Nach Frankreich
Am Morgen standen wir an der Feldküche herum und tranken Kaffee. Ich zeigte dem Eckold das Haus über dem Steinbruch. „Das ist wohl gestern auch abgebrannt? Das haben wir noch in der Nacht vorher durchsucht. Es war unheimlich da drin."
„Ihr habt doch nicht darin übernachtet?" rief Eckold.
„Nein. Weshalb fragst du denn?"
„Nu, da seid ihr ja in 'ner hübschen Mörderhöhle gewesen! Da drin hat man die Ausrüstungsstücke von zwei Husaren gefunden. Die Pferde hatten sie auf die Weide getrieben. Aber sie waren mit ihren frischen Stempeln nicht unkenntlich zu machen."
„Und was ist aus den Leuten geworden?"
„Nu, totgeschossen, und den Hof angezündet."
So hatte ich mir in der Nacht die Sache gedacht. Aber gerade, dass sie genauso sein sollte, war mir zu einfach. Ich traute dem Eckold nicht ganz, ob es auch wirklich gerade dieser Hof gewesen ist.
Wir wurden auf Fähren von zwei Pontons durch Pioniere übergebootet. Sie hatten schon die ganze Nacht durch gerudert und ruderten noch immer mit Macht.
Am andern Ufer standen gefangene Franzosen in ihren bläulichen Uniformen und sahen stumpf drein.
Wir traten an und marschierten erst ein Stück am Maasufer entlang. Am Bahndamm und in den Gärten waren Barrikaden mit Schießscharten errichtet. Wir hatten allerdings von unserm Ufer aus nichts davon sehen können.
Die Sonne brannte uns auf den Rücken. Auf der Straße lagen französische Tornister, Käppis und Gamaschen.
„Hier hat einer gar seinen Rock weggeschmissen!" sagte Ziesche.
„Und dort liegt ein Gewehr", sagte Unteroffizier Pferl. „Die müssen doch nur gedacht haben, wie sie fortkommen. So 'ne Truppe ist doch in der nächsten Zeit gar nicht wieder kampffähig."
Je höher wir kamen, desto mehr lag herum: Mäntel, Hosen, Schuhe, Gewehre, Bajonette und höckrige, blaue Feldflaschen. Das war doch ein Sieg!
„Hier liegen Patronenpäckchen", sagte der Leutnant. „Die hebt mal auf, dass wir sie in den nächsten Bach schmeißen. Sonst schießen nur die verfluchten Belgier damit, wenn sie mal einen einzelnen Mann treffen."
„Möchten wir nicht auch die Gewehre unbrauchbar machen, Herr Leutnant?" sagte Ernst.
Wir versuchten den Gewehren die Kolben abzuschlagen. Aber es war zu gutes Holz. Da versuchten wir die Korne zum Zielen abzuschlagen. Aber auch die saßen verflucht fest.
Rechts in einer Wiesenmulde standen vier Geschütze verlassen. Ein Munitionswagen stand auf der Straße, und davor lagen drei Pferde in verwirrten Strängen.
Wir wurden immer heißer vom dauernden Steigen und Sehen. Ich sah noch, was mich hätte freuen können, weggeworfene Artilleriemunition, ganze Gewehrhaufen, Schlafdecken. Aber ich konnte mich nicht mehr freuen. Von hinten kamen die Eindrücke von gestern angekrochen. War ich gestern so gewesen, wie ich mir mein Benehmen in der ersten Schlacht geträumt hatte? Hatte ich nicht von Heldentum geträumt, dass ich einen Offizier aus dem Feuer zurücktrage oder in furchtbarem Kampf einen Schwarzen niederstoße? - War denn das nötig, dass ich so etwas Grässliches erlebte! Erst ausreißen, wenn auch nur hinter das Haus, aber das als erste Handlung im Felde! Und dann sich noch so lächerlich zu machen, gegen eine Steinbruchswand zu schießen! Wie war denn das nur möglich? Wie sollten denn hinter der Steinbruchswand Feinde sitzen?
Ich wollte nicht mehr daran denken. Ich wollte das alles vergessen. Aber das kam immer von unten her wieder, und jedes Mal dumpfer.
Wir marschierten durch ein schon fast heruntergebranntes Dorf. In den Häusern glimmten noch Balken. Dort war ein Gestank. Ich hatte einmal als Kind einen Brand in einem Nachbardorf erlebt. Da war Vieh verbrannt. Aber das war es hier nicht. Das waren Menschen.
„Dort liegt einer drin", sagte Ziesche.
Als ich hinsah, waren wir schon vorbei.
Am Abend krachte auf einmal eine Kanone dicht vor uns. Die Marschkolonne hielt. Der Leutnant Fabian, der gerade zu Fuß ging, rannte vor. Nach wenigen Minuten kam er zurück.
„Die verfluchten Belgier haben aus einem Haus auf unsere Spitze geschossen. Der Leutnant und drei Mann sind tot. Die hatten sich in dem Haus so gut verbarrikadiert, dass eine Kanone auf der Straße aufgefahren ist und gleich im direkten Schuss das Haus in Brand geschossen hat."
Am nächsten Tag marschierten wir weiter. Wieder brennende Dörfer, aus denen die Belgier geschossen hatten. Wieder glimmende Balken, einstürzende Dächer und Geruch von verbrannten Menschen. Dieses Land ekelte mich an. Ich war nicht mehr wütend auf die Belgier, wenigstens meistens nicht, sondern mich grauste vor ihnen und vorm Kriege, diesem grässlichen Kriege mit seinem Völkerhass. Wie würde das erst in Frankreich werden, unserem alten Feinde?
Wir näherten uns der französischen Grenze. Ein brennendes Dorf. Plötzlich brach ein Dach neben mir ein. Funken stoben zu meinen Füßen hoch. Es war so heiß, dass wir anfingen zu rennen.
Dann kamen wir in einen kleinen Wald. Fabian betrachtete die Karte. „Am andern Waldrand ist die französische Grenze."
Wir traten aus dem Walde. Vor uns lag im Sonnenschein ein Dorf. Wir marschierten hinein. Die Leute standen an den Türen mit ganz freundlichen Gesichtern. So also ist Frankreich.
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