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Ludwig Renn - Krieg (1928)
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Le Mont

Rechts lag in einiger Entfernung ein Fichtenholz, viereckig und dürr. Sonst nur braune Fläche mit Sonnenschein, und vor uns die Marschkolonne im Staub. So war es seit dem Morgen.
Manchmal hielten wir. Dann ging es weiter. In der Ferne murrten Kanonen.
Der Schweiß lief nicht, er machte nur den Staub feucht. Das Gewehr drückte auf die Schulter. Die Hände waren dick und ohne Falten.
Ein Haus stand an der Straße, Türen und Fenster offen. Drin ein zerwühltes Bett. Auf dem Tisch Geschirr und Gläser. Vor der Tür zerbrochene Flaschen und Stühle. Die Einwohner waren vor uns geflohen.
Wir kamen in einen Wald. Schnurgerade lief die Straße. Links kam polternd Artillerie vorgetrabt. Rechts hielt eine Munitionskolonne. Dazwischen torkelten wir mit heißen, weichen Füßen.
Die Artillerie blieb stehen, und die Munitionskolonne fuhr an. Von vorn kam ein Meldeoffizier geritten und wollte durch. Artilleriefeuer war jetzt vor uns. Wir marschierten.
Die Sonne verschwand hinter den Bäumen. Der Wald hatte einen schwarzen, unregelmäßigen Mantel. Wieder trabte die Artillerie vor und dröhnte mit Eisen in unsere stumpfen Ohren. Im Dämmerlicht wurden die Pferde bewegte Klumpen.
Plötzlich hielt man vor uns. Wir prellten auf und standen. Man konnte sich nicht auf den Boden setzen, weil es so eng war zwischen den Wagen und Pferden in der Dunkelheit.
„Hast du noch was zu trinken?" fragte die Perle mit schwerfälliger Stimme.
Ich hakte meine Feldflasche ab und gab sie ihm. Dann trank ich auch. Das Wasser war dick und warm.
Wir standen. Man legte und setzte sich doch hin. Da ging es weiter.
Auf einmal rannte ich an meinen Vordermann an. Es wurde schon wieder gehalten. Wir sanken hin und standen auf; es ging weiter.
Mein Gesicht traf eine kühle Luft. Ein rotes Licht schimmerte, um das es undurchdringlich schwarz war. Die Waldmauern wichen. Wir stolperten über Eisenbahnschienen weg. Links kam ein Haus. Dahinter bogen wir auf die Wiese.
„Die Herren Zugführer!" rief der Leutnant leise.
„Meine Herren, wir übernachten dicht an den Franzosen. Vor uns stehen nur noch ein paar Posten. Wir müssen, das Gewehr im Arm, schlafen, kein Licht und keinen Lärm!"
Unterdessen war die Feldküche herangekommen. Auf ihrem Verdeck stand hinter einem Brett eine Öllampe.
Wir hatten einen Gefangenen zur Bewachung bekommen. Der saß in einem runden Strohhaufen und sah bewundernd auf unsere Feldküche. Der Mann war über dreißig Jahre alt, und jeder in der Kompanie wusste schon, dass er drei Kinder hatte, aus der Nähe von Paris stammte und dass es schrecklich wäre für die Franzosen, immer auszureißen. -Ich dachte bei mir: Eine richtige Stadtpflanze; weiß alles, aber versteht nichts. Ich hatte auf einmal so einen Hass auf alle geschwätzigen Leute, auch gegen unsere, die ihn bedienten, um nur mit ihm schwatzen zu können. Ihm gefiel das in seinem Strohhaufen.
Der Leutnant kam zu mir. „Sie müssen noch eine Verbindungspatrouille machen, zum Nachbarregiment rechts. Ich möchte wissen, wo die nächsten Postierungen sind."
Ich ging mit Ziesche und Lamm. Es war leicht neblig und nässte. Rechts war der hohe Wald. Links fiel es nach den Franzosen zu ab. In geringer Entfernung hallte dort ein Gewehrschuss. Das musste von einem unsrer Posten sein.
In einiger Entfernung vor uns sahen wir erleuchtete Fenster. Von dorther schallte Lärm. Als wir nahe herankamen, erkannten wir Stühle und einen Tisch vor dem Haus. Da wurde Skat gespielt. Aus dem Innern schallten laute Stimmen.
„Wo liegt die nächste Feldwache?" fragte ich.
„Hier im Hause", nickte einer und spielte weiter.
Ich ging hinein und prallte auf einen Hauptmann. „Als Verbindungspatrouille. Ich soll mich erkundigen, wo die nächsten Postierungen stehen."
„Das weiß ich nicht. Gehen Sie mal dort ins nächste Zimmer."
Im Nebenzimmer saßen und standen mehrere Leute, darunter ein Vizefeldwebel, und tranken Rotwein.
„Als Verbindungspatrouille. Ich soll mich erkundigen, wo die nächsten Postierungen stehen."
„Unsere Posten stehen etwa vierhundert Meter weiter vorn, wahrscheinlich anschließend an Ihre Posten. Sie können ja selbst nachsehen." Er erzählte weiter. Die Leute lachten. Ich ging hinaus.
„Jetzt gehen wir zu den Posten vor." Vielleicht hätte ich mich noch vor zehn Minuten nicht so schnell entschlossen. Wie frisch die Süddeutschen hier den Krieg auffassten, hatte mir gefallen. Warum waren wir nur so schrecklich schwer?
„Ssst", machte Ziesche und deutete nach links vorn. Ein Aufblitzen und ein Schuss, der ins Tal hinunterrollte.
Wir schlichen näher. Dort standen zwei.
„Worauf schießt ihr denn?"
„Dort vorn bewegt sich einer."
Ich versuchte, vorn etwas zu erkennen. Unten im Grunde brannte ein kleines Feuer. „Ist das eine französische Feldwache?"
„Ja, sie müssen sehr müde gewesen sein, dass sie nicht mehr weitergekommen sind. Und sie müssen doch Feuer machen, weil sie keine Feldküchen haben."
Jetzt sah ich weiter links durch den Nebel noch einen Schein, größer, aber weniger bestimmt... Ein Geschoß von drüben zirpte über uns weg. Wir wendeten uns zur Straße zurück. Ein großes dunkles Ding kam auf uns zu. Es brüllte gedehnt.
„Können wir die Kuh nicht melken?" flüsterte Lamm.
„Das geht nicht. Haben Sie nicht das Brüllen gehört? Die hat Euterbrand, weil sie nicht gemolken worden ist. Wenn Sie der an die Euter kommen, schlägt sie."
„Lässt sich da nichts mehr machen?"
„Nein, morgen oder übermorgen ist sie tot. - Das ganze Vieh geht hier so zugrunde, weil die Leute geflohen sind." Ich meldete dem Leutnant Fabian.
Es war stockdunkel, neblig und regnete. Bei der Kompanie schnarchte es. Es stank. Ich tastete vorsichtig. Der hier musste die Perle sein. Daneben fühlte ich eine Lücke, in der eine Zeltbahn lag, auf der sich eine Pfütze gesammelt hatte.
Wahrscheinlich hatte sie die Perle abgeschnallt, damit das Stroh nicht nass würde. Ich drängte mich zwischen die zwei. Unter der Zeltbahn lag auch mein Mantel. Den zog ich an und knöpfte mich in die Zeltbahn. Das Gewehr legte ich in meinen rechten Arm. Worauf lagen wir nur, dass es so stank?
Der Regen tropfte mir auf die Augenlider. Eine Kuh brüllte in der Nähe. Vorn ein Schuss. Das Tropfen ins Gesicht störte mich nicht. Wir hatten es doch bisher gut gehabt, dass es nicht regnete.
Ich drehte mich auf die Seite. Aber da tropfte mir der Regen ins Ohr. Ich deckte meine Mütze darüber. Pfui, wie das stank!
Ich wachte von einem Brüllen auf. Die Kuh musste beinah auf uns treten. Das arme Tier hatte Schmerzen und suchte die Menschen auf.
Mehrere Schüsse knallten kurz hintereinander.
Ein fahler Morgen mit dichtem Nebel. Ich bewegte mich. Da lief mir Wasser auf die Hand. Es war ganz still, und ich schlief wieder ein.
Ich wachte wieder auf. Ziesche stand im Nebel hoch und war mit seiner Zeltbahn beschäftigt. Ich erhob mich. In den Falten meiner Zeltbahn stand Wasser. Man sah nur vielleicht acht Schritt weit. Meine Sachen waren steif und kalt vor Nässe. Dort lag eine Kuh tot mit emporgerecktem Bein und geblähtem Euter.
„Wir haben in den Scheißrinnen der Franzosen geschlafen", sagte Ziesche nüchtern.
Wir holten an der Feldküche Kaffee. Der Franzose saß noch in seinem Haufen. Man mochte sich nicht setzen und trat hin und her. Ziesche hatte in einem Hause noch Platz für uns gefunden. Ich setzte mich in eine Ecke auf den Boden und schlief ein.
Es krachte. Ich fuhr auf. In der Stube Hinundherrennen.
„An die Gewehre!" schrie es draußen.
Zwei Schrapnelle platzten über dem nächsten Hause. Pferde wollten umkehren und brachten die Stränge durcheinander. Wir liefen zu Gewehr und Gepäck.
„Züge ausschwärmen!" schrie der Leutnant. Lamm sah blass und elend aus.
Wir schwärmten nach rechts über eine Wiese, die ganz hellgrün war. Oben in den Wolken war ein Glanz. Weit unten im Grunde hing noch etwas Nebel.
Schrupp! Schrupp! fuhr es über uns weg.
„Hinlegen!" schrie der Vizefeldwebel Ernst.
Wir warfen uns ins nasse Gras. Rechts stand ein Baum, hinter dessen breiten Stamm sich Unteroffizier Pferl, unser Gruppenführer, warf.
Ftt! Ftt! spuckten Schrapnelle über uns weg.
Links vor uns eine kleine Rauchwolke, vielleicht zehn Meter über der Wiese. Das Schrapnell liegt zu weit vor uns und spuckt nur seine Bleikugeln in die Wiese.
Da, vor uns das nächste! Etwas surrt über uns weg. Mein Bauch und die Oberschenkel sind schon nass vom Gras.
Rechts vorn wieder ein Wölkchen! Es macht einen Rauchring. Die Wiese ist leicht gewölbt, dass man nicht in den Grund sehen kann, wo die Franzosen liegen müssen.
Noch weiter rechts das vierte Schrapnell!
Links wieder eins, aber näher! Wenn sie so weiterschießen, von links nach rechts!
Da! Ich bekomme einen leichten Schlag an die Brust. Mein dritter Waffenrockknopf ist leicht eingebeult. Ich suche im Gras.
Rechts der nächste Schuss! Da ist die Kugel. Sie ist noch heiß.
Das vierte Schrapnell ganz rechts. Ich steckte die Kugel in meine rechte Rocktasche. - Was kommt jetzt?
Jetzt links. Das war ganz dicht. Einer winselt. Gleich muss es hier sein.
Bramm! Ich fühle einen heißen Hauch. Mir hat es nichts getan. Ich sehe nach links. Der Albert sieht mich an. „Ich bin verwundet am linken Bein. Soll ich zurückgehen?"
Rechts das Schrapnell.
„Warte mal, bis wir wissen, wo die nächsten Schrapnelle liegen."
Der vierte Schuss rechts! Jetzt muss sich's entscheiden. Ich sehe nach links. Da, hinter uns!
„Bleib lieber noch hier."
Ich wende mich ganz zurück. Hinten auf der Straße fahren Geschütze auf. Da saust es in die Pferde hinein. Die Leute rennen durcheinander.
Unterdessen gehen die Schüsse hinten nach rechts.
Wieder ein Rauch links vor uns! Wie es vorhin anfing. Meine Angst steigt.
Vor mir Nummer zwei!
Dann drei!
Vier!
Jetzt näher! Eins!
Zwei!
Drei!
„Zug Ernst! Auf! Marsch, marsch!" brüllt der Vizefeldwebel.
Ich reiße mich auf und vor. Dort ist ein Drahtzaun mit Stacheln. Ich hebe ein Bein darüber. Am andern hakt es sich ein. Ich hinüber. Ein Dreieck hängt herunter. Wir kommen auf den stärker fallenden Hang.
„Hinlegen!" brüllt Ernst.
Ich sehe mich um. Wo liegen jetzt die Schüsse? Einzelne Gewehrkugeln schwirren aus dem Grunde.
„Geradeaus in den Büschen Franzosen! Visier neunhundert! - Schützenfeuer!" brüllt Ernst.
Die Büsche liegen unten noch im Nebel. Hier scheint schon die Sonne. In den Büschen ist nichts zu erkennen. Ich ziele auf einen besonders dichten Busch und schieße. Jetzt knallt es ringsum.
Über mir spuckt es! Das ging über uns.
Während ich ziele, zähle ich:
Drei!
Vier!
„Unteroffizier Pferl!" schreit Ernst. „Vorkommen!" Verflucht! Pferl liegt noch hinter dem Baum und rührt sich nicht.
Eins! Es ist wieder ein Stück vor uns. „Unteroffizier Pferl!" brüllt Ernst, so laut er kann. Zwei!
„Gruppenweise vorgehen!" brüllt Ernst. Drei!
„Gruppe Lamm!" ruft der Einjährige links von mir. „Sprung! Auf! Marsch, marsch!"
Wir rennen vor, Lamm voraus. Ein dünner Buschstreifen auf einem Steinwall liegt vor uns.
„Stellung!" schreit Lamm. „Visier achthundert!"
Wir werfen uns hinter die Steine. - Das ist ja ein Kerl, der Einjährige! Und in der Garnison wurde er nicht einmal Gefreiter, weil er kein Kommando herausbrachte.
„Auf die zurückgehenden Franzosen!" schreit Lamm. „Visier tausend! Schützenfeuer!"
Wirklich! Aus den Büschen tauchen kleine Gruppen auf und schleichen zurück. Wir schießen hastig. Aber es scheint keiner getroffen zu werden.
Die Franzosen verschwanden in einem Walde. Unser Feuer hörte auf. Ich sah mich um. Rechts war eine Gruppe noch weiter vorgegangen. Ziesche lag neben mir. Wo ist die Perle?
„Marsch!" befahl Lamm.
Wir gingen dem Grunde zu. Links lief ein steiniger Weg, an dem drei Tote lagen. Einige waren dort mit Verwundeten beschäftigt. Die Perle war nicht darunter.
Im Grunde trafen wir die zweite Kompanie und schlossen uns ihr an. Wir marschierten durch verschiedene Waldstücke. Es wurde Abend und Nacht.
Der Hauptmann der zweiten Kompanie entließ uns, und wir suchten unsere Kompanie. Im Dunkeln kamen wir an verschiedene Trupps heran und fragten: „Dritte Kompanie?"
Auf einmal eine Stimme: „Ludwig?" Das war die Perle.
Ich blieb stehen und war ganz ruhig. „Wo hast du denn gesteckt?"
„Ich bin mit der Gruppe rechts von euch vorgegangen", lachte er.
„Wo ist Unteroffizier Pferl?" fragte Ernst „Ich weiß nicht, Herr Feldwebel."
„Sie führen jetzt die erste Gruppe. Und wenn er wiederkommt, er kriegt sie nicht wieder!"
Jemand zog mich am Ärmel. Es war Lamm. Ich folgte ihm abseits. Ob er es übel aufnahm, dass ich jetzt sein Vorgesetzter war?
„Verzeih", sagte er, „dass ich heute statt deiner kommandierte."
„Ach was!" rief ich. „Das hat mir doch furchtbar gut gefallen! - Übrigens, nennst du mich absichtlich immer du?" Ich schämte mich ein bisschen.
„Nein, das habe ich schon aus Versehen getan, aber - mir gefällt's gut."
„Lamm!" rief Fabian.
„Herr Leutnant!"
„Ach, hier sind Sie! - Offen gestanden, ich habe Sie immer für einen in jeder Hinsicht unbrauchbaren Menschen gehalten! Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel! Wissen Sie, dass ich Sie eben zum Eisernen Kreuz eingegeben habe? Aber unter uns, nicht wahr? Renn hält auch seinen Mund!" Er rannte fast fort, um seine Rührung nicht zu zeigen.



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