| V. Bauern und KumpelUm die Richtigkeit seiner Mutmaßungen zu überprüfen, begab sich  Lewinsohn frühzeitig in die Versammlung, wollte sich unter die Bauern  mischen und etwa umlaufende Gerüchte auffangen.Die Versammlung  fand in der Schule statt. Es waren erst wenige Leute anwesend: einige,  die früher vom Felde aufgebrochen waren, unterhielten sich in der  Abenddämmerung auf der Vortreppe. Durch eine offene Tür sah man Rjabez  im Zimmer an einer verrußten Lampe hantieren.
 »Ossip Abramytsch«, begrüßten die Bauern Lewinsohn und streckten ihm  ehrerbietig einer nach dem andern die sonnverbrannten, von der Arbeit  schwieligen Hände entgegen. Er begrüßte jeden einzelnen und nahm  bescheiden auf einer Stufe Platz.
 Hinter dem Fluss sangen vielstimmig die Mädchen, es roch nach Heu,  feuchtem Staub und Rauchschwaden. Man konnte hören, wie an der Fähre  die müden Pferde mit den Hufen stampften. Im warmen, abendlichen Nebel,  im Ächzen der beladenen Leiterwagen, in dem langgedehnten Muh satter,  ungemolkener Kühe erlosch der mühevolle Bauerntag.
 »Reichlich wenig«, sagte Rjabez, auf die Vortreppe hinaustretend.  »Viele wird man heute nicht zusammenbringen können, manche nächtigen  auf dem Felde...«
 »Wozu eine Versammlung am Werktag? Muss wohl was Dringendes sein?«
 »Ja, 's ist da so 'ne Sache...«, ließ sich, etwas zögernd, der  Vorsitzende vernehmen. »Einer von denen hat was ausgefressen, wohnt bei  mir. Eigentlich ist's ja sozusagen eine Kleinigkeit und ist ein ganzer  Stunk daraus geworden...« Verwirrt blickte er auf Lewinsohn und schwieg.
 »Wenn's nicht der Rede wert ist, hätte man uns gar nicht erst  zusammenrufen sollen!...« riefen verschiedene Bauern. »Ist nun mal so  'ne Zeit, da ist dem Bauern jede Stunde teuer.«
 Lewinsohn erklärte ihnen, was los war. Da begannen sie, durcheinander  redend, ihre bäuerlichen Sorgen auszukramen, die sich hauptsächlich um  die Mahd und die Warennot drehten.
 »Ossip Abramytsch, du solltest mal so über die Wiesen gehen und sehen,  womit die Leute mähen! Keiner hat 'ne ganze Sense, wenn doch nur eine  zum Jux wenigstens ganz wäre, alle sind sie geflickt. Das ist eine  Schinderei, keine Arbeit.«
 »Was für eine Sense der Semen neulich kaputt gemacht hat. Dem geht  alles zu langsam, ist ganz arbeitsversessen. Mäht da so drauflos,  schnauft wie eine Maschine und fährt mit der Sense in einen Baumstumpf  'rein... Jetzt kann er sie flicken, soviel er will, ist nichts mehr zu  machen.«
 »So 'ne feine Sense!...«
 »Und meine Leute, wie steht's mit denen?...« fragte nachdenklich  Rjabez. »Haben Sie's geschafft? Das Gras steht heuer wie ein Wald. Zum  Sonntag wenigstens müsste man mit der Sommerwiese fertig werden. Teuer  kommt uns dieser Krieg zu stehen.«
 Neue Gestalten tauchten aus dem Dunkel in den zitternden Lichtstreifen,  einige mit Bündeln beladen, in langen, schmutzigweißen Kitteln. Sie  waren eben von der Arbeit gekommen, begannen lärmend nach Bauernart zu  reden und verbreiteten einen Geruch von Teer und Schweiß und den Duft  von frischgemähtem Gras.
 »Gottes Gruß in eure Hütte...«
 »Ha-ha-ha!... Iwan?... Lass mal deine Schnauze bei Licht besehen - na,  haben dich die Hummeln ordentlich zugerichtet? Hab' gesehen, wie du mit  wackelndem Hintern vor ihnen hergelaufen bist...«
 »Was hast du, Schweinehund, in meine Wiese hineinzumähen?« »Wieso in  deine Wiese? Schwatz keinen Blödsinn!... Haarscharf am Rain hab' ich  gemäht... Wir brauchen nichts Fremdes, haben Eigenes genug.«
 »Man kennt das... Eigenes genug! Eure Schweine sind nicht aus dem  Garten herauszutreiben... Bald werden sie auf meinem Melonenfeld  ferkeln... ja, Eigenes genug! Man kennt das...« Irgendein Hagerer,  Derber, mit gekrümmtem Rücken und einem im Dunkeln glänzenden Auge,  wuchs aus der Menge und sagte:
 »Vor drei Tagen ist der Japaner nach Sandagou gekommen. Die Tschuguewer  Jungens erzählen's. Kam, besetzte die Schule, und gleich auf die Weiber  los: ,Ruhsische Freiein, ruhsische Freiein... sju-sju-sju'. Pfui  Teufel, Gott verzeih mir...«, unterbrach er sich hasserfüllt, heftig  mit der Hand die Luft durchschneidend, als hacke er etwas ab.
 »Er wird auch zu uns kommen, das ist todsicher.« »Und woher dieses  Unheil nur kommt?« »Dem Bauer ist keine Ruhe gegönnt.« »Und alles  lastet auf dem Bauern. Wenn das doch bloß mal ein Ende hätte.«
 »Die Hauptsache ist ja, es gibt keinen Ausweg! Ob direkt ins Grab oder  erst in den Sarg, das kommt alles auf eins 'raus!...« Lewinsohn hörte  zu, ohne sich einzumischen. Man hatte ihn ganz vergessen. Er war  äußerlich so klein, so unscheinbar, bestand ganz aus Mütze, rotem Bart  und über die Knie reichenden Stulpenstiefeln. Aber aus den ihn  umschwirrenden rauen, bäuerlichen Stimmen fing er nur ihm  verständliche, beunruhigende Töne auf. ,Die Sache steht schlecht...',  überlegte er angestrengt, ,ganz schlecht...' ,Morgen schon muss man  Staschinskij schreiben, dass er die Verwundeten wegschaffen lässt,  wohin es nur geht... Wir müssen für eine Weile still werden, als ob wir  gar nicht da wären... die Posten verstärken...'
 »Baklanow!« rief er seinen Gehilfen. »Komm mal einen Augenblick... Es  handelt sich um folgendes... Setz dich näher. Ich glaube, ein  Wachtposten an der Umzäunung tut's nicht. Wir müssen berittene Wachen  bis nach Krylowka vorschicken... besonders nachts... sind schon arg  sorglos geworden...«
 »Was ist denn los?« fragte erregt Baklanow. »Ist was passiert?... oder  was sonst?« Er wandte seinen geschorenen Kopf Lewinsohn zu, und seine  Augen blickten wachsam forschend, wie die Schlitzaugen eines Tataren.
 »Im Kriege, lieber Freund, ist's immer unruhig«, sagte Lewinsohn  zärtlich und giftig zugleich. »Im Kriege, mein Bester, ist das nicht so  wie mit der Marussja auf dem Heuboden...«
 Er stieß plötzlich ein kerniges, heiteres Lachen aus und           kniff Baklanow in die Seite.
 »Sieh mal an, so ein Schlaukopf...«, neckte Baklanow seinen Kommandeur,  packte ihn am Arm und verwandelte sich plötzlich in einen rauflustigen,  fröhlichen und gutmütigen Jungen.
 »Zapple nicht, zapple nicht, kommst sowieso nicht los!...« brummte er  zärtlich durch die Zähne, Lewinsohns Arm nach hinten drehend und ihn  unmerklich gegen einen Treppenpfosten pressend.
 »Pack dich, pack dich, dort ruft die Marussja...«, lachte Lewinsohn  verschmitzt. »Na, Teufel du, lass mich doch los!... das gehört sich  doch nicht hier auf der Versammlung...«
 »Na eben, nur weil sich's nicht gehört, sonst hätt' ich dir's           schon gezeigt...«
 »Geh schon, geh schon, deine Marussja ruft... geh schon!«
 »Ein Wachtposten genügt wohl, denk' ich?« fragte Baklanow,           sich erhebend.
 Lächelnd blickte Lewinsohn ihm nach.
 »Einen Mordskerl von Gehilfen hast du«, sagte jemand, »trinkt nicht,  raucht nicht, und was die Hauptsache ist, er ist jung. Kommt da vor  drei Tagen zu mir in die Hütte, ein Kummet holen... ,Na', sage ich,  ,willst nicht ein Schnäpschen?' ,Nein', sagt er, ,trinke nicht. Wenn du  mir schon was vorsetzen willst', sagt er, ,gib mir etwas Milch.' -  ,Milch', sagt er, ,die trink' ich gern, das stimmt.' Und trinkt sie,  weißt du, wie so'n kleines Kind, aus einem Schüsselchen, und krümelt  sich Brot 'rein... mit einem Wort, ein Teufelsjunge.«
 In der Menge tauchten immer zahlreicher die Gestalten der Partisanen  mit ihren blitzenden Gewehrläufen auf. Die Jungens waren einmütig und  pünktlich zur Stelle. Endlich erschienen die Kumpels, ihnen voran  Timofej Dubow, ein hochgewachsener Hauer aus Sutschan, der jetzt  Zugführer war. Sie fluteten in einer einzigen brüderlichen Masse, ohne  sich zu zerstreuen, in die Menge, nur Moroska setzte sich finster  abseits auf ein Hügelchen.
 »Ah, ah... du bist auch hier?« trompetete Dubow, als er Lewinsohn  erblickte, als ob er ihn Jahr und Tag nicht gesehen und nie und nimmer  erwartet hätte, ihn hier zu treffen. »Was hat unser Freundchen da denn  angestellt?« fragte er bedächtig mit tiefer Stimme und streckte seine  schwere, geschwärzte Hand Lewinsohn entgegen. »Man muss ihm einen  tüchtigen Denkzettel geben, einen tüchtigen Denkzettel, dass die andern  sich das merken!...« trompetete er dann weiter, ohne die Erklärungen  Lewinsohns abzuwarten.
 »War schon längst nötig, diesem Moroska ein wenig auf die Finger zu  gucken, er bringt die ganze Abteilung in Verruf«, entgegnete ein  geziert sprechender Bursche. Er hieß Tschish, trug eine Studentenmütze  und gewichste Stiefel.
 »Du bist nicht gefragt!« schnitt ihm Dubow, ohne ihn eines Blickes           zu würdigen, das Wort ab.
 Der Bursche kniff schon gekränkt und stolz die Lippen zusammen, als er  jedoch den spöttischen Blick Lewinsohns auffing, zog er es vor, spurlos  in der Menge zu verschwinden.
 »Hast du den Schafskopf gesehen?« fragte düster der Zugführer. »Wozu  lässt du ihn hier?... Man erzählt, dass er selber wegen Diebstahls aus  dem Institut gejagt worden ist.«
 »Glaub nicht jedem Gerücht«, sagte Lewinsohn.
 »Wie lange werdet ihr hier noch herumstehen!...« rief von der  Vordertreppe Rjabez, verwirrt mit den Händen herumfuchtelnd, als hätte  er nie im Leben erwartet, dass sein mit Unkraut überwuchertes  Melonenfeld die Ursache einer solchen Menschenansammlung werden könnte.  »Fängt man nicht bald an, Genosse Kommandeur?... Oder sollen wir uns  hier herumtreiben, bis die Hähne krähen?...«
 Im Zimmer war es heiß und blau vor Rauch geworden. Die
 Bänke reichten nicht aus. Bauern und Partisanen in buntem Durcheinander  verstopften die Durchgänge, drängten sich an den Türen. Lewinsohn  spürte ihren Atem im Genick.
 »Fang an, Ossip Abramytsch«, sagte mürrisch Rjabez. Er war unzufrieden  mit sich und mit dem Kommandeur. Die ganze Geschichte schien jetzt  nichtig und lästig.
 Moroska drängte sich durch die Tür und stellte sich böse           und finster neben Dubow.
 Lewinsohn betonte besonders, dass er die Bauern niemals von der Arbeit  abberufen hätte, wäre er nicht der Ansicht gewesen, dass es sich hier  um eine gemeinsame Sache handele, die beide Seiten anginge, und  außerdem waren viele in der Abteilung aus dem Orte.
 »Wie ihr's beschließt, so soll's auch sein«, endete er nachdrücklich,  indem er sich die bedächtige bäuerliche Art zu eigen machte. Ruhig ließ  er sich auf die Bank nieder, lehnte sich zurück und wurde plötzlich  wieder klein und unscheinbar, verlosch wie ein Docht und überließ so  der Versammlung, die ins Dunkel fiel, die Aufgabe der Entscheidung.
 Zuerst traten verschiedene Personen auf, die sich nebelhaft und  unsicher äußerten, sich in Nebensächlichkeiten verloren, dann mischten  sich andere ein, und die Versammlung kam langsam in Schwung. Schon nach  einigen Minuten war nichts mehr zu verstehen. Meist waren es Bauern,  die das Wort ergriffen, die Partisanen schwiegen dumpf und abwartend.
 »Das ist so auch keine Ordnung«, brummte streng der alte weißhaarige  Jewstafij und runzelte die buschigen Brauen. »In der guten alten Zeit  unter Zar Nikolaschka wurde man für solche Sachen durchs Dorf geführt.  Man behing den Dieb mit dem gestohlenen Gut und gab ihm unter Topfmusik  das Geleit!...« Eindringlich drohte er jemandem mit seinem dürren  Finger.
 »Lass uns zufrieden mit deinem Nikolaschka!...« schrie der Einäugige  mit dem krummen Rücken, derselbe, der von den Japanern erzählt hatte.  Ständig drängte es ihn, mit den Armen herumzufuchteln, aber es war zu  eng, und so ereiferte er sich denn um so mehr. »Dein Nikolaschka fehlt  dir!... Die Zeiten sind vorbei... futsch für immer!...«
 »Nikolaschka hin, Nikolaschka her, aber das ist auch kein Recht«,  widersetzte sich der Alte. »Die ganze Bande füttern wir schon. Aber  Diebe züchten haben wir nicht nötig.«
 »Wer spricht von züchten? Keiner hängt sich an Diebe! Diebe züchtest du  vielleicht selber!...« entgegnete der Einäugige und spielte damit auf  den Sohn des Alten an, der vor zehn Jahren spurlos verschwunden war.  »Wir brauchen hier unser eigenes Maß! Der Junge da kämpft vielleicht  schon das sechste Jahr, sollte er sich etwa nicht an einer Wassermelone  gütlich tun dürfen?...«
 »Wozu treibt er solchen Unfug?...« warf einer verständnislos ein. »Mein  Gott, wenn es sich noch gelohnt hätte!... Wäre er zu mir gekommen,  einen ganzen Sack hätte ich ihm gefüllt. Hier, nimm, gereut uns nicht  fürs Vieh, soll uns für einen guten Menschen auch nicht leid tun!...«
 In den bäuerlichen Stimmen war keinerlei Verbitterung zu spüren. Die  Mehrzahl war sich über eines einig: die alten Gesetze taugten nichts,  dieser Sache musste man ganz anders beikommen.
 »Sollen sie selber entscheiden mit ihrem Vorsitzenden!« rief jemand.  »Wir haben da unsere Nase nicht 'reinzustecken...«
 Lewinsohn erhob sich von neuem und klopfte auf den Tisch.
 »Genossen, einer nach dem andern«, sagte er leise, aber vernehmlich, so  dass jeder es hören konnte. »Wenn wir alle gleichzeitig reden, werden  wir zu keinem Beschluss kommen. Aber wo ist denn überhaupt Moroska?...  He, komm mal her...«, setzte er düster hinzu, und aller Augen waren auf  die Ordonnanz gerichtet.
 »Ich sehe auch von hier aus...«, sagte Moroska dumpf.
 »Geh schon, geh schon!...« drängte ihn Dubow.
 Moroska zögerte, Lewinsohn begab sich nach vorn, durchbohrte ihn mit  seinem stählernen Blick und riss ihn gleichsam wie einen Nagel aus der  Menge.
 Moroska schob sich zum Tisch vor, den Kopf tief gesenkt, ohne jemanden  anzublicken. Er war schweißbedeckt, seine Hände zitterten. Hunderte  neugieriger Blicke fühlend, hätte er wohl versucht, den Kopf zu heben,  bemerkte jedoch das raue, bärtige Gesicht Gontscharenkos. Der Mineur  betrachtete ihn teilnehmend und streng. Moroska ertrug das nicht,  wandte sich zum Fenster und bohrte wie erstarrt den Blick ins Leere.
 »Also, jetzt lasst uns beraten«, sagte Lewinsohn ebenso erstaunlich  leise wie vorhin, aber hörbar für alle, selbst für die, die hinter der  Türe standen. »Wer verlangt das Wort?... Na, du, Väterchen, wolltest  doch was sagen?«
 »Was soll man da sagen«, meinte verlegen der alte Jewstafij, »das           war nur so unter uns...«
 »Da gibt's nicht viel zu fackeln, beratet selbst!« schrieen die           Bauern von neuem.
 »Na, Alter, lass mich mal reden...«, sagte Dubow ganz unerwartet, mit  dumpfer, verhaltener Kraft, und da er dabei Jewstafij ansah, hatte er  irrtümlich Lewinsohn mit »Alter« angeredet. In der Stimme Dubows lag  etwas, das alle Köpfe emporfahren und sich ihm zuwenden ließ. Er  drängte sich zum Tisch und stellte sich, mit seiner großen massigen  Gestalt Lewinsohn verdeckend, neben Moroska.
 »Wir sollen selbst beraten?... Ihr habt wohl Angst?!« fuhr er drohend  und leidenschaftlich auf, mit der Brust gleichsam die Luft  durchschneidend. »Nun wohl, wir werden selbst entscheiden!...« Er  neigte sich schnell zu Moroska und sog sich mit flammenden Augen an ihm  fest. »Bist einer der Unsrigen, sagst du, Moroska?... ein Kumpel?«  knirschte er giftig. »Huh-huh... unsauberes Blut, Sutschaner Erz!...  Willst nicht einer der Unsrigen sein? Gehst auf Abwege? Befleckst das  Geschlecht der Kumpels? Schon gut!...« Die Worte Dubows fielen mit  schwerem Dröhnen in die Stille, wie tönender Anthrazit.
 Moroska, bleich wie ein Laken, blickte ihn unverwandt an, ohne sich  loszureißen, und das Herz zuckte in ihm wie angeschossen.
 »Schon gut!« wiederholte Dubow... »Treib dich nur weiter herum!...  Wollen sehen, wie du ohne uns auskommst!... Aber wir... zum Teufel  müssen wir ihn jagen!...« riss er kurz ab, indem er sich hastig zu  Lewinsohn wandte.
 »Sieh mal zu, verrechne dich bloß nicht!...« rief einer           der Partisanen.
 »Was?!« fragte Dubow mit schrecklicher Stimme und stapfte vorwärts.
 »Aber mein Gott, genug schon...«, stieß kläglich           eine erschrockene Greisenstimme aus einer Ecke hervor.
 Lewinsohn packte den Zugführer von hinten am Ärmel.
 »Dubow... Dubow...«, sagte er ruhig. »Komm, tritt etwas           zur Seite, verstellst die Leute...«
 Die Ladung Dubows war verpufft, der Zugführer sank, verwirrt zwinkernd,           in sich zusammen.
 »Nun, wie sollen wir ihn zum Teufel jagen, diesen Dummkopf?« ließ sich  plötzlich Gontscharenko, seinen lockigen, sonnengebräunten Kopf über  die Menge erhebend, vernehmen. »Ich sage das nicht zu seiner  Verteidigung, hier kann man nur ja oder nein sagen, der Bursche hat  eine Schweinerei begangen, ich balge mich selber jeden Tag mit ihm  herum... aber er ist auch ein tapferer Junge, das muss man ihm lassen.  An der ganzen Ussurischen Front haben wir zusammen gekämpft, in der  vordersten Linie. Er ist einer der Unsern, wird keinen verraten noch  verkaufen...«
 »Einer der Unsern...«, unterbrach ihn Dubow bitter. »Und uns, meinst  du, ist er etwa ein Fremder?... In einem Loch haben wir gehaust... Den  dritten Monat schlafen wir unter einem Mante! Und da kommt irgendein  Hergelaufener« (er erinnert sich plötzlich an den geziert sprechenden  Tschish) »und will einem was beibringen!...«
 »Das ist's ja, worauf ich hinauswill«, fuhr Gontscharenko,  verständnislos zu Dubow hinschielend, fort (er hatte die Beschimpfung  auf sich bezogen). »Die Sache so einfach begraben, das geht nicht, und  ihn plötzlich davonjagen, das ist auch keine Art, wir verlieren so  unsere Leute. Meine Meinung ist: man soll ihn selbst fragen!...« Und er  schlug gewichtig mit der Handkante auf, als ob er alles Fremde und  Überflüssige von dem Seinigen und dem Richtigen scheide.
 »Richtig!... Man frage ihn selbst.'... Er soll selber reden, wenn           er es einsieht.'...«
 Dubow, im Begriff, seinen Platz aufzusuchen, blieb im Durchgang stehen  und blickte forschend auf Moroska. Dieser schaute verständnislos drein  und zupfte nervös mit schweißigen Fingern an seinem Hemd.
 »Sag, was denkst du?...«
 Moroska schielte zu Lewinsohn.
 »Ja, hätte ich denn...«, begann er leise, fand keine Worte           und verstummte.
 »Sprich, sprich...«, rief man ihm aufmunternd entgegen. »Ja, hätte ich  denn... so etwas getan...« Er fand wieder nicht das richtige Wort und  nickte Rjabez verlegen zu... »Na, diese Wassermelonen... hätt' ich denn  das gemacht, wenn ich's überlegt hätte..., oder war's vielleicht aus  Gemeinheit?... Schon die Kinder bei uns, alle wissen's, und so habe  ich's auch... und wie Dubow sagte, dass ich unsere Jungens alle...ja  hätte ich denn, Brüder!...« riss es sich plötzlich aus seinem Innern,  und wie von unsichtbarer Kraft getrieben, fasste er sich an die Brust  und seine Augen sprühten von einem warmen und feuchten Glanz, »... ich  geb' ja meinen letzten Blutstropfen für einen jeden, und da...da sollt'  ich noch Schande über euch... oder was!...«
 Von der Straße her drangen fremde Töne ins Zimmer. Ein Hund bellte  irgendwo auf dem Snitkinschen Gehöft, Mädchen sangen, neben dem Haus  des Popen pochte es dumpf und gleichmäßig, wie das Stampfen eines  Mörsers. »Hol uns 'rü-über!...«, rief es in langgezogenen Tönen von der  Fähre her.
 »Nun, und wie ich mich selber bestrafen werde?...« fuhr Moroska  schmerzlich, aber schon bedeutend sicherer und weniger aufrichtig fort,  »... kann nur mein Wort geben...mein Kumpelwort... daran ist nicht zu  rütteln, lass' nichts auf mich kommen....«
 »Und wenn du's nicht hältst?« fragte Lewinsohn vorsichtig.
 »Werd's halten...« Moroska verzog das Gesicht. Er schämte           sich vor den Bauern.
 »Und wenn nicht?...«
 »Dann macht, was ihr wollt... Stellt mich an die Wand...«
 »Werden's auch tun!« sagte streng Dubow, aber seine Augen leuchteten  schon ohne jeglichen Zorn, liebevoll und spöttisch.
 »Also, jetzt genug damit!... Schluss!« rief es von den Bänken.
 »Na, das wäre erledigt...«, sagten die Bauern, erfreut, dass diese  langwierige Versammlung sich ihrem Ende näherte. »So 'ne Bagatelle,  aber Redereien für ein ganzes Jahr...«
 »Dabei bleibt es, oder?... Andere Vorschläge liegen nicht vor?         ... «
 »Mach schon Schluss, zum Teufel!...« lärmten die Partisanen, die lange  genug stillgesessen hatten. »Hängt einem schon zum Halse 'raus...  wollen fressen gehen... wie lange sollen wir noch Kohldampf schieben?«
 »Abwarten«, sagte Lewinsohn, indem er die Hand hochhob und verhalten  die Stirn runzelte. »Diese Frage ist erledigt, jetzt eine andere...«
 »Was ist denn noch los?!«
 »Ich bin der Meinung, wir müssen eine Resolution fassen...« Er blickte  sich um. »Aber wir haben ja überhaupt keinen Sekretär gehabt!« lachte  er plötzlich gutmütig und gedämpft auf. »Tschish, komm mal her,  schreib...es wird folgende Resolution angenommen: dass die von  Kriegshandlungen freie Zeit nicht zum Maulaffenfeilhalten verwendet  wird, sondern den Wirtsleuten mitzuhelfen ist, wenigstens ein wenig...  « Er sagte dies so überzeugend, als glaubte er wirklich, es würde  jemand den Wirtsleuten jemals zur Hand gehen.
 »Aber das verlangen wir ja gar nicht!...« rief ein Bauer.
 Lewinsohn dachte: ,Angebissen...'
 »Seht... Seht!...« wurde der Bauer unterbrochen. »Hör lieber zu. Lasst  sie doch wirklich mal arbeiten, die Hände werden ihnen schon davon  nicht abfallen...«
 »Und bei Rjabez werden wir es noch besonders abarbeiten...«
 »Warum besonders?« ereiferten sich die Bauern: »Was ist der denn für  ein großer Herr?... Was ist schon dabei, Vorsitzender zu sein, das kann  jeder!...«
 »Schluss! Schluss!... einverstanden!... schreib!...« Die Partisanen  sprangen von den Plätzen und drängten, ohne auf den Kommandeur zu  hören, hinaus.
 »Hei-ja... Wanja!...« Ein struppiger, spitznäsiger Kerl stürzte auf  Moroska zu und zog ihn, mit den Stiefeln aufstampfend, zum Ausgang. »Du  mein allerliebstes Bübchen, Söhnchen, Rotznäschen... hei-ja!...« Zu  jedem Wort mit den Stiefeln den Takt schlagend, schob er sich die Mütze  übermütig ins Genick und legte Moroska den anderen Arm um den Hals.
 »Lass mich, lass mich!« stieß ihn Moroska gutmütig beiseite.
 Lewinsohn und Baklanow schritten rasch an ihnen vorüber.
 »Na, ein Kerl dieser Dubow«, sagte der Gehilfe, spuckte, da er  aufgeregt war, beim Sprechen und gestikulierte heftig. »Gontscharenko  und Dubow, die beiden müsste man mal aufeinander hetzen! Wer würde wen,  was meinst du wohl?...«
 Lewinsohn, der mit etwas anderem beschäftigt war, hörte nicht zu. Weich  und locker gab der feuchte, staubige Boden unter ihren Füßen nach.
 Unbemerkt war Moroska hinter ihnen zurückgeblieben. Die letzten Bauern  hatten ihn schon überholt. Sie sprachen jetzt ruhig, ohne sich zu  beeilen, als kämen sie von der Arbeit und nicht von einer Versammlung.
 »Der Jud hat's in sich«, sagte einer, allem Anschein nach von Lewinsohn.
 Ü ber den Hügel glommen die traulichen Lichter der Hütten auf, sie  riefen zum Abendessen. Der Fluss lärmte im Nebel in vielen hundert  murmelnden Stimmen.
 »Hab' Mischka noch nicht getränkt...«, fuhr Moroska auf,           der langsam wieder in das altgewohnte Gleis zurückkehrte.
 Mischka, der seinen Herrn witterte, wieherte leise und unzufrieden im  Stall, als wollte er ihn fragen: ,Wo treibst du dich denn herum?'  Moroska tastete im Dunkeln nach der struppigen Mähne und zog das Pferd  aus dem Schuppen.
 »Sieh einer an, wie der sich freut«, er stieß Mischkas Kopf zurück, als  dieser frech die feuchten Nüstern gegen seinen Hals presste: »Nichts  als Sperenzchen machen kannst du, und ich, ich hab's dann auszubaden.«
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