VIII. Der erste Gang
Der Weg lief ihm, wie ein elastisches unendliches Band, entgegen, die Zweige schlugen Moroska schmerzhaft ins Gesicht, er aber jagte und jagte den tollgewordenen Hengst, kochend vor rasender Wut, Kränkung und Rachedurst. Einzelne Episoden jener unsinnigen Unterredung mit Metschik, eine immer deutlicher als die andere, erstanden wieder und wieder in seinem erhitzten Hirn, und trotzdem schien es Moroska, dass er seine Verachtung, die er Menschen dieser Art gegenüber hegte, nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht habe.
Er hätte Metschik beispielsweise daran erinnern können, wie dieser sich im Gerstenfeld krampfhaft an ihn geklammert, welche jämmerliche Furcht um sein kleines Leben ihm aus den entsetzten Augen gesehen hatte; er hätte sich grausam über Metschiks Liebe zu dem lockigen Fräulein, deren Bild der ja wohl noch immer in seiner Jackentasche auf dem Herzen verwahrte, lustig machen und dieses schöne, feingeputzte Dämchen mit den schmutzigsten Worten bedenken können... Da fiel ihm wieder ein, dass Metschik mit seiner Frau angebändelt hatte und jetzt wohl schwerlich um des feinen Fräuleins willen beleidigt sein würde. Statt schadenfrohen Triumphes über den erniedrigten Gegner empfand Moroska von neuem nur seine eigene, nicht wiedergutzumachende Kränkung.
Mischka, von der Ungerechtigkeit seines Herrn zutiefst verletzt, galoppierte dahin, bis sein schäumendes Maul die Zügel erschlaffen fühlte. Dann verlangsamte er die Gangart und setzte sich, da er keinen neuen Befehl vernahm, in einen gekünstelt schnellen Trab, ganz wie ein gekränkter Mensch, der seine Würde nicht preisgibt. Er beachtete nicht einmal die Häher, sie schrieen an diesem Abend allzu laut, aber grundlos wie immer, und schienen ihm noch geschäftiger und dümmer als sonst.
Die Taiga lief in einer lichten Reihe Birken aus, und die Sonne strahlte ihm zwischen den herbstroten Bäumen entgegen. Hier war alles geruhsam, klar und heiter, so ganz unvergleichbar der hähergleichen Geschäftigkeit der Menschen. Der Zorn Moroskas war verraucht. Die beleidigenden Worte, die er Metschik gesagt hatte oder sagen wollte, hatten längst den Reiz eines Rachegefühls verloren, erschienen ihm jetzt in ihrem wahren Lichte: sie waren überflüssig laut und wogen zu leicht. Er bereute schon, sich mit Metschik eingelassen und nicht bis zuletzt die »Rolle« gewahrt zu haben. Er fühlte jetzt, dass ihm Warja gar nicht so gleichgültig war, wie es ihm früher geschienen hatte, aber gleichzeitig war er sich voll bewusst, dass er nie mehr zu ihr zurückkehren werde. Und nun, da er mit Warja, dem nächsten Menschen, der ihn mit seinem früheren Leben im Bergwerk verband, als er noch lebte »wie alle«, als ihm alles noch einfach und klar erschien, auseinander gegangen war, übermannte ihn ein Gefühl, als ob ein großer, gewichtiger Abschnitt seines Lebens abgeschlossen sei, ein neuer aber noch nicht begonnen habe.
Die Sonne lugte unter Moroskas Mützenschirm, sie stand noch über dem Höhenrücken, leidenschaftslos, starr, aber die Felder ringsum waren beunruhigend menschenleer.
Sein Blick fiel auf die zwischen halbgemähten Streifen aufgehäuften Gerstengarben, eine in der Hast auf einem Haufen zurückgelassene Schürze und eine mit dem Stiel in die Erde gestoßene Harke. Auf einem windschiefen Heuschober hockte einsam und traurig eine stumme Krähe. Doch all das nahm Moroska wahr, ohne es zu erfassen. Er wühlte den Staub der Erinnerung auf und entdeckte, dass er gar keine freudige, sondern eine unendlich freudlose und verfluchte Last zu tragen hatte. Er fühlte sich verlassen und einsam. Ihm war, als schwebe er über einem riesigen herrenlosen Feld, und dessen beängstigende Öde erhöhte seine Einsamkeit noch mehr.
Lautes Pferdegetrappel hinter dem Hügel schreckte ihn auf. Kaum hatte er den Kopf gehoben, als er die stattliche, straff gegürtete Gestalt eines Patrouillenreiters auf feurigem Pferd erblickte, das bei dieser unerwarteten Begegnung wie von unsichtbarer Gewalt auf die Hinterbeine geschleudert wurde.
»Oho, verdammte Stute du!...« fluchte die Patrouille, im Fluge die abgerutschte Mütze auffangend. »Moroska, ja? Lauf nach Hause, lauf, dort ist der Teufel los...«
»Was denn?«
»Ja, die Deserteure sind hier vorbeigekommen, ganze Fuhren haben sie zusammengeschwätzt, ganze Fuhren - da, da kommen sie schon, die Japaner. Die Weiber kreischen, die Bauern, hast du nicht gesehen von den Feldern... Karren haben sie bei der Fähre aufgefahren, dein Markt zu Hause ist ein Dreck dagegen. Der Fährmann ist beinahe totgeschlagen worden, hin und her, her und hin, konnte nicht alle 'rüberbringen, nicht alle!... Unser Grischka aber hat ein Dutzend Werst abgeritten, keine Spur von den Japanern, keine Spur, alles dummes Geschwätz. Weibergeschwätz. An die Wand sollte man sie stellen, wenn's nur nicht schade um die Patronen wäre, schade, bei Gott!...« Die Patrouille spuckte und fuchtelte mit der Reitgerte herum, bald nahm sie die Mütze vom Kopf, bald setzte sie sie wieder auf, während sie die Locken schüttelte, als wollte sie zu allem noch hinzufügen: ,Schau mich mal an, lieber Freund, wie die Mädels auf mich fliegen.'
Moroska erinnerte sich, dass ihm dieser Bursche vor zwei Monaten einen Blechnapf gestohlen und nachher hoch und heilig geschworen hatte, dass er ihn noch von der »deutschen Front« her habe. Und obschon ihn der Napf nicht reute, so brachte ihn die Erinnerung daran schneller, als es die Worte der Patrouille -die er, mit sich selbst beschäftigt, überhörte - vermocht hätten, in das alte Geleise des Abteilungslebens zurück. Die Eilstafette, die Ankunft Kanunnikows, der Rückzug Ossokins, die Gerüchte, die in letzter Zeit in der Abteilung umliefen, all das brach wie eine Sturmflut über Moroska herein und schwemmte den schwarzen Schaum des vergangenen Tages hinweg.
»Was schwätzt du von Deserteuren?« unterbrach er die Patrouille. Jener hob erstaunt die Brauen und schien bei der Gebärde, die er vollführte, um die Mütze, die er gerade erst abgenommen hatte, wieder aufzusetzen, zu erstarren. »Dir ist's doch nur darum zu tun, dich aufzuspielen!« sagte Moroska verächtlich. Er riss wütend den Hengst herum und war in wenigen Minuten bereits bei der Fähre.
Der behaarte Fährmann in hochgestülpten Hosen, mit einem mächtigen Geschwür am Knie, war vom Hin- und Hertreiben der überlasteten Fähre völlig erschöpft, aber trotzdem drängten sich noch viele am diesseitigen Ufer. Kaum, dass er mit der Fähre an Land stieß, stürzte eine ganze Lawine von Menschen, Säcken, Fuhrwerken, schreienden Kindern, Kinderwagen über ihn, jeder war bemüht, dem anderen zuvorzukommen. All das schob sich durcheinander, brüllte, stöhnte, stürzte zu Boden, der Fährmann schrie sich vergebens die Kehle aus, um Ordnung in das Chaos zu bringen. Ein stupsnasiges Bauernweib, das Gelegenheit gehabt hatte, mit den Deserteuren zu sprechen, wurde durch den unlöslichen Widerspruch zwischen ihren Wünschen, entweder so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen oder bei den Zurückbleibenden ihre Neuigkeiten an den Mann zu bringen, hin- und hergerissen, verpasste bereits zum dritten Mal die Fähre, schob ihren riesigen, mit Schweinefutter gefüllten Sack hin und her, jammerte bald »Gott, mein Gott«, oder begann von neuem mit ihren Erzählungen, um die Fähre ein viertes Mal zu verpassen.
Einmal in dieses Durcheinander geraten, hatte Moroska Lust, wie es seine Gewohnheit war, einfach »aus Jux«, noch den Schrecken zu vermehren, wurde aber aus irgendeinem Grunde anderen Sinnes, setzte ab und redete beruhigend auf die Menge ein.
»Was quatschst du da von Japanern, ist ja alles Schwindel«, unterbrach er das förmlich toll gewordene Weib. »Sie wird euch noch erzählen, dass sie Ga-ase lassen... was für Gase? Die Koreaner brennen vielleicht Stroh und die meckert - Ga-ase...«
Die Bauern, die das Weib vergaßen, umringten Moroska, er fühlte sich plötzlich als ein großer, verantwortungsvoller Mann, und hocherfreut über die ungewöhnliche Rolle, die er spielte, und auch, dass er der Versuchung, die Menschen ins Bockshorn zu jagen, widerstanden hatte, dementierte und verhöhnte er so lange die Schreckensmären der Deserteure, bis es ihm geglückt war, die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Als die nächste Fähre landete, war das Gedränge schon schwächer geworden, Moroska ordnete selber die Reihenfolge der Fuhren, die Bauern fluchten über ihren frühzeitigen Aufbruch vom Felde und schimpften aus Ärger über sich selbst auf die Pferde. Sogar das stupsnasige Bauernweib mit dem Futtersack geriet zuletzt in irgendeinen Wagen zwischen zwei Pferdeschnauzen und einen breiten Bauernhintern.
Ü ber das Geländer geneigt, sah Moroska, wie die weißen Schaumwirbel zwischen den Booten dahinliefen, nicht einer überjagte den andern, ihre natürliche Ordnung erinnerte ihn daran, wie er selbst eben die Bauern in Reih und Glied ausgerichtet hatte, und diese Erinnerung erfüllte ihn mit Behagen.
Bei der Hürde begegnete er der Ablösung, fünf Jungens aus Dubows Zug. Sie begrüßten ihn mit Gelächter und gutmütigen Flüchen, weil sie sich erstens immer freuten, ihn zu sehen, und sonst nichts zu reden hatten, aber auch deshalb, weil es gesunde, kräftige Jungens waren und der Abend so erfrischend und angenehm.
»Hals- und Beinbruch!...« verabschiedete sich Moroska... Er blickte ihnen neidisch nach. In ihm brannte der Wunsch, mit denen dort zusammen zu sein, mit ihrem Lachen und ihren Flüchen auf gemeinsamem Patrouillenritt durch den erfrischenden kühlen Abend dahinzusprengen.
Die Begegnung mit den Partisanen erinnerte Moroska daran, dass er beim Verlassen des Lazaretts den Brief Staschinskijs vergessen hatte und ihm dies teuer zu stehen kommen könnte. Das Bild der Versammlung, als man ihn um ein Haar mit Schimpf und Schande aus der Abteilung gejagt hätte, stieg in ihm auf, und ein Alp legte sich auf seine Brust. Erst jetzt wurde es Moroska klar, dass dies vielleicht das wichtigste Ereignis für ihn im letzten Monat gewesen war, viel wichtiger als jenes, das sich im Lazarett abgespielt hatte.
»Mischka«, sagte er zum Hengst und zauste ihn an der Mähne. »Hängt mir alles schon zum Halse 'raus, mein Lieber...«
Mischka schüttelte den Kopf und blähte die Nüstern.
Als er sich dem Stab näherte, fasste Moroska den festen Entschluss, »auf alles zu pfeifen« und um die Erlaubnis zu bitten, ihn von den Pflichten einer Ordonnanz zu befreien und ihm zu gestatten, sich den Jungens im Zuge anschließen zu dürfen.
Vor dem Stabsquartier verhörte Baklanow die Deserteure, sie waren waffenlos und unter Bewachung. Baklanow saß auf einer Stufe und notierte die Namen.
»Iwan Filimonow...« stammelte einer mit kläglicher Stimme, aus allen Kräften den Hals reckend.
»Wie?...« fragte Baklanow drohend und drehte sich mit dem ganzen Körper zu ihm, wie das gewöhnlich Lewinsohn machte. (Baklanow erblickte in dieser Gewohnheit Lewinsohns die Absicht, die besondere Wichtigkeit seiner Fragen hervorzuheben, in Wirklichkeit aber drehte sich Lewinsohn auf diese Weise um, weil er infolge einer alten Verwundung am Hals überhaupt nicht in der Lage war, sich anders umzudrehen.)
»Filimonow?... Vatersname!...«
»Wo ist Lewinsohn?« fragte Moroska. Man wies mit einer Kopfbewegung auf die Tür. Er kämmte seinen Schopf und trat in die Hütte.
Lewinsohn arbeitete in einer Ecke, ohne ihn zu bemerken. Moroska spielte unschlüssig mit der Reitgerte. Wie alle andern in der Abteilung, schien der Kommandeur auch Moroska ein »ganzer Kerl« zu sein. Da ihn aber das Leben belehrt hatte, dass es keine »ganzen Kerle« gäbe, so suchte er sich selbst einzureden, dass Lewinsohn im Gegenteil ein großer Spitzbube sei und es faustdick hinter den Ohren habe. Trotz alledem war Moroska fest davon überzeugt, dass dem Blick des Kommandeurs nichts entginge und es beinah unmöglich wäre, ihn hinters Licht zu führen: Moroska fühlte sich in seiner Haut nie recht wohl, wenn er es nötig hatte, Lewinsohn um irgend etwas zu bitten.
»Und immer stöberst du in den Papieren herum, wie so 'ne Maus«, sagte er schließlich. »Hab' das Paket in vollster Ordnung abgegeben.«
»Und keine Antwort?«
»K-keine...«
»Es ist gut«, der Kommandeur schob die Karte beiseite und stand auf.
»Hör mal, Lewinsohn...«, begann Moroska. »Ich habe eine Bitte an dich...wirst sie erfüllen, sollst für alle Zeit mein Freund sein, wahrhaftig...«
»Für alle Zeit dein Freund?« wiederholte Lewinsohn lächelnd. »Na, los, sprich, was ist das für 'ne Bitte?«
»Lass mich in den Zug...«
»In den Zug?... Warum brennt denn das so?«
»Das ist 'ne ganze Geschichte - hängt mir zum Halse 'raus, bei Gott... als wäre ich kein Partisane, sondern...« Moroska machte eine wegwerfende Bewegung und setzte eine düstere Miene auf, um nicht loszufluchen und die Sache zu verderben.
»Und wer wird Ordonnanz sein?«
»Den Jefimka könnte man ja dazu nehmen«, hakte Moroska ein. »Donnerwetter, ist das ein Reiter, kann ich dir sagen, in der alten Armee hat er sich Preise geholt!«
»Für alle Zeit mein Freund, sagst du?« fragte von neuem Lewinsohn in einem Ton, als ob der diesem Umstand eine besondere Bedeutung beimesse.
»Lach bloß nicht, Teufelskerl...«, platzte Moroska los. »Man kommt dienstlich, und der macht Faxen...«
»Reg dich nur nicht auf, das ist schädlich... sag Dubow, dass er mir Jefimka schickt, und du... kannst deine Sachen packen.« »Das nenn' ich mir einen Gefallen erweisen...«, rief erfreut Moroska, »Lewinsohn... das ist eine Nummer!...« Er riss die Mütze vom Kopf und schleuderte sie zu Boden. Lewinsohn hob die Mütze auf und erwiderte: »Dummkopf...«
Als Moroska beim Zug anlangte, war es bereits dunkel. In der Hütte traf er an die zwölf Mann. Dubow, der rittlings auf einer Bank saß, war beim Schein einer Kerze damit beschäftigt, einen Revolver auseinander zunehmen.
»Ahaha, unsaubres Blut...«, zischte er durch die Zähne. Als er das Bündel in den Händen" Moroskas erblickte, verwunderte er sich. »Du kommst da mit deinen ganzen Siebensachen angewackelt? Bist wohl entlassen worden, was?«
»Feierabend!« rief Moroska, »a. D.!... Mit einer Feder im Hintern, ohne Pension... mach Jefimka zurecht - der Kommandeur befiehlt's...«
»Das hab' ich wohl dir zu verdanken?« fragte giftig Jefimka,
ein ausgemergelter, galliger Bursche mit pickelübersätem Gesicht.
»Mach, mach, das werden wir dort untersuchen... Mit einem
Wort, meinen Glückwunsch zur Beförderung, Jefim Semenowitsch! ... Hoffentlich schmeißt du eine Lage...«
Voll Freude, dass er sich wieder bei den Burschen befand, geriet Moroska schier aus dem Häuschen, erzählte Witze, neckte sich mit allen, kniff die Wirtsfrau und wirbelte so lange durch die Hütte, bis er mit dem Zugführer zusammenstieß und das Gewehröl verschüttete.
»Krüppel du, ungehobelter Patron!« fluchte Dubow und schlug ihn so kräftig auf den Rücken, dass Moroskas Kopf beinahe vom Rumpf geflogen wäre.
Obwohl das sehr weh tat, wurde Moroska nicht böse, er hatte sogar einen Spaß an den ausgefallenen Redewendungen, mit denen ihn Dubow traktierte: er nahm alles als selbstverständlich hin.
»Ja... 's war höchste Zeit, höchste Zeit...«, sagte Dubow. »Nur gut, dass du wieder zu uns gestoßen bist. Sonst wärst du ganz und gar verludert, verrostet, wie ein halb angeschraubter Bolzen, hast Schande über uns gebracht...«
Alle waren damit einverstanden, dass es gut sei, aber aus einem anderen Grunde: der Mehrzahl gefiel an Moroska gerade das, was Dubow missfiel.
Moroska bemühte sich, jeden Gedanken an den Ritt ins Lazarett zu verscheuchen. Er befürchtete sehr, jemand könnte ihn fragen: »Und wie geht es denn deinem Frauchen?...«
Dann ritt er zusammen mit allen zum Fluss, die Pferde zu tränken... Hohl, doch ohne gespenstigen Klang schrieen die Käuze, im Nebel über dem Wasser verschwammen die Pferdeköpfe, glitten lautlos über den Spiegel mit gespitzten Ohren dahin - am Ufer geisterten dunkle, von kaltem Tau bereifte Sträucher. ,Das ist ein Leben...', dachte Moroska und pfiff seinem Hengst gut zu. Zu Hause flickten sie Sättel und putzten die Gewehre. Dubow las laut die Briefe vom Bergwerk vor; und als sie zur Ruhe gingen, ließ er Moroska »anlässlich seiner Rückkehr in Timofejs Schoß« zur Wache antreten.
Den ganzen Abend fühlte Moroska sich als vorbildlicher Soldat und guter, nützlicher Mensch.
Nachts erwachte Dubow von einem heftigen Rippenstoß. »Was ist los? Was ist los?...« fragte er erschreckt und setzte sich auf. Noch ehe er Zeit gefunden, einen Blick auf die flackernde Kerze zu werfen, vernahm er, vielmehr verspürte er einen fernen Schuss, dem nach einer Weile ein zweiter folgte... Am Bette stand Moroska und schrie:
»Schnell, steh auf! Hinter dem Fluss wird geschossen/... Vereinzelte Schüsse erfolgten in beinahe regelmäßigen Abständen. »Weck die Jungens!« befahl Dubow, »lauf sofort in die Hütten... rasch!...«
Einige Sekunden später rannte er in voller Kampfausrüstung auf den Hof hinaus. Der Himmel weitete sich über ihm windstill und kalt. Über die fernen, nebligen Pfade der Milchstraße liefen die Sterne wirr dahin. Aus dem dunklen Loch eines Heuschobers stürzten nacheinander die zerzausten Gestalten der Partisanen, die sich fluchend die Patronengürtel umschnallten und die Pferde hinter sich herzogen. Aufgescheuchte Hühner flogen wütend gackernd von den Stangen auf, Pferde stießen wiehernd um sich.
»Gewehre um!... Aufgesessen!« kommandierte Dubow. »Mitrij, Senja!... Lauft in die Hütten, weckt die Leute... rasch!...«
Vom Platz beim Stab stieg eine Rakete hoch und sauste mit rauchendem Zischen zum Himmel empor. Ein verschlafenes Weib beugte sich zum Fenster hinaus und schnellte wieder zurück.
»Zieh die Gurte an...«, ließ sich eine bebende Stimme vernehmen.
Der vom Stab heransprengende Jefimka schrie ins Tor:
»Alarm!... Alle zum Sammelplatz in voller Bereitschaft!...« Jefimka schwang die Reitgerte über dem emporgerissenen fletschenden Pferdemaul und sprengte, etwas Unverständliches schreiend, von dannen.
Als die Ausgesandten zurückgekehrt waren, stellte es sich heraus, dass die Mehrzahl des Zuges außerhalb genächtigt hatte: sie waren am Abend bummeln gegangen und anscheinend bei den Mädels geblieben. Dubow, der nicht wusste, ob er mit dem vorhandenen Bestand antreten oder selber zum Stab reiten sollte, um zu erfahren, was los wäre, fluchte, was das Zeug hielt, und schickte nach allen Windrichtungen auf die Suche. Zweimal kamen die Ordonnanzen mit dem Befehl, sogleich mit dem Zuge anzurücken, aber Dubow, außerstande, die Mannschaft zu sammeln, fegte wie ein Tier im Käfig über den Hof und war vor Verzweiflung bereit, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, was er auch, hätte er nicht dauernd die Last seiner schweren Verantwortung gefühlt, sicherlich ausgeführt haben würde. Manch einer bekam in dieser Nacht seine erbarmungslosen Fäuste zu spüren.
Der Zug sprengte endlich, vom heiseren Geheul der Hunde begleitet, zum Stab, mit rasendem Pferdegetrappel und Stahlgeklirr die in Schreck getauchten Straßen erfüllend.
Dubow staunte sehr, als er auf dem Platz die ganze Abteilung versammelt sah. Die Chaussee entlang hatte sich der marschbereite Train aufgestellt, viele saßen ab und ließen sich rauchend neben den Pferden nieder. Er forschte nach der kleinen Gestalt Lewinsohns, der neben einem fackelerhellten Balken stand und sich ruhig mit Meteliza unterhielt.
»Was kommst du so spät?« schrie ihn Baklanow an, »und sagst noch ,Wir...Kumpel'...« Er war außer sich, nie hätte er sonst so mit Dubow gesprochen. Der Zugführer winkte nur abwehrend ab. Das kränkendste war für ihn das Bewusstsein, dass jetzt dieser junge Bursche Baklanow das unbestreitbare Recht hatte, ihn auf jegliche Weise zu beleidigen, dass aber selbst diese Schmähungen keine zulängliche Sühne für seine Schuld bildeten. Außerdem hatte ihn Baklanow an der empfindlichsten Stelle getroffen: Dubow war in der Tiefe seiner Seele davon überzeugt, dass der Name Kumpel der höchste und ehrenvollste sei, den ein Mensch auf dieser Welt nur tragen könne. Jetzt stand es für ihn fest, dass sein Zug sich wie auch das Sutschaner Bergwerk und das ganze Kumpelgeschlecht bis mindestens ins siebente Glied mit Schande bedeckt habe.
Nachdem er seinen Zorn ausgetobt hatte, entfernte sich Baklanow, um die Posten einzuziehen. Von seinen fünf Burschen, die vom jenseitigen Flussufer zurückgekehrt waren, erfuhr Dubow, dass gar kein Feind in Sicht sei und sie auf Befehl Lewinsohns einfach ins Blaue geschossen hätten. Da verstand er, dass Lewinsohn nur die Kampfbereitschaft der Abteilung erproben wollte, und es wurde ihm noch bitterer bei dem Gedanken zumute, dass er weder das Vertrauen des Kommandeurs gerechtfertigt, noch anderen als Beispiel gedient hatte.
Als die Züge zum Appell angetreten waren, stellte es sich gleichwohl heraus, dass noch viele fehlten. Die überwiegende Anzahl von Deserteuren hatte Kubrak aufzuweisen. Kubrak selbst war am Tage zu seiner Verwandtschaft geritten, um sich zu verabschieden, und war noch nicht nüchtern geworden. Einige Male wandte er sich an seinen Zug mit einer Rede - »ob man ihn achten könne, wenn er so ein Lump und so ein Schwein sei« -und weinte. Und die ganze Abteilung sah, dass Kubrak betrunken war. Nur Lewinsohn schien das nicht zu bemerken, sonst hätte er Kubrak seines Postens entheben müssen, aber er hatte keinen Ersatz für ihn.
Lewinsohn ritt die Front ab und hob, zur Mitte zurückkehrend, die Hand. Während eines Augenblicks hing sie kalt und streng in der Luft. Es entstand eine Stille, durch die nur die geheimen nächtlichen Geräusche schwebten.
»Genossen!...« begann Lewinsohn, und seine leise, aber durchdringende Stimme konnte jeder hören wie das Klopfen seines eigenen Herzens. »Wir gehen von hier fort... wohin -darüber verlohnt sich's jetzt nicht zu reden. Wenn man auch die japanischen Kräfte nicht zu überschätzen braucht, so sind sie doch jedenfalls so bedeutend, dass es besser ist, wenn wir uns auf einige Zeit zurückziehen. Das heißt nicht, dass wir uns völlig aus der Gefahr begeben. Nein. Sie schwebt dauernd über uns, und jeder Partisane weiß das. Haben wir den Ruf der Partisanen gerechtfertigt?... Heute keineswegs... wir haben uns gehen lassen wie Weiber!... Und was, wenn wirklich die Japaner gekommen wären?... Sie hätten uns ja abgewürgt wie die Kücken!... Schande!...« Lewinsohn neigte sich schnell vor, und seine letzten Worte peitschten die Luft gleichsam mit der Kraft einer losgeschnellten Feder, dass sich alle wie überraschte Kücken vorkamen, die im Dunkeln von unerbittlichen eisernen Fängen gewürgt werden.
Selbst Kubrak, der nichts verstanden hatte, sagte überzeugt: »Richtig...Das ist alles richtig...« Er warf seinen quadratischen Kopf zur Seite und rülpste laut.
Dubow wartete von Minute zu Minute, dass Lewinsohn sagen werde: »Dubow zum Beispiel, der ist heute als letzter zum Appell gekommen, und gerade auf ihn hatte ich am meisten gehofft -Schande!...« Aber Lewinsohn nannte keine Namen. Er sprach überhaupt nicht viel, sondern klopfte hartnäckig auf eine Stelle, als triebe er einen massiven Nagel hinein, dem es bestimmt ist, seinen Zweck auf ewige Zeiten zu erfüllen. Erst nachdem er sich von der Wirkung seiner Worte überzeugt hatte, blickte er zu Dubow hin und sagte auf einmal:
»Dubows Zug begleitet den Train...« Er richtete sich im Steigbügel hoch, machte mit der Reitgerte ein Zeichen und kommandierte: »Achtung...in Dreiergruppen rechts schwenkt... marsch!...«
Die Trensen klirrten im Takt, die Sättel quietschten, und durch das Dunkel der Nacht schwamm, wie ein gewaltiger Fisch in den Tiefen der See, eine dichte Kolonne von Menschen dahin, wo hinter den uralten Bergkuppen von Sichote-Alin der ebenso uralte und jugendfrische Morgen anbrach. |
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