Nachwort
  Das vorliegende Buch nennt sich ein Roman. Ich bin selbst nicht ganz  sicher, ob es das wirklich ist. Die Hauptträger der Handlung haben  wirklich gelebt und die geschilderten Leiden erdulden müssen, bis zum  bitteren Ende: ihrer Hinrichtung durch das Fallbeil in Plötzensee. Von  den wenigen, die am heben blieben, habe ich den Stoff für dieses Buch.  ]e mehr sich die Gestalten in mir durch die Schilderungen ihrer  Angehörigen und nahen Freunde aus tief verehrten, ins Heldenhafte  entrückten Widerstandskämpfern zu Menschen aus Fleisch und Blut zu  formen begannen, eine um so zwingendere Notwendigkeit wurde es mir,  diesen „Roman" zu schreiben. 
    Als ich zum ersten Mal das kleine Haus  von Frieda Coppi in Borsigwalde betrat, lag es keineswegs in meiner  Absicht, Stoff für ein Buch zu suchen. Es war im Sommer 1946; die  Zeitung, an der ich mitarbeitete, bereitete für den 12. September eine  Ausgabe vor, in der aller derer gedacht werden sollte, die ihren  aktiven Kampf gegen das Hitlerregime mit ihrem Leben hatten bezahlen  müssen. Vom Hauptausschuss OdF wurden mir in diesem Zusammenhang Hans  und Hilde Coppi genannt, Mitglieder der Widerstandsgruppe  Schulze-Boysen, die auf ihrem Segelboot einen Geheimsender betrieben  hatten. Hilde war hochschwanger, als sie verhaftet wurde, und brachte  im Gefängnis ihr Kind zur Welt. Die Mutterschaft schützte sie nicht vor  dem Todesurteil. Die einzige „Gnade", die ihr die  nationalsozialistischen Henker gewährten, bestand in einem Aufschub der  Urteilsvollstreckung bis zu jenem Tag, an dem die Nahrung der jungen  Mutter für ihr Kind versiegt sein würde. Hilde Coppi nährte ihr Kind  acht Monate hindurch. Am 5. August 1943 schritt sie den schweren Weg  zum Schafott, den ihr Mann schon im Dezember 1942 vor ihr gegangen war. 
    Alle diese Tatsachen waren mir bereits bekannt, als ich die alte Frau  Coppi in ihrer Laube besuchte -in derselben Laube, die die Nazis  beschlagnahmt hatten und die man Frau Coppi jetzt, nach dem  Zusammenbruch, zurückgegeben hatte. Ich wusste auch, dass Hilde Coppis  Sohn, der kleine Hans, am Leben war und bei seiner Großmutter aufwuchs.  Unbefangen, unbeschwert kam mir der Vierjährige hier entgegen. Er  wusste zwar, dass er keine Eltern mehr hatte, und die Blumen, die er  auf seinem eigenen kleinen Beet im Garten begoss, hatte er im Andenken  an seinen toten Vater und an seine tote Mutter gepflanzt. Seinen  kindlichen Frohsinn hatte dieses Wissen jedoch nicht trüben können.  Dagegen trug das Gesicht der alten Frau die ganze Last der Erinnerung,  und es war schwer, an diesem ersten Tag unseres Zusammen- 
    seins an Dinge zu rühren, die alles Schmerzliche in ihr wieder  aufwühlen mussten. Aber sie ging zum Schreibtisch und holte einen  Packen Briefe hervor: Briefe von Hans Coppi an seine Frau im Gefängnis;  Briefe von Hilde Coppi an ihre Angehörigen; Hildes Abschiedsbrief, der  später in Hunderten von Exemplaren illegal vertrieben wurde. Diese  Briefe bewahrt Frau Coppi wie ein Heiligtum auf. Eines Tages sollen sie  in den Besitz des kleinen Hans Coppi übergehen - als das einzige, was  ihm von seinen Eltern geblieben ist. 
    Ich las die Briefe zu Hause; der Eindruck, den sie mir vermittelten,  war so stark, dass ich beinahe zwangsläufig daranging, mich mit dem  Schicksal ihrer Verfasser näher bekannt zu machen. Was mich am  stärksten packte, war das Geschick der unglücklichen, tapferen Hilde  Coppi, die an einer Stelle ihrer Briefe - übrigens das einzige Mal, an  dem sie einer trüben Stimmung Ausdruck verleiht - in Verzweiflung  bekennt: „Ach Mama, ich glaube, für eine Mutter kann es nichts  Schlimmeres geben, als sie von ihrem Kinde zu trennen..." 
    Der Leser findet die Briefe wörtlich, mit nur geringen Kürzungen, wie  sie der Ablauf der Handlung hier und da erheischte, im vorliegenden  Buch abgedruckt; für die Genehmigung der Veröffentlichung möchte ich  Frau Frieda Coppi an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Auch der  junge, heranwachsende Mensch, für den ich das Buch in erster Linie  geschneben habe, kann so die Kraft und Größe der Briefe auf sich wirken  lassen; sie legen Zeugnis dafür ab, dass die vorbildlichen, in ihrer  politischen Haltung unbeugsamen Widerstandskämpfer auch dies trotz  ihres gefahrvollen Lebens nicht vergessen haben: einfache Menschen zu  sein, die einander lieb hatten. 
    Meine Zusammenkünfte mit der alten Frau Coppi wiederholten sich; man  fühlte sich in ihrer „guten Stube" bei der Tasse Kaffee, die sie stets  bereit hielt, bald wie zu Hause. Begegnungen mit Freunden der Coppis  schlossen sich an. Wesentliche Einzelheiten aus der Zeit des  Gefängnisdaseins verdanke ich Frau Dr. Elfriede Paul, die in denselben  Prozess verwickelt war, deren bereits über sie verhängtes Todesurteil  jedoch in letzter Stunde in lang währende Haft gemildert wurde. Wieweit  das Bild, das sich mir aus dem Mosaik der Schilderungen über Hans und  Hilde zusammenfügte, einem Porträt der wirklichen Coppis entspricht,  kann ich nicht entscheiden. Es scheint mir auch nicht wichtig.  Wesentlich erschien mir dagegen, in den Gestalten von Hans und Hilde  Menschen darzustellen, die für viele stehen; für alle diejenigen  nämlich, die infolge ihres unermüdlichen Kampfes gegen die  Naziherrschaft ihr persönliches Glück eingebüßt hatten, die aber  dennoch voller Zuversicht auf eine bessere Zukunft das Schafott  bestiegen. 
    Auch Lotte Burkhardt lebt. Neben der ans Unwahrscheinliche grenzenden,  abenteuerlichen Geschichte ihrer Verhaftung und Flucht war es auch hier  der verzweifelte Kampf der Mutter um ihr Kind, der mich zur Gestaltung  drängte. - Einzig Eva Burkhardt habe ich nie gesehen. Aber auch sie  existiert, und ihre Geschichte ist wahr. Es ist die typische Geschichte  eines Kindes, das, durch einen verbrecherischen Rassenwahn in der  harmonischen Entwicklung gestört, sich in der Welt nicht mehr  zurechtfand und an den Rand der Verwahrlosung getrieben wurde. Wenn es  dennoch gelingen soll, Kinder wie Eva auf den rechten Weg  zurückzuführen, so wird die Erinnerung an Menschen wie Hans und Hilde  Coppi entscheidend dazu beitragen können. Sie sind gestorben - damit  unsere Kinder einer lichteren Zukunft entgegenwachsen. 
    Berlin, im Mai 1949 
    Elfriede Brüning  | 
  
    
    Hinweis:      Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität              der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen.              Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist              nicht gestattet. 
     
    |   |