte und mir die eiskalten Schraubenschlüssel oder Hebel in den Fingern brannten. Der Winter ist hart bei uns.
Ich gewöhnte mich jedoch an die Fabrik, weil ich mich bei Adrien wohlfühlte. Die Landschaft hatte mein Gemüt beruhigt. Ich fehlte jetzt nie mehr, ging sogar sonntags morgens zur Arbeit, wenn man es von uns verlangte. Ich fühlte mich wohler im Kreise der Familie. Die abendliche Petroleumlampe, die Gegenwart der Kinder, die wohltuende Wärme des Herdes, wenn es draußen schneite: alles war so anheimelnd. So war es früher zu Hause gewesen. Adrien in seiner Marinemütze mit Lederschirm, den Manchesterhosen und der grauen Jacke — der Arbeitskleidung der Woche — glich in seiner bärenhaften Korpulenz sogar ein wenig dem Vater. Er aber war abends heiter; heiter, ohne etwas zu sagen, heiter, wenn er sich die letzte Zigarette
vor dem Schlafengehen drehte. Er hatte die glückliche Veranlagung eines Anglers, im Grunde immer friedlich, immer ruhig, gleich jenen Leuten, die im Sommer mit ihrem Leinenhut auf dem Kopf am Flussufer sitzen und denen das Angeln und die Ruhe, die man dabei bewahren muss, wichtiger sind als die Fische. Ein Vorwand, reglos zu sein und dem Fließen des Wassers zuzusehen, während die Pappeln ihnen leichte Flocken auf die Schultern streuen. Nur um ihren Hang zur Beschaulichkeit und ihr geliebtes Träumen am Wasser zu rechtfertigen, fangen sie bisweilen einen Hecht oder einen Karpfen, wenn es nicht bloß ein Gründling ist.
Im Winter durchlebte Adrien noch einmal die Freuden, die der Sommer ihm beschert hatte, ein paar Sonntage mit seinen Buben an der Mosel, eine Flasche Bier im Wasser kühlgestellt. Auch der Garten half ihm, die Fabrik und den langen Winter zu ertragen. Er wusste immer, dass das schöne Wetter wiederkommt. Alles geht vorüber, und nach Dezember kommt schnell der Mai. Zu seinem Leben gehörten ein paar Bäume, die er selbst gepflanzt und im vorigen Frühjahr gepfropft hatte, und die nun wie seine Kinder in die Höhe schossen. Wenn meine Landsleute von einem Kirsch- oder einem Mirabellenbaum reden, werden sie zärtlich. Die Industrie hat sie nicht von der Erde getrennt, sie wissen noch, wie man den Garten pflegt, zu welcher Zeit man Weizen säen kann und wann die Amsel ihr Nest baut.
Wenn Adrien und seine Familie schlafen gegangen waren, blieb ich noch einige Augenblicke allein bei der Lampe. Ich nahm ein Buch oder schrieb einige Briefe. Der Schlaf übermannte mich. Behutsam stand ich von meinem Stuhl auf. Der Ofen strahlte noch immer seine Wärme aus, leise knisterte es in der Glut. Ich hörte das Ticken des Weckers und den Atem der Schlafenden. Das war nicht die traurige Einsamkeit des Gasthofes oder der kleinen möblierten Zimmer. Ich öffnete die Tür, um die Sterne zu betrachten und nach dem Wetter des nächsten Tages zu sehen. Es schneite. Der Schnee hatte die letzten Fußtapfen zugedeckt und die Siedlung mit den Backsteinhäusern war nun so schön wie irgendwo anders, in Norwegen vielleicht ein Holzfällerdorf. Der Winter ist lang, aber ich dachte nur noch an den Frühling. Am schönsten ist er, wenn man noch ganz jung ist. Ich hätte noch einmal einen Frühling von damals erleben mögen. Mehr als an die Frauen und an die Liebe dachte ich an die Kirschbäume auf den Hängen, an den Duft der Wälder. Die Kindheit, soweit ich sie nicht in der Schule verbrachte, war wie ein Fest gewesen. Ich würde noch einmal im Walde von Maidieres den Zauberdorn" suchen gehen, jenen Strauch, der schon blüht, wenn die Haselnusssträucher erst Kätzchen haben und die Buchen noch nicht ihre roten Knospen mit den winzigen Blüten. Nicht besonders schön, mag sein, aber so stark duftend, dass man die Fenster offen lassen muss, wenn ein Strauß davon im Zimmer steht. Den ganzen Wald findet man in diesem Duft, mit all dem Moos, dem Humus und den Maiglöckchen. Der Frühling ist darin aufgebrochen, ohne auf das Ende der Fröste zu warten, und er hat eine andere Kraft als in den sonnigen Ländern, wo die Jahreszeiten ineinander fließen.
Wenn ich mir so den Frühling versprach, wurde ich ruhig wie Adrien. Ich nahm mir sogar vor, ein Sonntagsmaler zu werden, Kühe zu malen, Wiesen und Wolken, wenn ich es könnte. Ich würde zwei gänzlich voneinander verschiedene Leben führen: das innere und das praktische. Im Werk würde ich nur als Schattenbild umhergehen. Das wäre zu ertragen. Schon war ich die Landschaft selbst geworden mit ihrem grauen Licht, dem Gewoge ihrer Wolken, ihren Hügeln, die der Wald verschlang. Der Himmel hatte eine große Bedeutung für mich, selbst seit er von all denen entvölkert war, die ich früher, als ich noch kurze Hosen trug, von Leben erfüllt in den Fenstern unserer Kirche entdeckt hatte: den heiligen Joseph, die Mutter Maria, die Apostel und die Engel. So sehr ich mir einmal gewünscht hatte, schnell voranzukommen und Wissen zu erwerben, so gern wäre ich jetzt zu einem Leben zurückgekehrt, das immer sich gleich bleiben würde und in dem die Eltern, die einem gegeben sind, nicht altern würden.
Die Woche über war die Fabrik mit dem Hin und Her im Freien zu ertragen. Nur sonntags war ich ein wenig traurig, ein paar Minuten lang, wenn ich durch Maidieres ging und all die Dinge sah, die sich nicht verändert hatten, wenn ich sie sah, als wäre es ein Traum. An unserem Hause prangte noch immer rot auf weiß das Reklameschild der Maggi-Würfel. Es tat mir weh, dass ich nicht mehr in unser Haus gehen konnte. Was war wohl aus der kleinen Blinden geworden, die sich beim Treppensteigen an den Wänden entlanggetastet hatte? Unsere Nachbarn, die alten Renys, waren tot. Meine Schwestern, die hier einmal ihre romantischen Schlager gesungen hatten, hatten sich sehr verändert. Meine Mutter war eine kleine, alte Frau geworden. Wir waren nicht mehr da. Bedrückt vom Wissen um Tod, Alter und Trennung schritt ich durch ein Leben, das nicht wirklich war, sondern wie ein Traumleben.
Eines Sonntags, als ich in das gegenüberliegende Haus ging, sah ich einen Burschen in meinem Alter, in grauer Jacke und Manchesterhosen, wie Adrien sie wochentags trug, an einem Tisch sitzen, mit einem Liter Rotwein, einem Glas und einem Päckchen schwarzen Tabak vor sich (er glich jetzt allen seinen großen Brüdern); ich sagte zu ihm:
„Paul, bist du's? Ich bin der Georges, erinnerst du dich?"
Uns hatten Schule, Raufereien, Kreisel und Murmeln verbunden. Er war mein bester Freund gewesen. Jetzt stand ich als Fremder vor einem erwachsenen Manne, der verheiratet und wie sein Vater Former war. Zwischen uns war nichts mehr als ein paar Familienneuigkeiten. Auf seiner Seite viele Tote, und dazu noch sein eigener: der des Kindes im Erwachsenen. Ich war ihm abhanden gekommen wie eine alte Zeitung. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen.
Mit Adrien hatte die Zeit mehr Bestand. Viele Familien waren nicht mehr in das während des Krieges geräumte Dorf zurückgekehrt. Dafür waren Familien aus Luxemburg und Polen gekommen. Aber nun, da ich schon nicht mehr glaubte, noch jemand wieder zu erkennen — sie waren alle tot, die brummeligen Alten —, begegnete ich einer rüstigen Achtzigjährigen, die ihrem Alter zum Trotz noch die gleiche war: aufrecht und rührig, die gleiche Schürze vorgebunden und noch die gleichen Spitzenvorhänge vor ihren Fenstern, auf dem Tisch neben der Zeitung die gleiche Brille, wie sie meine Mutter trug, der sie früher die Zeitung vorgelesen hatte.
Ich stieg zum Wald hinauf. Erstaunt, wie schnell es ging. Die Entfernungen waren zusammengeschrumpft, da mein Schritt größer geworden war. Um die wirkliche Entfernung festzustellen, drehte ich mich um. Was für eine winzige Welt war doch mein Universum von damals! Eine Wiese, die schwarzen Kirchhoftannen, der Glockenturm, die Dächer von Pont-à-Mousson und die Türme der Gaserzeuger des Werks, die hohen Schlote und die Mosel.
Der „Priesterwald" war nur noch ein Geflecht von Lauf- und Schützengräben. Zwischen den zersplitterten Stämmen war das Unterholz nachgewachsen. Nichts mehr als ein paar Buchen, Maschinengewehrgurte, verrostete Konservenbüchsen. Und vor dieser stummen Verzweiflung, grau in der winterlichen Landschaft, das weite Viereck eines Soldatenfriedhofes mit all seinen Kreuzen und Namen.
Der Wald von Maidieres dagegen, ganz in der Nähe, hatte nicht so sehr gelitten. Einige Kratzer auf den Baumrinden, Splitter, verirrte Kugeln: das war alles. Aber man sah kaum noch Hasen laufen, und die Rehe waren ganz verschwunden.
Ich ging in die Unterstände hinein, gut erhaltene Rettungs- und Befehlsstellen. Die Beklemmung der ausgestorbenen Stätten umfing mich. Ich wollte mich nur über die Bauweise unterrichten, um mir später einmal mit der Axt ein Blockhaus zimmern zu können, falls es mir in den Sinn kommen sollte, im Walde zu leben. Das Leben aller mir bekannten Soldaten, der Matrosen und Artilleristen war dahin. Ich wusste noch Namen, erinnerte mich an Stimmen, an Stellen aus ihren Liedern. Ich ging in eine Holzfällerhütte. Ich fror ein wenig an den Fingerspitzen, ich war allein mit meinem Atem und seinem weißen Hauch.
Ich dachte nun nicht mehr daran, die Schritte zu zählen, die die Erde vom Paradiese trennen; dafür sagte mir das Ächzen der Bäume und der flüsternde Wind im toten Laub, dass der Wald eine Seele habe. Wenn sich der hüpfende Zaunkönig in einen Schneemann verwandelt hätte, wäre ich nicht überrascht gewesen. Jeden Augenblick konnte das Leben von damals wieder beginnen, der Wald von neuem grünen, meine Mutter ihre Pflöcke zurechtschneiden. Krieg, Tod, Fabrik, hätte der Zaunkönig mir sagen können, das war nicht Wirklichkeit.

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