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Klaus Neukrantz - Barrikaden am Wedding (1931)
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VI. Die Nacht, in der niemand schlief...

Das Fenster nach dem Hof zu war mit einem Tuch verhängt. Gegen 2 Uhr nachts trafen sich die Genossen nacheinander in dem „Roten Zimmer". Noch immer hallte ab und zu ein Schuss aus der
Umgebung der Gasse über die dunklen Dächer. — An einem Nagel am Schrank hing Hermanns kleine Petroleumlampe und beleuchtete in der vollgerauchten, kleinen Stube die schmutzigen, müden Gesichter.
Anna saß schweigend im Halbdunkel auf dem Bettrand und sah ruhig zu Kurt herüber, der, über den Tisch gebeugt, schrieb. Hin und wieder hob er nachdenkend das Gesicht und malte dann mit seiner schrägen, langsamen Schrift eine neue Zeile auf das Papier.
Es war still in dem „Roten Zimmer", man hörte nur das Kratzen der Feder.
Als letzter kam Paul. Von der Jugend war Otto da, breitschultrig, groß und von einer fast heiteren Gelassenheit, wie immer. Mit dem Finger tippte er an den braunen Teddy-Bären, der von der Decke hing und lachte leise, als der Bär mit nach unten gestreckten Pfoten anfing zu pendeln. Spielerisch huschte der Schatten an der Wand auf und nieder. — Paul sah ihn wütend an und hielt den Bären wieder fest. Thomas hockte auf einem Schemel und rauchte. Hinter ihm standen noch drei Arbeiter aus der Straßenzelle. —
Kurt unterbrach als erster die Stille: „Genossen, wir müssen einen zuverlässigen Kurier wegschicken- Ich habe einen kurzen Bericht gemacht und die Liste der Toten und Verwundeten zusammengestellt... das muss sofort weg!"
Thomas hob den Kopf, der Schein der Petroleumlampe fiel voll auf sein müdes, entspanntes Gesicht.
„Wie viel?"
„Fünf Tote... bis jetzt... aber ich weiß nicht, ob ich... alle habe!" Vom Bett kam ein leiser, unterdrückter Laut.
„Ich denke", fuhr Kurt fort, „wir schreiben vorläufig keine Namen auf. Vielleicht weiß der eine oder der andere von euch noch jemanden. Ich habe das so zusammengestellt: 1. Brustschuss (Virchow-Krankenhaus), 1 Handschuss (Kreiskrankenhaus), 1 Handschuss (Virchow-Krankenhaus), 1 Brustschuß (tot), 1 Beckenschuss (Virchow-Krankenhaus), 1 Handschuss (Wohnung), 1 Fußschuss (Wohnung), 1 Knieschuss (Wohnung), 1 Bauchschuss bei einer Frau (Virchow-Krankenhaus), 1 Kopfschuss (tot), 1 Knöchelschuss (Jüdisches Krankenhaus), 1 Schuss durch beide Füße (Feuerwehr), 1 Brustschuß (tot), 1 Fußschuss (Wohnung), 2 Wadenschüsse (Wohnung), 1 Armschuss bei einer Frau (Wohnung), 1 Kopfschuss (tot), 1 schwere Verletzung durch Hundebiss eines Polizeihundes (Wohnung) ,.. die anderen weiß ich nich... aber et sind ja sicher noch mehr . . ,"
Anna erschrak, als sie Kurts verändertes Gesicht sah, ganz grau war es auf einmal geworden! Er hielt das Blatt Papier den anderen hin, aber niemand griff danach. Es schien, als wenn sich jeder scheute, den Bericht in die Hand zu nehmen, ihn gleichsam damit zu einer unumstößlichen Tatsache zu machen. —
Noch dröhnte in ihren Ohren das Hämmern des Maschinengewehrs, das Rufen und Brüllen der Menschen, die Angstschreie der Geschlagenen, der Getroffenen, das Knallen der Gewehre und Pistolen... Man hatte gekämpft und um sich geschlagen, weil sie einem das kalte Eisen vor die Stirne gesetzt hatten — nichts weiter! Und jetzt ist die furchtbare Liste da.
Hinter den funkelnden Tschakos, zwischen den weißen, kalten Gesichtern der Erschossenen, sahen sie auf einmal das politische Gesicht der Ereignisse des 1. Mai 1929.
Man musste jetzt Klarheit haben. Die Situation hatte über den engen Kreis der Gasse hinaus gegriffen. Das proletarisch-instinktive Verantwortlichkeitsbewusstsein, aus dem heraus sie gehandelt hatten, musste politisch bewusst werden. Und vor allem, es war die brennendste Frage: Was würde morgen werden —?!
Einer der Arbeiter nahm den Bericht und ging, ohne ein Wort zu sagen, damit fort.
Thomas zog die Uhr und sagte kurz: „Genossen, es ist jetzt halb drei; in spätestens einer Stunde müssen wir fertig sein. Ich schlage vor, det Kurt einen kurzen Bericht gibt, und det wir dann beschließen, wat zu machen is." — Er wandte sich absichtlich an Kurt. Er hatte schon vorher gemerkt, als er Paul mit seinem zerfallenen Gesicht gesehen hatte, dass auf den heute nicht mehr zu rechnen war.
Kurt hatte sich dagegen an diesem Tag zu einem völlig neuen Menschen verwandelt. Seine unbeholfenen, schweren Bewegungen hatten etwas Hartes, Zielbewusstes bekommen; sein Denken schien jetzt immer mit einer konzentrierten Hartnäckigkeit auf den entscheidenden Punkt loszugehen. Der 'Betonträger Kurt Zimmermann gehörte zu den Proleten, die inmitten einer unvorhergesehenen Aktion plötzlich zu revolutionären Führern werden, ohne es selbst zu wissen. —
Eine Viertelstunde vorher hatte Kurt in diesem Zimmer allein am Tisch gesessen und versucht, sich über die furchtbaren Ereignisse Rechenschaft abzulegen, sie zu einer klaren, übersichtlichen Linie zusammenzufassen. Er wusste, dass, solange Hermann nicht da war, auf seinen Schultern die politische Verantwortung ruhte. Dazu bedurfte es nicht erst eines besonderen Auftrags.
„Genossen", begann Kurt, „wir haben eine schlechte Verbindung mit den anderen Stellen der Partei. Es ist klar, det niemand von unseren" Genossen mit dieser Entwicklung gerechnet hat. Wir selbst auch nich. Aber ick habe hier bei Hermann auf sein' Tisch eine Zeitung gefunden, die zeigt, det andere Leute sehr jenau damit jerechnet haben." Er nahm ein Zeitungsblatt in die Hand, hielt es dicht an die Lampe:
„Der 1.' Mai — Berlins Totentag —, det is die Überschrift davon", erläuterte er, „... es ist sehr einfach, die Schuld an dem Unglück, das der 1. Mai über viele Arbeiterfamilien bringen wird, den Kommunisten zuzuschieben; man braucht nur zu sagen, dass die Kommunisten, wenn das Verbot bestand, nicht zu einer Demonstration hätten aufrufen dürfen. Aber es nützt nichts, für den Mörder zu kämpfen, der das Jahrtausende alte Verbot „Du sollst nicht töten" bewusst übertreten hat. Was nützt es, seine Begnadigung zu verlangen, wenn man kalten Herzens zusieht, wie alle Vorbereitungen getroffen werden, um Arbeiter, wegen Verstoßes gegen eine Polizeiverordnung des Polizeipräsidenten Zörgiebel aus dem Jahre 1929, niederzuschießen?... Sache der Gesamtpartei ist es, wenn das Leben von Arbeitern für die Erhaltung der Staatsautorität geopfert werden soll."
„Mensch, wo steht det?" rief Thomas erregt und sprang auf.
„Det schrieb am 19. April das sozialdemokratische „Sächsisch« Volksblatt" antwortete Kurt ruhig.
„Berlins Totentag... ", stieß Paul hervor, „... det stimmt — die haben et vorher gewusst... !"
„Det müsste man vervielfältigen und auf dem janzen Wedding verteilen!"
„Natürlich müssten wir Flugblätter herausbringen. Jetzt rächt et sich, det wa immer noch keenen eigenen Abziehapparat in de Zelle haben! Ick nehme allerdings an, det die Partei det zentral machen wird, aber wer weeß, ob sie morjen überhaupt bei uns wat durchbringen können? — Aber — erst mal den anderen Punkt erledigen. Ick glaube, klarer als durch diese SPD.-Zeitung kann die Schuldfrage nicht bewiesen werden. Wenn ooch die politische Begründung darin fehlt, da is sich nämlich die „linke" SPD. mit den anderen absolut einig. Wichtiger ist es für uns in diesem Augenblick: Wat wird morjen?!"
Plötzlich hallte ein hartes Klopfen an der Wohnungstür durch die Stille... und gleich darauf wieder, laut und ungeduldig.
„Wat is denn det?!" Die Arbeiter sahen sich unruhig an.
„Mach's Licht aus!" flüsterte Thomas.
Kurt löschte die Lampe. Sie saßen in dem dunklen Zimmer und jeder wusste: Wenn das die Polizei war, ist es aus! — Sie hörten, wie jemand auf der Treppe hinter der Wohnungstür rief.
„Mensch, det is doch keene Polizei", rief Otto erleichtert und sprang auf. Fluchend stolperte er auf den dunklen, engen Flur über den Gasmesser.
„Wer is da?... "
„Menschenskinder, nun macht doch bloß mal auf, Fritz is hier!" Otto öffnete schnell die Tür.
„Wat is denn los, Fritze?" fragte er ' in die Finsternis des Treppenflurs hinein den Genossen,
„Wat los is —? An der Ecke holen sie Waffen aus dem Laden!"
„Wie — wer holt Waffen!"
„Na, de Polizei nich — du Idiot!"
Otto tastete sich durch die dunkle Wohnung zurück. Im „Roten Zimmer" war wieder Licht.
„Los, Kinder, kommt!" sagte er fast vergnügt, „... die räumen unten an der Ecke den Waffenladen aus." Otto strahlte über das ganze Gesicht, „Fein sind die Jung's, wat! Wir diskutieren und die jehn derweilen zum praktischen Teil der Tagesordnung über,"
Kurt machte ein derart verblüfftes Gesicht, dass Anna anfing zu lachen.
„Ick weeß nich, wat dabei zu lachen is", fuhr er sie gereizt an. Im Grunde ärgerte es ihn nur, dass er nicht selber auf diese Idee gekommen war. Selbstverständlich — man musste an morgen denken.
Und wer weiß, wie sich überhaupt in den nächsten Tagen alles entwickeln würde. Im übrigen war ja politisch auch alles klar. „Also, dann mal los, Genossen, — geh'n wir runter!"
Die Straße war pechschwarz. Eine frische, klare Nachtluft empfing die Arbeiter. Hier und da standen dunkle Schatten vor den Häusern. In den offenen, schwarzen Toreinfahrten glimmten Zigaretten auf. Die Leute sprachen leise miteinander. Niemand konnte Ruhe finden in dieser Nacht. —
Kurt ging mit den anderen Genossen schnell die stille, dunkle Gasse hinunter nach der Pankstraße zu. An der Ecke hing über der breiten, herabgelassenen Rolljalousie ein großes, rotes Firmenschild: „Stahlwaren". Vorne, nach der Straße zu, war alles ruhig. Erst als sie dicht davor standen, hörten sie gedämpften Lärm aus dem Geschäft.
Durch die Haustür daneben kamen sie in den dunklen Hof.
„Wer ist da?" Aus einer Mauernische wurden sie angerufen. Thomas antwortete.
Lautlos stiegen aus einem Hoffenster ein paar Schatten mit Paketen und verschwanden im Eingang des Hinterhauses. Schnell und geräuschlos wurde gearbeitet. Viel war nicht zu holen. Es war kein richtiges Waffengeschäft, sondern der Laden enthielt in der Hauptsache Scheren, Messer, Rasierapparate usw. Einer passte in dem Laden auf, dass nur Gegenstände, die als Waffen gebraucht werden konnten, mitgenommen wurden, Teschings, kleine Brownings, Munition, Dolchmesser und einige Schlagringe. Es war besser wie nichts.
In einer knappen Viertelstunde war alles erledigt. Die Waffen wurden irgendwo sicher untergebracht und nur an bekannte, zuverlässige Arbeiter verteilt, wobei die Parteizugehörigkeit schon lange keine Rolle mehr spielte. Hinter diesem Verteidigungskampf stand die ganze Straße.
In den Revierwachen, Unterkünften und Bereitschaftsquartieren der Polizei hatte sich die Situation vollständig verändert. —
In dieser Nacht stand auf dem Revier Nr. 95 nicht mehr der Wachtmeister Schlopsnies am Fenster und blickte „freudig erregt" nach der Kösliner Straße herüber, sondern Wüllner war es, der sich, seitdem er heraufgekommen war, wortlos an das Fenster gesetzt hatte und stumm in die schwarzen Hinterhausschatten der Gasse sah.
Er hatte den Sturm am Abend mitgemacht und dabei den jungen, toten Menschen neben der Barrikade mit dem schmalen, halboffenen Mund gesehen. Von dieser Sekunde an wurde er die Vorstellung nicht mehr los, dass das dieser kleine Punkt gewesen sein muss, der sich kurz vor dem Angriff auf dem Rand der Barrikade bewegt hatte. Das Licht des Scheinwerfers von der andreren Seite stand unmittelbar dahinter, als er auf diesen Punkt angelegt, genau gezielt und abgedrückt hatte. Er war erregt gewesen, hatte Angst gehabt, wie alle anderen, vor dieser dunklen, unheimlichen Straße, und da hatte er beschossen...
Vielleicht war es eine fixe Vorstellung seines überreizten Gehirns. Aber in dem Augenblick, als er mit der Taschenlampe in das weiße, junge Gesicht leuchtete, setzte sich der Gedanke in ihm fest, dass es seine Kugel war, die das kreisrunde, dunkle Loch über dem linken Auge gerissen hatte. Der Polizeiwachtmeister Wüllner, der zu Hause drei Kinder hatte, war — ein Mörder ... !
Er hörte nicht, wie die anderen Kollegen im Zimmer von ihren Taten erzählten, sich rühmten und dabei in ihrer lauten Stimme hinten im Hals die Angst wie einen dicken Klumpen sitzen hatten. Es war vorbei mit der Offensivstimmung bei den ostpreußischen Bauernjungs. Je größer ihre Angst geworden war, desto brutaler hatten sie sich benommen. — Etwas Unbekanntes, Unheimliches, Mächtiges war ihnen entgegengetreten — die Masse!
Die Tür zu dem Zimmer des Oberleutnants wurde aufgerissen: „Wachtmeister Wüllner, zum Major!" — Wüllner hörte seinen Namen und drehte sich erschrocken um. Was wollen sie von mir...?! Wusste man vielleicht schon, dass er der Mörder war... wollten sie ihn zur Rechenschaft ziehen , . . hatte ihn jemand gesehen —?! Unsinn — es waren mehr erschossen worden!... war ja Befehl gewesen!
Er hakte den Uniformkragen zu und ging durch den Kreis seiner stillgewordenen Kameraden. Wenn Wüllner gerufen wurde, war wieder was los, dachten sie. Er war der Führer des SPAT-Wagens, wie die dienstliche Bezeichnung für das Spezial-Patrouillen-Auto lautete. Wenn sie nur nicht, solange es noch dunkel war, wieder eingesetzt wurden... !
Wüllner zog die Tür hinter sich zu und bemühte sich, eine straffe Haltung einzunehmen. Vor ihm saßen vier Offiziere um den Tisch, Major Beil, Hauptmann von Malzahn, Major v. d. Branitz, der bei dem Sturmangriff von seinen eigenen Leuten verwundet worden war, und ein junger Leutnant, den Wüllner nicht kannte. Die Polizeischüler aus Brandenburg erzählten, es sei jemand von der Reichswehr. Aber genau wussten sie es auch nicht. — Der Fußboden unter dem Tisch war mit Zigarettenstummeln und Asche bedeckt.
„Kommen Sie mal näher, Wüllner", forderte ihn der Major auf, „die brauchen nicht alles draußen zu hören — so — also, Wüllner, Sie sind der Zuverlässigste hier. Sie bekommen einen Auftrag."
In diesem Moment ging mit Wüllner eine Veränderung vor. Er war der „Zuverlässigste"... weil er einen Menschen totgeschossen hatte, ging es ihm durch den Kopf... und jetzt hatten sie noch so einen Auftrag für ihn... er sollte wieder so etwas machen!... Nein, nein... er wollte nicht mehr... er war nicht zuverlässig —! Eine wilde Abwehr stieg plötzlich in ihm hoch. Er fühlte, wie seine Knie vor Erregung zitterten.
„Was is Ihnen denn?!" Der Major sah ihn erstaunt an.
„Immer Nerven behalten, Mann! — Sie werden jetzt mit dem SPAT-Wagen das Terrain abfahren, verstanden, und Meldung machen, was Sie gesehen haben! Sie schießen auf alles, was Ihnen vor die Quere kommt, verstanden! — Wenn Sie andere Leute dazu haben wollen, wie Sie sie sonst haben, suchen Sie sich ein paar zuverlässige Kerle selbst aus. — Machen Sie die Sache gut — abtreten!"
Aber Wüllner trat nicht ab. Er stand immer noch auf derselben Stelle und sah den Major an.
„Haben Sie den Befehl verstanden?" fragte der Major leise, mit einer gefährlichen Unruhe im Ton.
„Jawohl!"
„Na also, worauf warten Sie noch?"
Ja, worauf wartete Wüllner noch? Ohne sich zu rühren starrte er seinem Vorgesetzten in das Gesicht. Nur seine ausgestreckten Finger zogen sich langsam immer fester zusammen. Er presste die Nägel in den Handballen — jetzt — jetzt war er so weit — jetzt musste er es sagen... er wollte losschreien, brüllen ... , aber er stammelte nur leise und hilflos:
„Herr... Major... ich kann nicht... !"
Das Gesicht des Majors wurde rot vor Wut. Er schrie ihn an; „Sie können nicht-------!?"
„Nein... ", antwortete Wüllner still, „... ich kann nicht . . • ich habe — einen Menschen ermordet... !"
„Verzeihung, Herr Major", mischte sich Hauptmann v. Malzahn ein, „ich glaube, der Mann ist nur mit seinen Nerven vollständig fertig. Er weiß ja nicht, was er sagt."
Der Major stand auf und schob Malzahn mit einer Handbewegung beiseite. Er kam urn den Tisch herum und ging wortlos auf den unbeweglich dastehenden Wüllner zu, dicht an den farblos gewordenen. Wachtmeister trat er heran. Von der in den herabgezogenen Mundwinkel geklemmten Zigarette stieß er ihm, ohne sie herauszunehmen, den Rauch direkt in das Gesicht. Wie eine wütende Schlange zischte er: „Feigling!" Es war, als wenn er dem Mann in das mit tödlicher Blässe bedeckte Gesicht gespuckt hätte.
„Raus — du Lump, du Bolschewik —, raus, raus!" brüllte er los. Die Offiziere standen auf. —
Hinter der Tür brach plötzlich die wieder begonnene Unterhaltung der Mannschaften ab. Lautlos still war es in den Räumen der Wache —.
Es dauerte eine Weile, bis Wüllner die Beschimpfung des Offiziers begriffen hatte. Er wusste nur so viel, wenn er jetzt die Zähne auseinander läßt, schreit er los Und dann konnte er nicht mehr?
„Das ist Mord, was wir machen... Mord, Mord!... ich bin kein Feigling . , . seit zehn Jahren bin ich im Dienst... nie ein Feigling gewesen . . , ich will nicht mehr... ich nicht, ich nicht... !!"
Ehe die Offiziere dazwischen springen konnten, hatte er einen Karabiner, der an der Wand lehnte, an sich gerissen und das Gewehr mit einem lauten Krach dem Major vor die Füße geschmissen.
Er wurde noch in derselben Nacht als Verhafteter in das Polizeipräsidium gebracht. —
Auf einer anderen Wache im Wedding hatte man bereits kurz vorher drei andere Beamte des Bereitschaftsdienstes, die aus der Maikäfer-Kaserne in der Chausseestraße abkommandiert waren, aus demselben Grunde verhaftet und abgeführt.

 

 

 

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