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Alfred Kurella - Mussolini ohne Maske (1931)
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VORWORT

Was geht gegenwärtig in Italien vor? Was ist der Faschismus? Was ist Mussolini?
Man fühlt mehr, als dass man es weiß, dass Mussolini nicht der ist, als den er selbst und andere ihn darstellen. Mussolini trägt eine Maske. Wir alle kennen diese Maske. Was steckt hinter ihr? Um das zu erfahren, gibt es nur einen Weg: Man muss prüfen, nicht was Mussolini denkt und sagt, sondern was er tut. Man muss untersuchen, nicht was seine Verherrlicher über ihn erzählen, sondern was wirklich unter seiner Herrschaft in Italien geschieht. Italien -
Das werktätige Deutschland hat den Kontakt mit dem Volk der italienischen Arbeiter und Bauern verloren. Das Deutschland von morgen, für das das kommende Italien ein wichtiger Bundesgenosse beim sozialistischen Aufbau Europas sein wird, weiß nicht mehr, was im „Land der deutschen Sehnsucht" geschieht, weder im guten, noch im schlechten Sinne. Aber jetzt, wo die werktätigen Massen beider Länder sich rüsten, mit ihren Unterdrückern aufzuräumen, muss die Verbindung wiederhergestellt werden. Das Proletariat und die Bauernschaft Deutschlands und Italiens haben aus den Fehlern, die sie in der jüngsten Vergangenheit in ihrem Kampf um die Macht begangen haben, unendlich viel zu lernen. Die kommenden Schlachten werden vielleicht gemeinsam geschlagen werden.
Ich ergriff gern eine Gelegenheit, an dieser Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den revolutionären Massen beider Länder mitzuhelfen, da ich mir bewusst war, zu dieser Arbeit besondere Voraussetzungen mitzubringen. Ich hatte noch teilgehabt an der klassischen Weise, Italien zu studieren und kennenzulernen. Durch mein Elternhaus war ich mit den Kreisen des jungen, vom Sozialismus tief beeinflußten intellektuellen Italiens
der Jahrhundertwende verbunden gewesen. Nach dem Kriege war es mir vergönnt, aktiv an den Kämpfen der Arbeiterbewegung des Landes teilzunehmen. Damals hatte ich die Sprache erlernt und war vor allem mit den Arbeiter- und Bauernmassen in den verschiedensten Landesteilen in innigen Kontakt gekommen.
Andrerseits hatte ich inzwischen Gelegenheit gehabt, durch jahrelangen Aufenthalt und aktive Mitarbeit in der Sowjetunion aus eigener Anschauung die sozialistische Lösung der Probleme der modernen Gesellschaft kennenzulernen. Wer das alte Russland, dessen Probleme in so vieler Hinsicht denen Italiens glichen, kennt und weiß, wie sich dort die Befreiung des werktätigen Volkes vollzogen hat, kann sich erst richtig vorstellen, was aus Italien und seiner wundervollen werktätigen Bevölkerung werden kann, wenn auch dieses Land den Weg der proletarischen, sozialistischen Revolution einschlagen wird. So trat ich die Reise an.
Ich war mir der Grenzen meines Versuches bewusst. Die Zeit, die zur Verfügung stand, zwang mich, mich auf die großen wichtigen Dinge zu konzentrieren. Ich war in erster Linie auf die Anschauung angewiesen und konnte an das Studium der Probleme nicht mit der wissenschaftlichen Gründlichkeit herangehen, die allein eine umfassende Erkenntnis ermöglicht hätte Auf Schritt und Tritt regte sich auf der Reise in mir der Wunsch, ein ganzes Jahr, ja ein ganzes Leben hierzubleiben; denn wie überall, so schien auch hier eine wirkliche Erkenntnis nur möglich durch aktives, änderndes Eingreifen in den historischen Prozess. Aber die Erfahrungen der Reise selbst widerlegten zugleich diese Tendenz der Selbsteinschränkung. Mit beinah unheimliche Eintönigkeit wiederholten sich die Erlebnisse: Die Klagen und Flüche der gequälten Arbeiter und Bauern stimmten in allen Teilen des Landes fast wörtlich miteinander überein. Die ersten Angaben über Löhne, Lebenshaltung, Arbeitsbedingungen und Verfolgungen wurden durch jede neue Erfahrung bestätigt. Das alles sprach für die Objektivität und Allgemeingültigkeit der gemachten Beobachtungen.
Ich bin heute überzeugt, dass der Weg, Italien von unten zu betrachten, den ich gewählt hatte, der richtige war. Ich habe weder
mit Mussolini noch mit einem anderen der faschistischen Führer gesprochen. Ich habe nur bei einzelnen Problemen, so hinsichtlich der Geschichte dieser Bewegung, der Kolonialpolitik, der „Bonifica" und der Gewerkschaftsbewegung eine größere Literatur studiert und meine Beobachtungen wissenschaftlich vertieft. Aber was ich bei den Besuchen in Dörfern und Städten, Bergwerken und Landgütern, auf Feldern und in Arbeiterwohnungen gesehen und gesammelt habe, sagt mehr aus über das wirkliche Italien, sowohl das alte Italien wie das Italien des Faschismus, als es jede Arbeit an Hand der offiziellen und nichtoffiziellen Dokumente tun könnte.
Das faschistische Italien, das Italien Mussolinis, Mussolini selbst -sie stehen ohne Maske da. Aber mit der Maske Mussolinis ist Mussolini selbst gefallen! Denn hinter der Maske, die er trägt, steht nicht irgendein Mann Mussolini. Als sie fiel, war Mussolini verschwunden, und es zeigte sich die Fratze der Junker, Schlotbarone und Bankiers, der eigentlichen Herren des faschistischen Italiens!

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