BAUSTELLE INVALIDENPLATZ
Schrille Pfiffe übertönen das lärmende Durcheinander. Auf das Kommando eines Riesenburschen mit der Signalpfeife im Mund ziehen Erdarbeiter in einem Graben ruckweise an einem Kabel, um es von einer Trommel abzurollen; wie eine schwere schwarze und erdige Schlange windet sich das Kabel den Graben entlang.
Obwohl der Kerl, der da kommandiert, breitschultrig, rotbackig und ganz ruhig ist, klingen seine Pfiffe vorwurfsvoll, unzufrieden und ungeduldig; es ist, als wiederhole er unablässig: „Na los da unten, zieht, zum Donnerwetter! Meint ihr, ich seh euch nicht?"
Die Pfiffe mit dem tadelnden Beiklang tragen ihr erregtes „Hau ruck!" in die Weite. Alle Kumpels der Baustelle — auch die, die nichts mit dem Abwickeln des Kabels zu tun haben — fühlen sich gestochen von dieser unermüdlichen Pfeiftarantel und schimpfen: „Wird er endlich Ruhe geben, der Riesenkaffer, er zerreißt einem ja die Ohren mit seinem Tüt-Tüt!"
Das ganze lärmende Treiben von Paris braust durch die Luft der Baustelle. Geblöke, Gewimmel, Geächze, unentwirrbares Geräuschknäuel der ganzen Autoherde, die in einer endlosen Häuserwüste umherhetzt.
Die letzten reglosen Fäserchen der Luft sind vom Sturm der Maschinen aufgesogen; Kompressoren, Betonmaschinen, Presslufthämmer und Sägemaschinen kauen und zermalmen die zermürbte Luft. Die Männer, halbe Schattenwesen, scheinen nicht mehr aus Fleisch und Knochen zu sein, und in dem Getöse haben ihre winzigen Handwerkszeuge keine eigene Stimme mehr. Alle ihre Bewegungen wirken geräuschlos. Das Kratzen der Kelle in einem Holzkübel oder das Zerspringen eines Ziegelsteines unter dem Hammerschlag hört man nur aus der nächsten Nähe. Der ganze Krach, den man vernimmt, stammt von den Maschinen, von den Riesengeräten, und wird nur von den schrillen Pfiffen des großen Teufels übertönt.
Geräusche, Gerüche: ein einziges Gewimmel. Der Odem von Paris, der nach dem Schlund der U-Bahn riecht, nach Zelluloid und nach verbranntem Gummi, frischt sich auf mit den Gerüchen der Baustelle, dem gesunden Duft nach Gips, Sand und Kalk — Gerüche, die robust sind wie die Arbeiter.
Sogar an Regentagen bergen die roten Backsteine
noch Sonne, und der Sand ist Land und Natur, Flussbett und Stille.
Man spürt in diesem Getöse kaum, dass man existiert. Sogar mit einer Spitzhacke in der Hand besinnt man sich fast nicht auf sich selbst. Am Abend, in der jähen Stille der Vorstadt, sobald man die Lichter des Autobusses oder der Kneipe hinter sich gelassen hat, findet man seine Menschenseele wieder. Hier aber ist man nur Arbeitstier, zwei Hände aus dem Riesenheer von Händen, mit dem Gefühl, dass man die nötige Muskel- und Willenskraft besitzt, um die Arbeit zu leisten.
Die Arbeit weckt auch menschliches Empfinden. Anstatt vom Lärm spricht der Sand leise von der Ferne. Ohne besonders darauf zu achten, weiß man es. Die Erde von Paris auf der Schaufel des bretonischen Erdarbeiters ruft ländliche Erinnerungen wach, und die ganze Erde scheint nun nicht mehr ausschließlich und überall das Bereich wild rasender Menschen und Maschinen. Man erträgt den Lärm besser, wenn man weiß, dass es anderswo Orte gibt, über denen Ruhe herrscht.
In einem gewaltigen Durcheinander von Material, Gerüsten und halbfertigen Gebäuden steht neben einem Graben, den die Bauarbeiter ausheben, ein alter Mann. Er ist dabei, die Erde, die man ihm von unten heraufwirft, zur Seite zu schaufeln. Gebrechlich und krumm, mit seinen Rockschößen, die ihm spitz über die Knie hinabhängen, erinnert er an einen regennassen Spatzen.
Während der Alte mit unsicheren Füßen den Gang auf ein quer über den Graben gelegtes Brett wagt, ruft er: „Herrgott, ich weiß nicht, ob ich heute morgen hinüberkomme, ich hab ganz steife Beine!"
Das Hindernis ist nicht groß, der Graben ist achtzig breit, ein Schritt über das Brett, und man wäre drüben. per kleine Alte macht nutzlose Anstrengungen, um sein zitterndes Gerippe auf die andere Seite hinüberzuschieben.
Unten stellt ein Erdarbeiter seine Schaufel gegen die Verschalung seines Grabens.
„Warte, Väterchen, brich dir nicht das Kreuz. So, jetzt geh, ich helf dir!"
Sicherer geworden, schafft der arme Alte mit der Schaufel als Stütze den Übergang über den Graben.
„Ja, so geht's, wenn man alt wird!" sagt der Greis. „Dreiundsiebzig bin ich jetzt", fügt er stolz hinzu.
Der lange Rothaarige, der ihm geholfen hat, zieht seinen Tabaksbeutel heraus und hält ihn dem Alten hin, der sich mit seinen welken Fingern eine Zigarette dreht. Er hat jenen naiven Gesichtsausdruck, den die härtesten Männer annehmen, wenn sie alt werden, zwei blaue Augen, einen hellen Blick, der noch an so manchen kleinen Dingen seine Freude haben könnte.
„Ja, ja, Alterchen, das will ich meinen, so alt wie du werden nicht alle", sagt der Rothaarige zu ihm und zieht genießerisch an der ersten Morgenzigarette.
Er raucht, als wolle er sich gegen eine aufkommende Mutlosigkeit wehren, und blickt dabei den Alten mit einem Ausdruck an, der zu besagen scheint: „Das Leben ist schon eine derbe Posse, aber wir sind stärker als diese Posse, wir halten durch."
Von Zeit zu Zeit entwischt ein Erdarbeiter dem Bann der Arbeit, dem Rhythmus seines Gerätes; mit einem Blick umfängt er die Baustelle, entdeckt neben sich den Greis, den gebeugten, von den Jahren verbrauchten Erdarbeiter, der da mit den schwachen Kräften eines Kindes sein Brot verdient. Es ist, wenn sich nichts ändert, sein eigenes Schicksal, das er da erblickt in diesem armen Teufel, der sich auf seine alten Tage damit abquält, der Gesellschaft sein Recht auf Leben zu entreißen. |
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