Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Georges Navel - Werktage (1945)
http://nemesis.marxists.org

PFIRSICHE

Es war nicht das erste Mal, dass ich zur Pfirsichernte nach Frejus kam. Ich hatte den Weg eingeschlagen, der über den Truppenübungsplatz in die verkümmerten Kiefernwälder hineinführt. Die Schwarzen, denen man begegnet, verstärken noch den Phantasierausch der Lichtfülle und der Hitze. Man glaubt in Afrika zu sein.
Neben einer Baracke drehte ein großer Neger nachlässig, unbefangen, glückselig die Kurbel eines Kaffeerösters und sang vor sich hin. Zur Erwiderung meines Grußes hatte er die Hand bis zu seinem Marokkanerfes erhoben und ließ sie wieder sinken, federleicht. Eine Geste, die zu ihm passte, beschwingt wie die Luft und wie aufgelöst in der Hitze. Ein Stück weiter war ich einem Trupp Senegalschützen beim Steintragen begegnet; sie schritten dahin, ohne Luft zu verdrängen, so ruhig bei der Arbeit wie Schilf in der Brise.
Als ich nach diesem Stück Afrika von der Straße abbog, lagen vor mir die Weinberge und die Pfirsichpflanzung, in der ich schon früher bei der Ernte gearbeitet hatte.
Dort ist der Himmel im Juni Seide und Glut. Der Boden flimmert. Die Pfirsichbäume und die Rebstöcke strahlen mehr Licht aus als Grün. Man weiß nicht mehr, in welchem Lande man lebt, wie alt die Welt ist, und ob es Zeitungen gibt. Während der Ernte, auch in den heißesten Stunden des Tages, wenn die Sonne weiß auf die Blätter knallt, fühlt man sich unter den Bäumen im irdischen Paradies. Die halbnackten Pflücker, die Haut der Früchte, alles ist Farbe, sogar der Schatten. Es tut wohl, barfuss zu gehen, trotz der Erdklumpen. Es ist ein Garten, der den Pflückern mit ihren kupferroten Rücken Schönheit verleiht. Über den Bäumen ist alles weißer Glanz, Licht der Sahara; unten die Oase. Ein sandiger Strand mit Badenden und Sonnenschirmen ist nicht so schön. Der Wind fühlt sich wohler unter den Pfirsichbäumen.
Leise beben die Blätter, flittern durcheinander. Der Schatten ist schöner so, wenn er belebt ist. Die Sonne tänzelt unentwegt. Es ist so heiß, dass die Frucht zusehends zu reifen scheint. Mit Körben und einer kleinen Leiter, um die höchsten Zweige zu erreichen, schreiten die Pflücker zu zweit in jeder Reihe voran. Man wählt die zu pflückende Frucht aus. Ist sie zu grün, kann sie noch größer werden. Doch es ist nicht nur eine Frage der Größe, sondern auch des Geschmacks. Die zu früh gepflückte Frucht ist nicht so gut. Hat man sie gepflückt, muss sie die Reise bis zu den Pariser oder Londoner Märkten überstehen und doch schon die Anzeichen naher Reife aufweisen. Wenn man Übung hat, erkennt man es leicht, ohne sie mit den Fingern zu berühren. Von zwei roten Pfirsichen pflückt man den richtigen, der fast reif ist. Der andere kann noch acht Tage am Baum bleiben. Das Rot des richtigen ist weniger weinrot, sein Flaum verschieden, seine Haut matter. Ein Blick genügt, wenn man den Baum absucht. Mit der Innenfläche der Hand fasst man die Frucht zart an und dreht sie leicht, ohne die Finger dabei zu schließen. Sie löst sich. Das Gefühl ist angenehmer, als wenn man eine Kartoffel oder einen Axtstiel in die Hand nimmt. Gegen den Durst ist der Pfirsich besser als das Lakritzenwasser in den Krügen auf der Baustelle.
Die vergessene Frucht, die man zu reif werden ließ, geht nicht verloren. Ihre Farbe und ihre samtene Zartheit verwandeln sich in Wohlgeschmack. Es gibt nichts Besseres als diese „May Flowers", als diese Frühlingspfirsiche der südlichen Länder. Der Pflücker, der zuviel davon isst, wird undankbar und sagt von den schönsten, allzu saftigen Pfirsichen: „Das ist ja Wasser."
Die mehr als zehnstündige Arbeit, das Gehen auf den harten Erdklumpen, immer mit erhobenem Kopf, so dass man schließlich einen steifen Hals bekommt, all das wäre noch härter, wenn nicht die erfrischenden, Vollreifen Pfirsiche die Kraft und Geschmeidigkeit der Bewegungen erhalten würden. Die vollen Körbe, die man ans Ende der langen Baumreihen trägt, sind schwer, und es ist heiß..
Während der Nacht hat man mit den Flöhen auf dem Stroh geschlafen. Das ist der Komfort für Saisonarbeiter. Abends wurde man von den Mücken aufgefressen, mittags von den Fliegen, und beim Frühstück im Schatten der Korkeiche, die man sich ausgesucht hatte, überfielen die Ameisen das Brot, den Käse und die Sardinendose.
Wir waren an die zwanzig Pflücker auf dieser Pflanzung; alle hausten wir in derselben Scheune; ein paar Araber und die anderen, junge Burschen aus der Gegend. Abends gingen sie in eine Kaschemme des Negerlagers und tanzten dort nach einer Viola.
Bei der Arbeit überwachte uns ein großer Bulle, der Aufseher; durch seine Anwesenheit oder indem er sich hinter Weinstöcken verbarg, brachte er unsere Gespräche zum Verstummen.
Der Besitzer hatte seine Ernte nach Gewicht einem Spediteur verkauft. Auf dem Hof ließ er in dessen Gegenwart die aus der Pflanzung ankommenden Körbe wiegen. Von Zeit zu Zeit kam er zu uns. Man hörte ihn mit männlicher und lauter Stimme ein Soldatenlied singen, bevor seine kurzen Hosen und sein Tropenhelm zum Vorschein kamen. Er rief uns zu:
„Na, Jungens, alles in Ordnung?"
Er war von gutem Schlag, der Baustellenleiter. Seine Herzlichkeit war nicht gekünstelt, nicht die eines Arbeitgebers, der sich beliebt machen will; sie war echt. Er hatte mir gleich gefallen. Sympathische Grundbesitzer sind selten.
Anfangs waren wir zahlreich genug, um die Plantage in drei Tagen durchzuackern. Dann drängte es mit dem Pflücken. Wir arbeiteten zehn Stunden. Der Aufseher kam an und sagte, ohne uns nach unserer Meinung zu fragen oder die üblichen Vergütungen für zusätzliche Arbeit anzubieten:
„Heute abend macht ihr zwei Stunden länger."
Das passte niemandem. In zehn Jahren war alles doppelt so teuer geworden, die Pfirsiche einbegriffen, aber der Lohn war der gleiche geblieben. Das lockte niemanden mehr, mit Ausnahme der Arbeitslosen, die auf der Straße lagen. Ich bekam langsam genug von der Saisonarbeit. Die Arbeitszeit wird nicht eingehalten. Ich schlief im Stroh und verdiente weniger als ein Landarbeiter, der sich tageweise an Ort und Stelle verdingt.
Abends gab es ein paar Stunden, in denen ich keine Lust mehr hatte, mich ohne absolute Notwendigkeit zu niedrigem Preis an rücksichtslose Ausbeuter zu verkaufen. Schließlich ist man kein Pferd. Dies „Ihr bleibt!", das, an unserem Einverständnis nicht zu zweifeln schien, gefiel mir nicht. Das ließ uns keine Zeit mehr, uns zu waschen, zu einem Bach mit gutem, lauem Wasser zu gehen, um Schweiß und Müdigkeit loszuwerden. Die Ruhestunden nach der Arbeit sind zu kostbar, um verkauft zu werden.
Mein Kamerad war der erste, der wütend wurde. Der Aufseher schrie ihn an:
„Hauen Sie ab, wenn es Ihnen nicht passt!"
Er ließ seine Körbe stehen und ging. Ich bin ihm nachgelaufen:
„So nicht, alle zusammen!"
Ich wandte mich zur Belegschaft, um die Kumpels dazu zu bewegen, mit uns zum Chef zu kommen. Erfolglos. Es waren Burschen ohne Arbeitertradition. Der Chef neben seiner Waage war schon von dem Zwischenfall unterrichtet; er behandelte uns sehr von oben herab und duzte uns:
„So, ihr seid also die kommunistischen Hetzer, die auf meinen Hof gekommen sind, um zu stänkern? Bist du wohl, der Große da, der Klamauk macht?"
Mein Kumpel duzte ihn seinerseits:
„Keine Rede von Klamauk oder Stänkerei. Sei höflich! Wenn du uns Überstunden machen lässt, dann bezahl gefälligst dementsprechend! Wir sind genau wie du, wir arbeiten nicht umsonst."
Er war verwirrt und fühlte, dass die Unterhaltung eine schlechte Wendung für ihn nahm. Er verlor sein Ansehen vor den Frauen und vor dem Personal seines Exporteurs. Am nächsten Tage waren wir woanders eingestellt.

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur