Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Ludwig Renn - Krieg (1928)
http://nemesis.marxists.org

Sainte-Marie-La Benoite

Ich weiß nicht, wie viele Tage wir marschierten. Ich kann mich überhaupt der Einzelheiten dieser Märsche nicht erinnern. Wir waren schweigsam geworden. Es regnete Tag für Tag. In den Nächten froren wir in den durchnässten Sachen. Unser drittes Bataillon wurde eingesetzt und kam in der Nacht mit wenigen Mann und ohne Offiziere wieder. Ich wagte nicht zu denken: Wann geht es uns auch so, und ich dachte es doch heimlich vor mir. Immer weiter ging es hinter der Front nach Norden.
Eines Nachmittags hockte ich neben Hartmann hinter einem Hause. Wir konnten nicht ganz an die Wand gehen, weil da Brennnesseln wuchsen.
„Du", sagte Hartmann, „kennst du meine Braut?"
„Nein." Ich weiß nicht, wie es mir in dem Augenblick kam, ich dachte, er ist der bestgewachsene Kerl in der Kompanie, nur sieht er zu finster aus.
„Wenn mir was geschieht", er sah zwischen seinen Knien auf den Boden, „musst du's ihr schreiben." Er war erregt und wollte es nicht zeigen. „Meine Eltern wollten nichts von ihr wissen - und ihre nichts von mir." Er zog ein Stück Zeitung aus der Tasche, zerriss es und wischte sich ab. Das tat er so grässlich bedächtig. Was sollte ich nur sagen? „Sie heißt Hanna Seiler und wohnt Adolfistraße 31."
Wir standen auf und gingen ins Haus hinein. Er putzte sein Gewehr. Ich rasierte mich, um nicht das gleiche zu tun wie er.
Weiß hatte Rock und Hemd ausgezogen und wusch sich. Sein Oberarmmuskel schillerte noch in allen Farben.
„Weshalb wolltest du eigentlich damals nicht ins Lazarett?" fragte ich.
„Ich weiß doch, wie's bei einem Lazarett auf dem Marsche ist. Da ist es besser bei der Kompanie, wo sich welche um einen kümmern."
„'s gibt Post!" schrie einer vor dem Hause.
Ziesche lief hinaus.
Er brachte mir einen Brief und legte ihn mir auf den Tornister. Es war die Schrift meiner Mutter. Ich wollte mich erst fertig rasieren und waschen.
Ernst sah zur Tür herein. „Sofort fertigmachen!" Er verschwand wieder.
Wir warfen unser Zeug in die Tornister. Den Brief legte ich auch hinein.
Auf der Straße traten sie schon an.
„Wir werden nach Sainte-Marie vorgezogen", sagte Boehm. „Was wir dort sollen, weiß ich auch noch nicht!"
Wir rückten über eine weite Wiesenfläche in Wald. Unterdessen begann es zu dunkeln.
Wir hielten und setzten uns in den Straßengraben. Bald schliefen einige. Ich war nüchtern. Was sollte ich mit der dummen Telegrafenstange vor mir? Wenn es irgend etwas gäbe, was einem die Angst zudecken könnte. Ja, saufen! -Wenn man etwas hätte. Aber nein, ich würde nicht besoffen ins Gefecht gehen. Mir schwindelte vor dem Gedanken. -Wenn man nur wenigstens wüsste, wie lange es noch dauert, und wenn man die Gegend kennte, in der man angreifen soll!
„Herr Leutnant möchte zum Bataillonsführer vorkommen!"
Boehm stand auf und ging.
Ich wachte auf. Meine Beine lagen mit den Stiefeln etwas zu hoch und hohl. Ich war ganz in den Graben hineingerutscht. Die Knie taten mir weh. Mein Gesäß war nass geworden.
Ich war zu nüchtern, um wieder einzuschlafen. Der Gedanke, zu rauchen oder etwas zu essen, ekelte mich. Das nützte doch nichts für den Angriff. - Warum musste ich wieder ins Feuer hineinlaufen? Die andern, die gingen mich ja nichts an - nein, die Kompanie schon, aber die andern Kompanien nicht. Mögen die doch angreifen, aber wir nicht noch einmal! Ist es nicht einmal genug?
Einer kam von vorn auf der Straße gerannt. „Dritte Kompanie?"
Ja."
„Sofort antreten, aber ohne Lärm!" „Auf die Straße!" befahl Ernst leise.
Wir marschierten ab. Nach wenigen Schritten lichtete sich der Wald. Häuser tauchten auf und eine Kirche mit niedrigem Zeltdach. Offiziere standen auf der Straße.
„Mir folgen!" flüsterte Boehm. „Das Bataillon greift an."
Er ging eilig die Dorfstraße voraus. „Halt!" flüsterte er. „Nach hinten durchsagen: die Zugführer zu mir!"
Die Zugführer standen stramm.
„Machen Sie sich's bequem! - Wir sollen die Franzosen aus dem Walde vor uns vertreiben. Unsere Kompanie ist in der Mitte. Wenn wir aus dem Dorf ins Freie kommen, zieht sich der zweite Zug rechts, der dritte links heraus. Unsere Front ist halbrechts. Sie müssen Ihre Leute bei der Dunkelheit zusammenhalten, und kein lautes Wort! - Jetzt los!"
Ernst gab das Zeichen zum Antreten.
Rechts und links stand noch je ein kleines Haus. Wir bogen von der Straße nach rechts auf eine Wiese. Von rechts lief ein Damm herüber. Von einem Walde war nichts zu sehen. Zu beiden Seiten hörte ich das Schanzzeug der vormarschierenden Züge klappern.
Wir kletterten den Eisenbahndamm hinauf. Vor uns lag der Wald auf dreihundert Meter. Die steile Böschung hinunter.
Links ein Gewehrschuss! Der Wald war schon nah. Ernst flüsterte: „Schwärmen!"
Ich rannte vor meine Gruppe. Vor mir zog Ernst die Pistole aus der Ledertasche.
Links wildes Gewehrgeknatter!
„Marsch, marsch!" schrie der Leutnant.
Zwei Schüsse von vorn! Noch zwanzig Schritt bis zum Waldrand.
Gewehrschüsse peitschten. Ich sah das Aufblitzen im Walde.
Der Leutnant warf sich hin. Ich links neben ihn.
Einer kam rechts vorgelaufen und fiel. Mir fuhr durch den Kopf, das müsste Ziesche sein - sollte ich schießen? Es peitschte um die Ohren. Aufblitzen im Waldrand hier und da mit roten Flämmchen.
Dicht über meinen Kopf weg! Mein Kinn steckte in den Grashalmen. Die Schultern drückte ich herunter. Links schoss ein französisches Maschinengewehr.
Boehm bewegte sich.
Ein Schuss dicht! Es knallte. Wie spät mochte es sein? Vielleicht war die Morgendämmerung schon nahe.
Das Feuer ließ etwas nach. Das Maschinengewehr links tackte.
Sch! Sch! Sch! Sch! fuhr es über uns weg und schlug hinten ins Dorf.
„Zurück!" flüsterte Boehm.
Ich legte das Gewehr in die linke Hand und begann mich rückwärts zu schieben.
Ein Schuss vor meinem rechten Arm in den Boden.
Sch-parr! Sch-pang! dicht weg in den Bahndamm.
Ich schob mich weiter. Meine Hosen streiften sich in die Höhe. Vor uns war es still geworden. Nur rechts schoss es lebhaft, und links tackte das Maschinengewehr mit kurzen Unterbrechungen.
Vielleicht sehen sie uns nicht mehr, dachte ich, und erhob mich etwas mehr vom Boden, um leichter kriechen zu können.
Rechts lag, der vorhin hinfiel.
Ich schob mich hinüber. Er regte sich nicht. Vielleicht war es auch Ziesche nicht?
Ich kam dicht neben ihn. Es war Ernst. Er hatte den linken Arm halb unter dem Körper.
Ich fasste ihn an der Schulter. Nichts regte sich an ihm. Ich griff in seine Taschen und steckte seine Sachen ein.
Ich sah nach vorn. Der Wald war so dunkel, dass ich vielleicht aufstehen könnte. Ich erhob mich auf die Knie. Ein Schuss links vorbei! - Natürlich, sie müssen mich ja gegen den Himmel sehen.
Ich kroch weiter.
„Hilfe!" flüsterte es links. Es war Schanze von meiner Gruppe. „Was hast du denn?" „Meine beiden Beine!" ächzte er. Wie sollte ich dem helfen? „Kannst du gehen?"
S-kramm! ram! ram! ram! irgendwo hinten.
Er versuchte sich aufzurichten. „Ich kann nicht."
„Ich will versuchen, dir von hinten Hilfe zu bringen."
Er weinte leise. Wie sollte ich ihm nur Hilfe bringen? Wenn ihn hier die Morgendämmerung überfiel, so dicht an den Franzosen? Ich versuchte ihn um den Leib zu fassen und irgendwie fortzuziehen.
„Ra!" machte er. Es war ein ganz unterdrückter Schmerzlaut. Es ging auch nicht.
Ich stand auf.
Ein Schuss dicht links.
Ich ging weiter.
Links lag wieder einer.
„Wer ist das?"
Er antwortete nicht, bewegte aber seine Arme ein wenig. Er lag auf dem Rücken.
Ich beugte mich dicht über ihn. Hartmanns Augen, ganz schwarz!
Ich fasste seine Hand, ob ich ihn zum Bewusstsein brächte, und drückte sie heftig in schrecklicher Angst. Er merkte es nicht.
Ich ließ seine Hand los und stand auf. Mir fiel ein, dass ich ihm seine Sachen hätte abnehmen sollen. Aber ich ging weiter. Vor mir sprachen ein paar.
„Wir müssen ihn auf Gewehre setzen", sagte Boehm.
Das Maschinengewehr setzte wieder ein.
„Ich kann nicht zugreifen", entgegnete Ziesche.
Jetzt war ich so nah gekommen, dass ich sah, Ziesche hielt seinen rechten Daumen in die Höhe.
Ich half Boehm, den Mann auf zwei Gewehren tragen. Der hatte einen Schuss ins rechte Fußgelenk.
„Drüben wird schon der Himmel hell", sagte Boehm, „und wir müssen noch über den verfluchten Bahndamm!"
Es wurde erschreckend schnell sichtiger. Der Bahndamm zeichnete sich deutlich gegen den aufhellenden Himmel. Ein paar kletterten ihn hinauf und kamen oben scharf und dunkel heraus.
Tack tack tack tack tack! setzte das Maschinengewehr ein. Ein paar Schüsse knallten.
Einer rollte die steile Böschung herab. Die anderen sprangen wieder herunter und kamen zu uns.
Wir wurden dadurch sieben Mann - übrigens der mit der Roten-Kreuz-Binde ist doch Weiß. Aber er bewegt sich so seltsam!
„Wir müssen uns eingraben", sagte Boehm. „Vor heute Abend kommen wir nicht zurück."
Wir setzten den mit dem Fußgelenkschuss sorgsam hin. Ziesche half mit der linken Hand.
Boehm ordnete an: „Renn schanzt hier, rechts davon ich und daneben die beiden von der zweiten Kompanie. - Sie, Ziesche, geben mir Ihren Spaten und halten Wache. Sehen Sie sich mal um, ob hier nicht welche herumlaufen, die auch nicht hinter können."
Wir begannen zu graben. Dem Schanze konnte ich keine Hilfe mehr bringen. Es wurde schon merklich heller.
In zwei Handbreiten Tiefe stieß ich auf weißen Kalk.
„Hat nicht jemand eine Beilpicke?" fragte ich.
Niemand antwortete. Es war sinnlos, in den Kalk mit dem kurzen Spaten eindringen zu wollen. Daher schälte ich den dunklen Boden in größerer Breite ab und warf ihn als Wall vor mich.
Einzelne Schüsse knallten.
Sch-pramm! fuhr es hinter den Bahndamm.
Jetzt war mein Loch groß genug für mich. Aber ich musste darin noch Verwundete aufnehmen. Ich sah mich um. Hinter mir lag Weiß auf dem Rücken und atmete kaum. Erst musste ich weiterarbeiten; dann konnte ich mich um ihn kümmern.
Ziesche hatte noch drei Mann aufgesammelt. Einer begann links zu schanzen.
„Mach es so", sagte ich, „dass wir nachher unsere Löcher verbinden können."
Ich arbeitete hastig wegen der geringen Zeit. Mein Nachbar kam auch schnell vorwärts, und wir schaufelten schon die letzte Scheidewand zwischen den beiden Löchern weg, als ich auf einmal auf die Helligkeit aufmerksam wurde. Ich sah nach vorn. Der Wald lag im leichten Nebel schon recht deutlich, aber ...
„Herr Leutnant", sagte ich, „die Franzosen können uns, wenn wir liegen, hier nur sehen, wenn sie auf die Bäume klettern."
Boehm sah nach vorn. „Nu, da zünde ich mir erst mal 'ne Zigarette an."
Er stand auf, stellte sich nach dem Wind und steckte eine Zigarette in den Mund.
Ein Schuss! Er kniete hin. „Verfluchte Bande! - Aber ich rauche doch! - Pfui!" Er spuckte aus. „Das hat mir 'n paar Zähne eingehauen!"
Der Schuss war ihm quer durch den Mund gegangen. Ich rutschte zu ihm.
„Lassen Sie nur! Der Zunge hat's nichts getan. - Da sieht man doch, wozu das Rauchen gut ist!"
Ich sah, dass es ihm doch weh tat.
Ich kroch zu Weiß. „Was ist denn mit dir?"
„Ich habe einen Brustschuss."
Ich half ihm in das Loch.
Ziesche kam herübergekrochen, auf die linke Hand und den rechten Ellbogen gestützt. Sein Daumen war oben breit und blutig.
„Soll ich dich verbinden?"
„Verbinde lieber die andern!" sagte er schroff. Er musste starke Schmerzen haben.
Unterdessen hatte der links von mir den mit dem Schuss ins Fußgelenk in unser Loch gezogen und schnitt ihm den Stiefel auf.
Ich knöpfte dem Weiß Rock und Hemd auf. Er hatte einen kleinen Einschuss links unter dem Schlüsselbein. „Dreh dich mal auf die Seite!"
Ich schnitt ihm das Hemd auf. Auch der Ausschuss war klein und hatte nur wenig geblutet. Ich legte ihm das Verbandpäckchen auf den Rücken.
„Hast du nicht Heftpflaster zum Ankleben? Sonst hält's nicht."
S! fuhr ein Schuss dicht über mich weg. Es war heller Tag, und ich hatte mich unvorsichtig hoch erhoben.
Ich knöpfte dem Weiß den Rock wieder zu und bedeckte ihn mit Mantel und Zeltbahn.
„Deck mir's auch über die Augen!" bat er.
Ziesche hatte sich schon selbst mit der linken Hand ein Verbandpäckchen um den Daumen gewickelt und hielt mir's hin, dass ich ihm einen Knoten machte.
„Es macht, als wollte da ein Viech auskriechen", lachte er.
Der Leutnant war noch unverbunden. Ich hatte keine Verbandpäckchen mehr. Seidel, mein Nebenmann, auch nicht.
„Du, Weiß!" sagte ich und deckte ihn etwas auf. „Ich muss nur in deine Verbandtaschen."
Er antwortete nicht und atmete nur schwach. Wahrscheinlich tat ihm das Atmen weh.
Ich holte eine gerollte Binde aus seiner Tasche und deckte ihn wieder zu.
Vorn immer einzelne Gewehrschüsse. Ob sie unsere Verwundeten dort einzeln abschossen? Vielleicht auch Schanze, dem ich versprochen hatte, Hilfe zu bringen? Aber was sollte ich tun?
Ich kroch hinüber zum Leutnant. Er hatte sich auf den Bauch gelegt und spuckte von Zeit zu Zeit etwas aus. Ich nahm ihm den Helm ab. Merkwürdig! Die Verwundeten sind alle wie die Kinder! Die Binde wickelte ich ihm über den Scheitel und ums Kinn.
„So muss ich doch aussehen wie eine Waschfrau!" sagte er.
„Aber mit Bart, Herr Leutnant."
Jetzt musste ich noch zu denen rechts. Aber da waren vier Schritte Zwischenraum. Wenn sie drüben auf den Bäumen saßen, mussten sie mich sehen.
Ich kroch hinüber. Ein paar Regentropfen fielen ins Gras. Dort lagen vier dicht nebeneinander in einem Loch. Einer hatte einen Verband um den Unterarm. Und neben ihm lag einer auf der Seite und sah mich schrecklich an. Um Mund und Nase war alles aufgequollen und voll Blut. Er hatte den Kopf so auf die Tornisterkante gelegt, dass es auf den Boden tropfte. Ich erkannte an Stirn und Augen: das war Eckold. Wie sollte man den nur verbinden? Er sah mich ununterbrochen an.
„Kann ich dir helfen?"
Er antwortete nicht. Wahrscheinlich konnte er nicht sprechen.
„Ihr hier", sagte ich zu den Unverwundeten, „müsst abwechselnd wachen. Wir machen's drüben auch so."
Der Eckold kann doch nicht einmal essen und trinken! dachte ich. Und der Regen tropft ihm ins Gesicht. Aber es hat keinen Sinn, dazubleiben und ihn zu betrachten wie eine Sehenswürdigkeit. Ich kroch zurück.
„Jetzt kannst du schlafen", sagte ich zu Seidel. „Wenn ich müde bin, wecke ich dich."
„Mach mir doch mal meine Zeltbahn ab und den Mantel", sagte Ziesche. Ich deckte ihn zu.
Vom Umherkriechen war ich ganz mit aufgeweichtem Kalk und Erde beschmiert. Es regnete immer stärker. Das gab ein leises Geräusch im Gras. Sonst war es ganz still. Meine Zeltbahn hatte Weiß.
„Komm mit unter meine Zeltbahn", sagte Seidel. Es war ein ganz junger Kerl mit rundem Gesicht und runden blauen Augen.
Wir lagen still nebeneinander. Ich machte mir einen Einschnitt in den Wall, um nach vorn sehen und schießen zu können. Dann lag ich, und der Regen prickelte auf die Zeltbahn. Ich war ganz ruhig, oder ich meinte es zu sein. Allmählich kamen allerlei Vorstellungen hervor: dass das doch nicht die Perle war neben mir unter der Zeltbahn, sondern Weiß. Und doch, wenn ich mich nicht besann, war es die Perle. Der Regen prickelte. Hartmann war doch ein Sterbender gewesen. - Die Waldkronen vorn über der Wiese bewegten sich nicht.
Gegen Abend hörte ich rechts ein Stöhnen, das sich wiederholte. Ziesche begann sich auch unter der Zeltbahn zu bewegen. Weiß schien zu schlafen. Aber nach einer Weile bewegte er die Hand. Ich kroch zu ihm. In unserm Loch stand eine Pfütze. Ich deckte ihm das Gesicht auf.
„Brauchst du etwas?"
„Nein", lächelte er. „Mir geht's gut."
Ich versuchte wieder zu lächeln, aber konnte es nicht. Ich deckte ihn wieder zu. In mir krampfte es sich: der stirbt! -Aber wenn er sich doch wohl fühlt? Man kann sich doch nicht freuen, wenn einer auch angenehm stirbt. - Aber vielleicht ist es wirklich nicht so schlimm?
Drüben stöhnte es wieder.
Die Dämmerung kam. Dann wurde es dunkel. Ich stand auf.
»Wollen wir nicht jetzt hintergehen, Herr Leutnant?"
Er stammelte etwas. Wahrscheinlich hatte er geschlafen. »Ach, es ist dunkel?"
Seidel und ich nahmen den mit dem Fußgelenkschuss auf unsere Gewehre.
Weiß stand auf und behauptete, ohne Mühe gehen zu können. Das wunderte mich. Eckold musste getragen werden.
Wir stiegen vorsichtig den steilen Bahndamm in die Höhe. Auf einmal rutschte ich mit dem linken Fuß. Der auf den Gewehren heulte leise auf und fasste mich noch fester um den Hals. Dann ging es drüben wieder hinunter und gegen das Dorf zu.
Mehrere Menschen bewegten sich auf uns zu. Es war eine Patrouille mit Krankenträgern. Wir übergaben ihnen unsere Verwundeten. Ich gab Ziesche und Weiß die Hand, wusste aber weder etwas zu sagen noch nur zu denken. Den Eckold wagte ich nicht anzurühren.
Boehm ging noch mit uns vier Unverwundeten weiter ins Dorf.
Wir traten in einen dunklen Flur. Boehm klopfte an eine Tür.
„Herein!" rief es von drin.
Boehm machte die Tür auf. Drin stand unser Bataillonskommandeur im Mantel bei einer etwas flackernden Kerze. - Die Fensterscheibe war zerbrochen.
„Boehm!" rief er und ergriff ihn an beiden Händen. „Können Sie sprechen?" sagte er und sah besorgt auf den Verband.
„Sogar noch rauchen, Herr Major!" sagte Boehm. „Na, das ist gut. - Aber was wollen die vier da?" „Die bringe ich gesund zurück."
„Es sind gestern auch nicht viel mehr zurückgekommen. -Gehen Sie in den Hof gegenüber! Wir haben nur noch eine Kompanie im Bataillon, unter Leutnant Eger."
Drüben standen die vier Feldküchen auf dem Hof.
„Renn!" rief der Feldwebel und gab mir die Hand.
Aber ich konnte nicht mehr. Er fragte mich aus. Ich weiß nicht, was ich antwortete.
Am nächsten Morgen rückten wir hinter nach Chailly.



Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur