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Klaus Neukrantz - Barrikaden am Wedding (1931)
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VIII. Anna lernt das letzte Kapitel

Zu Tausenden kamen die Arbeiter am Nachmittag aus allen Stadtteilen in die Gasse. Die Polizei wagte es nicht, in das Viertel einzudringen. Nur „Zivilaufklärer" trieben sich in großen Mengen herum. Weit über die Barrikaden hinaus beherrschte die Arbeiterschaft die Umgebung der Kampfstätten in Neukölln und am Wedding.
Um diese Zeit kam Hermann von der Bahn. Ohne sich aufzuhalten, eilte er durch die Menschenmassen am Nettelbeck-Platz. Selbst hier war die Polizei verschwunden. Er ging durch die Gasse und sah an den Häusern die unzähligen kreisrunden Spuren der Kugeleinschläge. Auf der Treppe traf er Anna.
„Wo sind die Genossen?"
„Gut det du kommst, Hermann", antwortete sie erleichtert, „... sind alle bei Dir!"
Er ging rasch nach oben. Die Küche war voll Männer und Frauen. „Tach. Hermann, Jott sei Dank!" begrüßte ihn Kurt, „komm, wir gehen gleich hinter!"
Hermann fragte seine Frau nur flüchtig nach den Kindern und zog sich dann sofort mit den Genossen in das „Rote Zimmer" zurück.
Während Kurt kurz erzählte wie alles gekommen war, sah Hermann ein paar Mal zu Paul herüber, der stumm auf dem Stuhl saß. Kurt erwähnte nichts von der stillschweigenden Absetzung Pauls, und Hermann wusste Bescheid, als er Paul dasitzen sah. Er hörte, wie ruhig und sachlich Kurt sprach. Hermann kannte den schwerfälligen Menschen nicht wieder. Die Nacht hatte wirklich einen anderen Menschen aus ihm gemacht.
Kurt war mit seinem Bericht fertig. „Habt ihr auf der Straße schon zu den Massen gesprochen?" fragte Hermann. Kurt sah ihn verblüfft an. Teufel, daran hatte tatsächlich niemand in der Aufregung gedacht! Hermann schimpfte. Das war doch das allerwichtigste die wenigen Blätter der „Roten Fahne", die hierher kamen, genügten nicht, um die Massen über die Lage aufzuklären. Die Polizei hatte zudem in der Frühe den Zeitungsträger der „Roten Fahne" nicht durch die Absperrung gelassen.
„Wer kann denn von uns richtig reden... ?" versuchte sich Kurt zu entschuldigen. Hermann musste lachen, als er das bedrückte Gesicht Kurts sah und daran dachte, was sie alles in der Nacht geleistet hatten, aber — sprechen? Nein — dafür waren sie nicht zu haben. —
Kurze Zeit später tönte in der Gasse der Gesang der „Internationale". Hermann stand auf einem umgestürzten Bauwagen und sprach...
Der Abend des 2. Mai nahte.
Niemand wusste, was die kommende Nacht, was die nächsten Stunden bringen würden. Die Presseberichte des Polizeipräsidiums waren von der gesamten bürgerlichen Presse kritiklos nachgedruckt worden. Wer nicht selbst Zeuge der Vorgänge in der Gasse und in Neukölln gewesen war, musste nach diesen Meldungen annehmen, dass sich Berlin mitten in einer „Revolution" befand, die nur noch durch einen „siegreichen" Vormarsch der Polizei aufgehalten werden konnte.
Thomas erstickte bald vor Lachen, als ihm jemand in der „Roten Nachtigall" den „Vorwärts" gab, der schrieb, dass die Kommunisten aus Dachluken pp. „den Polizisten 14 Karabiner haargenau aus den Händen geschossen hatten, ohne auch nur einem Polizisten die Haut zu ritzen." „Teufel, noch mal!... das nennt man zielen können! Kunstschützen sind wir doch alle miteinander ... ", rief er lachend.
Es schien, als wenn sich die Polizei mit diesen Lügennachrichten selbst Mut machen wollte, sie musste alles vergrößern, verzerren, umlügen. Kein Mensch hätte es sonst in Berlin geglaubt, dass seit 36 Stunden in zwei kleinen, örtlich begrenzten Widerstandsgebieten, in Neukölln und in der Gasse am Wedding, eine Handvoll, auf das primitivste bewaffnete Arbeiter ihre Straßen und Häuser gegen zirka 14 000 modern ausgerüstete Polizisten, trotz des Einsatzes von schweren Maschinengewehren, Handgranaten-Trupps und Panzerwagen, mit Erfolg verteidigen konnten.
Hermann hatte energisch Kurts Auffassung widersprochen, dass man sich niemals in der Gasse allein auf diese Kämpfe hätte einlassen sollen. Gewiss lag die Gasse strategisch ungünstig, das musste Hermann zugeben. Sie war zu leicht abzuriegeln. Aber, behauptete er, derartige Kämpfe würden sich immer zuerst in begrenzten Elendsvierteln entwickeln, weil sie dort die Unterstützung der gesamten Bevölkerung finden. Der beste Beweis dafür bildeten die Hamburger Kämpfe 1923, die am erfolgreichsten im „Gänge-Viertel", im Armen-Stadtteil Hamburgs waren.
„Du siehst doch selbst, wies ihn Hermann darauf hin, „dass ihr euch nur . halten konntet, weil euch die Wohnungen in der Gasse zur Verfügung standen. Sobald die Bevölkerung mit den Arbeitern und nicht mit der Polizei sympathisiert, haben die Kämpfenden eine gewisse Rückendeckung und die Polizei befindet sich mit jedem Schritt auf feindlichem Boden."
Sie standen in dem halbdunklen Hausflur mit der zersprungenen Haustür, die Kurt gestern auf der Flucht vor den Polizisten hinter sich zugeworfen hatte.
Anna kam mit dem Jungen über den Hof. Sie hatten sich in der ganzen Zeit immer nur auf Minuten gesehen. Still und ohne mit ihm über persönliche Dinge zu sprechen, war sie ab und zu bei ihm aufgetaucht, bis er wieder irgendwohin fortgerufen wurde. Nicht ein einzigesmal hatte sie seit dem Morgen des 1. Mai versucht, ihn zurückzuhalten.
Auf den kurzen Zwischenfall gestern nachmittag, bei dem sie ihm durch den Anruf vielleicht das Leben gerettet hatte, waren sie mit keinem Wort zurückgekommen. Sie war zufrieden, dass er noch da war. Alles andere war jetzt nicht so wichtig. — Warum, wusste sie nicht. Es war bei ihr alles noch rein gefühlsmäßig, wie bei vielen Frauen der Gasse, die erst der Hass gegen die brutalen Polizisten auf die Seite der Kämpfenden gebracht hatte.
Kurt lachte sie gutmütig an. „Komm", Anna, wir gehen ein bisschen nach dem Platz — mal sehen, wat da los is."
Hermann scherzte mit dem Jungen, er machte immer gern mit Kindern Spaß. Dann ging er die Treppe herauf zu seiner Wohnung.
Kurt hätte den Jungen lieber zu Hause gelassen, wenn es auch im Moment ruhig war. Aber Anna wollte ihn wenigstens für eine Viertelstunde an die frische Luft bringen. Seit gestern vormittag hatte er mit den anderen Kindern hinten in der Stube sitzen müssen. Auf der Straße lagen schon die ersten Schatten des Abends. In den kleinen Läden der Gasse standen Frauen und diskutierten. In einem Laden hatte die Polizei ein großes Glas Öl zerschossen und die Flüssigkeit war in die anderen Lebensmittel gelaufen und hatte sie verdorben. Kurt und Anna hörten bis auf die Straße den erregten Streit darüber, wer den Schaden zu bezahlen hat. Es war für die kleinen Geschäftsleute, die wie alle, von der Hand in den Mund lebten, ein empfindlicher Verlust. —
Die großen Läden in der Reinickendorfer Straße waren fast alle geschlossen oder hatten die Rolläden heruntergelassen. Am Nettelbeckplatz standen Hunderte von Menschen zusammen unter denen Kurt auch sozialdemokratische Arbeiter erkannte. Auf der Bank an der Straßenbahnhaltestelle saßen zwei junge Arbeiterinnen. Im Vorbeigehen hörte Kurt, dass die eine aus der SPD. war. Wie er später erfuhr, gehörte sie zu den streikenden Tabakarbeiterinnen von Manoli.
Es schien, als ob dieses ruhige, friedliche Bild auf dem Platz von keiner Gefahr bedroht sein konnte. Nur wenn Kurt genau hinhörte, was hier und da gesprochen wurde, spürte er aus den Fragen und Antworten der Leute eine gefährliche, drohende Unruhe, die bereit war, bei der geringsten Gelegenheit in einen gewaltigen Widerstand umzuschlagen.
Aus anderen Stadtteilen waren wieder blutige Zusammenstöße gemeldet worden. Die Zahl der Toten sollte auf 15 gestiegen sein. Die oft einander widersprechenden Nachrichten steigerten nur noch die Unruhe. Was die bürgerlichen Abendblätter und der Abend-Vorwärts" an Polizeiberichten brachten, wurde hier nur noch mit Hohngelächter und Pfui-Rufen aufgenommen. Man hatte selber genug gesehen —!
Die Gesichter der Menschen verschwammen langsam in der Dämmerung des sinkenden Tages. Es wurde kühl. Die gelben Lichter der Gaslaternen flammten auf. Nur in der Nähe der Gasse blieb alles dunkel. Langsam leerte sich der Platz, die Menschen zogen gruppenweise in die Protestversammlungen.
Anna nahm den Jungen, der müde geworden war, auf den Arm, und ging schweigend neben Kurt her. — Es war merkwürdig mit ihnen, Sie kamen sich gegenseitig auf einmal verändert vor. Irgendetwas an Kurt war Anna neu und fremd, aber gleichzeitig fühlte sie auch, dass sie ihm in vielen Dingen näher gekommen war, Kurt war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken an die kommende Nacht beschäftigt, um zu merken, dass Anna ihn von Zeit zu Zeit prüfend von der Seite ansah.
Auf ihre Fragen antwortete er zerstreut und einsilbig, Sie wusste, was ihn bedrückte und hätte gern darüber mit ihm gesprochen. Sie verstand ja alles jetzt viel besser als gestern. Aber wie konnte sie es ihm sagen... ? Sie hatte Furcht, dass er ihr vielleicht nicht glauben würde. Ach —, dachte sie,... es ist so schwer zu sprechen —!
Kurz nach 10 Uhr war die stürmische Versammlung in den Pharussälen zu Ende.
Man hatte auf dem Hof eine Parallelversammlung abhalten müssen. Hermann war erschienen, hatte kurz über die Lage in der Gasse gesprochen und war wieder verschwunden.
Mit den anderen Versammlungsteilnehmern drängte sich Anna neben Kurt auf die Straße, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Sie sah es jetzt selbst, dass es eine Dummheit gewesen war, das Kind mitzunehmen.
Während sich die Masse langsam herausschob und sie mit Kurt über den erregten Verlauf der Versammlung sprach, begann plötzlich ein wildes Stoßen und Drängen. Kurt versuchte vergebens, sie aus den schreienden und rufenden Menschen herauszuziehen. Sie waren wie eingekeilt. Vor den herausströmenden Menschen sah er auf der Straße Polizisten stehen.
Ein älterer Arbeiter versuchte mit dem leitenden Offizier zu sprechen. Man sah nur das erregte Gesicht des Offiziers. Gummiknüppelschläge sausten auf den bestürzten Arbeiter nieder. Eine furchtbare Panik entstand!
Die Menschen liefen, soweit sie es in dem Gedränge überhaupt konnten, auf beiden Seiten, von den prügelnden Polizisten verfolgt, die Müllerstraße entlang. Unmittelbar vor Kurt tauchte das rote Gesicht eines brüllenden Polizeibeamten auf. Mit der entsicherten Pistole fuchtelte er zwischen den Massen herum. Jede Sekunde konnte ein Schuss losgehen.
Kurt überlegte nicht lange. Sein rechter Arm schob Anna mit dem Jungen hinter sich. Mit der linken Faust holte er kurz aus und schlug dem Polizisten unter das Kinn. Während der Mann zurücktaumelte, riss ihm Kurt die Pistole aus der Hand, schrie Anna irgend etwas zu und verschwand zwischen den Menschen. Über den am Boden liegenden Beamten liefen die Menschen weiter.
Anna presste den Jungen an sich und rannte, so schnell sie konnte, mit dem weinenden Kind die Straße herunter.
Hinter ihr knallten Schüsse! — Ein Mädchen vor ihr stieß einen spitzen, dünnen Schrei aus. Jemand fing sie auf und zog sie mit hängenden Knien in einen Hausflur.
Anna rannte weiter. Ihre Knie zitterten. Ein paar Mal stolperte sie und riss sich wieder hoch . . nur weiter Dicht hinter ihr schrillte die Signalpfeife eines Polizisten... Irgendwo klirrte eine Fensterscheibe und plötzlich sah sie niemand mehr vor sich. . Hinter ihrem Rücken fühlte sie es kalt und leer. — Sie lief allein!
„Stehen bleiben! . ." schrie jemand. Hartes Laufen kam näher. Keuchend, atemlos rannte sie, stolpernd, taumelnd vor Angst und Schwäche... Ein furchtbarer Schlag brannte auf ihrem Hinterkopf. Die Haut zog sich wie in einem stechenden Krampf zusammen — ihre Knie wurden weich. — Die gerade Linie der Straßenlaternen hob sich schwindelnd vor ihren Augen und stürzte über sie wie ein ausgeschütteter Sack Sterne zusammen — das Kind glitt aus ihren herabfallenden Armen...
Den zweiten Hieb fühlte sie nicht mehr. Die Lichter fielen in einem tiefen, schwarzen Schatten. Mit einer unheimlichen Geschwindigkeit sackte sie ab — in einen gähnenden, dunklen Abgrund. — Sie spürte nicht mehr, wie sie die Polizisten wieder hochrissen, mit nachschleifenden Füßen zum Auto zerrten und unter eine Bank warfen. Das Auto war voll.
„Los — ab zur Wache!" schrie ein Offizier. Das Gesicht unter dem blanken Tschakorand war dunkel vor Erregung. Die Polizisten sprangen auf den schnell anfahrenden Wagen und zogen die Klappen hinter sich hoch. Das Auto machte eine kurze Schwenkung und fuhr im raschen Tempo die Müllerstraße herunter. Aus einem Fenster wurde dem Wagen nachgerufen. Ein Schuss knallte gegen die. Hauswand.
Als das Auto an der völlig dunklen Wedding-Straße vorbeifuhr, duckten sich die Mannschaften fast bis auf den Boden des Wagens. An der Stirnseite hockte ein Polizist mit nach hinten gerichtetem Maschinengewehr. Der Bereitschaftsführer beugte sich während des ganzen Weges hinter zwei Gefangene, die mit hocherhobenen Armen auf den Holzbänken saßen. Langsam erwachte Anna durch das Stoßen und Rütteln des Wagens aus ihrer Ohnmacht. Ein wütender Schmerz in ihrem Hinterkopf riss sie schnell in das Bewusstsein zurück. — Unmittelbar vor ihrem Gesicht standen die schwarzen, senkrechten Schatten zweier Ledergamaschen, dazwischen der Kolben eines Karabiners. Ein bohrendes Stechen wühlte in ihren Schultergelenken. Mein Gott, was ist das nur!" flüsterte sie tonlos.
Das Auto fuhr so scharf um eine Straßenecke, dass sie mit dem Gesicht an den Stiefel vor ihr flog. Erschrocken bog sie sich zurück. Noch immer ließ sie der Schmerz nicht zu einer klaren Überlegung kommen. Wie war denn das alles . .? Wo ist Kurt geblieben? Und der Junge . . ! ! Um Himmels Willen, wo war denn das . . Kind??: Sie hatte es doch auf dem Arm gehabt-------?!
„Herr Wachtmeister, Herr Wachtmeister . . !" Die fliegende Angst ließ sie plötzlich alle Schmerzen vergessen; sie schrie und umklammerte mit beiden Armen die Ledergamaschen des Polizisten.
„Verfluchter Kund . , !" Der Polizist sprang mit einem Schreck-laut hoch. Als er in dem halbdunklen Licht einer vorbeifliegenden Gaslaterne das totenblasse Gesicht einer Frau unter der Bank sah, stieß er mit einem Fluch den Stiefel gegen ihren Leib. „Halt die Schnauze..." Ihr Kopf fiel hart zurück. —
Mit einem Ruck hielt das Auto vor der Wache. Aus dem erleuchteten Hausflur kamen Polizisten heraus. „Los, runter . . aber dalli!" —
Die Gefangenen sprangen schnell von dem Wagen und wurden mit Kolbenstößen in den Flur getrieben.
„Fenster zu!" schrie ein Polizist über die Straße. Er schoss sofort in das gegenüberliegende Haus, in dem sich im zweiten Stock etwas am Fenster bewegt hatte.
Durch einen Stoß von hinten stolperte ein älterer Mann über die Bordschwelle. Jemand schlug ihm über die Schläfe. Aufschreiend taumelte er gegen einen anderen Polizisten, der ihn mit einem Kolbenstoß weiterbeförderte. Auf der Treppe griffen plötzlich seine Hände in die Luft, und mit einem ächzenden Laut fiel er die Stufen hintenüber.
Mal nicht so ein Theater hier machen", rief ein Polizist und riss ihn wieder hoch. Über die Treppe zogen sie ihn nach oben...
Mit Entsetzen hatte Anna, die als Letzte auf dem Wagen stand, den Vorgang gesehen. „Nein... nein... ich gehe nicht runter... ihr schlagt uns ja alle tot!!" schrie sie. Verzweifelt suchte sie sich gegen den Polizisten zu wehren, der sie gepackt hatte und herunterholte. —
Das Schreien und Hilferufen der Geschlagenen tönte bis auf die Straße hinaus. Tür zumachen!" rief von dem oberen Treppenabsatz eine scharfe, laute Stimme. Dann ging die Prügelei weiter, bis die Verhafteten alle oben waren.
Vom Treppenflur aus wurden sie mit erhobenen Händen in das Wachlokal gestoßen. Elf Arbeiter, Anna war die einzige Frau unter ihnen.
Die Wache war dicht mit alarmbereiten Mannschaften gefüllt, alles blutjunge, aufgeregte Gesichter, die erst vor einigen Stunden zur Verstärkung eingesetzt worden waren.
„Aha... da sind ja die roten Barrikadenbauer... Komm mal her, mein Bürschchen!" Ein etwa 20jähriger Blonder schlug einem Arbeiter mit der flachen Hand quer vor das Gesicht. So nebenbei, oben hin... zum Empfang! — Ha .., das saß, was? Wozu hatte man es gelernt in Brandenburg auf der Polizeischule. Fleisch ist besser wie ein lebloser Lederball... Das Schwein steht ja noch? Noch einen Hacken links oben... braach... ! „So, mein Junge, da liegs'te...
Wie federleicht das ging! Spielerisch, als wenn einer durch's Gras geht und haut mit dem Stock die grünen Spitzen ab. Den jungen Polizisten durchströmte eine heiße Freude von Kraft und Tapferkeit.
„Machst einen noch dreckig . . , !" Sorgfältig wischte er sich mit dem Taschentuch den blutig gewordenen Rand seines Uniformärmel« ab. Seine Kameraden lachten aufgeregt.
Kommt rein... hier is es hübsch warm, ihr Moskowiter,"
Klatsch... braach... ! — Ein Gefangener flog mit einem Wehlaut gegen die Wand.
„Willst du Mistvieh die Flossen hochnehmen... !" Ein Jungarbeiter brach an der Tischecke zusammen. „Los, hoch, du faules Schwein, schlaf dich zu Hause aus!" Der Gummiknüppel zerbrach bei einem Schlag. Wütend schlug der Polizist noch einmal mit der Faust hinterher.
Die Geschlagenen schrien wie Tiere. Es roch in der Wachstube nach Leder und Schweiß, Jetzt wurden die Polizisten erst richtig warm. Der enge Kinnriemen doppte das Blut.
Mit gekrümmtem Leib stand Anna, fliegend vor Erregung und Angst, in der Tür. Ihr Gesicht, in dem die Augen wie zwei große dunkle Kreise brannten, war kalkweiß geworden. Mit zitternden Händen hielt sie das Umschlagtuch vor der Brust zusammen. Das blonde Haar hing wirr in die Stirn.
„Ha... haha... !"
Die Polizisten brüllten vor Lachen, als sie die junge Frau in ihrer Todesangst dastehen sahen. Mit der musste man sich einen Hauptspaß machen. Hübsch ist das Aas... !
„Komm nur, mein Schätzchen... hier kriegste alles, was du brauchst!" Einer stieß sie nach vorn. — Von den Arbeitern drehten sich einige langsam um.
„Fresse an die Wand, hoch die Hände!", schrien sie die Polizisten an. — Nur ein junger Arbeiter sah immer noch zu Anna herüber. Er war unter den Verhafteten der einzige Kommunist und wusste, dass sie die Frau des Genossen Zimmermann war. Sein Blick verdunkelte sich. Die Nägel bohrten sich in seine Handfläche... Und dann schrie er los: „Mörder...Hunde ihr....
feige Hunde... wenn wir Waffen hätten-------!!" Er konnte
nicht mehr länger still sein. Egal, egal was kam. Er musste diesen brutalen, höhnisch grinsenden Gesichtern das mitten hinein schleudern —. Hier oben bei den wehrlosen Gefangenen hatten sie Mut und unten... ? da schossen sie aus Angst vor den Fäusten der Proleten wie tobsüchtig alles über den Haufen, was sich an den Fenstern und auf der Straße zeigte. Jungs, die noch nie einen nassen Fleck Arbeitsschweiß an ihren Händen gehabt hatten —!
Seine schreiende, vor ohnmächtiger Wut weinende Stimme, zerbrach unter dem Hagel von Schlägen, Mit einem wütenden Aufheulen stürzten sich sieben — acht Schupo auf ihn.
„Verfluchtes Kommunistenaas! Hältst du die Fresse!!"
„Haut ihn dot, det Schwein!"
„Dich schlagen wir dämlich!"
Mit roten, verzerrten Gesichtern stießen sie sich gegenseitig fort, um ihn treffen zu können. Er fiel zu Boden und versuchte mit den Händen vergeblich seinen Kopf zu schützen.
Immer noch schrie er! Mit den Stiefeln trampelten sie in sein Gesicht, in den offenen, schreienden Mund. Bis er die Besinnung verlor und sie die Kolben in den regungslosen Körper stießen...
Keuchend sahen sie sich endlich um. Einigen stand weißer Schaum vor den Lippen: „So — der Strolch is fertig — dieses Aas!"
Wortlos vor Erregung brachten sie ihre Anzüge in Ordnung, Der Blechschirm einer elektrischen Lampe, die von der Decke herabhing, pendelte hin und her. Das Licht flackerte über die zusammengedrängte Gruppe der Verhafteten in der Ecke.
Anna war zitternd hinter einen Tisch geflüchtet und starrte zu dem jungen Menschen herüber, der, ohne sich zu bewegen, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Fußboden lag... Durch sein dichtes Haar sickerte langsam und lautlos ein dunkler, roter Streifen, der über den weißen Nacken rann und auf die schmutzigen Holzdielen tropfte . . , unaufhörlich. Sie hatte ihn ein paar Mal mit Kurt zusammen gesehen, der den Jungen als einen stillen, zuverlässigen Genossen schätzte.
„Na, ihr Schweine, habt ihr gesehen — so machen wir das mit euch allen. . Euch werden wir schon lehren, den 1. Mai zu feiern . .!"
Anna sah erschrocken hoch in das immer noch dunkelrote, wutverzerrte Gesicht des jungen Polizisten. Seine Augen waren aus den Höhlen getreten. Der Lederriemen schob das Kinn brutal nach vorn, die breite muskulöse Hand hing mit lose gespreizten Fingern nach unten. Unter den abgeknabberten, kurzen, schmutzigen Fingernägeln wölbten sich die wulstigen, roten Fleischklumpen nach oben. Zwischen den Fingern klebte — Blut! Anna wusste nichts mehr. Die Angst um ihr' Kind, um Kurt war vollkommen ausgelöscht. Sie sah nur wie gelähmt auf diese muskulöse, rot gefleckte Hand, an der das Blut des jungen Arbeiters klebte. — In ihrem ausgeschalteten Gehirn hämmerte etwas ununterbrochen:... Mörderhand... Mörderhand... Mörderhandll
Vielleicht hatte sie schon den Verstand verloren...

 

 

 

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