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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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VII

Die Kohle der ersten Teilstrecke wurde von »Amor« an den Bremsberg geschleppt. Amor war der letzte Gaul im fünften Revier. Sein Hinaustransport verzögerte sich, weil sich das breitere Ausbauen der Strecke für eine Maschine als unrentabel erwies.
So plagte sich Amor mit den Förderzügen. Je mehr Mühe er sich gab, umso mehr Wagen wurden ihm angehängt, denn die Steigerung der Förderung erforderte auch von ihm Mehrleistung.
Bis vor ein paar Wochen teilten sie sich noch zu zweit die Arbeit. Da gab es noch die »Mary«.
Mary war auf einem Auge blind. Sie hatte sich's an einem Bruchholz bei der Antreiberei ausgestoßen. Sie war aber fleißig und nahm Amor die größere Last ab, die Förderung der Morgenschicht.
Dann kam ein Unglück, wobei Mary sich einen Knochen brach und arbeitsunfähig hinausbefördert werden musste.
Böß ließ kein neues Pferd mehr hinunterschaffen, weil es sich seiner Meinung nach nicht mehr bezahlt machte.
Seither ging es Amor sehr schlecht. So eine tolle Förderung hetzt nicht nur Menschen, sie setzt auch dem stärksten Gaul zu. Und das spürte Amor am besten.
Die Strecke stöhnte und dröhnte, wenn er mit der Kohle daher stampfte, dampfenden Schaum um das Maul und auf dem zerschabten Fell, das voller Narben war wie mancher Rücken der alten Kumpels.
Schacke ließ ihn nach der mühseligen Morgenschicht, kaum dass er ein paar Maulvoll Futter hinuntergeschlungen hatte, wieder vorspannen, um die Kohle der Mittagsschicht an den Bremsberg zu schleppen.
In wenigen Wochen war Amor erschreckend abgemagert. Seine Knochen, die stark herausragten, waren oft das Gespött der jüngeren Kumpels.
Selbstverständlich bockt auch der geduldigste Gaul, wenn man ihm zu viel zumutet. Das tat auch Amor, soweit es seine steifen Knochen erlaubten.
Schacke fasste es als Trotz auf. Amor wurden die Knochen noch mehr lahm gehauen, und er gab den Widerstand mit hängendem Schädel auf. War die Schicht zu Ende, war er schlapp und nicht imstande, sich der Ratten zu erwehren, die ihm den Hafer wegfraßen.
Einmal stockte die Förderung.
Die Kolonne, in der Jaschinski sich befand, wartete auf leere Wagen. Der Ortsälteste kroch fluchend durch den Bau und hieß die Hauer, Kohle auf Vorrat zu hauen. Zudem war bekanntgegeben, dass hoher Besuch erwartet wurde, was den Ortsältesten erst recht in Schwung brachte.
Die Hauer verschwanden schon hinter der aufgetürmten Kohle, und es gab noch immer keine leeren Wagen. Schacke kam von oben, bemerkte, dass die Rutsche stand. »Na, gottverdammt, warum fördert ihr nicht?« jagte er gleich auf den nächsterreichbaren Mann los.
»Da unten muss was passiert sein!« erklärte der Hauer. »Wir kriegen seit einer halben Stunde keine leeren!«
»Was, keine Wagen? Die verdammten faulen Hunde, ich schmier sie alle aufs Brett!« brüllte er und krabbelte über die Kohle zu der Teilstrecke hinunter. Schon von weitem hörte er das Schreien des Pferdetreibers.
»Was ist mit dem Biest?« schrie Schacke den Jungen an und stieß ihn beiseite. »Geh weg!«
»Amor zieht nicht!« keuchte der Junge. »Hau ihm was auf den Balg, dem Stinkvieh!« »Ich hab ihm schon Zunder genug gegeben, er zieht einfach nicht an!« erzählte der Junge.
»Das will ich doch mal sehen!« Schacke ergriff, um seinen Meterstock zu schonen, ein Stück Schalholz und schlug damit wütend auf Amor ein.
»Hoi, du Aas!«
Amor schlug hinten hoch, traf den Eisenwagen. Funken spritzten.
»Vorwärts, Amor!« schrie Schacke. Ein Hieb traf Amor, der sich hin und her warf, zwischen die Ohren. Ein zweiter das Maul.
»Los, Amor!«
Amor riss an den Ketten. Das Holz traf seine Knicknochen. Er drehte sich schmerzgepeinigt herum und sprang Schacke an. Der knallte ihm eins auf die Nüstern. »Da, du Aas, du verfluchtes! Hoi, Amor!«
Vorn in der Strecke erschien Licht.
»Wer kommt da?« schnaubte Schacke.
»Ich!«
»Wer ich?«
»Ich, Jaschinski!«
»Was treiben Sic sich hier unten rum?« schrie ihn Schacke an, froh, jemand erwischt zu haben, an dem er sich auslassen konnte.
»Ich musste auf den Kübel!« stotterte Jaschinski ängstlich.
»Was Kübel!« packte Schacke los. »Blöde Ausreden! Dafür haben Sic ein andermal Zeit genug, auf den Kübel zu gehen. Hier wird Kohle gefördert!«
»Wir hatten keine leeren Wagen«, versuchte Jaschinski sein Verlassen der Rutsche zu rechtfertigen.
»Ich geb Ihnen leere, da sollen Sie staunen!« schrie Schacke. »Los jetzt, den Gaul vorn an der Schnauze gepackt!«
Jaschinski fasste nach Amors Zaumzeug. Ordnete es.
»Machen Sic nicht soviel Dreh!« schrie Schacke, dem es zu lange dauerte.
»Komm!« rief Jaschinski, packte das Pferd, das wild zur Seite sprang. »Komm, sonst kriegste wieder deine Prügel!«
Amor stemmte die Beine gegen die Schwellen, riss und stöhnte. Kam keinen Meter vorwärts.
»Ich glaub, das Tier is krank!« meinte Jaschinski schüchtern.
»Was, krank, wenn Sic nur nicht krank sind!« schrie Schacke. »Hoi, du Elendsbiest!«
Jaschinski flog in einen Stoß.
»Halten Sie den Gaul fest!« schrie Schacke.
Jaschinski schüttelte den Kopf und näherte sich dem ausschlagenden Pferd. »Komm, Amorchen, ich hau dich nich. Sei nicht bange, komm nur!«
»Drehen Sie ihm das Maul an! Hoi, du Aas!«
Amor schlug mit dem Kopf hoch. Jaschinski pendelte sekundenlang mit den Beinen in der Luft. »Nicht hauen«, wurde er ärgerlich, »lasst ihm doch Ruh!«
»Das wäre gelacht!« grollte Schacke.
»Hängt ihm ein paar Wagen ab!« bat Jaschinski.
»Blödsinn, er muss ziehen!« tobte Schacke, »Hoi, Amor!«
Amor stöhnte tief. Ein Hieb mit dem Holz traf seine Rippen. Er legte sich mit einem mal quer über die Schienen.
»Was ist nun los?« fragte Schacke bestürzt.
»Ich hab's ja gesagt!« erwiderte Jaschinski.
»Das fehlt mir noch!« Schacke fluchte, sprang an das Tier heran, zerrte es am Halfter. »Auf, du verdammte Krücke! Hoch, los!«
Amor blieb liegen und stöhnte noch mehr.
»Packt doch zu!« brüllte Schacke die Kumpels an.
Sie zerrten zu dritt an Amor herum. Der stand nicht auf.
»Aus!« meinte Jaschinski.
»Junge, Junge, nee!« jammerte Schacke. »So ein fauler Zosse! Was mach ich bloß, die ganze Förderung steht. Nun fehlt noch, dass der Alte herkommt!«
Er stierte den Gaul an, dann die Kumpels, die ihm das gönnten und mit versteckter Schadenfreude dastanden. Die Tobsucht packte ihn. »Gottverdammich!« Die Lampe krachte in den Stoß. Die Lederkappe flog hinterher, zuletzt die Meterlatte. »Worauf warten Sie?« brüllte er die Kumpels an. »Vorwärts, das stinkige Vieh fort und die Wagen abgekoppelt! An den Bremsberg geschleppt!«
»Der is kaputt!« flüsterte Jaschinski dem Lader zu, als sie unter Mühe Amor aus den Schienen schleiften.
Während sie die Kohlenwagen fortschoben, verendete Amor in der Strecke.
»Glaubst du, dass die Arbeit für ihn zu schwer war?« meinte Jaschinski zu dem Pferdejungen.
»Blödmann«, entgegnete der, »Pferde sind Pferde!«
»Das wohl«, sagte Jaschinski nachgrübelnd, »und wenn es noch so stark is, wenn man ihm zu viel anhängt, dann geht es ihm wie uns!«
In der weiteren Schicht fiel es ihm ein, dass Amor noch leben könnte, wenn ein zweites Pferd dagewesen wäre. Auf jeden Fall lag etwas vor, dass man kein zweites Pferd hergeschafft hatte.
Und dies erfuhr er von dem Ortsältesten, der sagte: »Sparen wollte der Alte, jetzt hat er ausgespart!«
»Pass auf, jetzt kriegen wir auch 'ne Maschine!« meinte der Lader nach der Schicht.
»Warum denn nicht früher?« fragte Jaschinski.
»Meinst du, die Gäule kriegen ihr Fressen umsonst?« sagte der Pferdejunge.
»Umsonst ist der Tod!« antwortete der Lader.
Jaschinski musste an Amors klägliches Ende denken. Den ganzen Nachmittag. In der Nacht. Als er am nächsten Morgen anfuhr. Vor Kohle, als er vor Staub und Kohlenhauen nicht mehr schnaufen konnte.
Schacke jagte wie toll durch die Rutsche. Der Förderausfall musste heraus.
>Jetzt geht es uns wie dem Amor<, dachte Jaschinski.

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