Die Sommeschlacht
Eines Nachmittags kam unser Regimentskommandeur mit seinem Ordonnanzoffizier in die Werkstatt. Unter einem Gespräch öffneten sie die Tür.
„Aber denken Sie sich", sagte der Oberst, „hundert Geschütze auf einen Kilometer Frontbreite! Denken Sie sich das nur bei uns! Unsere Leute würden dem Trommelfeuer auch nicht standhalten!" Sie brachen das Gespräch ab.
Ich zeigte ihnen meine Kästchen und Brettchen. Sie sahen kaum hin und gingen wieder.
Sie mussten von den Kämpfen an der Somme gesprochen haben. Ich hatte die Nachrichten darüber flüchtig in der Zeitung gelesen. Ich wusste auch, dass unser Nachbarregiment nach der Somme abmarschiert war. Aber ich hatte nicht darüber nachgedacht. Was hatte ich denn das ganze letzte Jahr überhaupt gedacht? Wenn unser Regiment auch hinkam? Uns Handwerker - würden sie uns hier lassen? Ich wollte es glauben, um mich zu beruhigen. Aber mit Grauen glaubte ich es nicht. Und so unvorbereitet! schrie ich in mir. Weshalb so unvorbereitet! Weshalb hatte ich denn an nichts gedacht?
Aber was sollte ich denn denken? Es gibt doch nichts zu denken! Alles ist doch hohl.
An den Abenden, wenn die andern Karten spielten, war die Angst da. Manchmal ging ich am Abend allein hinaus. Manchmal war ich lustig und erzählte den andern Geschichten, dass sie sich krümmten vor Lachen. Und ich lachte mit. Aber es war nur Krampf. Ich besoff mich. Aber es nützte nichts.
Weshalb habe ich jetzt solche Angst? Fürchte ich mich denn vorm Tode? Nein, nicht so sehr. Oder vor einer Verwundung? Nein, kaum. Oder vorm Gefangenwerden? Ach, ich werde ja nicht gefangen. All das ist es also nicht? Was ist es denn?
Am 16. September 1916 kam auch für uns der Abmarschbefehl.
Wir rückten einige zwanzig Kilometer hinter die Front und blieben in einem Dorf.
Am nächsten Morgen saßen wir in unsern Quartieren, rauchten und warteten. Wir hatten Befehl, uns nicht aus den Quartieren zu entfernen und uns alarmbereit zu halten.
Es wurde Mittag. Wir hatten keine Feldküche und hatten nur ein halbes Brot der Mann empfangen, dazu ein kleines Stück Kriegsfett. Und das alles war schon am Morgen aufgegessen worden. Unser Führer, der ältliche Feldwebelleutnant Kretzschmar, lief aufgeregt umher. Gegen drei Uhr kam er und sagte, wir sollten an der Küche der Husaren Essen holen.
„Wann geht's denn fort, Herr Leutnant?"
„Ich habe noch keinen Befehl."
Dieser Tag verging, ebenso der nächste. Ich wollte einen Brief schreiben und holte Bleistift und Papier heraus. Aber ich kam nicht über „Liebe Mutter!" hinaus.
Wieder ein Tag. Der Abend kam. Wir legten uns schlafen.
Am folgenden Morgen um neun Uhr kam endlich der Befehl zum Abmarsch auf den Bahnhof. Dort standen schon zwei Rekrutenkompanien mit blassen Achtzehnjährigen in neuen Röcken. Sie sahen uns neugierig an. Wir waren lauter große, kräftige Kerle, der Regimentsbademeister mit seinem roten Gesicht, Ziesche und der andere Schmied, sechs Meldehundführer, meist Polizisten. Auch Fiffi, eine kleine, scharfe Rattenfängerin, hatten sie mitgebracht. Ihren fünf Jungen hatte ich noch in Fromentin einen Kasten für die Reise machen müssen.
Wir stiegen ein. Die großen Wolfshunde zerrten an ihren Ketten und sprangen mit einem Satz in den Wagen.
Der Zug fuhr langsam durch flaches, graues Land, nur manchmal ein paar Kirschbäume und weiße Häuser.
Ziesche holte ein kleines Schachbrett aus dem Tornister und begann mit dem Bademeister zu spielen.
Sie redeten kein Wort.
Auf einer Station empfingen wir Mittagessen.
Der Nachmittag wurde noch grauer und eintöniger.
Auf einem Bahnhof hielten wir über zwei Stunden. In der Ferne hörten wir schon gedämpft das Brummen der Kanonen.
„Ein feindlicher Flieger ist gemeldet, ein so genannter Doppeldecker!" rief jemand auf dem Bahnsteig.
„Ob der denkt, dass Doppeldecker gefährlicher sind als Eindecker?" lachte der Bademeister. „Lasst mich mal ans Fenster! Ich will mir den weisen Mann mal ansehen!"
Der Rufer war ein blasser Bahnbeamter. Etliche liefen nach dem Fliegerkeller, der wenig geräumig aussah. Aus den Fenstern unseres Zuges lehnten sie lachend und sahen sich das Gedränge am Fliegerkeller an.
Ein deutscher Flieger nach dem andern stieg auf, aber kein französischer zeigte sich. Allmählich kamen die Leute vorsichtig wieder aus dem Keller.
„Erst habt ihr mich 'neingezogen in euren verdammten Fliegerkeller, und dann habt ihr mir auch noch den Helm zertreten!" schimpfte einer. Es war ein Frontsoldat; man sah es an seinem geflickten und zu weiten Rock.
Schließlich fuhr der Zug langsam weiter. Leere Güterzüge kamen uns entgegen, die vielleicht Holz und Munition vorgebracht hatten. An einem neuen Bahnhof arbeiteten gefangene Russen. Dann kamen wir nach Ham in der Picardie und stiegen aus.
Regen. Ein verschlammter Platz vorm Bahnhof und in der Ferne eine Burg mit runden Türmen. Wir standen mitten unter andern Truppen, Verpflegungswagen, Lastautos. Verwundete mit durchbluteten Verbänden liefen umher, von oben bis unten mit Lehm bespritzt, darunter gefangene Franzosen in langen, blauen Röcken.
Unser Feldwebelleutnant sah sich hilfesuchend um. „Weiß denn keiner von euch, wo das Regiment liegt?"
Niemand antwortete.
Er drängte sich zu den Verpflegungswagen und fragte die Fahrer. Dann war er verschwunden.
Es regnete gleichmäßig auf uns nieder. Wir hängten uns die Zeltbahn um und standen. Es troff vom Helm. Beim Stehen wurde das Gepäck noch schwerer.
Es begann zu dämmern.
Der Feldwebelleutnant kam zurück. Seine Brille war voller Regentropfen. Er sagte, er wäre auf der Bahnhofskommandantur gewesen. Da hätte aber niemand von unserm Regiment gewusst. Dann wäre er auf der Fernsprechstelle gewesen. Da hätten sie die Division gekannt. Aber er hätte keinen Anschluss bekommen.
Es war graue Dämmerung.
„Herr Leutnant Kretzschmar?" rief es auf einmal, und ein Mann mit umgehängter Zeltbahn tauchte auf. „Ich bin von Herrn Oberstleutnant geschickt, die Abteilung vorzuführen."
„Gewehr umhängen! Ohne Tritt marsch!"
Wir drängten uns zwischen Fuhrwerken und Menschen durch. Die Häuser der Stadt muteten mich vornehm an. Ich war lange in keiner Stadt gewesen. Die letzten Häuser glitten vorbei. Draußen war Schlamm auf der Straße, leere Äcker rechts und links, und Regen. Unser Wegführer hatte magere, alte Züge und hastige Bewegungen.
„Wie sieht's denn vorn aus?"
„Ach, Herr Leutnant, unser Regiment! Wenn ich dran denke, wie wir herrückten! Und jetzt! - Bei jeder Kompanie nur noch ein paar Mann, und Offiziere überhaupt nicht mehr, außer zwei oder dreien! Und die sind schmutzig und hungrig. - Ja, die Feldküchen können doch nicht vor, weil die Franzosen immer in unsere Artillerielinie Sperre schießen. Da liegen Leichen und tote Pferde. Wenn man aber da durch ist, dann ist's vorn gar nicht so schlimm. - Ach, unser Regiment! Herr Leutnant, wenn man bald jeden zweiten kennt, und man kommt um 'ne Grabenecke, da hängt 'n Bein aus der Wand raus. Wer ist denn das? Ach, das ist doch der Emil, weißt du, dem der Schmidt-Max mal die Hosenbeine zugenäht hatte, und wir haben noch so gelacht! Ja, Herr Leutnant, wenn man die alle kennt!"
Er schluchzte.
Es regnete.
Dann kam wieder seine Stimme: „Aber der Oberstleutnant - was unser Regimentskommandeur ist -, das ist ein Mann! Ich bin ja bei ihm Ordonnanz, und ich weiß, wo er rumläuft! Wenn wir an 'ne gefährliche Stelle kommen, da sagt er: ,Bleiben Sie hier, Schendler!' Man will das natürlich nicht zugeben; man hat doch auch seine Ehre! Aber es ist nichts zu machen; er geht allein weiter. - Vor drei Tagen oder wann es war, man kann's nicht mehr im Kopf behalten, als die Franzosen das dritte Bataillon abgeschnitten hatten, da hat er die Reserven herangeführt, und dann, nach zwei Stunden, die ganzen Gräben voller Gefangener, siebenhundert Mann und 'n ganzes Schock Offiziere! Wir waren wie besoffen, wie die alle kamen! - Aber dann am nächsten Tag ...!"
Ein Schauder kroch mir über die Kopfhaut. Ich musste gähnen und war wie ausgespreizt.
Er erzählte und schluchzte. Der Schlamm patschte unter den Stiefeln. Vor uns in einiger Entfernung war eine flache Höhe. Von dort müssten wir nach vorn sehen können.
Auf einmal hörte ich: er sprach von meiner Kompanie. „... Der Leutnant Waldtke, was der Kompanieführer von der dritten war - es war eigentlich so 'n Frommer -, der hat sich verteidigt! Erst hat er geschossen. Dann wurde er am Bein verwundet. Da hat er noch Handgranaten geschmissen. Er muss nicht mehr ganz bei sich gewesen sein. Wie sie ihn zurückgetragen haben, hat er geflucht und hat immer
Handgranaten schmeißen wollen. Sie haben ihn kaum festhalten können. Und wenn Herr Leutnant den gekannt haben - das war doch so 'n sanfter Mensch und hat's nicht für richtig gehalten, zu rauchen und was zu trinken. Wenn der nur durchkommt! - so ein junges Blut!"
Wir kamen auf die Höhe. Vor uns blitzte es da und dort und weit hinten auf dem schwarzen Horizont. Kanonenschläge waren schon deutlicher. Leuchtkugeln fuhren an verschiedenen Stellen in die Höhe und zerfielen in gelbe Trauben. Ich wusste: gelbe Trauben waren das Sperrfeuerzeichen. Dort wurde also angegriffen. War das dort, wo wir hin sollten?
Wir rasteten.
Ich wachte auf. Kochgeschirre klapperten.
Ich richtete mich auf, dehnte mich, erinnerte mich: ich war in einem Zelt. Draußen schien heller Tag. Ich war noch nass, fühlte mich aber warm und wohl. Was war nur die Nacht gewesen? Es kam mir wie eine Geschichte vor, die ich gelesen hätte, so unwahrscheinlich, mit dem weinenden Menschen.
Ich schnallte mein Kochgeschirr ab. Ich kniete dabei und merkte auf einmal, dass ich sehr vergnügt war. Ich musste sogar über meine Vergnügtheit lachen. Das ist freilich ein großer Unsinn, aber hübsch!
Die schlammige, zertretene Wiese draußen gefiel mir, und dass es Kaffee gab.
Nach dem Kaffeetrinken traten wir an. Der Oberstleutnant kam und schritt unsere Front ab. Er sah grau und ernst aus. Ich lachte ihm gerade ins Gesicht, ich konnte es nicht ändern.
Er wurde plötzlich aufmerksam. „Nanu! Sie freuen sich wohl gar, an die Somme zu kommen?"
„Jawohl, Herr Oberstleutnant!" rief ich.
„Soso?" lächelte er. „Aber ich glaube doch nicht so ganz daran." Er wandte sich an seinen Ordonnanzoffizier, der hinter ihm ging: „Aus solchen Leuten bestand mein ganzes Regiment, als wir herkamen. - Wenn wir zum zweiten Male eingesetzt werden, wird es nicht mehr so sein."
Wir wurden verteilt. Ich kam mit Ziesche wieder zu meiner alten Kompanie. Die lag nicht weit davon in einem großen Hof.
Seidel kam gegangen. Ich lief auf ihn zu.
Er lachte. „Merkst du denn gar nichts?"
„Nu, du bist sehr dreckig? - Ach so!" Er war Vizefeldwebel geworden.
„Was machst du denn auf einmal für ein Gesicht? Du denkst doch nicht etwa, dass du vor mir strammstehen willst?"
Seidel betrachtete mich von der Seite. „Weißt du, dass Fabian wieder die Kompanie führt?" versuchte er neu mit mir anzuknüpfen.
Fabian stand auf dem Hof. „Ach, da sind ja noch Bekannte!" rief er. „Übrigens, ich brauche Gefechtsordonnanzen. Dazu sind Sie und Ziesche mir gerade recht."
Fabian war Oberleutnant geworden. Wir wohnten mit in seinem Hause, mit seinem Burschen Eilitz zusammen. Der war gewaltig groß und breit und hatte eine breite, gebogene Nase. Zum Reden schien er nicht eingerichtet. Übrigens hatte er eine ganz hohe, dünne Stimme. Zuerst hielt ich ihn für so einen Dummkopf wie die Perle. Aber dann merkte ich, dass er sogar sehr gescheit war und seinen Verstand nur unter einer fabelhaften Gutherzigkeit verbarg.
Die Nacht träumte ich, ich sollte gekreuzigt werden. Ich überlegte mir, dass ich dann tot wäre und mich davor fürchten müsste. Aber davor fürchtete ich mich nicht, sondern nur vor den Schmerzen. Vor denen aber so, dass ich schweißgebadet aufwachte.
Es war schon Tag. Ich ging, mich am Brunnen zu waschen. Die Sonne schien auf den Hof. Mein Traum beschäftigte mich, und dass ich mich nicht vorm Tode gefürchtet hatte. Es ist wohl etwas Richtiges daran.
Später ging ich mit Ziesche zum Schießen. Wir mussten über eine flache Wiesenhöhe. Ich wollte ihm meinen Traum erzählen, aber - es hat keinen Sinn. - Wenn man da vorn eine Kugel vor den Kopf kriegt - es ist auch gleichgültig; es geht nur einen selbst etwas an.
Schon mehrmals waren Gerüchte umgegangen, wir müssten in der kommenden Nacht vor. Aber es war nie richtig
gewesen.
Das Wetter war trübe. Die andern spielten Karten. Ich hatte mit meinen Sachen zu tun, und weil ich unbeschäftigt war, suchte ich so gut zu nähen wie meine Mutter. Meine Unterhosen waren so zerrissen, dass nur noch die Beine zusammenhingen. Der Hosenboden war fast weg, und Knöpfe hatte ich auch nicht mehr. Es gab auch keine zu kaufen. Ich nähte einen Strick an beiden Seiten fest, um damit die Unterhose um den Leib zu binden. Mein einziges Paar Strümpfe hatte schon lange keine Fersen mehr; denn ich hatte keine Wolle zum Stopfen, und meine Mutter konnte mir auch keine schicken, weil es keine mehr zu kaufen gab. Aber sie hatte mir ein Paar Fußlappen geschickt, die sie aus einem Stück Flanell geschnitten hatte.
Der nächste Morgen war strahlend schön. Beim Antreten sagte Fabian: „Heute Abend geht's vor. Ein Teil unseres Regiments hat schon diese Nacht die vorderste Stellung besetzt. Wir kommen dahinter in Bereitschaft in den Wald von Bourraine. Vorläufig ist es in unserer Stellung ruhig. Aber man darf sich auf so was nicht verlassen."
Fabian ließ wegtreten.
Ich hatte nichts mehr zu tun und ging ziellos im Dorf umher, lehnte über die Brücke und sah zu, wie sich das Schilf im Wasser bewegte, und ging wieder zurück. Die Essenszeit kam. An diesem Tage gab es zum ersten Male die gute Offensivverpflegung. Dann legte ich mich schlafen. Man wusste nicht, wann man wieder dazu käme.
Um fünf Uhr nachmittags traten wir auf dem Hofe an. Der Himmel hatte sich umzogen, und es begann in feinen Tropfen zu regnen.
Fabian kam im Stahlhelm und war ganz dick von Mänteln, Ledertaschen, Seitengewehr, Dolch, Pistole und Gasmaske.
Wir rückten auf die Straße hinaus. Da standen große Lastautos mit Planen darüber. Ich kam vorn zum Wagenführer eines Autos.
Die Autos liefen flott auf der breiten Landstraße. Ich sah das vorherlaufende und manchmal auch das davor durch den strömenden Regen, der an die klirrenden Scheiben vor uns prickelte. Es begann schon zu dunkeln.
Plötzlich lag eine schwarze Schlange auf der Straße. Wir bremsten. Das Auto vor uns hatte seine Kette verloren. Der Unteroffizier neben mir beugte sich hinaus. „Wisst ihr den Weg?" „Nee!"
„Geh du mal rüber, Ernst, und führ sie Nacht!" Unterdessen war vor uns nur noch graue Dunkelheit. Im schnelleren Tempo fuhren wir weiter, um die anderen einzuholen.
Ein Dorf kam und eine Straßengabel. Wir fuhren langsamer.
„Wie mögen die gefahren sein? Nu, 's ist egal; wir fahren drauflos!"
Hinten war das nächste Auto aufgelaufen. Von dort rief man etwas, der Unteroffizier sprang hinaus und lief hinter.
Er kam wieder. „Auch hinter uns ist die Verbindung abgerissen. Wir sind nur noch zwei Wagen zusammen. -Los!"
Wir fuhren weiter ins Dunkle, bogen rechts und links um. Straßenbäume tauchten auf und kamen knatternd vorbeigerannt. Häuserschatten glitten vorüber. Zwei grelle Lichtaugen kamen aus einem Grund herauf, näherten sich, und vorbei!
Plötzlich bremsten wir. Ein kleiner Offizier in einem Umhang stand an der Straßenseite mit ausgestrecktem Arm. Noch zwei Offiziere lösten sich aus der Dunkelheit,
„Welche Kompanie?" fragte die Stimme unseres Bataillonskommandeurs.
„Dritte, Herr Hauptmann!"
„Gott sei Dank! Da ist die wenigstens vollzählig!"
Wir stiegen aus und rückten ein Stück auf einem schlammigen Wege vor. In der Ferne waren schwere Detonationen. Auf einem Acker setzten wir die Gewehre zusammen und hängten die Zeltbahnen um. Ich wollte mir eine Zigarette anzünden, aber es tropfte so vom Helm, dass sie schon pappig war, bevor ich sie in Brand hatte. Einige hatten sich trotz des Schlamms hingesetzt.
Ich ging zum Bataillonsstab vor. „Weshalb warten wir eigentlich hier?"
„Das Bataillon, das wir ablösen, soll uns Leute schicken, die uns vorführen. Aber es ist noch niemand da."
Ich patschte durch den Schlamm zur Kompanie zurück. Ich sah einen gelben Widerschein und wandte mich um. Leuchtkugeln fuhren vorn in die Höhe, gerade dort, wo ich meinte, dass wir hinmüssten, und fielen als gelber Regen nieder. Verflucht! dachte ich und patschte weiter.
Die Batterien vor uns begannen zu bellen. An einigen Stellen sah ich das Aufblitzen der Abschüsse. Immer mehr Leuchtkugeln fuhren auf und platzten. In der Kompanie war es totenstill. Einer schnarchte.
Die Leuchtzeichen wanderten nach rechts.
Und müssen wir gerade in der Nacht vor, in der sie wieder angreifen!
Allmählich flaute das Schießen ab, nur noch der Regen tropfte vom Helm. Ich setzte mich zu Ziesche auf die Zeltbahn. Keiner sprach ein Wort. Stunden vergingen. Es regnete.
„Kompanie auf! Gepäck auf! Auf der Straße antreten!"
Ich war steif von Frost und Nässe. Die Zeltbahn war auch steif und kalt.
Auf der Straße standen vor uns drei ohne Gepäck.
„Wie müssen wir marschieren?" fragte Fabian. „Wir wissen hier nicht Bescheid, Herr Oberleutnant. Wir sind immer von woanders vorgerückt."
„Hübsche Führer!"
Einer von unsern Unteroffizieren sagte, er wüsste den Weg bis zu einem Wegekreuz, wo wir uns dann wahrscheinlich links halten müssten.
Wir bogen von der Straße ab auf einen weichen Acker, um das Dorf vor uns zu vermeiden, in das es immer einmal schoss. Auf dem weichen Boden kam bald unsere Marschordnung auseinander. Immer wieder kam von hinten der Ruf: „Halten!"
Die Leute, die ja meist eben erst aus der Heimat kamen und an das Vorrücken über Äcker bei Nacht nicht gewöhnt waren, stapften schon in langer, dünner Reihe durch den zähen Lehm. Die Nacht war pechschwarz, nichts zu erkennen, weder am Boden noch am Horizont.
„Herr Oberleutnant!" sagte der Unteroffizier. „Ich weiß nicht mehr, wo wir sind. Es ist alles so ein gleichmäßiger Schlamm unter den Füßen, und überall ist es zerfahren, dass
man nicht wissen kann, ob das ein Weg ist oder keiner. Ich denke, es ist das beste, wir machen kehrt und suchen die große Straße."
„Gut, führen Sie weiter!" Ich wunderte mich, dass Fabian so ruhig blieb.
Wir bogen scharf nach links ab.
Auf einmal kam einer durch den Lehm gerannt. „Herr Oberleutnant Fabian!"
„Ach, Sie sind's, Schubert?"
„Ich traf das Ende Ihrer Kompanie und dachte, Sie wissen den Weg nicht. Sie können sich an meine Kompanie anhängen. Wir haben bis zu den Gräben den gleichen Weg."
„Ein hübscher Sirup, durch den man latscht!"
Es hatte zu regnen aufgehört.
Ein Leichengestank begleitete uns ein Stück. Dann senkte sich der Boden, ohne dass man erkennen konnte, was da war. Ich glitt aus und fuhr auf den Hosen die nasse Lehmbahn hinunter in einen flachen Graben. Ganz in der Nähe musste wieder eine Leiche liegen. Beim Weitertasten stieß ich auf Schotter und dann an Eisenbahnschienen.
Ein Stück ging es noch querfeldein. Dann bogen wir nach links auf eine Straße.
„Bleiben Sie mal hier, Renn, und sehen Sie, ob die Kompanie beisammen ist!"
Sie latschten gebückt an mir vorbei. Einer nach dem andern fragte: „Sind wir bald da? Kann nicht mal gehalten werden?"
Auf einmal war die Reihe zu Ende. Der letzte sagte: „Die sind schon lange zurückgeblieben." Ich blieb stehen und wartete.
Es kam niemand. Vorn verlor sich das Geräusch der Marschierenden. Ich lief ihnen nach.
Es war ein wenig heller geworden. Aber ich kam schlecht vorwärts. Der feste Straßengrund war mit glitschigem Lehm bedeckt. Dazu hinderte mich die umgehängte Zeltbahn. Ich erreichte das Ende der Kolonne und rannte weiter.
Der Oberleutnant sagte, ich sollte vor zu Leutnant Schubert laufen und ihn bitten, einmal zu halten.
Ich rannte weiter. Vom Regen war mein Zeug steif und schwer. Die Kompanie war lang auseinander gezogen.
Schließlich kam ich vorn an. Der Schweiß lief mir übers Gesicht. Der Leutnant knurrte etwas, ließ aber halten.
Als die Kompanie wieder zusammen war, ging es langsam weiter. Die Straße hob sich allmählich bis zu einer Höhe, auf der wir nach rechts in einen Hohlweg hinabbogen.
Vor uns schien eine Kolonne zu halten. Beim Näher kommen sah ich zwei Wagenkolonnen nebeneinander, die den ganzen Weg versperrten. Nur links blieb ein schmaler Raum. Da zogen wir uns, einer hinter dem andern, vor.
Vor uns schoss es heftig, gar nicht weit.
Ein paar Granaten fuhren dicht über uns weg und schlugen hinten auf der Höhe ein. Die schweren Kolonnenpferde standen ruhig, als ginge es sie gar nichts an. Leute luden dicke Granaten ab, über die wir wegsteigen mussten.
Links am Steilhang kam ein Grabeneinschnitt, in den wir einbogen. An einer Grabengabel stand der Leutnant Schubert und sagte: „Ich glaube, Sie müssen jetzt rechts gehen. Ich muss schnell meiner Kompanie nach! Es fängt schon an, hell zu werden." Damit rannte er nach links davon. Wir gingen rechts weiter, der Beschussstelle immer näher. Vor uns war ein roter Schein unter den dunklen Wolken. Fabian stieg auf einen Auftritt und sah hinaus.
„Ist das nicht Bourraine hier vorn?"
Wir stiegen auch hinauf. Zwei- bis dreihundert Meter vor uns brannte es in einem Dorf, über dem ununterbrochen Schrapnelle Feuer spuckten.
„Das ist nicht Bourraine", sagte der eine Wegführer. „Aber was es ist, weiß ich nicht."
„Da links ist ein Wald. So muss der Bourrainewald nach der Karte liegen."
„Nein, das ist er nicht."
„Weiter!" sagte Fabian.
Links an einem Unterstand trat ein Posten hin und her.
„Wie heißt das Dorf vor uns?"
„Das weiß ich nicht."
„Wer liegt hier im Unterstand?"
„Unser Bataillonsstab."
„Was soll das heißen: unser Bataillonsstab? - Renn, fragen Sie mal unten!"
Ich stolperte die enge Treppe hinunter. Bei einem trüben Licht saß ein dünner Offizier in einem schmutzigen Mantel. Er sagte mir, vor uns läge wirklich Bourraine, und wir wären nur zu weit nach rechts in den nächsten Regimentsabschnitt gekommen.
Ich rannte hinauf.
„Aus dem Graben!" befahl Fabian.
Wir krochen neben dem Posten hinaus. In meiner Hast kam mir die Zeltbahn unter die Beine, und ich rutschte wieder hinunter.
Im Boden waren mannstiefe Granattrichter, einer am andern, auf deren Kämmen wir uns rechts und links wandten. Da war kein Grashalm mehr. Dann hörten die Trichter auf, und es kam ebene Wiese.
Wir gingen in einer Entfernung am Walde entlang und bogen dann scharf auf sein unteres Ende. Dort stand ein Sanitätswagen. Zwei tote Pferde lagen davor.
Ein Mann kam aus dem Wald. „Ich soll Herrn Oberleutnant die Unterstände übergeben. Unsere Kompanie ist schon vor mehreren Stunden abgerückt, um noch vor Hellwerden hinterzukommen."
Sch-p! fuhr ein Geschoß über uns weg und in den Boden, ohne loszugehen.
Sch-p! ein zweites.
„Vorwärts!" rief Fabian. „Hier in den Graben hinein!" „Hier links", sagte der Mann, „liegen Sanitätsunterstand und Kompanieführer, die übrige Kompanie im Wald." Irgendwo detonierte eine Granate.
Wir liefen in einen Graben, in den Lehmstücke von den Wänden und Äste gefallen waren.
„Sie können gehen", sagte Fabian kühl zu den Führern.
Im Vorübergehen wurden die Unterstände verteilt. In der Mitte des Waldes endigte der Graben mit einer schwarzen Öffnung. Eine Treppe führte hinunter.
„Hier ist der Tunnel", sagte der Mann. „Da kommt der Rest der Kompanie mit einem Zugführer unter."
„Und ich?" fragte Fabian.
„Am untern Waldende, wo die toten Pferde liegen." „Das hätten Sie aber gleich sagen können!" Er musste es vorhin überhört haben.
Wir standen im engen Graben, die halbe Kompanie hinter uns. Es schoss immer heftiger.
Wir kletterten nach vorn aus dem Graben. Der Wald war dicht und voll abgebrochener Äste. Nach wenigen Schritten hingen wir in Stacheldraht fest, der in dem Astgewirr nicht zu sehen war. Es klirrte und klapperte in den Bäumen. Äste sprangen ab. Draußen vorm Waldrand da und dort leichtes Aufblitzen auf der Wiese und kleine Rauchwolken am Boden im grauen Dämmerlicht. Das Krachen und Knacken hallte und rauschte im Stahlhelm, dass man kein Geräusch bestimmen konnte. Ich sah nur, dass es Schrapnelle und Granaten waren. Wieder kamen wir in Draht. Am Boden sah ich den Mantel eines Maschinengewehrs und ein schmutzigbleiches Gesicht mit Stahlhelm. Der Posten stand in einem mit Astwerk zugedeckten Erdloch. Wir bogen aus dem Wald hinaus ins Freie, um schneller vorwärts zu kommen. Aber da war auf einmal kniehohes Drahtverhau. Beim Durchsteigen blieb eine der Schnuren meiner Zeltbahn hängen, und beim Lösen riss ich mir ein Dreieck in den Ärmel. Wir liefen am Waldrand entlang. Ich blickte mich immerfort nach allen Seiten um, wohin es schösse. Jetzt lief der Graben, in den wir gekommen waren, dicht am Waldrand. Wir sprangen hinein und liefen weiter. Bald mündete er auf die Straße. Wir liefen um die toten Pferde herum, in so kleinem Bogen, als man bei der glitschigen Straße konnte, und fuhren ziemlich atemlos in unseren Bau. Das war aber nur eine Treppe, ohne Unterstand unten daran. Auf der linken Seite waren ziemlich oben ein paar Minierhölzer als Lagerstätte waagerecht gelegt. Daneben blieb nur ein schmaler Gang nach dem unteren Lager.
Eilitz warf einen großen Sack hin, den er außer seinem Gepäck noch getragen hatte, und packte aus. Er zündete eine Kerze an und klebte sie dem Oberleutnant auf die untere Pritsche.
„Renn, Sie müssen noch einmal weg, diese Meldung zum Bataillon bringen! Das muss auch hier wo im Walde liegen."
Ich wollte hinauslaufen. Aber Ziesche sagte: „Ich komme mit. Dann weiß ich auch gleich, wo 's Bataillon liegt."
Er hängte sich die Gasmaske um, und wir liefen hinaus. Es war schon recht hell. Die toten Pferde vor dem Sanitäts-
wagen hatten aufgetriebene Leiber, dass ihre Beine in die Luft standen, und stanken.
Wir liefen in den Graben hinein.
Ramm! detonierte eine Granate dicht hinter uns. Ich bekam einen Lehmbatzen in den Hals.
Links in einem schmalen Seitengraben stand ein Posten. „Weißt du, wo der Stab erstes Bataillon liegt?" „Hier drin."
Wir kamen an eine Tür mit einer Drahtglasscheibe und klopften.
„Herein!" Drin saß der Hauptmann mit seinem Adjutanten an einem großen Tisch; sie aßen Brot. Ich übergab die Meldung.
Als wir wieder in unsern Bau kamen, hatte Eilitz schon Kaffee gewärmt und schnitt vergnügt Brot
„Wie die schießen!" lachte er und zeigte mit dem Daumen hinaus.
„Sie denken wohl", lachte Fabian, „das ist das Schlachtenpotpourri in der Grünen Tanne mit Raketen und Fröschen!"
Ich setzte mich mit Ziesche auf die Treppe und frühstückte. Dann legten wir uns schlafen, oben Eilitz mit Ziesche, unten Fabian an der Wand, ich neben ihm. Draußen schlugen die Granaten gegen die Bäume.
Zu Mittag wachten wir auf. Wir aßen Brot mit Konservenwurst. Dann ging Fabian aus, sich die Gegend anzusehen, und nahm mich mit.
Es war leicht neblig. Kein Schuss fiel weit und breit. Wir gingen in den Graben hinein. An einer Stelle war ein Baum darübergefallen und ragte mit spitzen, gebrochenen Ästen hinein, dass wir darunter durchkriechen mussten. Der Graben wurde immer flacher und führte dann dicht am Waldrande hin. Links war in einiger Entfernung ein zweites Waldstück zu sehen.
„Hören Sie mal", sagte Fabian, „wenn man euch Ordonnanzen braucht, dann habt ihr meistens keine Ahnung, wo das liegt. Ich sage Ihnen jetzt alles, was ich selbst weiß, und Sie instruieren den Ziesche. - Das Waldstück dort vorn ist der Türkenwald. Dort liegen die übrigen Kompanien unseres Bataillons. Etwa achthundert Meter davor liegt das zweite Bataillon in der vordersten Stellung. Also prägen Sie sich das mal ein. Der Regimentsstreifen ist noch nicht einen Kilometer breit, und darin liegen, immer mit etwa achthundert Meter Abstand, ganz vorn zweites Bataillon, im Türkenwald vor uns das erste Bataillon, bis auf unsere Kompanie, hier im Bourrainewald wir, die dritte Kompanie, dahinter das dritte Bataillon. Wozu wir hier liegen, das können Sie sich wohl nun auch denken: als Gegenstoßkompanie, für den Fall, dass die Franzosen vorn eingedrungen sind."
Wir kamen an den Tunnel. Die Decke der Treppe wurde von zwei Eisenbahnschienen getragen, die auf recht schwachen Hölzern lagen. Unten lastete ein feuchtkühler Dunst von nassen Sachen, Tabakrauch und Ruß, in dem die Kerzen braunrot brannten, die in halber Höhe in Abständen an irgendwelche Gegenstände geklebt waren. Ganz in der Ferne war ein grauer Schimmer von Tageslicht. Das war der Tunnelausgang.
Wir mussten uns bücken, um nicht an die Decke zu stoßen. Auf der rechten Tunnelseite waren Betten aus Maschendraht gebaut, zwei übereinander. Daneben war der Gang so eng, dass einer, der dastand und aß, auf sein Bett kriechen musste, um uns durchzulassen. Nun saß er mit großem, blondem Bart und harmlosen blauen Augen zwischen nassen Strümpfen, Brot, Stiefeln, Zigarren und Briefpapier und lächelte über seine Unordnung.
Links ging ein schmaler, finsterer Gang ab.
„Wo führt denn das hin?"
„Zum Abort, Herr Oberleutnant."
Wir tappten in den Gang hinein. Die Wände waren ohne Holzversteifung, bloßer Lehm. Fabian knipste seine elektrische Lampe an. Da saßen sie auf einer langen Stange, wie die Eulen im Dunkeln, die Köpfe zu uns gedreht. Auf dem schmalen Gang vor ihnen ragte eine Wand Handgranatenkisten.
„Guten Morgen, Herr Oberleutnant!" sagte es auf einmal. Das war der Leutnant der Landwehr Eisoldt, der Führer unseres ersten Zuges.
„Empfangen Sie immer in dieser Stellung?"
„Nein, Herr Oberleutnant, ich ..." Er zog Papier aus der Tasche und wischte sich verlegen ab.
„Haben Sie schon nachgesehen", sagte Fabian ärgerlich.
„wie viel Handgranaten hier liegen und ob sie scharf gemacht sind?"
„Nein, Herr Oberleutnant."
„Ich möchte Meldung darüber haben! Guten Tag!"
Ich wunderte mich darüber, dass der Eisoldt eine so offenbare Furcht vor Fabian hatte. Aber freilich, er war wohl recht dumm, und Fabian schien ihn nicht leiden zu können. Die Kompanie liebte den Eisoldt auch nicht.
Wir gingen zurück nach dem Hauptgang, von dem noch mehrere Nebengänge zu Unterständen abgingen, in denen Pioniere und Artilleriebeobachter wohnten. Einige Gänge führten auch in jetzt verlassene Betongeschützstände. Der ganze Tunnel war etwa siebzig Meter lang.
Wir gingen noch im Graben ein Stück gegen Bourraine und kehrten durch den Wald außerhalb des Grabens zurück.
„Sehen Sie mal: da sind Unterstandseingänge! Hier muss ein unterirdisches Munitionsdepot explodiert sein. Der Trichter hat ja über zehn Meter Durchmesser, und diese Tiefe! - Wenn da unten Leute waren ...?"
Im Walde lag ein großes Bündel in einer Zeltbahn, durch die oben ein Ast gesteckt war. Eine Leiche hockte darin.
„Wir wollen es da hinauf auf die Wiese tragen. Dort scheint ein Friedhof zu sein."
Wir schleppten das Bündel den Hang hinauf und setzten es zwischen ein paar Holzkreuze. Es lagen Unbeerdigte da, alles grau und still.
Irgendwo begann es zu wuchten. Aus dem Türkenwald vor uns wuchsen Granatwolken.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück schickte uns Fabian fort, die Gräben, die nach vorn führten, zu erkunden. Es war ein kalter Morgen. Der sonst so schweigsame Ziesche schwatzte alles mögliche.
Als wir in den Türkenwald kamen, wunderte ich mich, dass er viel weniger zerzaust war als unser Wald. Es gab da sogar noch grüne Büsche. Daneben standen im Sonnenschein mit Zweigen bedeckte Erdhütten. Um die sonnten sich Leute der zweiten Kompanie. Einer rasierte sich. Ein paar spielten Skat. Der Liebert aus unserm Nachbardorf machte sich mit seinem Gewehr zu schaffen.
„Bei euch ist's aber hübsch!" sagte ich.
„Aber gestern war's gar nicht hübsch. Dort drüben hat's eine Baracke eingedrückt. Die sind ja schnell rausgewesen !"
Wir gingen quer durch den Wald. Am jenseitigen Rand lief ein verfallener Graben. Den gingen wir nach links und bogen dann in einen andern, der nach vorn führte. Der Graben wurde immer schlechter, so dass wir manchmal mit halbem Leibe herausragten.
„Du!" sagte auf einmal Ziesche, der hinter mir ging.
„Was gibt's denn?"
Er deutete nach unten. Da sah ich einen Ärmel mit Hand. Die Leiche war sonst ganz in den Lehm getreten. Ich zögerte, drüberzugehen, und sah mich um. Rings war eine flache Lehmwüste, auf die die Sonne schien. Langsam kam am Himmel ein großer französischer Flieger, umgeben von drei kleinen, die sich in leichten Bögen um ihn bewegten.
„Du, das ist ein Artillerieflieger. Da gibt's Beschuss. Wir wollen lieber zurück."
Da kam schon die erste Granate und fuhr berstend, etwa fünfzig Meter von uns, in den Wald.
Wir stiegen aus dem Graben und liefen querfeldein.
An unserm Wald drehte ich mich um. Der ganze Türkenwald war voll Rauch und Staub. Auf einmal flog ein ganzer Baum in die Luft.
Sch-kremm! fuhr es vorbei.
Wir sprangen in den Graben. Jetzt krachte es so dicht hinter mir, dass ich mich nach Ziesche umsah. Er sah mich auch an und lachte.
Wir rannten um die Pferde und polterten in den Unterstand.
„Euch hat's wohl auch vertrieben?" lachte Fabian. „Nu, was seht ihr mich so an! Ich hab eins in die Fresse gekriegt! Es ist aber nur Dreck."
Der Eilitz brachte Wasser und hielt ihm dann einen kleinen Spiegel vor. Er hatte einige blutige Abschürfungen. Die betrachtete er, dann nickte er befriedigt.
Der Beschuss ließ bald nach. Fabian nahm mich mit.
Vom Türkenwald her sahen wir drei Mann kommen. Einer hatte seinen Stahlhelm in der Hand. Ein anderer jetzt erkannte ich Liebert - hatte Rock und Hemd weit aufgerissen.
„Wohin wollen Sie?"
„Ach, Herr Oberleutnant, wir sind vorn im Wald verschüttet worden! Unser ganzer Zug ist verschüttet! Wir sind nur rausgekommen, weil wir am Ausgang lagen! Dort vorn schießt's immer noch!"
Liebert keuchte. Er erkannte mich nicht.
Fabian schickte sie in den Tunnel. Wir kehrten um und gingen zum Bataillonsunterstand. Ich setzte mich zu den Ordonnanzen und beobachtete, wie die Offiziere sprachen.
„Gut!" sagte der Hauptmann. „Bringen Sie alles, was von der zweiten Kompanie zurückkommt, in den Tunnel! Und stellen Sie hinten an die Grabengabel, wo ja alle durch müssen, einen Zugführer mit einer Wache, der die Leute abfängt! Sonst laufen sie in ihrer Angst wer weiß wohin."
Die Tür wurde geöffnet und einer hereingeschoben. Der war ganz nackt. Er hatte um den Hals einen Strick mit der ovalen Erkennungsmarke.
Der Hauptmann sah ihn an. „Was bedeutet denn das?"
„Herr Hauptmann", sagte die Ordonnanz, die ihn gebracht hatte, „ich kann nichts aus ihm rauskriegen. Er ist von der zweiten Kompanie."
„Gebt ihm mal einen Mantel!" Man zog ihm einen Mantel an, und er stand da. „Sind Sie verschüttet gewesen?" - „Die Decke kam runter." - „Und dann?" - „Ich weiß nicht." -„Dann sind Sie wohl rausgekrochen?" - „Ich weiß nicht" - „Ich meine - Sie sind wohl aus dem Unterstand gekrochen?" - Er zögerte. „Ich konnte doch nicht." - „Weshalb denn nicht?" -„Der Fuß, der saß fest." - „Und da haben Sie den eingeklemmten Stiefel ausgezogen?" - Er zögerte wieder. „Es war so eng." - „Ordonnanzen! Bringt ihn mal zum Arzt! Und gebt ihm auch heißen Kaffee - oder haben wir keinen mehr?"
„Wir haben genug, Herr Hauptmann."
„Wie sich nur einer ganz ausziehen kann", wandte er sich an Fabian, „wenn ihm nur der Stiefel festsitzt! - Ob man sich auch so dumm benehmen würde?"
„Ich glaube nicht", überlegte Fabian. „Dazu gehört schon ein gehöriger Mangel an Selbstbeherrschung!"
Die ganze Nacht durch krachte es um unseren Unterstand
Manchmal schütterte der Boden. Dazu stanken die Pferde immer stärker.
Mitten in der Nacht polterten zwei die Treppe herunter.
„Was ist denn los?"
„Verzeihen, Herr Oberleutnant! Wir wussten nicht, dass hier der Kompanieführer wohnt. Es schoss eben so. Da sind wir hier herein!"
Gegen Morgen krachte es auf einmal näher als sonst, und jemand kroch auf der Treppe herum.
„Wer ist das?"
„Eilitz! - Es schoss so, da sind wir tiefer runter."
Wieder nach einer Zeit rief es von draußen: „Ist hier Sanitätsunterstand?"
„Der nächste Eingang, nebenan!" riefen wir alle zu gleicher Zeit.
Dann kam jemand. „Herr Oberleutnant, ich melde meinen Zug vom Schanzen in vorderer Linie zurück. Wir haben drei Mann Verwundete."
Kaum wurde es hell, da standen wir auf und tranken frierend Kaffee.
Dann ging Fabian allein fort und kam erst nach einigen Stunden wieder.
„Man hat den Führer der zweiten Kompanie jetzt gefunden, natürlich tot. Wir haben jetzt als vierten Zug die Reste der zweiten Kompanie. Leutnant Eisoldt führt sie. -Und jetzt ziehen wir um, in den Tunnel."
Es war draußen ruhig, so dass wir ungestört von unsern Pferden wegkamen. Eins von ihnen war geplatzt, und die Gedärme hingen blau und rot auf der Straße.
Im Tunnel hockten die Leute der zusammengeschossenen zweiten Kompanie im Tabaksrauch und Dunst. „Die schießen uns noch hier unten zusammen! - Oder die Franzosen kommen vorn in die Gräben rein, und dann sind sie auch bald hier!"
„Wir müssen uns noch alle zum Krüppel schießen lassen! - Uns ziehen sie doch erst aus der Stellung, wenn nur noch die Garnisondienstfähigen und Fahrer übrig sind!"
Wir zogen in einen Unterstand, in dem schon zwei Offiziere mit ihren Leuten lagen. Die mussten zusammenrücken.
Der Abend und die Nacht waren unruhig. Der eine Feld-
küchenkoch und der Küchenfahrer wurden beim Essenausgeben verwundet. Immerfort kamen Boten zu den drei Offizieren, die an dem einen Tisch saßen und schrieben. Ich musste mehrmals zu verschiedenen Stellen laufen. Endlich gegen Morgen legten wir uns schlafen. Rings an die Wände waren Pritschen gebaut, immer zwei übereinander. Ich lag oben, unter mir Ziesche. Über mir war ein Loch in der Decke, wahrscheinlich um ein Ofenrohr durchzustecken. Dadurch hörte ich das Krachen im Walde, bald näher, bald ferner, einen hellen, hölzernen Ton. Es waren Schrapnelle, mit denen der Wald abgestreut wurde.
Am nächsten Tage sah ich die Leute wieder im Tunnel hocken und rauchen. „Es geht eben nicht mehr! - Wir kommen nicht nach Deutschland zurück! In ein paar Tagen ist man entweder drüben bei den Franzosen gefangen, oder man liegt irgendwo in einem Graben, und die andern latschen einem über die Leiche weg!"
Ich begann mich über die zweite Kompanie zu ärgern. Was nehmen sie sich nicht zusammen! So nehmen sie den armen Rekruten, die eben erst an die Front riechen, noch den letzten Mut!
Im Hauptgang des Tunnels hatten sie noch dritte Betten dicht unter der Decke gebaut. Es musste ein Kunststück sein, sich da hinein zu biegen. Bei uns war noch ein vierter Offizier untergekommen, mit Burschen, so dass wir uns im Schlafen ablösen mussten, ich mit Ziesche.
Draußen war warmer Sonnenschein. Viele französische Flieger kreisten über unsern Stellungen und flogen über uns weg nach hinten. Deutsche Flieger schien es nicht zu geben. Wir liebten an sich die Fliegerleute nicht, wegen ihres anmaßenden Wesens, jetzt wurde immer häufiger über sie geschimpft.
Gegen Mittag umwölkte es sich, und es begann stark zu regnen. Ein Artilleriebeobachtungsoffizier kam aus dem Türkenwald als letzter, der dort ausgehalten hatte. Der musste auch noch in unsern Unterstand. Jetzt hatte sogar der Oberleutnant sein Bett nicht mehr für sich allein, sondern schlief abwechselnd mit Eilitz.
Mit dem Dunkelwerden begann wieder das Feuer ziemlich heftig in unsern Wald und das Gelände ringsum.
Als Eilitz mit den dampfenden Feldkesseln kam, sagte er mit seiner hohen Stimme: «In die Nähe der Küche hat es auch mit Gasgranaten geschossen."
„Woran haben Sie denn das gemerkt?"
„Es waren so kleine Wölkchen da. Erst hatte ich nicht drauf geachtet. Aber wie ich's Essen kriege, da riecht's auf einmal so süßlich - und mir wurde's für 'n Augenblick ganz wie dumm!"
Am nächsten Tage war es wieder klar geworden. Es schoss seit dem Morgen mit schweren Granaten in unsern Wald. Zwei Unterstände unseres zweiten Zuges wurden zerschossen und mussten geräumt werden. Die Leute daraus mussten auch noch in den Tunnel.
Zu Mittag auf einmal ein toller Krach ganz nah. Die Erde zitterte. Wir liefen in den dunklen Gang, der zum Haupttunnel führte. Aber von dort kamen welche gelaufen und drängten uns zurück.
„Was ist denn los?"
„Es hat eben den Tunnel eingeschossen!"
Ich roch auch schon den Granatdunst.
Als sich die Aufregung etwas gelegt hatte, gingen wir in den Tunnel. Die Kerzen brannten noch trüber. Aber es waren nur zwei Deckenhölzer in der Mitte angeknickt. Sonst war nichts geschehen.
Nachmittags musste ich mit einer Meldung zum Bataillon. Vor dem Unterstand war Blut von einem Posten, der hier verwundet worden war. Die dicke Glasscheibe war eingedrückt, und die Scherben lagen am Boden. Aber der Hauptmann und sein Adjutant lachten sehr vergnügt.
Wieder hörte ich es in der Nacht über mir krachen und an die Bäume schlagen.
Der nächste Morgen war klar. Die Sonne schien, und ein großer französischer Flieger kreiste, umgeben von kleinen, über uns. Wieder stiegen die riesigen Granatwolken aus dem Türkenwald.
Zu Mittag kam eine Bataillonsordonnanz - mir fiel seine Blässe auf. „Herr Oberleutnant, das Bataillon lässt mitteilen, dass die Franzosen den Türkenwald besetzt haben. Die dritte Kompanie soll den Waldrand hier besetzen."
Ich hatte ein Gefühl, als ob plötzlich alles weiß geworden wäre.
„Ordonnanzen, fertigmachen!"
Es war fünf Minuten nach zwölf Uhr.
„Züge alarmieren! Zugführer zu mir!"
Ich lief durch den dunklen Gang in den Tunnel und dort in die erste Tür links. Leutnant Eisoldt saß mit zwei Pionieroffizieren beim Skat.
„Herr Leutnant! Die Züge sollen alarmiert werden! Die Herren Zugführer zu Herrn Oberleutnant!"
Er sah mich mit weiten Augen an. „Was ist denn los?"
„Die Franzosen sind im Türkenwald."
Er hatte noch die Karten in der linken Hand und griff mit der rechten nach der Gasmaske. „Was sollen wir tun?"
„Vorläufig nur alarmieren!" Ich lief weiter zu Seidel.
Der rauchte seine Pfeife und sagte nur: „Jetzt geht's los", klopfte seine Pfeife aus und stand auf.
Ich lief zurück und fand Fabian mit dem Hauptmann oben in einem der Betongeschützstände.
Am Rande des Türkenwaldes sah ich die Leute umhergehen, konnte aber nicht erkennen, ob es Franzosen waren. Wie sollte es nur möglich sein, dass die Franzosen schon so nah waren und man keinen einzigen Gewehrschuss gehört hatte? Es müsste doch auch ein Bote von vorn da sein! Vielleicht stimmte alles gar nicht? Auch der Hauptmann schien im Zweifel. „Es scheinen mir Deutsche zu sein. Schicken Sie doch mal eine Patrouille hinüber!"
Oder waren die Franzosen beim Nachbarregiment eingebrochen und hatten sich zwischen uns und unsere vordere Linie geschoben?
Jenseits des Türkenwaldes stieg eine gelbe Leuchtkugel hoch und zerfiel. Fabian zeigte es dem Hauptmann. „Es müssen sich noch welche vorn halten, die Leuchtzeichen abschießen. Sollte man nicht gleich zum Gegenstoß vorgehen?"
„Nein, der Regimentskommandeur hat sich den Entschluss dazu vorbehalten. Wir müssen seinen Befehl abwarten."
Unterdessen kamen die Zugführer und flüsterten in einer Ecke. Am Boden lag ein Toter, dem sie Schuh und Strümpfe und auch die Hosen ausgezogen hatten; denn wir alle hatten Mangel an Bekleidung.
Wir standen und warteten. Schließlich kam der Führer der abgesandten Patrouille zurück und meldete, sie wären aus dem Türkenwald angeschossen worden, aber er glaubte, dass es Deutsche wären. - Einer von der Patrouille war am Bein verwundet.
„Haben Sie denn nicht angerufen?"
„Jawohl, Herr Hauptmann. Aber sie antworteten nicht."
Fabian sah den Patrouillenführer sonderbar an und schickte ihn fort. Man glaubte ihm wohl nicht.
Eine Ordonnanz kam von der Kompanie, die halbrechts vor uns lag, und meldete: „Der Türkenwald ist von den Franzosen besetzt. Von den Kompanien vorderster Linie keine Nachricht."
Von rechts kamen ein paar Artilleristen und schleppten einen zwischen sich. Dem waren beide Beine über den Knien abgeschossen. Das Blut troff aus den Hosenfetzen.
Unterdessen waren schon drei Stunden seit der ersten Nachricht vergangen. Fabian schickte mich zu den Zügen, ihnen zu sagen, dass sie Fleischbüchsen, Hartspiritus und Selterswasser bei Eilitz empfangen sollten, weil heute wahrscheinlich die Küche nicht vorkommen könnte.
Ich ging im Graben entlang, in dem jetzt Posten aufgestellt waren. Einer stand ganz geduckt da, so dass selbst sein Helm nicht aus dem Graben sah.
Ich blieb stehen. „Wovor fürchtest du dich denn?"
Er sah mich nicht an. Er war einer von den Achtzehnjährigen der zweiten Kompanie.
„Sieh nur mal raus!" lachte ich. „Es ist ja gar niemand zu sehen! Und die Sonne scheint!"
Er regte sich nicht. Was sollte ich tun?
Als ich zurückkam, lag in unserm Unterstand der Mann ohne Beine am Boden und heulte. Er schien ohne Besinnung. Eilitz gab über ihn weg die Fleischbüchsen und das andere aus.
Ich ging wieder in den Geschützstand. Dort war aber Fabian nicht mehr. An der Öffnung des Betonstandes stand der rothaarige Herschel als Posten. Neben ihm lag der am Boden, der vorhin hier als Posten stand.
„Hat es denn geschossen?" fragte ich.
„Ja, vorhin kamen ein paar Schrapnelle hierher." Dabei wandte er sich an mich, und ich sah: der hat gar keine Angst! - Wenn er heute fiele? Es würde mir ehrlich leid tun; denn das ist ein Kerl. - Ich falle ja nicht. Das stand mir ganz fest. Aber ruhig war ich darum doch nicht. Es kam jemand die Treppe herauf.
„Renn!" sagte Fabian ruhig und lächelte ein klein wenig. „In drei viertel Stunden." Dann wurde er dienstlich. „Ich habe den Ziesche schon fortgeschickt, die Züge zu holen. Eilitz bleibt hier. Wir müssen jetzt gehen."
Wir gingen ein Stück den Graben entlang und warteten auf die Kompanie. Der Sonnenschein lag noch gelblich auf der Wiese draußen. Aber der Wald war schon grau.
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis die Kompanie zusammen war. Fabian gab halblaut Befehle und kroch mit uns aus dem Graben in eine völlig zerschossene Batteriestellung dicht dabei, in der wir uns hinter Wälle in halbverschüttete Gräben legten. Er zeigte den Zugführern einen Gebüschstreifen, der sich nach dem Türkenwald zu vorzog, und erklärte, wie angegriffen werden sollte.
Wir mussten jetzt noch auf die vierte Kompanie warten, die links von uns angreifen sollte. Schließlich kamen Leute dieser Kompanie aufrecht durch den Wald gegangen. Sie schienen keine Ahnung zu haben, worum es sich handelte.
„Wenn sich die Kerle doch wenigstens hinlegen wollten!" flüsterte mir Seidel zu. „Siehst du, dort kommt schon so ein verfluchter französischer Flieger! Dass wir jetzt in der Dämmerung einen Gegenstoß machen, ist doch jedem Kind klar! Und dass wir ihn aus diesem Gebüsch heraus machen, auch! Wenn wir nur nicht noch vorher eins abkriegen!"
Der Hauptmann kam mit seinem Adjutanten und legte sich neben uns. Vor uns stand der Mond und begann an Licht zuzunehmen, während rechts noch der Himmel rotgelb über die Fläche sah.
Immer noch war die vierte Kompanie nicht vollzählig. Endlich kam der Führer mit dem Rest der Leute.
Fabian schickte einen Mann vor, die letzten hinderlichen Drähte mit der Drahtschere zu zerschneiden. Er kroch auf dem Bauch aus dem höher liegenden Walde heraus.
Da kam es angerauscht: Krach! Der Boden flog auf, wenige Schritte vor dem mit der Drahtschere, und warf
Lehmbatzen bis zu uns. Der Mann sprang auf und warf sich in einen Granattrichter.
„Können wir nicht jetzt, Herr Hauptmann?" fragte Fabian ungeduldig.
„Ja, los!"
„Folgen!" flüsterte Fabian. Wir krochen hinter ihm aus dem Walde. Im Gebüschstreifen stand ich auf. Fabian lief schnell. Die Ranken des Brombeergebüschs hielten einen sehr auf.
Bramm! dicht hinter mir. Ich bekam Lehm in den Hals, und die Gasmaske fiel mir herunter. Ich hob sie auf und lief weiter. Ihr Band war zerrissen. Ich sah mich plötzlich nach Ziesche um. Hinter mir lief nur Seidel. Fabian hatte schon einen Vorsprung, und es wurde immer dunkler. Alles verschwamm weißlich im Zwielicht.
Fabian hielt und kniete nieder. Fünf Schritte vor uns hörte das Brombeergestrüpp auf. Bis zu dem dunkel ragenden Türkenwald waren es kaum hundert Meter. Dazwischen ebene Wiese.
Fabian flüsterte mit Seidel und zeigte ihm, wie angegriffen werden sollte. „Ich komme dann mit der Unterstützung nach, wenn Sie im Walde sind, und helfe Ihnen, wo sich die Franzosen etwa noch halten."
Seidels Zug war jetzt da, aber von den anderen Zügen kein Mensch. Ziesche fehlte.
Links klapperte Schanzzeug. Das musste die vierte Kompanie sein. Ein paar Gewehrschüsse.
Fabian beugte sich zu Seidel. „Die vierte Kompanie ist bemerkt worden. Greifen Sie an!"
Seidel gab mit dem Arm das Zeichen. Sie standen auf und liefen in die graue Dämmerung hinaus.
Jemand kam von hinten gerannt. „Fabian! Der Hauptmann ist verschüttet, Sie führen das Bataillon!"
Peitschendes Gewehrgeknall um uns und leichtes Aufblitzen am Waldrand.
„Der größte Teil Ihrer Kompanie ist auch verschüttet! Ich habe mich herausgebuddelt und bin zu Ihnen gelaufen!"
Es pfiff um uns. Fabian deutete mit einer erregten Bewegung vor. „Da laufen sie! Ich kann sie nicht mehr aufhalten! Sie laufen zu weit rechts!"
Meine Augen bohrten sich vor: Das ist ja schrecklich! Die laufen fast an den Franzosen entlang! Dort stürzt einer, und noch einer!
Dann sah ich niemand mehr. Am Waldrand flammten rote Feuer auf. Es peitschte um die Ohren. Ich fühlte den Wind von einem Geschoß am Hals.
Was ist mit Seidel? - und Ziesche!
Ein Schlag auf meinen linken Oberarm!
„Ich bin verwundet", sagte ich.
„Wo?" fragte Fabian.
Ich zeigte es ihm.
Der Oberarmmuskel begann zu schmerzen, als ob er aufgedunsen wäre.
„Haben Sie ein Messer?" fragte der Adjutant
Ich hatte es in der linken Hosentasche und versuchte mit der rechten Hand quer über den Leib hineinzugreifen.
Er merkte es und zog es heraus.
Es pfiff und knallte.
Er schnitt den Ärmel ab. Wo es schmerzte, war nichts zu sehen.
„Ein tüchtiges Loch!" sagte der Adjutant. „Das wird ein Verbandpäckchen gar nicht decken. Aber kommen Sie mal in den Granattrichter!"
Wir krochen in einen breiten Trichter, in dem wir sicher waren.
„Wo ist denn die Wunde, Herr Leutnant?" „Nahe der Schulter. Der Schuss muss von schräg links gekommen sein!"
„Aber ich merke gar nichts von Bluten?"
„Es blutet auch kaum."
„Meine Leute!" knirschte Fabian.
„So, jetzt müssen wir aber den Ärmel wieder anstecken. Ihr Arm glänzt so weiß im Mondenschein, dass es die Franzosen drüben sehen müssen."
Er steckte mir Hemd- und Rockärmel mit einer Sicherheitsnadel ganz schief wieder an.
Das Gewehrfeuer ließ etwas nach.
„Gehen Sie doch mal hinüber", sagte Fabian, „was die vierte Kompanie erreicht hat!"
Der Adjutant verschwand im Gebüsch.
Ich merkte, wie verstört Fabian war, und sagte, ihn abzulenken: „Ziesche muss auch verwundet sein."
„Alle ordentlichen Leute sind verwundet, nur ich nicht! Wie soll ich nur überhaupt wieder vor meine Kompanie treten? Ich bin hier vorn gewesen und habe nicht mit angegriffen, weil ich auf die anderen Züge wartete! Das glaubt mir doch aber kein Mensch!"
Der Adjutant kam zurück. „Die vierte hat gar nicht erst angegriffen, weil sie solches Feuer bekamen."
„Und wegen diesem Pack habe ich meine Leute da vorgehetzt!"
„Na, na! Die können nichts dafür. Wir wollen lieber froh sein; sie haben nur drei Leichtverwundete. - Aber wollen wir nicht jetzt hintergehen?"
Kein Schuss fiel mehr. Die roten Feuer waren erloschen. Wir gingen langsam im Mondschein zurück, nur noch drei.
Ich begann vor Kälte zu zittern. Der Schmerz war fast vergangen.
Als wir an den Waldrand kamen, standen da einige.
„Sie sind ja da!" rief der Leutnant Eisoldt den Adjutanten an. „Wir graben die ganze Zeit nach Ihnen. Herr Hauptmann hat überall nach Ihnen gesucht."
„Was? Ist der auch da? Ich habe doch nach ihm gesucht!"
Ich fragte einen: „Habt ihr den Ziesche gesehen?" „Er ist gleich hinter dir verwundet worden. Es hat ihm die ganze eine Gesichtshälfte weggerissen." „Lebt er noch?"
„Nee, der hat gar nichts gemerkt."
Vorm Bataillonsunterstand drehte sich Fabian nach mir um. „Meine besten Leute sind heute weg..." Er fand nicht weiter und drückte mir nur die Hand.
„Auf Wiedersehen, Herr Oberleutnant!" rief ich.
Er nickte. „Gehen Sie in den Unterstand! Eilitz soll Sie nach dem Verbandplatz bringen. - Man ist unsicher im Gehen mit so einem angeschossenen Arm."
Einige Schrapnelle fuhren in den Wald und klapperten in den Ästen. Ich ging nach dem Tunnel.
Im Unterstand lag der ohne Beine, jetzt tot.
Eilitz fuhr in die Höhe. „Wo ist der Oberleutnant?"
„Gesund, im Bataillonsunterstand." Ich freute mich, dass er sich so gesorgt hatte.
„Ist der Wald wiedergewonnen worden?"
„Nein. Es ist auch keiner in den französischen Graben gekommen."
„Doch, ich!" sagte es gereizt hinter mir. Ich fuhr herum: Seidel! „Ich bin drin gewesen!" sagte er, aber gar nicht wie er selbst. „Aber als ich mich umsah, war keiner mehr da, und der Graben war auch von Franzosen leer. Da bin ich vorsichtig im Graben nach rechts weiter und bin da zur ersten Kompanie gekommen. Wo ist der Oberleutnant?"
„Im Bataillonsunterstand."
Er lief ohne ein weiteres Wort hinaus.
Eilitz führte mich ganz unnötig vorsichtig am rechten Arm und half mir aus dem Graben.
Da fiel mir ein, dass meine Briefe, und was ich mir sonst aufgeschrieben hatte, noch im Unterstand lagen. Ich hatte sie nicht mit vor genommen, für den Fall, dass man in Gefangenschaft geriete. Denn es standen Bemerkungen über Truppenbewegungen darin.
„Du, warte mal hier; ich muss noch was holen!"
Ich kletterte wieder in den Graben und tappte durch die dunkeln Gänge. Im Unterstand brannte noch das Licht. Ich stieg über den Toten weg, steckte die Papiere in die Rocktasche und tastete zurück.
Als ich Eilitz nicht an der Stelle traf, wo ich ihn verlassen hatte, rief ich leise: „Eilitz! - Paul!" Eine Angst befiel mich. Ich kletterte mühsam aus dem Graben. - Ich sah niemand. Ich stolperte über Äste und umgebrochene Bäume. - Da! Er lag ausgestreckt im Astgewirr. Der Mond schien ihm ins Gesicht. Er hatte etwas Blut über dem einen Auge. Mich fröstelte, und ich ging weiter.
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