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Ludwig Renn - Krieg (1928)
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Lugny

Wir hatten seit Tagen kein Brot. Mittags und abends aßen wir Fleisch in fetter, heißer Brühe. Wer hätte Zeit gehabt, Gemüse zu putzen, wo wir abends und im Dunkeln in eine Scheune krochen und früh vor Tage alarmiert wurden. Eine Nacht blieben wir gar auf dem Straßenpflaster eines Ortes liegen, weil man vergessen hatte, uns zu sagen, dass es unsere Nachtruhe sein sollte. In dieser Nacht schien der Mond. Es war kalt auf den Steinen. Dicht vor mir lag der Leutnant mit seinem schwarzen Bart und stöhnte und redete mit sich selbst wie im Fieber.
Die Sonne ging früh und heiter auf. Wir marschierten auf einer geschwungenen Waldstraße in den kühlen Morgen. Endlich einmal keine von diesen schnurgeraden, baumlosen Militärstraßen Napoleons! Auch der Leutnant war munter. Aber er war recht mager geworden und grau im Gesicht, vielleicht vom Schmutz.
Gegen Mittag bezogen wir Quartiere. Wir hängten unsere Uniformen und Wäsche in die Sonne und wuschen uns am Brunnen. Heute konnte man sogar die Füße waschen, die wir zwei Wochen - oder noch länger - nicht aus den Stiefeln gezogen hatten. Wir setzten uns vergnügt um den runden Tisch des verlassenen Hauses. Ziesche kochte Kaffee.
„Alarm!" schrie es draußen.
Wir rannten nach Röcken und Stiefeln. In zehn Minuten stand die Kompanie abmarschbereit auf der Straße. Vorn irgendwo wummerten die Kanonen.
„Wissen Herr Leutnant, was es gibt?" fragte Ernst.
„Ich weiß nicht mehr als Sie."
So standen wir eine Stunde in der Mittagsglut auf der Straße. Dann marschierten wir mit vielen Stockungen ab. Es wurde Abend und Nacht, bis wir ein Dorf erreichten. Dort blieb die Kompanie, während unser Zug als Feldwache weiterrückte.
„Sie sind mit Ihrer Gruppe Unteroffizierposten eins, etwa fünfhundert Meter vor uns an diesem Feldweg."
Wir marschierten an. Die Nacht war dunkel. Ich zählte meine Schritte. Beim dreihundertsechzigsten Schritt sah ich dicht rechts des Weges eine kleine Erhöhung. Da lagen Feldsteine umher, und diese Wiese fiel nach vorn ab. Links stand ein Kornfeld.
Ich stellte die beiden Posten ein paar Schritt vor uns an den Weg. Aber wohin mit den übrigen? Im Kornfeld wären sie unsichtbar, aber auch leicht zu überraschen. Und wenn wir angegriffen würden, müssten sie nach rechts auf die Erhöhung. Also lieber gleich dort lagern!
„Wie bekommen wir denn das Essen hier vor?" fragte einer.
Ich schickte ihn mit unseren Feldkesseln hinter und setzte mich auf den Tornister. Gestern war der Mond erst gegen drei Uhr morgens aufgegangen, heute also gegen vier. Dazu war der Himmel bedeckt. Es war kühl und feucht auf der Höhe. Von links vorn kam ein leiser Wind.
Lamm setzte sich zu mir. „Weißt du, wo die Franzosen liegen?"
„Nein." Was sollte man weiter reden!
Nach einer Zeit hörte ich hinter uns Blech klappern. Das Essen kam und Kaffee. Ich begann zu löffeln. Es war Kalbfleisch in viel Brühe.
„Warum kriegen wir nur nie Brot?" fragte einer.
„Weil wir so schnell marschieren, dass die Bäckereikolonne nicht nachkommt", entgegnete Ziesche.
Damit war das Gespräch wieder zu Ende. Sie legten sich schlafen, außer Lamm. Wir saßen schweigend nebeneinander.
Schritte hinter uns, die rasch näher kamen. Es war Ernst. Ich meldete.
„Im Fall eines feindlichen Angriffs", sagte er, „werde ich Ihnen hier kaum Hilfe bringen können, weil unsere Front nach halblinks ist."
„Wo stehen die Nachbarposten rechts?" fragte ich.
„Ich habe eine Patrouille dorthin geschickt, aber sie hat keine Truppen angetroffen. Wahrscheinlich hängen wir hier rechts in der Luft."
„Wissen Herr Feldwebel etwas von den Franzosen?"
„Nein, nichts. - Ich gehe jetzt zu Posten zwei. Der muss jenseits des Feldes an der Straße stehen. Gute Wache!"
Wir setzten uns wieder. Wir waren hier auf uns allein angewiesen.
Nichts war zu hören als manchmal ein Tritt eines der Posten und das Schnarchen hinter mir.
Ich versuchte nach der Uhr zu sehen, konnte aber die Zeiger nicht erkennen. Lamm sah nach seiner Leuchtuhr.
„Es ist fast zwölf."
„Dann musst du mit Ziesche aufziehen."
Er weckte den Ziesche. Die beiden anderen legten sich schlafen. Ich sah in die Nacht hinaus. - Da hatte ich neben dem Einjährigen fast zwei Stunden gesessen, und wir hatten nichts gefunden, das sprechenswert gewesen wäre.
Ich stand auf und ging ein Stück nach rechts. Dort stand ich eine Weile. Aber was sollte das? Ich ging zurück und setzte mich wieder. Wenn man nur etwas Richtiges zu denken hätte! Rauchen konnte man hier auch nicht. Der Gedanke daran hatte das Rauchgelüst in mir wachgerufen. Ich stand wieder auf. Ich hatte noch zwei Zigaretten. Vielleicht gab es hier einen Fleck, wo man sie ungesehen anzünden könnte. Im Korn? Nein, die zwei vorn könnten es merken.
Endlich waren die zwei Stunden um. Ich weckte die nächsten Posten und erklärte ihnen unsere Lage. Als ich zurückkam, saß Lamm wie vorhin neben meinem Tornister.
„Bist du nicht müde?" fragte ich.
„Ich habe das Militär unglaublich gehasst"; sagte er ganz in sich versunken. „Aber das ist ja ein Unsinn, dass etwas gar keinen Sinn hätte."
„Und was soll das Militär für einen Sinn haben?" fragte ich ohne eigentliches Interesse.
„Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber wie soll unser Schicksal je ein Umweg sein?"
„Da glaubst du also, dass das Leben ganz genau auf ein Ziel losgeht?"
„Ja, so ähnlich muss es sein."
Nach einer Weile stand er auf und legte sich schlafen. Anfangs war ich angeregt. Dann aber wurde ich sehr müde. Ein paar Male fiel mir der Kopf vornüber...
Um nicht einzuschlafen, stand ich auf und ging hin und her.
Pferdegetrappel? Ich lauschte.
„Renn!" rief leise der eine Posten. „Ja, ich hab's gehört."
Ich fasste die Schläfer fest an, dass sie gleich richtig erwachten.
„Hier die Kuppe besetzen! Gewehr vor! Aber nicht schießen, bevor ich's sage!"
Ich lief zu den Posten hinüber. Die Reiter waren schon ziemlich nah.
„Ihr beiden hier ins Korn, dass wir sie unter Kreuzfeuer nehmen können! Den Weg frei lassen! Ich schmeiße da Tornister hin, dass die Pferde erschrecken."
Ich lief zurück und schleppte ein paar Tornister und Decken auf den Weg, die da unheimlich aussahen. Dann legte ich mich mit auf die Kuppe. Das Trappeln kam heran, vielleicht zehn Pferde.
„Halt! Wer da?" schrie ich.
„Patrouille Husaren", lachte einer.
„Vorsicht!" rief ich. „Auf der Straße liegen Tornister!"
Sie kamen im Schritt heran, vorn ein Unteroffizier.
„Haben Herr Unteroffizier Franzosen getroffen?"
„Nein, die Dörfer vorn sind leer, keine Maus drin."
Wir waren alle munter geworden und schwatzten durcheinander. Ich bat den Ziesche, für mich zu wachen, und wickelte mich in die Decke und Zeltbahn.
Als ich aufwachte, war heller Tag.
Ein Mann kam von hinten. „Die Posten sollen zur Feldwache zurückrücken."
Wir rückten ab. Auf einem Stoppelacker mit Getreidepuppen lag die Kompanie. Auf der Straße rückten Truppen vor. Wir holten an der Feldküche Kaffee und sollten noch ein paar Stunden ruhen. Ich legte mich in eine Kornpuppe und ließ mir die Sonne auf die Beine scheinen.
Ich wachte auf. Die Luft war heiß und zum Faulenzen. Vorn wummerten ununterbrochen die Kanonen.
Wir brachen auf. Es ging mit vielen Stockungen. Die Artillerie wurde vorgezogen und blieb wieder stehen. Wir marschierten in einer stehenden Staub- und Schweißdunstwolke. Beim geringsten Halt legten sich alle hin, so schwül war es. Der Kanonendonner wurde immer hörbarer. Wieder trabte die Artillerie vor. Vor uns war eine Lücke entstanden. Wir versuchten nachzukommen. Aber die Lücke wurde noch größer. Vor uns ritt der Leutnant. Er hatte eine Haselrute in der Hand und trieb sein Pferd damit an. Aber nach wenig schnelleren Schritten schlich es wieder und fing an zu stolpern. Schließlich stieg er ab und gab das Pferd seinem Burschen zum Nachführen.
Wir kamen auf eine Höhe. Vor uns dehnten sich die heißen Wiesen. Kein Baum, kein Haus. Nur ganz in der Ferne schienen mir Schrapnellwölkchen im Dunst zu stehen. Wenn es nur wenigstens ein Wasser hier gäbe, dass man die Feldflasche wieder füllen könnte!
Am Straßenrand saßen und lagen welche mit schmutzigen Taschentüchern auf dem Kopf, die Hände und Gesichter aufgequollen. Es wurden immer mehr, die nicht weitergekommen waren.
Schließlich kamen wir in ein Dorf und rasteten. Wir zogen die Röcke aus und wuschen uns am Brunnen.
„An die Gewehre! Gepäck auf!" schrie der Leutnant.
Ich fuhr in das Hemd und den Rock und schnallte irgendwie um.
„Was ist denn los, Herr Leutnant?" fragte Ernst. „Die Franzosen sind uns schon fast im Rücken. Sehen Sie dorthin 1"
Auf die Straße, die wir gekommen waren, fuhren Schrapnelle. Die Marschkranken flohen in ein Feld hinein.
Wir marschierten in einem Wiesengrund schräg rückwärts.
Tscht! Tscht! sausten zwei Schrapnelle über uns weg. Links vor uns standen zwei Feldküchen. Auf einmal stand dort eine schwarze Wolke auf der Wiese.
Hramm! krachte es grässlich hinterher.
Plötzlich stand daneben noch so eine Wolke.
„Das sind Granaten", sagte der Leutnant. „Lassen Sie jetzt Ihren Zug schwärmen! Wo die Franzosen liegen, weiß ich auch nicht."
Wir schwärmten aus. Ich war mit meiner Gruppe ganz links.
Es ging eine Wiese hinauf. Vor uns war blauer Himmel. Gewehrkugeln pfiffen scharf über uns weg. „Marsch, marsch!" befahl Ernst.
Ich rannte zwei Schritte, sah, dass die Leute nicht mehr rennen konnten, und fiel auch wieder in Schritt. Links tauchte ein kleiner rechteckiger Fichtenwald auf. Darin knallten die Schüsse an die Stämme. Wir schlichen weiter.
„Dort drin sitzen sie auf den Bäumen!" schrie einer.
Sie rissen die Gewehre hoch und platzten sinnlos gegen die Baumkronen. Ein paar knieten, andere hatten sich hingeworfen.
„Da ist doch gar niemand!" schrie ich. Sie knallten weiter. „Stopfen!" brüllte ich. „Stopfen!" brüllte Lamm. Sie setzten ab.
„Seht nur hin", schrie ich wütend, „ob da jemand in den Baumkronen sitzt! Ihr solltet euch schämen, so den Kopf zu verlieren! - Marsch!"
Sie standen auf und folgten.
Durch den Aufenthalt war der Zug auseinander gekommen. Ich hatte jetzt die ganze linke Hälfte. Ernst selbst mit der andern Hälfte war verschwunden.
S! S! Ss! fuhren die Gewehrkugeln immer näher.
Sch-pramm! Granaten hinter uns. Wir mussten gleich auf der Höhe sein und duckten uns.
Rechts stand ein Geschütz auf der Höhe. Kanoniere schleppten Munition, schossen.
Bramm! Bramm! Schwarze Wolken rings darum. Ein Mann wurde wie aufrecht nach hinten verschoben.
Vor uns schrie jemand: „Nicht einschieben! Wir liegen schon in drei Reihen hintereinander!"
S! S! Sch! - Preng, pamm! Rammss! krachte, zischte, zirpte es. Die Franzosen lagen wahrscheinlich dicht hinter der Höhe.
„Hinlegen", brüllte ich. Ich warf mich hin. Rechts und vorn lag alles voll Menschen. Nach links konnte ich nicht sehen. Da fiel die Höhe ab. Aber es schien mir dort ruhiger zu sein.
„Nach links hinüberziehen!" schrie ich durch das Getöse. Ich erhob mich halb und schlich gebückt nach links. Ziesche vor mir. Die andern lagen noch.
„Linksum marsch!" kommandierte ich.
Es kamen noch einige mit. Nach wenigen Schritten waren wir aus dem tollsten Gezisch. Ich zog sie noch ein Stück weiter nach links. Dann wendeten wir uns nach vorn. Da war eine leere Wiese, rechts ein Dorf, in dem es brannte. Vielleicht kamen wir so den Franzosen in die Flanke. Vor uns im Grunde schlängelte sich ein Bach unter Weiden.
S! S! zischte es auf einmal von vorn. Auf der nächsten Höhe lagen welche wie die Zielscheiben gegen den Himmel.
„Stellung! Drüben auf der Höhe Schützen - Visier sechshundert! Schützenfeuer!"
Ich schlug an. Die Ziele drüben saßen über Korn und Kimme wie kaum auf dem Exerzierplatz.
Ein Schuss vor mir ins Gras!
Ich drückte ab. Das musste sitzen, wenn das Visier nicht falsch war. Um mich schossen sie lebhaft.
Am rechten Ohr sauste es mir vorbei.
Ich zielte wieder. Auf einmal wurde mein Gegenüber größer. Ich schoss ab.
„Sie gehen zurück!" schrie ich.
Wir platzten die Schüsse heraus, wie es nur ging. Drüben verschwand einer nach dem anderen.
„Marsch!" kommandierte ich. Wir mussten ihnen nach. Wir stiegen über einen Viehzaun und kamen an den Bach. Da lag einer im Wasser, den roten Hosenboden nach oben. Drüben saßen oder lagen tote und verwundete Franzosen.
Ich sprang über den Bach. Einer hinter mir schöpfte mit der Hand Wasser und schlürfte es.
Gewehrschüsse von hinten. Der Hornist Kinder ging neben mir.
„Blase", sagte ich zu ihm, „dass uns unsere Leute nicht in den Rücken schießen!" „Was denn?" fragte er. „Was du willst!"
Er blies den Zapfenstreich. Ein Schuss von rechts. Dort lag ein Kornfeld, und darin gingen Franzosen parallel zu uns zurück.
„Nach rechts!" schrie ich. „Visier vierhundert! Schützenfeuer!" Ich schmiss mich hin und schoss wie ein Toller. Die Franzosen waren vielleicht hundertfünfzig Schritt entfernt. Neben mir knallten sie. Dort fiel einer ins Korn. Einer hob das Gewehr und schoss im Stehen nach uns. Sie kamen aus dem brennenden Dorf. Wir hatten sie in der Flanke.
Einer nach dem andern tauchte im Korn unter. Sicher waren nicht alle getroffen. Allmählich wurde ich ruhiger und zielte genauer.
Rechts aus dem Dorf kam hochaufgerichtet ein Offizier. Er sank ins Korn. Keiner war mehr zu sehen.
Ich stand auf. Hinter uns am Bach sah ich Deutsche stehend auf die Verwundeten schießen. Ich rannte hin. Es waren Leute der vierten Kompanie.
„Was macht ihr denn?" schrie ich.
„Die Hunde haben von hinten auf uns geschossen!" sagte einer erbittert
„Und unsern Leutnant Röhle haben sie im Dorf erstochen, wie er schon verwundet dalag!"
Ich ging zu meinen Leuten zurück. Es waren nur noch sechs Mann, darunter zwei von andern Kompanien. Sollten wir weiter vorgehen?
Der Hauptmann der vierten Kompanie kam gegangen. „Besetzen Sie die Höhe hier vorn!"
Wir schlichen die Höhe hinauf. Meine Beine waren auf einmal schwer, und meine rechte Schulter schmerzte vom vielen Schießen.
Auf der Höhe, von der uns vorhin die Franzosen beschossen hatten, lag ein Schwarzer mit weißen Pumphosen.
Vor uns dehnten sich Kornfelder. Darin stand ein Trupp Franzosen um etwas herum.
„Der Trupp Franzosen! Schützenfeuer!"
Drüben stoben sie auseinander. Ich griff in die Patronentasche, um neu zu laden. Sie war leer, die andere auch. Und die zwei Patronengurte um den Hals hatte ich schon vorhin weggeworfen, weil sie leer waren. Also zweihundertdreißig Patronen hatte ich heute verschossen! Ja, da konnte die Schulter weh tun!
Die Sonne versank hinter den Höhen rechts. Es war noch immer heiß.
Ein Mann kam. „Ihr sollt zum Biwakplatz des Bataillons zurückkehren."
Wir hängten das Gewehr um. Auf der Wiese lagen Verwundete. Ziesche hatte einen untergefasst, der schwer humpelte.
Ein französischer Offizier, klein und dick, stöhnte im Grase. Ich wollte sehen, was ihm fehlte. Aber er winkte ab. Trotzdem knöpfte ich ihm den Rock auf. Aus seiner rechten Hüfte quoll Blut wie aus einer Brunnenröhre. Ich zog ein Verbandpäckchen aus der Tasche und wickelte es ihm um den Leib. Dabei wurde mein rechter Ärmel fast bis zum Ellbogen blutig. Vielleicht war es ein Unsinn, ihn bei dem Blutverlust zu verbinden. Einer hielt ihm die Feldflasche hin. Er schob sie mit der Hand weg.
„Du denkst wohl, wir wollen dich vergiften?" sagte der Mann und setzte ihm die Flasche an den Mund. Der Offizier trank gierig.
Unterdessen hatten die anderen noch mehr deutsche Verwundete aufgelesen. Ich musste an einer Zeltbahn mit anfassen, in der einer stöhnend lag.
Wir kamen an den Bach. Die Franzosen saßen da und flehten mit Gebärden, sie mitzunehmen. Einer schlug an seinen umgehängten Brotbeutel und breitete die Hände aus, dass sie nichts zu essen hätten.
„Wir haben selbst kein Brot. Und mitnehmen können wir euch auch nicht, das müsst ihr schon einsehen."
Es wurde immer dunkler. Nur im Dorfe flackerten die Brände. Wir gingen den Weg durchs Dorf. Da lagen überall Tote, hier ein Turko auf einem deutschen Offizier.
Unser Verwundeter in der Zeltbahn stöhnte bei jedem Schritt, den wir machten.
Wir kamen in einen Wiesengrund. Da stand unsere Feldküche. Fabian davor mit Ernst und dem Kompaniefeldwebel. Sie hatten Aluminiumteller vor sich auf dem Küchenverdeck und bliesen in die heißen Löffel. Ernst sah mich. „Wie viel bringen Sie mit?"
„Vier von der Kompanie, Herr Feldwebel."
„Es fehlen hundert Mann", sagte Fabian. „Aber es müssen darunter auch viele Marschkranke sein."
Ich ging zum Zug. Es waren nur noch etwa dreißig Mann, nach den Gewehrpyramiden gezählt.
„Hat einer die Perle gesehen?" fragte ich.
„Der ist tot. Er hat oben auf der Höhe einen Schuss durch den Kopf gekriegt."
„Und Lamm?"
„Ich habe ihn nicht gesehen."
Ich schnallte mein Kochgeschirr ab und ging zur Feldküche. „Der Einjährige Lamm lässt Sie noch grüßen", sagte der Feldwebel. „Ist er verwundet?"
„Ja, und recht schwer. Er hat Schüsse durch beide Arme und Beine und dazu noch einen Kolbenschlag auf den Kopf. Er sah grässlich aus."
Als ich mit Essen fertig war, rief mich Ernst. Er saß auf einer Zeltbahn im Grase und hatte eine Flasche in der Hand. Bei ihm standen noch zwei Gruppenführer.
„Setzt euch mal hierher. Wir müssen den Zug neu einteilen. - Haben Sie Feldbecher da? - Renn behält die erste Gruppe."
Er goss uns Rotwein in die Becher.
Fabian kam mit dem Feldwebel und setzte sich dazu.
„Wir haben heute im Regiment über zwanzig Offiziere verloren", sagte Fabian wie von ferne.
Ich nippte am Becher. Der Rotwein war herb und kalt.
„Die Perle ist auch gefallen", sagte der Feldwebel.
„Das war doch Ihr Freund, Renn", sagte Fabian.
Die Flasche war ausgetrunken.
„Gute Nacht!" sagte der Leutnant und stand auf.
Wir legten uns auch schlafen.



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